Baukunst in Baden
  Abschnitt 1
 


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Bruch der Kontinuität

...Die unbedarfteste Vermischung der Baustile. Interessanter geht's nimmer. Die erdenschwere, nüchterne Romanik, die mit dem Mittelalter vermeintlich aufräumende Renaissance, endlich der so gerne verurteilte, dennoch ungetrübt lustwandelnde Barock. Drei Stile, die eigentlich nichts gemein, die eigentlich einen formalen Krieg führen müssten. Was aber sehen wir? Harmonie - eine vollendete Harmonie, einer Anlage einheitlichen Stils gar vorzuziehen! Wie aber kommt's? Eingedenk unserer so gerne blitzsauberen Trennung der Stile ist dieser Umstand eine echte Unmöglichkeit. Wie also kommt's?
Mögen jene drei Stile auch unterschiedliche Akzente suchen, so sind sie einander doch näher als man billig wahrhaben will. Sie alle nämlich folgen den gleichen inneren Regeln, welche sich nach außen abzeichnen durch Harmonie im Aufbau der Fassaden, stets unter der Ägide anmutigen Ausdrucks. Alle drei Stile waren ohne weiteres fähig und sahen es als grundlegende Aufgabe an Schönheit zu erwirken (neben der Erfüllung der Gebäude-Funktionen); im Auge des Betrachters Gefallen, ohne dass er im Einzelnen um Art und Weise wissen müsste. Die inneren Regeln des Entwurfes erzeugten nach außen Anmut - darin das Band, welches alle drei Stile auf's harmonischste verbindet. Dass also der Eindruck der Homogenität entsteht, zeigt das grundlegende des Strebens nach Schönheit - sie ist das vom Baumeister einzulösende Wesen, die sichtbare Kontinuität der mit dem Menschen gewachsenen Stilhistorie. Sie genau zu erklären bedarf umständlicher Worte, sie also mit den Instrumenten reiner Vernunft zu sezieren, braucht den geschulten Blick des Fachmanns - alleine dem allgemeinen Blick sind jene Erklärungen nicht von Nöten; die Schönheit nämlich, fußend auf dem Gefühl der Freude, wie ja auch die lebensbejahende Emotion der Liebe, wird im Sinne praktischer Vernunft einfach gefühlt, ohne empirische Erklärung begriffen. Mag der Skeptiker noch so laut poltern. Immanuel Kant: "Das Gefallen ist unmittelbar und beruht weder auf Argumentation noch auf Analyse."[1]
Jener Kontinuität abzusagen ist der Verdienst des Modernismus. Wie nun das Streben nach der baulichen Gestalt unweigerlich die jeweilige Zeit abbildet, also der Modernismus ohne weiteres und tatsächlich zeitgemäß, lässt sein Auftreten, sein Zustandekommen tief genug blicken. Immanuel Kant "Ohne die Erfahrung des Schönen bleibt die Rationalität unerfüllt."[2] Der Modernismus hat das einende Band, dessen Ergebnis die Schönheit, durchschnitten. Oder wer wollte ernstlich behaupten der Modernismus würde schöne Bauwerke zeugen - ja nicht einmal dessen eifrigste Verfechter, die nie auf mehr bestehen als den zeitgemäßen und funktionalen Ausdruck. Die Schönheit aber ist damit ganz offen ausgetrieben und damit, wenn wir einem Mann namens Kant folgen, die Rationalität unerfüllt. Wem ist das Gewinn? Und wie kann man die Frechheit besitzen zu behaupten, man stünde heutigentags noch in der Tradition der Aufklärung?
Betrachten wir also konkret die harmonische Welt Bronnbachs. Und so man von Harmonie spricht weitet man sie leicht auf die Beziehung zur Natur aus. Das im übrigen ein weiteres Kennzeichen der historischen Baustile, das Band der Schönheit nämlich macht keineswegs beim Gebäudeensemble halt sondern flattert wie selbstverständlich in die umschließende Landschaft - oder um die Reihenfolge richtig abzubilden: die Schönheit der Natur greift nach des Menschen Werk. Die Baumeister strebten nach Schönheit, damit unweigerlich nach dem innersten Wesen der Natur. Der Mensch, wiewohl die Felder bebauend, Wälder rodend, der Natur bereits gebietend, nicht aber sie vergiftend, eliminierend, also noch im Einklang mit seiner Umwelt. Abzulesen billig auch an Bronnbach. (aus Beitrag "Bronnbach")


[1] Scruton, Roger "Kant", Herder/Spektrum, S.115 (Kritik der Urteilskraft)
[2] Scruton, Roger "Kant", Herder/Spektrum, S.114 (Kritik der Urteilskraft)

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Geistesgrößen

...Nein, aber der Modernismus würde alles logischer, verständlicher und ohnehin besser machen als die Stadt der Historie: statt dem Wirrwarr unterschiedlichster Gebäude (eigentlich Lebendigkeit!), die Ruhe und Übersichtlichkeit klarer Struktur (riesige "Klumpen" von Gebäuden, bar jeden Reizes) - statt "kitschiger", verspielter Fassaden (eigentlich detailreich, damit die Natur nachahmend und bedacht auf Versöhnung des Auges), die glatte technische Gestalt der Maschine (kalt und steril, gefühlstot). Ja, wir feierten freilich das Zeitalter der Maschine! Sollte also der zeitgemäße Ausdruck der Fassaden unseren Maschinen entlehnt sein! Der Mensch, von der Industrie mehr und mehr zum anonymen Rädchen deformiert, er sollte dienen an Maschinen und - der zeitgemäße Ausdruck fand's passend (oder lachte sich ins Fäustchen) -auch arbeiten und wohnen in Maschinen. Die Logik dieses Prozesses immerhin war schlüssig. Oder nicht?
Deutschland, mit wohligem Gefühle als ein Land der Kultur ausgerufen, ja gerne als Land Goethes und Schillers verstanden. Versteckspiel, oder schlimmer Phrasendrescherei! Andernfalls nämlich würde man hören was insbesondere Goethe, als Autodidakt in Fragen der Baukunst bestens unterrichtet, uns mitzuteilen hat. Seinerzeit jedenfalls nahm man ihn tatsächlich ernst, was nicht weniger als den Durchbruch des Klassizismus zur Folge hatte!
Neben der von ihm gepriesenen Antike fand auch die Gotik sein großes Gefallen. Letztere vor allem interessiert hier, weil sie nämlich in Gestalt der Kathedralen gleichfalls mit enormen Baumassen umzugehen hatte. Lese man doch Goethes Beschreibung des Straßburger Münsters um einen Begriff zu bekommen von den Möglichkeiten, auch Pflichten eines Bauwerkes. Aus derselben auch das folgende Zitat: "Soll das Ungeheure, wenn es uns als Masse entgegentritt, nicht erschrecken, soll es nicht verwirren, wenn wir sein einzelnes zu erforschen suchen, so muss es eine unnatürliche, scheinbar unmögliche Verbindung eingehen, es muss sich das Angenehme zugesellen. Verharren wir aber bei unserer Abstraktion und denken uns diese ungeheure Wand ohne Zierraten ..., so wird das Ganze zwar ernst und würdig, aber doch immer noch lästig unerfreulich und unkünstlich erscheinen."[1] Zusammengefasst also bedarf die Gebäudemasse für einen angenehmen Ausdruck der Anbringung von Fassadenschmuck. Eine schallende Ohrfeige für den Modernismus, welcher auch in Pforzheim allenthalben mit riesigen Massen (vertikal und horizontal) bar der von Goethe geforderten Vermittlung penetriert. Eine Ohrfeige freilich, weil nicht ernst genommen, die glatt ins Leere schlägt.

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Da wir aber einmal mit Deutschlands Geistesgrößen begonnen haben und selbst wenn es nichts nutzt: Theodor Fontane "Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverän und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe."[2] Oder wie wäre es mit einem Mann namens Kant? "Ohne die Erfahrung des Schönen bleibt die Rationalität unerfüllt".[3] Und Hegel, als er vom berühmten "Ende der Kunst" sprach, die Verkleidung des Kunstwerkes ablehnte, da hatte er, in Berlin lehrend, die in der Ausführung befindlichen Bauten Schinkels vor Augen, welche wohl von klarer Struktur, aber keineswegs die Ausschmückung verleugneten; letztere freilich weit zurückhaltender als die von Hegel gegeißelte Ornamentüppigkeit des barocken Vorgängerstils. Kurzum in der Bescheidenheit des Klassizismus, in den Stilregeln der Antike, sah er ein Minimum, welches zu unterschreiten nicht einmal denkbar [4]. Und endlich Nietzsche, und dabei denken wir an die Wahrheiten, welche die Modernisten so gerne anbieten: die Wahrheit der Konstruktion, die Wahrheit des Materials und natürlich die Wahrheit von Form und Funktion, "Die Wahrheit ist hässlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen."[5]
Eine schallende Ohrfeige nach der anderen. Und dennoch völlig belanglos. Der Modernismus hat auch so seine Bücherverbrennungen, subtiler freilich, unauffälliger, nur im Geiste. Oder wie kommt's ansonsten, dass wir seit Jahrzehnten Planern hinterherlaufen, Planern, deren Namen wir schon wieder vergessen - und Goethe, Fontane, Kant, Hegel, Nietzsche gelten unserem Handeln nichts? Oder ist es am Ende tatsächlich wie wiederum Goethe verzweifelt ausruft: "Denn man verdient wenig Dank von den Menschen, wenn man ihr inneres Bedürfnis erhöhen, ihnen eine große Idee von ihnen selbst geben, ihnen das herrliche eines wahren edlen Daseins zum Gefühl bringen will. Aber wenn man die Vögel belügt, Märchen erzählt, von Tag zu Tag ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man ihr Mann."[6]
Protest? Dann gehe man doch in Pforzheims Innenstadt und nehme den Widerspruch ernsthaft auf die Lippen. Oder will man etwa die Augen verschließen und nach dem Strohhalme greifen, dass jene Geistesgrößen Menschen einer weit zurückliegenden Vergangenheit? Nein, wir sehen in Goethe und Kant zurecht Begründer, in den anderen dreien zumindest wichtige Vertreter der Neuzeit. Wenn auch das ohne Bedeutung, ja dann mache man endlich ernst und verbrenne deren Werke nicht nur im Geiste! Und werfe man Adorno und Heidegger gleich hinterher, zwei der wichtigsten Philosophen des unlängst vergangenen Jahrhunderts, welche sich zu den ihnen tatsächlich vor Augen stehenden modernistischen Bauten ganz ähnlich äußerten. Immer und zu jeder Zeit hat sich die Kultur eines Landes, einer Bevölkerung ganz direkt in ihren Bauwerken abgebildet. Oder haben Athens Philosophen zu Füssen von Holzverschlägen gepredigt, oder war Rom nur ein billiges Gemäuer - oder, um ein Beispiel ganz anderer Kategorie zu wählen, schmiegte sich der Größenwahn Nazi-Deutschlands in gefühlvolle Stadtplanung? (aus Beitrag "Pforzheim")


[1] Goethe, Johann Wolfgang von "Gesammelte Werke Band 6 - Wahrheit und Dichtung", Bertelsmann 1954, S. 318 f, Hervorhebungen von mir
[2] Fontane, Theodor "Wanderungen durch die Mark Brandenburg - Band 3" , Könemann 1997, S. 156
[3] Scruton, Roger "Kant", Herder/Spektrum, S.114 (Kritik der Urteilskraft)
[4] Vgl. Gessmann, Martin "Hegel", Herder/Spektrum, S.146. Der Autor nimmt hier allerdings den Romantizismus in den Blick, der aber zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht existierte. Was Hegel sah war preußischer Klassizismus. Hegel, verstorben 1831, konnte nicht einmal an Schinkels romantischer Spätphase Anteil nehmen.
[5] Nietzsche, Friedrich: nachgelassenes Fragment, Sommer 1888, Kritische Studienausgabe, München 1980, 13,500
[6] Goethe, Johann Wolfgang von "Italienische Reise", F. Bruckmann 1925, S. 36

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