Baukunst in Baden
  Durlach
 
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Wie schnell kaum doch auch in Durlach das Ende! Indessen sie nichts weniger als die Residenzstadt der Markgrafen von Baden-Durlach war. Und im 16. Jahrhundert hatte Durlach noch bestens, ja durchaus prächtig geblüht. Dann aber das 17. Jahrhundert und die unaufhörliche Drangsal des großen Krieges. Die Hochzeit ward abgeschnitten, die Stadt im 30jährigen Ungemach böse ausgemergelt, aber sie überstand an den Gebäulichkeiten unversehrt! Und in den Folgejahrzehnten nahm sie wieder Aufschwung. Neue Blütenzeiten kündigten sich an.
     Paris, Versailles, näherhin Ludwig XIV. jedoch machte sich daraus nicht das mindeste. Der “Sonnenkönig” sah sich in Westeuropa isoliert genug um am Ende tatsächlich noch weiter zu gehen als der 30jährige Krieg. Bis zum Oberrhein reichte sein Reich schon seit einigen Jahrzehnten heran; eine gute, natürliche Sicherung der Grenze. Der “Fuchs” allerdings besaß ein noch weiter gehendes “Sicherheitsbedürfnis”. Und so setzte er die damals modernste Armee Europas  seine Armee  über den Rhein, um im Wortsinne kurzen Prozess zu machen. 1688 begann der Pfälzische Erbfolgekrieg, die Eröffnung einer Politik der “Verbrannten Erde”. Rechts des Oberrheines sollte ein wirkliches Niemandsland entstehen, gleich einem Puffer und reinem Aufmarschgebiet zwischen des “Sonnenkönigs” Herrlichkeit und dem von habsburgischen Kaisern regierten Deutschland. Letztere brauchten ihre Truppen traditionell vor allem im Osten, im Kampf gegen die seinerzeit so furchteinflößenden, so weit nach Europa eingedrungenen Osmanen (mit welchen der “Sonnenkönig” im übrigen verbündet!). Und da hatte Ludwig XIV. denn leichte Beute am Oberrhein. Die nur schwach verteidigte Region fiel seinen Heerscharen gleich einer reifen Frucht einfach in den Schoss. Der “kurze Prozess”, er begann. 
     1689 standen die Städte und Dörfer Nord- und Mittelbadens in Flammen. Und so war es alles andere als verwunderlich, dass die Zerstörer auch bald vor den Toren und Mauern Durlachs. Der Markgraf hatte seine Residenz schon vorher preisgegeben, floh wenig rühmlich in sein sicheres Stadtschloss in Basel. Freilich hätte er auch nicht das mindeste ausrichten können. Die Befestigung des obendrein relativ kleinen Durlach war alleine eine mittelalterliche, eine entsprechend veraltete geblieben; und gegen die geballte Übermacht des “Sonnenkönigs” wäre man selbst bei modernster Verteidigungstechnik chancenlos gewesen (die modernen barocken Festungssterne Mannheim und Philipsburg kamen ebenso schnell genug zu Fall). Kurzum auch Durlach fiel, halb verteidigt nur, halb schon aufgegeben  aber was hätte man auch ausrichten sollen gegen jene kanonenstrotzende Gewalt? Und hatte der sich “verdünnisierende” Hof nicht selbst das klarste Zeichen gegeben? Außerdem ließen die Generäle des “Sonnenkönigs” die wohl drangsalierten Stadtbevölkerungen immerhin am “nackten Leben“. Freilich zerstörte man deren Existenzgrundlagen; einen Genozid jedoch wollte der “Sonnenkönig” denn doch nicht wagen.
     Das das tatsächliche Ende des prächtigen Durlach, des mittelalterlichen, ja auch des markgräflichen Durlach! Die Bürger wurden aus der Stadt getrieben, und am 16. August 1689 wurde die Stadt systematisch in Brand gesteckt. Eine mittelalterliche Stadt aber war in dieser Region immer eine Fachwerkstadt  und entsprechend loderten die Flammen! Da ward denn selbst die Nacht hell erleuchtet, züngelte das Feuer mehrere Tage. Von solchem Bilde einer ganz ausgebrannten und natürlich in sich zusammenstürzenden Fachwerkstadt kann man heutigentags keinen Begriff mehr haben. In Durlach, respektive unter den zurückkehrenden Bürger herrschte blankes Entsetzen. Leben aber wirkt nur dort wirklich nicht mehr weiter, wo der Tod endgültiger Schnitt.
     Irgendwie musste ja weiterexistiert werden. Und so richteten sich die Durlacher in ihren Ruinen ein! Derweil erging es den anderen Leidensgenossen unter Badens Städten keinen Deut anders. Das aber doch Besondere an Durlach: neben dem nur knapp eine Woche später niedergelegten Baden-Baden und dem kurpfälzischen Heidelberg, welches vier Jahre später folgen sollte, war sie eine Haupt-, eine Residenzstadt, die der unterschiedslosen Zerstörungswut des “Sonnenkönigs” zum Opfer fiel.

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Der Pfälzische Erbfolgekrieg indes wütete weiter. Nichtsdestotrotz wollten die Durlacher ihre Wohnhäuser wieder aufbauen. Aber der ferne Markgraf unterband! “Ausgerechnet der will uns den Wiederaufbau verbieten? Zuerst abhauen und dann Groß tun?” mochte sich so mancher Bürger denken. Es kam zu Konflikten. Allerdings hatte er nicht ganz unrecht, der Markgraf. Der furchtbare Krieg wütete weiter und wäre jederzeit in mühelosem Stande gewesen, das Wiederaufgebaute sogleich wieder den Flammen anheimzustellen. Erst der Friede von Rijswick, geschlossen 1697, brachte wieder die notwendige “Planungssicherheit”. Markgraf Friedrich VII. kehrte zurück und führte tatsächlich die versprochenen Pläne für den Wiederaufbau im Reisegepäck. Und da zeigte sich denn, dass die lange Verzögerung wohl noch mit einem zweiten Standbein: was nämlich in Durlach aufs neue entstehen sollte, das war keineswegs das alte  die Mittelalterlichkeit, sie sollte ganz der Geschichte gehören; ja, ein neues, ein modernes Durlach sollte fortan das Residenzschloss der Markgrafen “zieren”. 
     Indes ärgerten sich die Durlacher vor allem an der Rigidität der überreichten Zeichnungen, den Bauvorschriften. Dennoch zogen sie mit. Und immerhin war ja das Landesoberhaupt zurück, was ein zügiges Voranschreiten verhieß. Tatsächlich brachte der Markgraf einigen Schwung mit: Schloss und Stadtkirche, beide ebenfalls jämmerlich ausgebrannt, wurden alsbald zur Baustelle eröffnet.
     Aber die Durlacher waren wohl einfach schon zu lange auf sich selbst gestellt gewesen; vielleicht auch seit jeher mit besonderem Bürgerstolz. Den großen und in der Tat sehr ambitionierten Schlossbau wollten sie keineswegs hinnehmen, zumindest nicht unter Missmut, ja Protest. Die Spannungen, die in Folge der Stadtzerstörung und der Hinderung des sofortigen Wiederaufbaus entstanden waren, sie blieben. Sie blieben, bis endlich der auf Friedrich VII. folgende Markgraf, Carl Wilhelm die Nase voll hatte. Er sah auf die Widerstände, bemerkte auch die durchaus unzeitgemäße Stellung des neuen Schlosses in einem Stadtkörper, der trotz der modernen Planung noch reichlich Althergebrachtes, Überlebtes atmete.
     1715 die Geburtsstunde des nahen Karlsruhe, einer neuen Residenz! Die musste zwar zunächst den dichten Hardtwald roden; dann aber gab es ferne von Bürgerquerelen reichlich Platz für eine wirklich moderne Residenz. Der neue Herrschaftspalast und Verwaltungs- und Wohnbauten kamen auf einen barocken Stadtgrundriss, wie er moderner nicht gedacht werden konnte. In einer traumhaften Vision war dem Markgrafen ein Strahlenkranz erschienen, der als Erschließungssystem zum Grundriss Karlsruhes wurde. Die spektakulärste Gründung unter den barocken (Neu-)Städten in ganz Europa!
     Da schauten sie dann schon betroffen aus “ihrer Wäsche”, die Durlacher! Mit ihren Forderungen waren sie ja nur auf eine Verbesserung der eigenen Position aus; keineswegs wollten sie den Markgrafen vertreiben. Welch’ kuriose Fehlkalkulation also! Das Landesoberhaupt verließ Durlach und nahm alles Bedeutende (und Lukrative) mit. Der Hof ging, die Verwaltung, ja selbst das weit über die Landesgrenzen berühmte “Gymnasium”, welches schon fast im Stande einer Universität. Viele wichtige Bürger, welche bei letzteren beschäftigt, folgten. Ab 1720 “blutete” Durlach aus, nachhaltig.
     Nach der furchtbaren Zerstörung 1689 folgte nur drei Jahrzehnte später der nicht minder gewichtige Niedergang der Bedeutung! Das kleine Durlach, gerade wieder zu neuem und ohne weiteres verheißungsvollem Leben wiedererwacht, auf dem Wege zu einer vielleicht sogar prächtigen barocken Capitale, es blieb ganz in seinen Anfängen stecken, ja es blieb klein.
     Und an dieser Bescheidenheit sollte nichts mehr rütteln. Einmal Anhängsel Karlsruhes, immer Anhängsel Karlsruhes! Das erbrachte der Kleinstadt mancherlei Nachteil, wie man sich ausmalen mag. Seit 1938 auch den Verlust der Selbstständigkeit, durch entsprechende Eingemeindung. Alleine die Industrialisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts hauchte dem “Vorort” nochmals Leben ein, kein allzu schönes freilich.

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Doch dann wendete sich das Blatt nochmals ganz plötzlich und unerwartet. Die Geschichte liebt solche “Spielchen”. Es waren die Tage, als Deutschland in seinen tiefsten Abgrund gesunken, den Teufel höchstpersönlich sich zum “Führer” erkoren. Solcher Wahnsinn, wild wie eine Bestie um sich mordend, er trieb sich freilich selbst in den Untergang. Und dieser hatte in der Mitte des 20. Jahrhunderts den Luftkrieg als besondere Note. Die nationalsozialistische Propaganda gaukelte den Geblendeten Luftabwehr vor; und entsprechend schwächlich war sie denn auch. Davon durften sich zum Beispiel die Karlsruher ein Bild machen, das Bild einer fast vollständig vernichteten Innenstadt. Und man machte sich in dem so nahen und industrialisierten Durlach freilich auch die größten Sorgen. Was da so regelmäßig auf “Besuch” in Karlsruhe, wie leicht hätte das seine zerstörende Fracht auch über Durlach abwerfen können! Die kleine Altstadt, ihr hätte wie dem nahen Bruchsal nur ein einziger entschlossener Luftangriff gereicht um nach 1689 das zweite Mal ganz zu verschwinden! Und es fielen auch Bomben, jedoch ferne jener auslöschenden Entschiedenheit.
     In den 1940ern war es tatsächlich der größte Vorteil nur ein Anhängsel der badischen Hauptstadt Karlsruhe zu sein. Durlach war schlicht zu unbedeutend um den vergeltenden Blick der Alliierten auf sich zu ziehen. Und diese Schonung wurde denn in den folgenden Jahrzehnten je länger desto deutlicher zum zweiten großen Vorzug der Kleinstadt. Ihre Beliebtheit nämlich stieg stetig, vornehmlich als Wohnort. Das lag, ja das liegt an der landschaftlich schönen Situierung nahe dem hier beginnenden Höhenzug des Schwarzwaldes  und nicht weniger an der Gemütlichkeit und gediegenen Schönheit der im Zweiten Weltkrieg verschonten Altstadt.
     Auch das ein Markenzeichen des Modernismus. Ja, um denselben einzuschätzen, müsste man durchaus nur um diesen einzigen Aspekt wissen: nicht eine einzige vom Modernismus nach dem Zweiten Weltkrieg wiedererrichte Stadt kann sich auf urbanes Flair, auf besondere Beliebtheit berufen. Wer schwärmt schon von Mannheim, Pforzheim oder Bruchsal? Freilich gibt man den Verschonten: Heidelberg und Baden-Baden den eindeutigen Vorzug. Und von Freiburg und auch Karlsruhe lobt man alleine, was nach der Zerstörung entgegen der modernistischen Unkenrufe wiederaufgebaut ward. Offenkundig schuf der einseitig funktionalistische Städtebau keine den Menschen ansprechenden, annehmenden Strukturen. Und das nimmt auch nicht wunder, schließlich wurden die historischen Stadtgestaltungsregeln vom Modernismus in Bausch und Bogen nicht nur verworfen, sondern einem regelrechten Rufmord unterzogen. Unter dem so trefflich klingenden Kampfgeschrei nach “Licht, Luft und Sonne”, wie er ab den 1920ern immer lauter erschallte, verbarg sich ein einziges Dauerexperiment, das von Jahrzehnt zu Jahrzehnt neue Doktrinen gebar. Bedenke man dessen Charakter auch an der eigentlich unglaublichen Begebenheit, dass die sehr einflussreiche Vereinigung der führenden modernen Planer, die CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne, später aufgelöst) sage und schreibe erst 1959 die Anlegung von Stadtplätzen thematisierte! Bis dato war ihr dieses Thema - immerhin das wichtigste in der Stadtgeschichte Europas  ein irrelevantes Thema gewesen, galt doch die historische Stadtgestalt seit Le Corbusier ohnehin nur noch als Zielscheibe für Spott, als aufzuhebende Stadtgestalt, zu ersetzen alleine durch Zeilenbauten und Hochhäuser. Le Corbusier, der führende Kopf unter den modernen Planern, legte 1925 seinen berühmt-berüchtigten “Plan Voisin” vor, der das historische Paris niederreißen und in eine Hochhausstadt verwandeln wollte, wie sie steriler und eintöniger nicht gedacht werden könnte. Originalton Corbusier: “Die gekrümmte Straße ist der Weg der Esel, die gerade Straße ist der Weg des Menschen.” [1]. Bei solcher Einfalt erstaunt es natürlich nicht, dass erst 1959 der Stadtplatz “entdeckt” wurde.

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Das sind die Wurzeln, die Grundlagen des Modernismus. Wundere man sich also nicht. Wundere man sich also nicht über nur noch teilweise urbane Qualitäten Karlsruhes  und wundere man sich ebenso wenig über die noch vollständigen Qualitäten der Altstadt Durlachs. Dort das nur vom barocken Stadtgrundriss gezügelte, von Doktrin zu Doktrin springende Dauerexperiment  und hier eine Stadtgestalt, die Jahrtausende währenden Regeln des Städtebaus folgte.
     Im Falle Durlachs bedeutet dies im Gegensatz zum neuzeitlich-barocken Stadtgrundriss Karlsruhes ein dem Mittelalter geschuldeter. Dieser aber füllte sich als Besonderheit der Zerstörung von 1689 mit barocken Bauten auf. Ein mittelalterlicher Stadtgrundriss, konstituiert von barocken Gebäuden  das ist die Eigentümlichkeit Durlachs. 
     Zwar war solche im 18. Jahrhundert in Baden durchaus Standard, galt nämlich auch für Heidelberg, Bruchsal, Pforzheim, Ettlingen, Baden-Baden, Offenburg, … für alle durch den Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstörte mittelalterliche Städte. Im frühen 21. Jahrhundert jedoch verheißt dieses Merkmal eine wirklich individuelle Note. Das liegt zum einen an Durlach selbst: so wenig Veränderungsdruck lag im 19./20. Jahrhundert auf Durlach, dass diese Besonderheit sich in bedeutenden Anteilen erhalten durfte; was denn durchaus spektakulärerweise nicht anderes bedeutet, als dass noch heutigentags das Durlach des Neubeginns nach der Katastrophe 1689 bestaunt werden kann! Und freilich zum anderen am teilweise kriegsbedingten Veränderungsdruck auf den anderen Städten. Von oben genannten hat alleine Heidelberg sein barockes Kleid gut erhalten können  weil dieses aber in tatsächlich noch mittelalterlicher Dichte, so überwiegt eindeutig noch der mittelalterliche Eindruck. Einzig die südbadische Stadt Ettenheim kann zu einem tauglichen Vergleich herangezogen werden. Freilich verbleiben auch hier gewichtige Unterschiede. Die zwei größten: einerseits bezieht Ettenheim trefflich eine Anhöhe ein und andererseits weiß Durlach um die echte Merkwürdigkeit einer “Ringstraße“, welche nämlich der ausschlaggebende Trumpf der altstädtischen Ansehnlichkeit. Wie wir gleich sehen werden, bereichert diese die allgemeine Schönheit des historischen Durlach um das solche immer erst vollendende Spezielle, um das individualisierende Merkmal.
     Nähert man sich der Stadt, so ergreift jedoch zuerst die schon angedeutete landschaftliche Situierung. Durlach liegt nämlich zu Füßen der ersten nördlichen Schwarzwalderhebung! Alles links davon zählt noch zum Kraichgau, und rechts davon nimmt der Schwarzwald noch sehr gelinde seinen ersten Anlauf (wir blicken natürlich von der Rheinebene aus). Und solchem Adel, aus Richtung Norden der allererste Schwarzwälder zu sein, geziemte dem Turmberg wohl auch ein besonderer Zierrat. Dieser aber konnte als Baulichkeit freilich nichts anderes sein als eine Burg! Die vorzüglichste und ohne weiteres ein bedeutsame Ansicht: der Turmberg kündigt durch die Überreste einer mittelalterlichen Veste, namentlich durch einen monumentalen Bergfried weithin sichtbar unser feines Durlach an!
      Weil aber der Turmberg nur geringe Höhe gewinnt, ja weit mehr an einen stämmigen Hügel als an einen typischen Schwarzwaldgipfel erinnert, so thront auch der wuchtige Bergfried nicht allzu hoch über dem Altstadtkörper. Mit diesem steht er also mehr im Einklang denn geschieden. Und darüber nun entspinnt sich die “Kommunikation” umso erbaulicher, als die Silhouette Durlachs durchaus als turmreich gelten darf. Zum Bergfried, der also abschließt, gleichsam bekrönt, treten noch die Campanile der evangelischen und der katholischen Stadtkirche, außerdem der Turm des “Basler Tores” und der hoch sitzende Dachreiter des Rathauses. Fünf “Finger” reichen dem aufmerksamen Betrachter freundlich in Hand; freundlich weil sie neben der reizvollen Gebäudeproportion, als welche die turmartige immer grüßt, auch um abwechslungsreiche historische Formensprache wissen. Allerdings spielt der jeweilige Standpunkt eine wichtige Rolle  und so mag man perspektivbedingt nur drei oder vier Finger der “Durlacher Hand” sehen.

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Natürlich wurde auch die Altstadt Durlachs von den Ansiedlungsperipherien des 20. Jahrhunderts nicht verschont, wie man hier sogar mancherlei Hochhaus zu dulden hat. Alleine diese Blickfänge neigen denn doch immer dazu, den Blick schnell wieder abgleiten zu lassen  bar jeden Fassadenreizes können sie das Auge nicht interessieren. Wohingegen die gerade an der Spitze zur mannigfaltiger Differenzierung neigenden historischen Türme zur Examinierung regelrecht einladen. Obgleich also Altdurlach von mehreren Hochhäusern umstellt, ziehen dennoch die Blicke ganz automatisch nach dem Zentrum, nach den “Fünf Fingern“. Auch diese, ohne weiteres ein auszeichnendes Charakteristikum der Stadt, verdienen sich ihre Wertschätzung!
     Treten wir, so angelockt  und wie die vielen tausend Besucher jährlich  näher heran. Man beschreibt den mittelalterlichen Stadtgrundriss am besten als Ellipse mit großer östlicher Ausbuchtung. Erstere gab denn auch der schon eingeführten “Ringstraße” Anlass zur markanten Form und zweitere bedeutet eine mittelalterliche Erweiterung, welche veredelt durch einen Schlossbau.
     Soll der besondere Ruhm der Stadt, die “Ringstraße“, auch sogleich den Anfang machen, den Neugierigen durch Durlach führen. Jener Einstieg scheint uns umso ratsamer, als auf diese Weise bis auf das Stadtschloss die sämtlichen bedeutenden Bauwerke Durlachs direkt angetroffen, zumindest aber gestreift werden. Was der Autor im übrigen so gerne als “Ringstraße” bezeichnet, teilt sich offiziell und sauber geviertelt in Bienleinstor-, Kelter-, Amthaus- und Zunftstraße auf.
     Den trefflichsten Einstieg in die Ringstraße gewinnt man über den mittelalterlichen Turm des Basler Tores. Als einziges von einst vier Stadttoren haben alleine die sich im 18./19. Jahrhundert ändernden Verkehrsströme vor dem Abriss bewahrt! Als ein Verkehrshindernis hätte man nämlich auch ihn abgetragen. Aus heutiger Sicht, da Türme und Stadttore zum schönsten urbanen Mobiliar geworden, ganz unverständlich; im 19. Jahrhundert jedoch ein allgemeiner Begriff, der in auch noch erschreckender Konsequenz die Türme und Tore der alten Befestigung nur noch als Ausnahmeerscheinung gelten ließ.
     Spätestens mit der Beschreibung des Basler Tores, welches ganz im Süden der Altstadt, mag denn auch die persönliche Erfahrung des Autoren, welche im Falle Durlachs durchaus eine besondere, in die Waagschalen geworfen werden. Beinahe vier Jahre verbrachte er hier, sich sehr glücklich schätzend, dass es ihm gelang eine Unterkunft im beliebtesten Karlsruher Stadtteil zu ergattern. Und solche war obendrein nicht ferne des Basler Tores, weshalb ihm dies treffliche Gebäu viele hundert Male vor die alsdann erfreuten Augen kam; ja auch der Rundbogen, welcher den Eintritt in die Altstadt freigibt, bei gar unzähligen Gelegenheiten durchschritten ward.
     Der Torturm bildet das schönste Artefakt der mittelalterlichen Befestigung, welche überdies alleine um teils noch stattliche Überreste der alten Stadtmauer weiß. Auch an das Basler Tor schließt sich ein solcher Mauerzug noch trefflich an; wie hier auch der den Befestigungsring umschließende Graben durch Vertiefung des Geländes noch gut erspürt werden kann. Jener Graben, einst freilich viel tiefer und mit dem Wasser der an Durlach vorüberfließenden Pfinz befüllt, er dient hier eine kurze Strecke als malerische Wegeführung. Der zweite ansehnliche Abschnitt erhaltener Stadtmauer liegt auf der gegenüberliegenden Seite der Altstadt, also im Norden. Auch hier wieder der Graben und die Rettung der unteren Mauerpartie alleine durch Umwidmung zu Wohnungswänden. Dabei liegen die angebauten Häuser teils innerhalb der alten Stadtgrenze, was also der freien Ansicht die Außenseite der Befestigungsmauer rettete  man gewahrt hier gar noch Schießscharten. Durchaus spektakulärer aber der Anbau der Außenseite, welcher umgekehrt die Innenseite zur Anschauung sicherte: hier nämlich, und namentlich in der Gasse “An der Stadtmauer” rhythmisieren wie in alten wehrhaften Tagen noch die den Wehrgang abtragenden Bögen den Prospekt. Fenster und Türen treten hinzu. Man bemerkt eine lustige Zwittergestalt zwischen Wehrmauer und Wohnbau, ja fühlt sich von ferne an Umnutzungen römisch-antiker Überreste erinnert, wie sie uns vor allem Piranesi durch seine vorzüglichen Stiche überliefert hat.

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Indessen kehren wir zum Basler Tor zurück. Das helle, gelbliche Gebäu blickt insbesondere an Sonnentagen umso freundlicher nach dem Herantretenden. Ausgeführt wohl im 14. Jahrhundert, ist das Tor nach dem unteren Turmabschnitt der evangelischen Stadtkirche das älteste Gebäude Durlachs. So bleibt es also diesen beiden Türmen vorbehalten, an die städtischen Anfänge, welche urkundlich gesichert ab 1196, zu gemahnen. Mag die Besiedlung vom älteren Nachbarn, dem Dorfe Grötzingen aus erfolgt, von der Burg auf dem Turmberg begünstigt worden sein. Staufisches Eigentum war die Stadtanlage zunächst, kam denn aber schon 1219 in die Hände der badischen Markgrafen, von welchen sie dann bei manchem Auf und Ab bis ins 16. Jahrhundert, in ihre Blütezeit fortgetragen ward. 
     Man muss durchaus genauer hinschauen um die Buckelquader an den Ecken zu bemerken. Auffälliger das auskragende oberste von insgesamt drei Geschossen. Ein schöner Rundbogenfries konstituiert jenes Hervortreten. Das Dach dann dem noch echt mittelalterlichem Gebäu eine Überraschung, sich gefallend nämlich in barockem Formenspiel, namentlich durch eine “Welsche Haube”, deren acht Dachseiten sich kunstvoll aus dem Quadrat des Turmes in die pralle Zwiebelform erheben. Matthäus Merians Kupferstich zu Zeiten des 30jährigen Krieges hielt dem Turm noch ein hohes, monumentaleres Walmdach bereit. Jener Stich im übrigen zeigte Durlach wohl auf der Höhe seiner größten Schönheit; wie man der Arbeit die Ansehnlichkeit auch leicht eingestehen mag. Alleine unter den badischen Erzeugnissen fällt dies Werk doch eher zurück und vermag die seinerzeitige, überregionale Bedeutung Durlachs als einer Capitale nicht wiederzugeben. Nicht wiedergeben wollte man dem Turme auch das hohe Walmdach. So heftig war die Zerstörungswut 1689, dass man auch diesem Gebäu das Feuer ansteckte. Das Innere, auch das Dach brannten aus  die dicken Mauern aber blieben ungerührt. Erst 1761 setzte man wieder ein Dach auf. Und dieses wollte sich in den formenfreudigen Tagen des Barock mit der Nüchternheit eines Waldaches keinesfalls zufrieden geben, weshalb denn also die zeitgemäße Zwiebelform aufgesetzt. Kraftvoll und durch den Rundbogendurchgang gleich einer zweibeinigen Skulptur wächst der Turm in die Höhe. Nur wenige Öffnungen unterbrechen den wehrhaften “Steinfluss“.
     Mag man im Zusammenhang des Tores auch eines kleinen barocken Wächterhauses gedenken, das wenige Meter vor der Toraußenseite und in jüngster Zeit angenehm renoviert ward.
     Hat man das ungefähr 30 Meter hohe Gebäu dann durchschritten, findet man sich sogleich auf der rühmlichen Ringstraße wieder. Nach beiden Seiten ergeben sich sehr erbauliche, alsbald sich wölbende Prospekte. Man beobachtet sogleich die Homogenität der Bebauung, welche alleine zwischen zwei und drei Geschossen schwankt und nur selten vom Fassadenmaterial des Verputzes abweicht. Dem nicht genug tritt auch die Einheitlichkeit zurückhaltender Barockstilmerkmale ins Bewusstsein. Auch das 19. Jahrhundert fügte hier noch manchen Bau ein; fast immer jedoch in bemerkenswerter Kontinuität zum barocken Bild. Dieses aber trat hier in den Jahren des Wiederaufbau dergestalt bescheiden auf, dass von der bekannten stiltypischen Pracht überhaupt nichts zu gewahren. Und jene Sachlichkeit war denn auch den Bauten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als ein allgemeiner Zug vertraut.

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Kurzum, was hier zu beobachten, steht in weiten Teilen noch ganz im Geiste der Planung und Zeichnungen, die der Markgraf Ende des 17. Jahrhunderts aus Basel mitbrachte. Mag man also zumindest dessen Grundzüge nachzeichnen. Aspekte der Gestaltung und der Sicherheit spielten die entscheidende Rolle. Die Stadthäuser sollten die Zweigeschossigkeit durchaus nicht überschreiten, um ein lichtes und einheitliches Stadtbild, eben ein seinerzeit modernes Stadtbild zu wirken. Demgemäß auch die Vorschrift des Verputzens für allenfalls im zweiten Stockwerk verwendetes Fachwerk. Das Fachwerk nämlich stand mit dem Aufkommen des Barock zunehmend in einem “altmodischen” Ansehen, wie es sich einer markgräflichen Capitale nicht schicken wollte. Und hier spielte dann auch der Aspekt der Sicherheit, namentlich der Feuersicherheit hinein: das erste Stockwerk, also die Erdgeschossfassaden mussten ganz aus Stein verfertigt werden und das stets feuergefährdete Fachwerk, wie es nur der zweiten Etage geduldet, hinter einer abschottenden Putzschicht gleichsam verschwinden. Das Dach endlich musste in wiederum zeitgemäßer Manier seine Giebel zum Nachbarn, die Traufseite aber parallel zur Straße anordnen. Zur Belebung des damit eintönig werdenden Fassadenbildes sollten Gesimse und Öffnungsrahmungen helfen. Diese Vorschriften, die man sich rigider kaum zu denken wüsste, stießen denn von selbst bei einer selbstbewussten Bürgerschaft auf Skepsis. Und dennoch folgte man zunächst durchaus konsequent. Nach Fortzug des Markgrafen nach Karlsruhe freilich handhabte man durchaus freier. Alleine zu diesem Zeitpunkt hatte man das Regelwerk wohl auch schon zu sehr verinnerlicht. Hier und da ward ein Stockwerk höher gebaut, oder das Fachwerk zur Anschauung freigehalten. Im ganzen aber wurde der sich mehr und mehr ausbreitende Eindruck der Homogenität zumindest in der Ringstraße nur wenig unterminiert.
     Und dieses Moment der Einheitlichkeit zeugte einen sehr merkwürdigen Nebeneffekt. Wohl war die Ringstraße eine mittelalterliche Form; nun aber trat durch die homogene Bebauung die durchaus saubere Geometrie eines gestreckten Kreises klar vor Augen. Indessen entsteht darüber der Eindruck einer barocken Neuplanung, welche sich wie im Falle Karlsruhes, Rastatts oder Mannheims immer zu strengen geometrischen Grundgestalten neigte. Wüsste man im Falle der Ringstraße nicht um den mittelalterlichen Vorgänger, könnte auch keinen die Unregelmäßigkeiten offenbarenden Stadtplan zu Rate ziehen, man würde in der Ringstraße durchaus eine köstliche barocke Neuplanung vermuten. 
     Insbesondere die fast unbeschädigte Osthälfte dieses Stadtraumes gefällt. Die sich schnell abwechselnden Hausfronten mit ihren bei aller Bescheidenheit kunstvollen Fassadendetails geben der Homogenität den notwendigen Abwechslungsreichtum ein. Wie durch differierende Geschosshöhen auch die Gurtbänder auf verschiedenen Höhen sitzen, endlich auch die Satteldächer. Und blickt man ganz genau hin, weiß auch um die verschiedenen Stilmerkmale, so entdeckt man in den Erdgeschoss-Fassaden noch manches spätgotische oder Renaissance-Detail für Tore, Portale und Fenster. Ihre steinere Ausführung ließ sie den verheerenden Stadtbrand von 1689 überdauern! Hier findet man auch sehr anspruchsvolle Beispiele, die denn nicht wenig bange machen. Man blickt in die barock gesäumte Ringstraße und empfindet nicht geringe Freude am sich schön wölbenden Stadtraum. Bedenkt man aber den Reichtum der Stadt, welcher nämlich mit Verlegung der markgräflichen Residenz von Pforzheim nach Durlach 1565 sehr befördert; vergleicht derweil im Geiste mit erhaltenen mittelalterlichen Städten wie Eppingen und Mosbach (beide Wanderungen Band ‘2‘), welche vor allem ein Loblieb auf den Fachwerkbau  ja, dann man will sich wohl ausmalen, welch’ noch weit übertreffendes Bild diese Ringstraße mit mehr oder weniger prächtigen Fachwerkbauten einst geboten haben muss! 1689 wurde diese Ansicht niedergebrannt  ein zweifellos gewaltiger Verlust. Aber halte man sich diese mittelalterliche Herrlichkeit nicht allzu lange in der Phantasie, um nicht am Ende an der fraglosen barocken Schönheit zugrunde zu gehen.

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Die eigentliche Hauptstraße der Altstadt wird von der Pfinztalstraße geführt, welche den Grundriss und damit auch die Ringstraße recht sauber in Ost-West-Richtung halbiert. Hierbei gefällt zumeist der östliche Schnittpunkt, welcher nämlich der Ausbildung des Marktplatzes zum Anlass wurde.
     Da darf denn das Rathaus nicht fehlen. Ein gewaltiges Gebäudevolumen, dessen barocker “Grundstock” (erbaut 1715-18) einer romantizistischen Radikalkur des Jahres 1845 unterzogen ward. Kennt man aus überlieferter Ansichtzeichnung den Vorgänger, der überraschenderweise noch mit manch Spätrenaissance-Zug, so vermeint man denselben noch “durchschimmern“ zu sehen. Was aber direkt vor Augen, zeigt noch unter Romantizismus-Ägide das Aufkommen des nachahmenden Historismus und dessen Fragwürdigkeiten. Die Ansicht mag gefallen, zumeist wohl durch den imposanten Treppengiebel, der sich gut zum großen Gebäudevolumen fügt. Darüberhinaus aber haftet dem durchaus leblos angebrachten Ornament etwas “Zuckerbäckerhaftes“ an.
     Gefälliger die direkt benachbarte evangelische Stadtkirche, die sich trotz der säkularen Zeiten weiterhin eines zahlreichen sonntäglichen Besuches erfreuen darf und die seinerzeit auch vom Autoren für höhere Dienste sehr gerne genutzt. In Altorten wie Durlach, da die Bewohner oft fester “eingewurzelt”, erscheint auch der überlieferte Glaube auf stärkerem Fundament.
     Auch der Kirchenbau litt böse unter der Niederbrennung 1689. Die dreischiffige Hallenkirche musste von 1698-1700 durchaus neu erbaut werden. Die spitzbogigen Fenster, eine gotische Reminiszenz. Prächtige barocke Portal führen auf beiden Längsseiten in den schönen, säulengegliederten Innenraum. Reizvoll schiebt sich das Langhaus in den Stadtkörper, dabei den abgesetzten Chor vor sich her, die nördliche Marktplatzwand formend. Am Chor hat sich mehr Mittelalterliches erhalten, findet man die typischen Strebepfeiler. 
     Am besten aber hat der Campanile, welcher am anderen Ende des Langhauses seitlich angeordnet, die Zeiten überdauert. Neugierig lugt er vom “Saumarkt”, einem gleichfalls schönen Platzraum, herüber auf den Marktplatz. Wohl hat man sein Inneres in neueren Zeiten umgebaut, das Äußere aber zeigt noch bedenkenswert alte Substanz. Die untere Partie, als ältestes Stück Durlachs, stammt noch aus romanischen Tagen (12. Jahrhundert)  schön nachzuvollziehen durch die für diese Epoche typischen, gekuppelten Fenster. Das auf das Quadrat folgende Oktogon stammt aus gotischen Zeiten. Und die markante, durch eine Balustrade abgetrennte Spitze zeigt noch jüngere Renaissance. Das Dach endlich, eine “Welsche Haube” mit Laterne ward 1719 frisch aufgesetzt. Romanik-Gotik-Renaissance-Barock! Welch’ Stilmischung  und dabei welch’ treffliche und ohne weiteres harmonische Wirkung! Das denn auch ein Kennzeichen der historischen Stile, die nämlich weit harmonischer zusammentreten als man billig wahrhaben will. Der wirklich verzerrte Kontrast ist einzig ein Ereignis des Modernismus, evoziert durch den Gegensatz Baukunst  nackte Funktionalität. Zur Schönheit des Campanile tritt noch die glänzende Situierung, die den Turm nämlich an drei Seiten freistellt. Da wirkt denn der Turm wie eine riesige Schachfigur!
     Weitere ansehnliche Stadthäuser vollenden den Marktplatz. Darunter ein Fachwerkhaus mit mancherlei Schmuckverstrebung (und entsprechend schönem Nachbarn an der Pfinztalstraße) und ein gediegenes barockes Eckgebäude, dessen auffälliger polygonaler Eckerker noch mit vollständiger Renaissance-Erdgeschossfassade! Auch diese detailfeine Partie überstand also den Stadtbrand. Die zurückhaltenden Barockpartien gefallen, alleine malt man sich auch hier die einstige Fachwerkpracht aus … aber nein, Schluss mit dieser Verdrießlichkeit!

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Folgt man nun der Pfinztalstraße, die gleichfalls ansehnlich, aber hier und da mit historistischem oder modernistischem Eintrag, weiter nach Osten, so steht man alsbald vor dem ungewöhnlichsten Bauwerk Durlachs. Man kann dasselbe getrost als eine badische Kuriosität nehmen: die Karlsburg! Man gewahrt einen einzigen Schlossflügel, welcher senkrecht zur Pfinztalstraße. Wohl bemerkten wir dessen eindeutig barocke Formensprache  vor allem aber seine ganz unbarocke wuchtige Wirkung, die denn die althergebrachte Bezeichnung, “Karlsburg”, umso leichter überdauern ließ. 
     Einst befand sich hier das weitläufige und sehr ansehnliche Renaissance-Schloss, das Markgraf Karl II. im Zuge seines Residenzwechsels von Pforzheim nach Durlach 1562-65 errichten ließ (ein kleinerer Vorgängerbau existierte bereits). Die großartige Anlage ging 1689 wie ganz Durlach im gründlich züngelnden Stadtfeuer unter. Als Markgraf Friedrich VII. zu seiner niedergestreckten Residenz zurückkehrte, musste freilich ein neuer Schlossbau her. Und für diesen wurde der italienische Hofbaumeister Egidio Rossi vom “Bruder” der Markgrafschaft Baden-Baden “ausgeliehen”. Rossi erbaute unter anderem die beiden glänzenden Barockschlösser in Rastatt (das erste nach Versailler Vorbild in ganz Deutschland!) und in Scheibenhardt bei Karlsruhe (beide Schlösser Wanderungen Band ‘2’).
     Die Ansprüche des Bauherren aber waren alleine in Anbetracht dieses einen Seitenflügels ohne weiteres überambitioniert! Da hatten die “aufmüpfigen” Durlacher schon recht. Und Markgraf Carl Wilhelm baute das neue Residenzschloss in Karlsruhe weit zurückhaltender, der Markgrafschaft realitätsnäher. Folgerichtig wurde die Ausführung, welche 1698 begann, schon ein Jahr später wieder eingestellt. Vom großartigen Entwurf Rossis hat sich unter anderem eine vorzügliche Übersichtsperspektive erhalten, die einerseits die überspannten Wünsche vollends entlarvt und andererseits das Ausgeführte als den westlichen Seitenflügel des großen Ehrenhofes nachweist. Der gelbe Putzbau türmt bei 16 Fensterachsen drei hohe Etagen übereinander.
     Markgraf Friedrich VII. wollte wohl zunächst am Fassadenschmuck einsparen. Die lange und durch eng gesetzte Rahmen streng gegliederte Ehrenhofseite gibt zwar typisch barocke Fensterrahmungen preis, kommt ansonsten aber sehr zurückhaltend. Umso klarer tritt also die beinahe irritierende Höhe in Erscheinung. Das wollte unbedingt ein merkwürdiger Schlossbau werden, vergleicht man mit den anderen barocken Residenzschlössern Badens: Mannheim, Bruchsal, Karlsruhe, Rastatt. Zum einen hätte man hier die ärmlichste Ehrenhoffassade, zugleich aber auch die höchste und monumentalste gesehen!
     Um einiges schöner die Details des zur Pfinztalstraße zeigenden Kopfbaus, die aufwendige Fensterrahmungen zeigen. Die schönste Partie aber der Karlsburg bedeutet zugleich auch deren älteste. Auf der anderen Seite des langen Flügel steht der “Prinzessinnenbau”, das überdauernde Torgebäude des abgegangenen Renaissance-Schlosses. Der dreigeschossige kleine Baukörper führt also originäre Qualitäten der Karlsburg, damit die Möglichkeiten der Renaissance vor Augen. Ohne zu einem Detailüberschwang zu finden, gewahrt man dennoch eine sich von der Rigidität des Barockflügels absetzende Lebendigkeit und Abwechslungsreichtum im Detail. Der runde Torbogen, Schießscharten, verschiedene Öffnungsformate mit fein gearbeiteten Rahmungen und endlich ruhig geschweifte Giebel bereichern die Putzfassaden.
     Den Entwurfsgedanken des großen Ehrenhofs kann man durchaus noch nachvollziehen, namentlich durch den vom Seitenflügel aufgespannten Schlossplatz, dessen gegenüberliegende Seite durch Bebauung des 19. Jahrhunderts fast ebenso gleichmäßig gefasst. Die Wirkung dieses Platzraumes erscheint umso angenehmer als derselbe direkt in den schon in Renaissance-Zeiten angelegten Schlosspark übergeht. Freilich hat sich auch dieser einst dem großen Heidelberger Vorbild nachstrebende Garten sehr verändert, jedoch nicht ohne neue treffliche Reize, damit eine allgemeine Beliebtheit zu gestatten.

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ein Bild

Das den Ort immer einführende Wahrzeichen Durlachs, der alte Bergfried auf dem Turmberg, soll denn auch Anlass zur Schlussbetrachtung sein. Die Burg, einst mit Wohnturm versehen, wurde wohl in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts errichtet, den Grafen von Hohenberg als Stammsitz dienend. Schon 1279 ward sie auf Befehl des Straßburger Bischofs Konrad III. niedergeworfen. Alleine die Nähe zu Durlach hat den teilweisen Fortbestand gesichert. Der mächtige Bergfried konnte nämlich noch als weit ins Land lugende Warte trefflich genutzt werden. Und als solche zeigt sie der Merian-Stich sogar noch unter Dach. Außerdem verstand man den Turm als zusätzliche Sicherung der Stadtbefestigung; auch die Truppen des “Sonnenkönigs“ verdächtigten entsprechend  und eroberten 1689 zuerst den kanonenbestückten Turm. 
     Abgesehen vom 25 Meter hohen, quadratischen und sauber aus Buckelquadern verfertigten Bergfried blieb auch eine kurze, dafür umso höhere Strecke der Mantelmauer erhalten. Eine große Aussichtsplattform verbindet beide; wie auch die Spitze des Turmes zu einer formidablen Aussicht einlädt. Mag man sich die Beliebtheit dieses Ausgucks in der Nähe zu einer großen Stadt wie Karlsruhe leicht ausmalen. Das trutzige Gebäu gefällt sehr, weit mehr aber die Aussichtsmöglichkeit. Zu Füssen gewahrt man den sehr gut nachvollziehbaren Stadtgrundriss Durlachs; auch der Blick nach dem nur wenige Kilometer entfernten Karlsruhe lässt zumindest dessen größte Gebäude gut erkennen (leider sind die größten, als modernistische, alles nur nicht die schönsten). Die Rheinebene gibt ihre Weiten preis, welche auf der gegenüberliegenden Seite vom Gebirge des Pfälzer Waldes insbesondere bei klaren Luftverhältnissen reinlich gefasst. Weit kann man dem breiten Rheintal in den Norden folgen, vielleicht sogar den Speyrer Dom ausmachend; gewiss aber den klobigen Atommeiler von Philippsburg! Auch nach Süden der vorzüglichste Prospekt, an besten Tagen inklusive der Vogesensilhouette. Nach Norden blickt man entlang der Kraichgau-Säumung der Rheinebene und nach Süden längs des Schwarzwalds. Alleine ein zu kalter Jahreszeit heftig beißender Wind kann von dieser bedeutenden Übersichtsgunst wieder vertreiben!
     Mag denn ganz am Ende nur ein kurzes persönliches Statement zu Durlach ausreichen. Ohnehin geben die beigefügten Fotografien gewiss einen guten Begriff von der ausgewiesenen Schönheit dieses Karlsruher Stadtteils. Wie lieb war mir doch immer der Blick vom Turmberg, auch er wurde gewiss hundertfach genossen. Am liebsten freilich die Dienste in der Stadtkirche; auch wenn das hier Verrichtete mit Durlach selbst natürlich nichts zu tun, so konnte denn der Hin- und Rückweg immer nur durch die Altstadt führen. Hier wurde dann die Ringstraße wie bei vielen anderen Gelegenheiten in immer neuer Erbauung aufs angenehmste genutzt. Und am Anfang und am Ende stand immer das Basler Tor, dieses feine Stadtmobiliar, das den Ein- und Austritt des historischen Durlach so aufmerksam betont. Auch der Schlosspark forderte zu regelmäßigen Besuchen auf, wie ebenso die nahe Karlsburg zu Nachdenklichkeiten immer neuen Anlass gab. Am anderen Ende des Schlossparks findet man zu allem “Überfluss” noch ein kleines Meisterwerk Friedrich Weinbrenners: das Brunnenhaus (siehe Artikel unter “Im Stile Weinbrenners”), ein Gebäu dessen Monumentalität die Überlegungen nicht weniger anregte. Aus solchen Bemerkungen kann denn nur ein positiv gestimmtes Urteil über die Durlacher Zeit des Autoren folgen; ein uneingeschränkt positives gar. Und zu dieser Einschätzung konnte sich alleine ein historischer Ort aufschwingen, der sein Erbe, wenn auch vor allem sein “zweites” Erbe, dem 21. Jahrhundert zu überliefern vermochte. Das noch länger als Wohnstätte genutzte Karlsruhe dagegen, das vom Weltkrieg und seinen baulichen Folgen sehr gezeichnet, konnte, wie im entsprechenden Artikel des Bandes ’1’ dargelegt, seine Vorzüge nur noch unter Zuhilfenahme einer vom großen Philosophen Hegel entlehnten Fokussierung mit einhergehender Synthese gewinnen. Man (darunter also auch meine Wenigkeit) gibt Durlach nicht zu Unrecht den Vorzug als zu bewohnender Lebensraum.
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[1] Le Corbusier: Städtebau, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1979 (im Original: Urbanisme, erschienen 1925), S. 10
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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Sueviae"
3) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
4) Homepage  www.durlacherleben.de
5) Website  www.karlsruhe.de
6) Website  www.burgeninventar.de
7) Informationstafeln vor Ort

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