Baukunst in Baden
  Kürzell Kirche (14)
 


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Sankt Laurentius in Kürzell (Meißenheim, Landkreis Ortenau)   /   Hans Voss   /   1829-30
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Eine liebliche kleine Kirche, die förmlich darum buhlt in den Kreis der durchaus spielerischen Werke des Klassizismus im Stile Weinbrenners aufgenommen zu werden.
     Die kleine Kirche fein verspielt. Sicher trägt die vor wenigen Jahren aufgebrachte "phantasievolle" Bemalung (sie ist nicht im Sinne des Architekten) auch ihren Teil bei. Für die anstehende Analyse haben wir sie uns freilich wegzudenken. Was ist wirklich das Geheimnis der Kirche?  Ohne Zweifel die Detailfülle der Eingangsseite.
     Kaum mehr nötig auf den auch hier eingesetzten primären Grundtypus zu verweisen: der Kirchturm als eigener Baukörper tritt einigermaßen gewaltsam aus dem zweiten Baukörper, dem Kirchenschiff. Letzteres hat immerhin ein ungewöhnliches Dach vorzuweisen — statt Satteldach mit Dreiecksgiebeln setzt es sich ein einfaches Walmdach auf (wir kennen dieses von Weinbrenners Kirchenbau zu Langensteinbach Sammlung '1', Nummer 19), welches eine markantere Schnittlinie Dach — Turm hervorbringt.
     Nun aber der Detailreichtum der Eingangsseite. Noch beim Kirchenschiff verweilend, erblicken wir eine an dieser Stelle unübliche Pilasterordnung. Vor allem an den Gebäudeecken stehen kraftvolle Pilaster, basislos aus dem Sockelstreifen des Schiffes auffahrend, enden sie in typischen Weinbrenner-Kapitellen von starker dorischer Natur. Das Kirchenschiff verliert durch diese Eckbehandlung die körperhafte Wirkung zugunsten einer konstruktiven Ausstrahlung. Dazu passen auch die sich in den Pilasterabständen tief einschneidenden gerundeten Nischen — die Wandflächen tragen hier optisch nicht mehr (das übernehmen die kräftigen Pilaster), sie haben nur noch  Zwischenraum ausfüllenden Charakter.
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Der relativ niedrige Kirchturm (auch das Schiff gerät im Vergleich zu den anderen Kirchen dieses Typs kleiner und niedriger) führt die immer wohltuende Zweiteilung vor Augen. Der Eingang wird von zwei mächtigen Rechtecksäulen gesäumt, die gleichsam den gesamten Turm zu wuchten scheinen (auch diese Geste kennen wir aus Langensteinbach). Direkt anschließend ein mit fein profiliertem Sandsteinrahmen gezeichnetes Halbkreisfenster, zusammen mit dem Eingang in einer tiefen Nische liegend. Darüber dann ein Rundbogenfenster mit wandveredelnden Kapitellstreifen (Kämpfergesims). Der Turmkorpus schließt mit einem Gesimsband getragen von Rollwerk-Konsolen, gleichsam die Plattform bildend für das anschließende und sich zurückstaffelnde Glockengeschoss.
     Nun tritt also die im Verhältnis zum Korpus hohe Turmspitze darauf. Vier mächtige Eckpilaster halten die entsprechende Anzahl Bögen - so zeichnen sie einen Negativraum, der für die Glockenschlag-Öffnungen  und Zifferblätter bestimmt wurde. Diese Nischen haben ihrerseits konstruktiven Charakter: je zwei Pfeiler tragen ein Gebälk — der Zwischenraum ermöglicht die Öffnung. Endlich das Dach, ein schönes, geradezu lieblich verspieltes Dach — wie immer in Zeltform, aber von auffälliger Proportion. Der obligatorische Knick erfolgt so spät, dass sich das Dach kaum mehr in die Höhe zu erheben weiß und Kugel und Kreuz eine um so mehr akzentuierende Rolle zuweist. Diese verspielte Gestalt erinnert gar an Dächer des "chinoisen"  Rokoko (Ende 18. Jahrhundert). Nicht nur, dass dem Turm damit endgültig die Höhe genommen wird, es zeigt zugleich das i-Tüpfelchen für eine Kirche, dessen Eingangsseite ob der Detailfülle eine gewisse Nähe zu barocker Formenvielfalt nicht verhehlen kann. Hierzu zählt auch die Anordnung der beiden inneren Pilaster des Kirchenschiffs: als halb Angeschnittene  säumen sie direkt den Turm, verschleiern also auf eine barocke Weise die Durchdringungsgestalt der beiden Baukörper.
     Der Autor will gewiss keine barocke Kirche deklarieren — zwischen Eingang und Glockengeschoss findet man vornehmlich der Massivität zuspielende leere Flächen und spätestens der einfache Gang um das Gebäude offenbart auf der Rückseite die gewohnten "nackten" Baukörper — nein, die verwendeten Stilmittel sind kraftvoll-konstruktiv, zugleich aber auch lebendig und heiter eingesetzt. Die Kirche bleibt eine klassizistische, eine von verspieltem Charakter eben.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Vorort-Betrachtung des Gebäudes
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Hubert Krewitz "Der Weinbrenner-Schüler Johann (Hans) Voß", Artikel aus "Geroldsecker Land" 1974, Heft 16, S. 89-103
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