Baukunst in Baden
  Kappel Kirche (41)
 

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Sankt Cyprian in Kappel (Kappel-Grafenhausen, Landkreis Ortenau)   /   Hans Voss   /   1826-28

Da hat der gute Hans Voss, talentierter Weinbrenner-Schüler, den Vogel abgeschossen! Friedrich Weinbrenner war (erfolgreich) ausgezogen dem Barockstil, also dem Vorgängerstil seines Klassizismus den Garaus zu machen. Eine laute, bisweilen sehr scharfe Kritik überdeckte dabei recht geschickt, dass denn doch viel mehr vom Vorgänger übernommen wurde als man billig wahrhaben möchte. Sehr vieles wurde einfach, wie später sein berühmtester Schüler Heinrich Hübsch analysierte, "purifiziert" - will heißen der typischen barocken Schnörkel und Kurven entkleidet. Weil auch noch dem Schmuckreichtum abgesagt ward, fand man in Weinbrenners monumentalem Klassizismus hernach zumindest auf den ersten Blick eine vom barocken Vorläufer gänzlich verschiedene Formensprache. Auf den zweiten, nur dem Fachmann möglichen Blick aber reibt man sich mit nicht geringer Verwunderung die Augen über die tatsächlich vielerlei Anknüpfungspunkte an den barocken Entwurf.
     Eines der besten Beispiele liefert die Behandlung der Dachformen, also des formalen Gebäudeabschlusses. Der Barockstil war (und ist) bekannt für seine formenreichen, vielleicht sogar verspielten Dachlandschaften, welche adäquat die Gestaltungsvielfalt der unter ihnen befindlichen Fassaden abschlossen. Friedrich Weinbrenner nun sah sich davon herausgefordert; keineswegs strich er diesen Umgang einfach. Er "purifizierte" die Dachformen vor allem ihrer Kurven, gelangte darüber zu klaren und entsprechend keineswegs phantasielosen Dachformen, welche nun ihrerseits die klaren Formen, der unter befindlichen Baukörper angemessen abschlossen. Gerade bei seinen größten Werken, wie beispielsweise Sankt Stephan in Karlsruhe oder dem Baden-Badener Kurhaus (beide Sammlung '1') findet man sehr reizvolle Dachlandschaften, wohl streng und geradlinig gehalten, als spannungsvolle und integrale Entwurfselemente.

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Die "Reinigung" der Dachformen vom barocken Schnörkel; damit sind wir endlich auch beim Gotteshaus in Kappel angelangt (Kappel-Grafenhausen am Rhein, zwischen Lahr und Freiburg). Beachte man zu diesem Hufe einzig das Kirchturmdach. In diesem nun findet man ganz im Sinne von Friedrich Weinbrenners Vorgehen den "verrücktesten" Anlauf zur Purifizierung einer barocken Dachform, man darf sagen in ganz Baden, im gesamten badischen Klassizismus. Nichts weniger als die barocke Inkunabel schlechthin, die ganz nach persönlichem Geschmack geliebte bis unendlich verachtete Dachzwiebel, im Fachjargon Welsche Haube genannt, nahm Hans Voss in den Blick.
     Der gesamte Kirchenentwurf darf billig als gelungen eingestuft werden, weiß sogar noch um eine zweite wahrlich merk-würdige Begebenheit, das Ausrufezeichen aber setzt eindeutig das markante Dach des Campanile. Hans Voss also ging mit seinem Entwurfsansatz an die "Entschnörkelung" des barocken Vorbildes — das bedeutete gemäß Friedrich Weinbrenner im Grunde nichts anderes als die Überführung in "saubere" geometrische Formen. Aus den geschweiften, zwiebelartigen Formen mussten hier also "saubere" Kugeln werden. Verrückt! Und tatsächlich vollbracht! Und besonders trefflich, dass Voss nicht gegeizt hat, sich nicht mit einer "Kugel" begnügt hat: auf die erste große nämlich folgt als Abschluss der seinerseits als schnörkelloses klares Oktogon geschnittenen Laterne eine zweite, kleinere "Kugel" (nur der Übergang zum krönenden Kreuz lässt sie aus der Ferne doch wieder als Zwiebel erscheinen). Große Dachzwiebel - Laterne - kleine Dachzwiebel, das war außerdem so etwas wie die Standardformel des barocken Kirchturmdaches; auch diese Hans Voss also ein Vorbild. Störe man sich im übrigen nicht an den scharfen Graten, die die Reinform der Kugeln beeinträchtigen. Dem Weinbrennerstil war es allgemein aus scharf geschnittenen Fassaden Körper, leicht ablesbare Baukörper zu schaffen — selbiges auch der Entwurfansatz für das Turmdach, entsprungen des weiteren aus dem Wunsch acht klar definierte Felder, aus dem Quadrat des Turmes entspringend, über die untere Kugel, die Laterne und obere Kugel laufen zu lassen. Neben der Wirkung der geometrischen Formen, welche ja trotzdem gegeben, entsteht auf diese Weise durch die scharfen Grate ein gesteigerter vertikaler Zug, der damit die entschiedene Wirkrichtung des Turmkörpers fortsetzt, vollendet.
    
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Der gesamte Gebäudeentwurf darf gelobt werden, weiß, wie bereits angedeutet, um eine zweite Besonderheit. Das klassizistische Gotteshaus nämlich war keineswegs ohne Vorgänger, vielmehr befand sich genau an dieser Stelle eine kleine barocke Kirche. Diese nun ward keineswegs einfach abgetragen, sondern ging auf merk-würdigste Art im neuen Entwurf einfach auf: was bis zum Einschreiten Voss' Langhaus der Kirche war, wurde nun für den bedeutend größeren Neubau einfach der ohnehin in aller Regel schmäler ausfallende Chor! Einst Langhaus, seit 1828 der Chor der Kirche — welch' Geschichte! Vermutlich war diese Partie ohnehin in einem eher schmuckarmen Barock gehalten; was möglicherweise doch an Fassadenschmuck vorhanden, wurde von Voss schlicht getilgt. Der einzige sichtbare Überrest barocker Formensprache auf den mit dem Turm verbundenen Chor sind die für den Weinbrennerstil eher ungewöhnlichen Rundfenster.
     Das Gesamtbild gefällt: auf das hohe, dafür nicht allzu lange Langhaus folgt bei gleicher Dachhöhe der schmälere Chor, die Proportion der Kirche glücklich in die Länge ziehend; dann der Turm, der die bisherige horizontale Wirkrichtung als reizvollen Gegenakzent in die Vertikale verkehrt (und endlich mit dem Turmdach das "Ausrufezeichen" setzt).
     So hat man es also mit dem sekundären Grundprinzip der klassizistischen Kirchen Badens zu tun: der Campanile auf der Rückseite, die Vorderseite mit dem Haupteingang vom formalen Zwang der Turmeinfügung befreit, befreit zum monumentalen, bildhaften Aufbau, der in phantasievoller Weise das große Vorbild des Klassizismus, die antike Tempelfront variiert. In der Vorderseite erblickt man also neben der Turmspitze das zweite gewichtige formale Element. Auch dieses ohne weiteres gelungen, diesmal ohne Experiment im Rahmen des Weinbrenner-Kanons: wuchtig und monumental. Die Vorderseite des Langhauses ist die Vorderseite eines klar ablesbaren Baukörpers, namentlich eines scharf geschnittenen Quaders, welcher gedeckt von einem Dache in Sattelform, das seinerseits die Vorderseite durch einen Dreiecksgiebel veredelt.


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Dieser nun wird von einer typischen rundbogigen Weinbrenner-Nische kapital gesprengt. Die Nische verklammert darüber geschickt wie entschieden die Vorderseite des "Quaders" mit dem dreieckigen Giebelfeld. Die untere Partie der Nische wurde für zwei Durchgänge in eine kleine Vorhalle geöffnet, führt in der Mitte eine rechteckige Vollsäule, rechts und links zwei angeschnittene Säulen. Die drei Kapitelle der Säulen, wie die zwei aus ihnen entspringenden Bögen sind fein profiliert. Sehr reizvoll ist die Idee der Vorhalle, die Fassade in zwei Ebenen schichtend, wie in den Baukörper eingeschnitten. Die große Nische säumend zwei bedeutend kleinere Rundbogennischen sowie zwei Heiligenstatuen. Ansonsten aber bietet diese Ansicht vor allem viel leere Fassadenfläche, eine gewisse Kargheit der Verhältnisse, vor Langeweile durch die Monumentalität der großen Nische, auch durch den Kontrast leere Fassade zu feingliedrigen Heiligenstatuen bewahrt. Einmal mehr ein Beispiel des Weinbrenner-Stiles für die Kunst des formalen Minimums — denn weniger dürfte diese Fassade wahrlich nicht erleiden.
     Manchem mag diese Ansicht wohl schon zu karg sein. Gehe man dann in Perspektive mit dem wie in aller Weinbrenner-Regel detailreichstem Bauteil: dem Glockengeschoss des Campanile. Dieses zeigt typischerweise vier Eckpilaster, einen Gebälkstreifen hievend, und fein gerahmte Schallöffnungen, überdies unser verrücktes Kugeldach. Solche Vielfalt geht denn in trefflichen Kontrast nicht nur mit der monumentalen, aber vielleicht zu formenarmen Vorderseite, auch nämlich mit dem ganzen Rest des zurückhaltend entworfenen Langhauses (alleine lange Rundbogenfenster rhythmisieren), mit dem gleichermaßen auftretenden Chor (dem Ex-Langhaus) und dem unteren Turmabschnitt.
     Ein letzter Gedanke: der barocke Charakter des Vorgängers dieses Gotteshauses ist im Grunde nicht mehr existent. Wird da die Erinnerung an denselben durch die klassizistische Interpretation der barocken Welschen Haube nicht trefflich an prominenter Stelle am Leben erhalten? War das für den Baumeister am Ende sogar das auslösende Moment für das so ungewöhnliche, in dieser Weise ja einzigartige Experiment?

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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Vorort-Betrachtung des Gebäudes
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Hubert Kewitz "Der Weinbrenner-Schüler Johann (Hans) Voß", Artikel aus "Geroldsecker Land" 1974, Heft 16, S. 89-103

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