Baukunst in Baden
  Krautheim
 

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Krautheim steht gar reizvoll auf der Spitze eines steilen Bergsporns über der Jagst. Seit im Grunde jeher, näherhin seit circa tausend Jahren gliedert sich der Ort sauber geteilt in zwei Partien: in Tal- und Berglage. Erstere die noch ältere, zweitere dagegen die bedeutend reizvollere. Ausgangspunkt des majestätisch über dem sich fein dahinschlängelnden Jagsttal gebietenden Anteiles ward ob der begünstigenden Position eine Fliehburg. Im 13. und 14. Jahrhundert wurde sie durch eine mittelalterliche, namentlich eine staufische Burganlage ersetzt, welche nicht nur die Gründung einer Stadt nach sich zog, sondern tatsächlich bis auf den heutigen Tag den bedeutenden Ruhm Krautheims, ja selbst einen bedeutenden Ruhm ganz Badens vor Augen stellt.
     Und das alles auch noch an für Baden bedenklich abgelegener Position, am südlichen Zipfel des nördlichen Endes der badischen “Banane”, gleichsam als ein Vorposten, der ins württembergische drängte um daselbst noch einen kleinen Anteil der Jagst zu erhaschen. Bis dato, namentlich bis 1803 waren die beiden “Krautheime” zusammen mit Ballenberg die Hauptorte einer kleinen kurmainzischen Besitzung, welche als typische Exklave munter in den vorbadischen Fleckenteppich gestreut. Als nach kurzem Interregnum als eigenes Fürstentum Krautheim 1806 durch Napoleons Gnaden endlich nach Baden transferiert ward, da fand man in demselben gleich wie Neudenau zweifellos einen nicht geringen Erfolg badischer Expansionspolitik. Beide nämlich, Krautheim wie Neudenau waren historische Städte, platziert an einem ansonsten genuin württembergischen Fluss, der mehrfach schon erwähnten Jagst. Auch heute noch, da solch strategisches Denken hier längst absurd, darf man sich an diesen Erwerbungen sehr erfreuen; denn was Krautheim die staufische Burganlage, das ist dem nicht fernen Neudenau ein fachwerkprächtiger Marktplatz, einer der schönsten Stadträume Badens.
     Den Württembergern aber mag dieses Haschen nach der Jagst kaum gefallen haben. Und der Spies war tatsächlich noch umzudrehen! Spät zwar, lohnend freilich immer noch. Im letzten Drittel des vergangenen 20. Jahrhunderts kamen beide Ortschaften im Zuge der Kreisreformen an württembergische Kreise. Freilich war zu diesem Zeitpunkt der im Grunde noch junge Länderstatus Baden-Württemberg durchaus schon zementiert. Wundern freilich darf man sich schon ein wenig, denn beileibe um Einzelfälle handelte es sich nicht, denke man nur zum Beispiel an Bad Rappenau oder Eppingen. Wie aber letztere als prachtvolle Fachwerkstadt noch sehr auf ihre badische Abstammung pocht, so geht dieses Erbe in Krautheim (auch Neudenau und Bad Rappenau) mehr und mehr verloren. Das Wissen jedenfalls um die lange Zugehörigkeit zu Baden schwindet, wie man auch an ferneren Stellen Badens leicht geneigt ist, die Orte historisch eher Württemberg zuzuordnen. Wundern also darf man sich schon, vielleicht auch über tatsächlich und möglicherweise nur noch unbewusstes altes Territorialdenken im baden-württembergischen Landtag als es den “Kuchen” in zu modifizierende Kreise aufzuteilen galt.

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Krautheim liegt gar malerisch an und über der Jagst, soviel hat der Leser bereits erfahren. Am schönsten festgehalten hat dieses romantische Bild der Maler Karl Weysser, als er im Jahre 1870, selbst romantischer Gesinnung, am südlichen Jagstufer Platz nahm und mit feinem Stift eine vortreffliche, markant gestaffelte Zeichnung für die Nachwelt festhielt: im Vordergrund die Jagst mit buschigem Ufer, dann ein nicht näher bestimmter Felderabschnitt, alsbald aber Altkrautheim — dessen Häuserschar gleich einer verehrenden Pilgerversammlung zu Füßen des Begehrten — letzteres in diesem Falle das auf dem steilen Sporn “gebietende” Krautheim-Berg. Ansehnliche Bauwerke konstituieren dessen lang gezogenen Stadtkörper: von links nach rechts sieht man nach gelindem Häuserauftakt zunächst vor allem die mächtige Burganlage, versehen mit zwei Türmen und einer vorgelagerten, rondell-bestückten Mauer, dann ein kleinerer, aber deutlich hervortretender Bau mit Treppenturm (das heutige Johanniter-Museum), schließlich die Stadtkirche mit hoch aufragendem gotischen Zeltdach, ergänzt wiederum durch einige Bürgerhäuser.
     Obgleich Krautheim zu diesem Zeitpunkt des 19. Jahrhunderts seine beste Zeit, welche unzweifelhaft im Mittelalter, längst hinter sich hatte, fand man also zumindest zur Jagst hin einen vorzüglichen Prospekt, der tatsächlich ohne weiteres der malerischen “Verewigung” wert. 
     Dem steilen, nicht bebaubaren Sporn ist zu danken, dass diese Ansicht von Krautheim-Berg noch heutigentags von großem Reiz. Das 20. Jahrhundert, in seiner vollendeten Unfähigkeit den Baulichkeiten zur Funktionalität auch ästhetische Qualitäten zu vermachen, griff freilich nach dem zu Tale liegenden Krautheim, brachte es leicht zu Fall. Auch nach Krautheim-Berg schnappte es, stahl das auf der Zeichnung gleichfalls sichtbare Langhaus der Stadtkirche um es gegen modernistische Gesichtslosigkeit einzutauschen, ließ auch den Großteil jener angedeuteten Bürgerhäuser via funktionalen Neubau abgehen. Das aber war zum Glück alles: Burg, Johanniter-Museum und Campanile der Stadtkirche blieben verschont — und der schlicht unbebaubare steile Spornhang hebt diese Bauwerke noch heute unverstellt malerisch über die Jagst. Noch heute also eine der schönsten Stadtansichten Badens, wenn auch die einst “verehrende Pilgerschar” jetzt mehr einem aufgedunsenen Belagerer gleicht.

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Krautheims große Zeit also das ferne Mittelalter. Mit der Burg hob die Geschichte von Krautheim an. Ortsadel begann mit dem Bau derselben im frühen 13. Jahrhundert. Ein Jahrhundert später, die Veste lag mittlerweile in den Händen der seinerzeit bis zum Königs-/Kaiserthron einflussreichen Ebersteiner Grafen, gewannen dieselben die immer begehrten Stadtrechte. Krautheim also ward ummauert, mit Stadttor versehen; und dazu die staufische Trutzburg — Krautheim war nun etwas. Und das sollte einige Zeit so bleiben, wenn auch die Stadt alsbald (nur rund drei Jahrzehnte später) verpfändet wurde. Krautheim kam ans Erzstift Mainz, wurde aber schnell zur Hälfte auch ans nicht ferne Würzburg übertragen. Die mittelalterlichen Wechselfälle des Lebens eben. Dann aber trat die Stadt dauerhaft in mainzischen Dienst, namentlich seit 1399, also noch in dem Krautheim so unsteten 14. Jahrhundert. Die staufische Burganlage empfing also mal diesen, dann jenen neuen Besitzer, lugte trutzig auf solche Unsicherheiten. Sie vor allem ist bis heute Zeuge der städtischen Anfänge Krautheims, der entsprechend wertvolle Zeuge.
     Bis 1803 blieben Stadt und Burg in Händen der Mainzer Fürstbischöfe. Dieser aber blickten recht entgeistert gegen die Stadt, als dieselbe im großen Bauernkrieg 1525 plötzlich auf Seiten der Odenwälder Bauernhaufen kämpfte. Ein fataler Politikfehler! Die Bauern verloren, wurden böse niedergemetzelt; und aus der Entgeisterung ward nur allzu schnell strafende Entrüstung. Kurzum die Stadt verlor ihre bedeutenden Privilegien. Zwar verlor sie nicht alle Gunst, wie denn vor allem die Burg durch zwei Erweiterungen des 17. und 18. Jahrhunderts zu einem weitläufigen Schlosse aufstieg. Alleine mit der alten Herrlichkeit der Stadt war es dennoch vorbei. Als Aufmarschplatz der Schweden im 30jährigen Krieg (1631-32) und der Reichstruppen gegen den französischen Invasor im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688) rückte der Ort nochmals empfindlich in den Blickpunkt, alleine von etwaigen Vorzügen konnte freilich nicht die Rede sein. Kurzum die Stadt verfiel, insbesondere vermutlich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts.
    Zunehmender Bedeutungsverlust und schließlich das verschmähende 20. Jahrhundert zerrten also gewaltig am gewiss einst vorzüglichen Stadtbild, leider erfolgreich genug. Eines aber vermochten beide nicht, den Untergang der oben beschriebenen Jagstseite von Krautheim-Berg. Sie lugt noch im 21. Jahrhundert mit bemerkenswerten Reizen nach jedem interessierten Beobachter.
     Lieb war mir die Fahrt nach Krautheim gewesen, speziell der noch unbekannte Abschnitt ab Osterburken. Eine Fahrt durch die sanfte Hügelwelt des sogenannten Baulandes; war mir diese unaufgeregte Landschaft doch auch fein garniert durch Schlösser zu Merchingen und Neunstetten, den trefflichen Ortskern von Ballenberg. Zwar brannte die Julisonne des Jahres 2006 besonders unbarmherzig hernieder, alleine ihr ausmergender Triumph ward bis auf die nachmittägliche Rückfahrt hinausgeschoben.

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Dann Krautheim. Noch wenig genug wusste ich von dem Städtlein — recht so, der erste Eindruck, der alleine unauslöschliche, sei er so unbelastet wie möglich! Der Reiz solcher ersten Bekanntschaft, die Flut der augenblicklich übermannenden Prospekte, noch ganz und gar ungeordnet, freilich auch schon vom ersten Momente weg zur Ordnung auffordernd; zunächst noch forttreibend, Blickwechsel in schnellster Abfolge verlangend; ein Wettstreit Intuition und Gefühl wider Gedanken und Ordnung — dem in der Baukunst geübten Auge ist nur wenig Irdisches köstlichere Wohltat und Erfrischung.
     So auch in Krautheim, ob seiner Brüche und Verzerrungen, der unvermittelten Zusammenkunft von Gut und Böse. Zunächst grüßt ganz unerwartet noch das mittelalterliche Stadttor, ein trefflich gestaffelter Turmbau mit zum verputzten Stein fein kontrastierenden Fachwerkanteilen. Unerwartet, weil diese so wertvollen mittelalterlichen Artfakte dem sie demolierenden 19. Jahrhundert eben alles nur nichts Wertvolles waren — entsprechend selten also solche Begegnungen im 20./21. Jahrhundert. Jenes Gebäu, mit seiner spannungsvollen Feldseite ist so recht der rechte Auftakt für die intakte Welt einer historischen Altstadt.
     Brüche und Verzerrungen aber sind ja schon verkündet. Was denn konkret bedeutet, dass etwas, das den Namen Altstadt verdient in Krautheim nicht mehr existiert. Der sich entbreitende Eindruck, hat man den historischen Teil von Krautheim-Berg gewonnen, ist ein überaus merkwürdiger. Was sich hinter den zum Teil noch gut erhaltenen Stadtmauern verbirgt, lässt sich am ehesten als “Dorf” bezeichnen. Von typisch urbaner Dichte jedenfalls nirgend die Spur! Statt dessen und tatsächlich in typisch dörflicher Manier die lockere Streuung von Einzelbauten. Viel schlimmer aber, dass diese bis auf eine alsbald näher zu bestimmende “handvoll” Gebäude ohne gestalterischen oder zumindest bauhistorischen Wert! 
     Wie überaus merkwürdig, durchaus verwirrend aber solche Betrachtung, wo man doch eine Stadt erwartet, die zudem durch Mauern und ein treffliches Stadttor bestens angekündigt. Die Mienen und Grimassen, die man alsbald aufführt, wären gewiss der “versteckten Kamera” wert!
     Vor dem nur wenig anziehenden kleinen Rathaus, einem Werk vermutlich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, zum Stehen gekommen, die prächtige Burg hier von dichtester Vegetation noch fast undurchdringlich verstellt, tröstet zunächst alleine das Johanniter-Museum. Als eine der wenigen vernünftigen Maßnahmen des 20. Jahrhunderts wurde der böse heruntergekommene Bau wieder bestens instand gesetzt. Ein sehr ansehnliches Renaissance-Werk, gefallend durch das kompakte und durchaus noch mittelalterlich-rustikale Auftreten. Edle stiltypische Details in Gestalt von Öffnungsrahmungen und vor allem des geschweiften Giebels verfeinern das 2-3geschossige Haus. Ebenso fällt der polygonale Treppenturm (der auch auf Weyssers Zeichnung gut zu sehen) als eigener Baukörper angenehm auf.

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Auch der Campanile der Stadtkirche sendet mittelalterlich-aufrichtige Grüße. Wie schon angeführt wird er nur noch von einem reizlosen modernistischen Langhaus begleitet, was einem auch den Anblick des Turmes bald versauert.
     Das dann immerhin schon die richtige Einstimmung um den ersten Eindruck der Straßen und Gassen der “Stadt” zu verifizieren. Bereits hilflose historische Bauwerke des 19. Jahrhunderts und noch anspruchsloseres Gebaue des Folgejahrhunderts greifen belanglos ineinander, und alles dörflich locker gestreut. Einmal noch kommt ein ansehnliches Werk vor Augen, kleiner, aber nicht unähnlich dem Johanniter-Museum: ein kompaktes steinernes Stadthaus, das vor allem durch eine Renaissance-Fassade mit geschweiftem Giebel gefällt (die anderen drei Fassaden sind jünger und kaum erwähnenswert). Seltsam genug: eine Renaissance-Fassade! Das aber ist gleich ein noch abzuspeckendes Programm für die gesamte Stadt! Wenn man der “Altstadt” außer dem bereits eingeführten noch irgendetwas abgewinnen kann, dann dass beständig Reste von mittelalterlichen Fassaden auftauchen. Und jedes Mal entstehen die ungeheuerlichsten Fratzen! Denn diese Reste treten nicht mehr als intakte Fassaden auf, sondern sind jedes Mal nur Bestandteil von Fassaden, die im 19. oder 20. Jahrhundert wenig geistreich ausgeführt wurden. Dergleichen Kuriosität ist mir ansonsten nirgends begegnet — wie gleich an mehreren Stellen das Schöne beinahe schalkhaft in das Abstoßende, zumindest Gesichtlose hinein-gestümmelt!
     Das Johanniter-Museum, das Stadttor, ergänzt vom mittelalterlichen Campanile, Stadtmauerresten und dem Stadthaus mit Renaissance-Fassade, das mag durchaus Sehenswürdigkeit begründen, aber — Hand aufs Herz — ohne die Burganlage wäre ein Besuch, eine Besichtigung Krautheims mehr Last als Lust. Ganz ohne Zweifel, das in Stauferherrlichkeit wurzelnde Stadtschloss ist der Ruhm Krautheims, ja auch der rettende Ruhm Krautheims.
    Ganz am Rande des Bergspornes stehend, findet man die durchaus weitläufige Anlage im Südzipfel der Stadt. Als Nachfolger einer frühmittelalterlichen Fliehburg entstand sie mit Beginn des 13. Jahrhunderts im noch heute beeindruckenden spätstaufischen Kleide. Jene erste spätromanische, frühgotische Phase des Burgbaus, während bis circa 1230, leistete trotz mehrfacher Erweiterung, bzw. Umbau bis heute die schönste Partie der Anlage. Und nicht nur das, eine veritable Trutzburg nämlich kam in bauliche Existenz. Denn zu diesem Zeitpunkt bestanden ja noch keine Stadtmauern, und die Burg bedurfte freilich eines umfassenden Schutzes. So trennt noch heute gut sichtbar ein breiter Halsgraben die innere Burg vom einige Meter höher situierten Ortskern. Auch durfte eine zweite Ringmauer, zur Jagst mit zwei Rondellen bestückt, nicht fehlen. 

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Später, nach Verleihung der Stadtrechte wurde diese mit der Stadtmauer verbunden, was indessen den Anteil in Richtung Ortskern überflüssig machte. Heutigentags beeindrucken zumeist der gut erhaltene westliche und südliche Abschnitt; ersterer gar noch mit dem äußeren Schlosstor, welches aber im späten 19. Jahrhundert durch einen historistischen Fachwerkaufsatz mächtig “aufgemotzt” wurde — und zweiterer noch mit den Rondellen, wobei der östliche auch wieder unter Dach (Weyssers Zeichnung zeigt den Turm dachlos, wie er überhaupt das Schloss noch ohne den später erfolgten historistischen Umbau wiedergab). Hier übrigens hat man auch vorzügliche Aussicht in das zu Füßen vorbeischlängelnde Jagsttal, welche allerdings sommers durch dichte Vegetation nicht wenig verstellt wird.
     Die innere Burg, das waren drei Gebäude nebst langer Mantelmauer, die zusammen von angenähert quadratischer Grundform, welche aber nach Süden bedeutend ausgebeult. Der schlanke, runde und hohe Bergfried stand und steht noch heute knapp hinter der Mantelmauer. Bis auf sein abgegangenes oberstes Geschoss hat er die acht Jahrhunderte bestens überdauert. Buckelquader fallen auf, ebenso spätromanische Öffnungen und Reste eines Austritts. Das zweite Gebäude stellte der Palas, in welchen das dritte, eine Kapelle, gleichsam integriert. Dürfen schon der Bergfried und die rund 20 erhaltenen Meter der Mantelmauer bauhistorisches Gewicht, Ansehnlichkeit ohnehin beanspruchen, so setzen Palas und vor allem die Kapelle noch mal gehörig “eins drauf”. 
     Letztere als eine typisch staufische Doppelkapelle besticht durch ihren detailreichen frühgotischen Innenraum, welcher den mit Herrschaftsloge (deshalb Doppelkapelle) ausgestatteten hohen Hauptraum per Triumphbogen vom niedrigeren Chor abtrennt. Lacroix und Niester zählen die im 19. Jahrhundert gelungen restaurierte Kapelle in ihrem Standardwerk “Kunstwanderungen in Baden” gar unter die bedeutendsten Staufererzeugnisse auf heute deutschem Boden. In diesem empfehlenswerten Buch findet man auch eine detaillierte Beschreibung des hier nur grob umrissenen Innenraumes. Dessen bedeutende Schönheit aber zeichnet sich durchaus auch nach außen ab. Einigermaßen verwundert nämlich steht man vor überaus detailtief und fein gearbeiteten Öffnungsrahmungen, die stark kontrastierend zu den sie einfassenden rohen und wehrhaften Mauern. Dergleichen staufisch-frühgotischen Detailreichtum findet man an den Burgen Badens kein zweites Mal. Ja selbst unter Zuhilfenahme des Kirchenbaus kann man für diese Zeit nur wenig Gleichrangiges ausmachen. Welch’ Bedeutung also dem Städtlein diese Stauferburg! Zwei lange Spitzbogenfenster, eine gleichfalls spitzbogige Zwillingsöffnung und ein Rundfenster der Außenseite werden vom Portal der Innenseite sogar noch übertroffen. Dieses allerdings führt zunächst in den Palas, über welchen alleine man in die Kapelle gelangen kann. Das spitzbogige Portal, das in seiner oberen Partie ein dreifaches Fenster führt, zeigt eine überaus fein gefertigte Rahmung mit pflanzlichen Formen und bedeutet wiederum nach Lacroix und Niester Einzigartiges nördlich der Alpen.

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Der Palas, der auch noch ein Tor aufnimmt über dessen Innenseite vier romanische Fenster reizvoll in die Mauermasse “gedrückt” sind, steht ansonsten aber als Ruine. Man hat seine Mauern im Zuge des historistischen Umbaus Ende des 19. Jahrhunderts durchaus malerisch abgetreppt. Dabei hat man die Raumzone vor der Kapelle nicht wieder überdacht, was hier bei weiterhin hohen Umfassungsmauern ein spannungsvolles Raumerlebnis deutlich empfundener Enge bewirkt. Lustig lugt der schlanke Bergfried herein, gleichsam als Wächter des Kapelleneingangs.
     Dieser so reizvolle staufische Anteil des Stadtschlosses wurde in zwei Phasen nicht ohne Geschick erweitert. Hierbei nämlich folgte man mit den Außenmauern der beiden neu zu erstellenden Gebäude exakt der Linie der Mantelmauer. So steht also noch heutigentags die innere Burg in mittelalterlicher Manier nach außen abgeschlossen. Insgesamt verfügt das Schloss also über drei unmittelbar verbundene Flügel, welche dem umschriebenen Burghof alleine zum Halsgraben Öffnung erlauben (der hier einst schließende Mantelmauerabschnitt existiert nicht mehr). Die erste Erweiterung fand ab 1602 in Renaissance-Formensprache statt: der Westflügel, dessen auffälligstes Bauteil der deutlich über das Gebäude herausragende polygonale Treppenturm (auch auf Weyssers Zeichnung bestens zu gewahren). Die zweite Erweiterung schloss als neue Mittelpartie die zwischen den zwei Flügeln entstandene Lücke, ergänzte außerdem den Westflügel. Ausgeführt ab 1732 in eigentlich barocken Tagen, lässt sich von dieser formenfreudigen Stilart aber nichts mehr ausmachen. 
     Mag sie der historistische Umbau Ende des 19. Jahrhunderts als “unmittelalterlich” getilgt haben. Denn das dieser durchaus umfassende Umbau, der in der Tat weit mehr ummodelte als Bauvolumen ergänzte, eindeutig das Mittelalter zum Vorbild nahm, lässt sich leicht ersehen. Die auffälligsten Maßnahmen sind die Betonung des neuen inneren Schlosseingangs durch säumende “auf alt getrimmte” Säulen und einen zierlichen Stein-Holz-Erker über dem Eintritt; des weiteren der gefällige Fachwerkaufsatz des äußeren Schlosstores und endlich die Putzfassung der Fenster. Im ganzen will man die historistischen Eingriffe durchaus loben, zumeist freilich wegen der Instandsetzung der Kapelle, aber denn auch ob des Zugewinnes an malerischer Wirkung für das Äußere.
     Vor diesem Schlosse, ja da lies es sich leicht bewundern, gerne schwärmen. Da ward die weiter zunehmende Hitze leicht ausgeblendet, auch die Tristesse des armen, geschundenen Stadtkörpers. Mag man als ein Schlusswort noch anfügen, dass alles Ansehnliche Krautheims auf dessen Hochzeit im Mittelalter hinweist, entweder als echt mittelalterliche Werke oder als denselben nacheifernder Historismus. Eine solche Abbildung der besten Zeiten verdient immer unsere Anteilnahme.


Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Zeichnung Krautheims von Karl Weysser, entstanden im Jahre 1870
3) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
4) Homepage von Krautheim 
www.krautheim.de
5) Informationstafeln vor Ort

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