Baukunst in Baden
  Lahr Rathaus (02)
 


_

Rathaus der Stadt Lahr (Landkreis Ortenau)   /   Friedrich Weinbrenner und Hans Voss   /   1809-10

Dieses feine und nicht allzu große Rathaus erscheint als kraftvolle, gleichsam aus dem Boden emporstrebende "Skulptur". Diese sehr ansehnliche Wirkung, die sich allerdings weitgehend auf die Vorderansicht bezieht, erzielt es vornehmlich durch zwei gestalterische Maßnahmen: zum einen lässt die Fassade einen Sockelbereich bestenfalls im Ansatze erkennen. Der zweigeschossige Piano-Nobile-Baukörper taucht praktisch unvermittelt "aus dem Erdboden" auf und entwickelt sich — zum anderen — nach oben in ein Zwerchhaus stattlicher Dimension (deutlich abgesetzt vom Dach), welches schließlich im edlen Giebeldreieck den wohltuenden formalen Abschluss findet. Die klassische Dreiteilung der Fassade in Sockel, Piano Nobile und Dach ward vom Baumeister also entschieden reduziert, als formale Wirkung de facto aufgehoben. In gebrochenem Weiß gehalten, tritt eine klassizistische "Skulptur" wuchtig empor und verjüngt sich (durch das Zwerchhaus mit Giebel) bei zunehmender Höhe.
     Der körperhaften Wirkung signifikant hilfreich auch die Fensterrahmungen. Als putzbündige Steinfassungen unterstützen sie die Ruhe des Baukörpers; umso graphischer wirken diese Rahmungen, die die "Verletzung" des Baukörpers ganz auf die eigentlichen Fensterflächen reduzieren. Reizvoll auch die Eingangspartie, die als rechteckige Nische in den Körper wie "eingeschnitten" erscheint. Zwei angeschnittene dorische Pfeiler säumen und veredeln den Eintritt.
     Die noch verbleibenden, wie immer im Weinbrenner-Stil nur wenigen Details legen sich als eine Art zweite Matrix über die beschriebene skulpturale Geste, diese sanft in ihrer Wirkung mildernd. So erzielen die beiden nur wenig vor die Fassade tretenden Balkone (als repräsentative "Grundausstattung") auf Rundkonsolen in ihrer klaren Horizontalen eine Gegentendenz zur aufstrebenden Vertikalen. Auf gleiche Weise fungieren die hölzernen Klappläden, die sich mit den Fenstern zu Bändern vereinigen. Aus stehenden Formaten (Klappläden und Fenster einzeln betrachtet) in der Gesamtschau einen horizontalen Eindruck zu vermitteln, gehört zu den grundsätzlichen Gestaltungsideen des (weinbrennerschen) Klassizismus. Die treffliche Wirkung der Frontfassade verdankt sich demnach neben dem skulpturalen Effekt jener gelungenen Austarierung von Vertikale und Horizontale.
     Das aber schönste klassizistische Detail begegnet uns zweifelsohne in der Gestalt des noblen Zwerchhauses. Dieses tritt deutlich aus dem Walmdach nach vorne, in sauberer Verlängerung des Piano Nobile. Durch den beigeordneten langen Balkon gewinnt es eine vorteilhafte optische Abtrennung (als eine Art Vorblendung, die den verjüngenden Verlauf des Baukörper noch ohne weiteres "durchscheinen" lässt).

1


   
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_

_

Die vier schmuckvollen ionischen Pilaster, zusammen mit dem Gebälkstreifen und dem fein profilierten und flach geneigten Dreiecksgiebel (auf Rollwerk-Konsolen) schaffen die Gestalt eines wohlproportioniertes antiken "Tempelchen", also die Lieblingsgestalt des Klassizismus überhaupt. 
      Nur an diesem Punkte stören im übrigen die schon eingeführten Holzklappläden der Öffnungen, eine Horizontale nämlich dort einbringend, wo sie wenig vorteilhaft erscheint, die Pilaster teilweise überdeckend. Freilich waren sie unter funktionalem Gesichtspunkte, dem Sonnenschutz (zumindest für die damalige Zeit) in dieser Form notwendig. Und bleiben wir gerecht: das ist ein kleiner Kritikpunkt, der nur wenig am guten Gesamteindruck rüttelt.
     Die kraftvolle skulpturale Geste lässt das kleine Rathaus größer erscheinen als tatsächlich der Fall und verleiht dem Bauwerk die einem Rathaus anstehende Würde. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass das Haus ursprünglich als Adelspalais errichtet wurde. In diesem Sinne hat das Gebäude also zunächst einer alten Adelsfamilie bauliche Noblesse verliehen. Eine Noblesse im übrigen, welche durch säumende klassizistische Nebengebäude und vor allem durch einen erbaulichen, mehr gestreckten als breiten Park, welcher genau auf unser Gebäu zuläuft, trefflich unterstrichen wird.
     Das ehemalige Palais, jetzige Rathaus lässt sich ob seiner hohen gestalterischen Qualität leicht genug mit Friedrich Weinbrenner, dem seinerzeitigen badischen Oberbaudirektoren und Begründer des spezifisch badischen Klassizismus in Verbindung bringen. Und tatsächlich hat Weinbrenner selbst den Entwurf geliefert, welcher dann vor Ort unter Leitung seines talentierten Schülers Hans Voss in bauliche Realität überführt wurde. Das denn auch der Auftakt der für die Baukunst der Region erfolgreichen Verbindung Hans Voss und Lahr. Rund 10 Jahre später nämlich erhielt Hans Voss die neu geschaffene Stelle des hiesigen Bezirksbaumeisters, in welcher dem Formensicheren der Entwurf und die Ausführung gleich mehrerer Kirchen in der Umgebung Lahrs oblagen (Dundenheim, Hofstetten, Ichenheim, Kappel, Kürzell, Ortenberg, Urloffen). Auch manch ansehnliches Palais oder Bürgerhaus in Lahr selbst mag auf ihn rückführbar sein (siehe "Sammlung 2" - Landvilla Lahr; "Sammlung 4" - Stadthäuser Lahr).
_
_
Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Website 
www.lahr.de
4) Hubert Krewitz "Der Weinbrenner-Schüler Johann (Hans) Voß", Artikel aus "Geroldsecker Land" 1974, Heft 16, S. 89-103
5) örtliche Informationstafel

2

 
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_

 
  | Heute 63 Besucher (559 Hits) | | 1.295.320 Besucher, 5.952.200 Hits seit September 2006 |  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden