Baukunst in Baden
  Obrigheim Kirche (26)
 

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Sankt Laurentius in Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis)   /   Johann Ludwig Weinbrenner   /   1832

Mit dem Tode Friedrich Weinbrenners 1826 und der baldigen Inthronisierung des gleichfalls hochtalentierten Heinrich Hübsch als richtungsweisenden Karlsruher Oberbaudirektor (und damit unterstanden ihm alle Baubehörden Badens) konnte dieser neue, divergierende Formvorstellungen durchsetzen. Dennoch bedeutete dies noch nicht das Ende des Klassizismus im Stile Weinbrenners — einige seiner Schüler waren, entgegen Hübsch, willens die von ihrem Lehrer für richtig befundenen architektonischen Ideen harmonisch weiterzuentwickeln. Tatsächlich war es nicht einmal mit dem Namen Weinbrenner aus; einer der Schüler konnte diesen nämlich weitertragen: Johann Ludwig Weinbrenner, Neffe Friedrichs.
     Obrigheim am Neckar überliefert uns ein Werk von Johann Ludwig Weinbrenner, das offen die Affinität zum damals bereits verstorbenen Onkel vor Augen führt. Weinbrenner greift also zur typischen Grundkonzeption sekundärer Natur: der Kirchturm als klar formulierter Baukörper durchdringt den gleichfalls einfach zu erkennenden zweiten Baukörper Kirchenschiff — legt ihr aber die eher selten ausgeführte Variation zu Grunde indem er die Durchdringung auf die Rückseite verlegt, den Haupteingang also nicht durch den Turm, sondern durch die entgegengesetzte Querseite führt. Letztlich eifert er aber auch darin seinem Lehrer nach, welcher diese Konzeption für die Kleinsteinbacher Kirche einführte (Sammlung '1', Nummer 12).
     Johann Ludwig machte dem Namen Weinbrenner alle Ehre, er leistete gute Gestaltungsarbeit. Das Kirchenschiff gibt sich zurückhaltend, dafür klar definiert und mit dem Mindestmaß an Eingriffen versehen, die dem Baukörper Aufmerksamkeit angedeihen lässt. Der rechteckige Grundkörper erhält ein Satteldach mit Dreiecksgiebel auf der Vorderseite. Die Öffnungen sind allesamt dem Rundbogen verpflichtet (ganz konnte auch er sich Hübsch nicht entziehen — dieser propagierte unablässig den Rundbogen). Die Eingansseite greift auf eine der zentralen Gesten des Lehrmeisters zurück: der mittlere Abschnitt tieft sich nischenartig ein, fährt auf in den Giebel, wo er im Rundbogen endet und die beiden vom Geison getrennten Fassadenpartien reizvoll miteinander verklammert. Gefällig das im Bogen sitzende Halbkreisfenster, als Formwiederholung einen notwendigen Akzent setzend. 


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Das Hauptaugenmerk gilt freilich dem Kirchturm. Dieser unterliegt der schon häufig aufgezeigten Zweiteilung, interpretiert sie jedoch auf originelle Weise. Die untere Partie verschließt sich trutzig (nur zwei kleine Rundfenster). Daraus wachsen dann unvermittelt vier machtvolle Eckpilaster, die (optisch) den anschließenden Turmteil kraftvoll in die Höhe halten. Wichtig dabei ist immer die Rundbogenform, die den folgenden Abschnitt schwungvoll heraustreten lässt. Dann die umlaufende Galerie auf Rollwerk-Konsolen und mit filigranem Eisengeländer, dessen Kreuzungsbleche brav akzentuieren. Die Galerie bildet zugleich eine Art "Plattform" für die nun folgende zurückgestaffelte Turmspitze.
     Dieser fehlen die eigentlich obligaten Eckpilaster! Dafür aber werden die fein profilierten Rundbögen der vier Glockenton-Öffnungen von kleinen Kapitellen getragen — die Turmspitze wirkt also keinesfalls vernachlässigt. Auch das Dach erscheint ungewöhnlich. Auf das eigentlich die Dachflächen einführende Gesims folgt zunächst ein umlaufender verputzter Streifen — fast als sei das Gesims in lockerer Facon herabgerutscht. Aber der Effekt macht nicht abträglich, kann vielmehr als belebend-retardierend empfangen werden. Ob dieser Verzögerung verzichtet das endlich folgende Dach nämlich auf den markanten Knick. Es tritt als reines Zeltdach auf, das wiederum entgegen der Norm eine kleinteilige Laterne zum Schlusspunkt nimmt. Wir sprachen schon von Kleinsteinbach — auch für diese Laterne kann besagte Kirche als Vorbild gelten.
     Johann Ludwig Weinbrenner setzte mit dieser Kirche das Weinbrenner-Werk geschickt fort. Er hat originell gearbeitet, nirgends plump kopiert. Mit wenigen Gesten, sparsamen Mitteln hauchte er dem Kirchenbau nüchterne Kraft ein.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Ausstellung im Schloss Bruchsal, 21.03.-07.09.2003 "Kirchengut in Fürstenhand. 1803: Säkularisation in Baden und Württemberg. Revolution von oben."; hier wurden auch mehrere Weinbrennerstil-Bauten, obgleich nicht unmittelbar zur Thematik sich fügend, präsentiert; Johann Ludwig Weinbrenner als Baumeister genannt

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