Baukunst in Baden
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Karlsruhe — ein Schauspiel! Gleich Heidelberg, dessen Schloss allzumal, dem Schwetzinger Schlossgarten, dem Freiburger Münster, wurde Karlsruhe weit mehr als ein badisches, ein deutsches, ja auch ein europäisches Ereignis. Karlsruhe gerierte zur Inkunabel schlechthin des barocken Städtebaus.
     Es war ein Traum, so jedenfalls erzählte man sich, eine Vision im Kleinen, zunächst, eines auf europäischer Landkarte unbedeutenden Fürsten einer verschwindend kleinen Markgrafschaft. 1715, von der Welt unbemerkt, legte er den Grundstein für ein Schloss, mehr ein Lustschloss; einige Verwaltungsbauten immerhin könnte man der Baulichkeit zuordnen, so jedenfalls dachte Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach, denn zum Plan des Palastes gehörte ein noch kleines, dafür denkbar klar geordnetes Schema einer Stadtanlage.
     Man durchschwebte die Zeit des Barock; staunte offenen Mundes über das päpstliche Rom, den Petersdom, die Kirchen Berninis und Borrominis, die Botschaft des Glaubens abbildend mit ungekannter Freude; die Fürsten hatten auch ein neues Vorbild, Louis XIV., den Sonnenkönig und sein Schloss — Versailles strahlte über ganz Europa, und niemand hätte auch nur im Traum daran gedacht sich diesem Glanz zu entziehen, Markgraf Karl Wilhelm wohl zuallerletzt. Er nämlich, weit mehr als ihm eingedenk der bescheidenen Möglichkeiten der kleinen Markgrafschaft bewusst, verinnerlichte die städtebauliche Abbildung der modernen Herrschaftsform, des Absolutismus, wie kein anderer; am Ende gar besser als der Sonnenkönig selbst, was durchaus ein Unerhörtes!
     Die grundlegende Idee, der Bezug aller Bürger, damit der ganzen beigeordneten Stadt, die Inszenierung des Königtums des Sonnenkönigs, gelangte durch den Markgrafen zur letzten, nicht mehr zu übertreffenden Steigerung. Das Schloss selbst nämlich, damit natürlich auch der bewohnende Regent, wurde zum Abbild der Sonne, zum Bild der auf die Erde geworfenen Sonne —  geboren ward die Idee der Fächerstadt. Besaßen Versailles und dessen Nacheiferer von der Stadt auf das Schloss zulaufend stets kaum mehr als eine Hauptachse, so nahm sich Karlsruhe deren gleich 32!
     Vom Schloss aus, genauer von dessen Turme, strahlten also gleich 32 Straßen und Wege aus. Kaum ein Drittel war gedacht als Erschließung der ergänzenden Gebäude, alles andere aber durchschnitt den dichten Hardtwald. Natürlich gab es auch hier eine dezidierte Hauptachse, der Effekt aber, zumal vom Schlosse aus betrachtet, war der eines Strahlenkranzes, gleich dem Symbol der lebensspendenden Sonne. Welch Abbild!

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Nicht nur die meisten Strahlen der Karlsruher Sonne, auch das Schloss selbst und die zunächst wenigen Verwaltungs- und Wohnbauten furchten die veritable Wildnis des Hardtwaldes. Vorher nämlich hauste hier alleine das Wild, gejagt gerne auch von den Markgrafen. Durlach, nur wenige Kilometer entfernt war die Residenz, freilich eine daniederliegende, vom Pfälzischen Erbfolgekrieg in Schutt und Asche gelegt, und langsam nur, ärmlich genug wieder erstehend. Auch ein neues Schloss ward über den Trümmern des alten im Aufbau; Großes schon hatte der Markgraf hier im Sinn, Versailles schon fest im Blick. Die Durlacher aber, sie spotteten, verweigerten sich, hielten die leeren Geldsäckel in die Höhe — und sie hatten ja recht, die Ärmlichkeit der Markgrafschaft, zumal nach der unaufhörlichen Drangsal des 17. Jahrhunderts, sie war eigentlich auch dem Markgrafen bewusst. Und das nächste Mal, also für Karlsruhe, würde er die Verhältnisse berücksichtigen.
     Der Schlossbau zu Durlach, ein Seitenflügel nur fand sich fertig, wurde kurzerhand eingestellt — es ging raus in den Hardtwald. Von einem nämlich wollte Karl Wilhelm keineswegs lassen, von der Großzügigkeit einer Schlossanlage. Der Fächer Karlsruhe, so jedenfalls erzählt uns die Sage, war dem Markgrafen im Traume erschienen; eine Vision, der er nun freien Lauf lassen konnte. Brachte das undurchdringliche Dickicht des Hardtwaldes indessen auch manch Fluch auf die Lippen gleich welchen Standes, einen großen Vorzug besaß er ganz von selbst, das Baumaterial, Holz so weit das Auge sah.
     Die Ärmlichkeit nämlich sie drückte tatsächlich, auch beim Schlossbau, einen hölzernen Stempel auf. Es glich einer Kuriosität, Voltaire hätte hier wohl ein Leben zu spotten gehabt (und er kam auch, freilich zu besseren Zeiten); die Anlage, die bald durch den Hardtwald getrieben, hätte kaum großartiger ausfallen können, hätte ohne weiteres Sitz eines Königtums sein können (das Königtum wurde tatsächlich angeboten, aber auch das freilich zu besseren Zeiten). Was aber die Anlage ausfüllte war kärglich genug; Farbe und Putz immerhin übertünchten, erlaubten ein halbwegs passables Bild für Schloss und Stadt. Es war wohl die Zeit des Barock, der aber schlüpfte nur durch die Strahlen des Grundrisses — die Bauten selbst wollten wohl nach ihm greifen, alleine es gelang nicht. Das Schloss wenigstens konnte sich ein wenig des zeitgemäßen Schmucks an die Holzwände hängen. Dem ungeachtet fand man in Karlsruhe die ärmlichste barocke Residenz Deutschlands. 

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Manch fürstlicher "Kollege" knarzte recht entgeistert durch die Schlossräume. Ihnen aber hielt Karl Wilhelm stolz entgegen, er lebe lieber schlecht, dafür ohne Schulden, als über die Verhältnisse des Landes in einem prächtigen Palaste. Das war nicht übertrieben und ein Motto, dem seine Nachfolger wie selbstverständlich folgten — Sparsamkeit gehörtezu den obersten Geboten; entsprechend zeigten sich die Staatsfinanzen, über die man sich, bundesrepublikanisch aufgewachsen, die Augen vor Verwunderung beinahe herausreiben will. Stolz wie Oskar war er trotzdem, Markgraf Karl Wilhelm, zurecht und anerkannt von den fürstlichen Besuchern, der stattlichen Gesamtanlage wegen. Viele der neuerbauten Barockschlösser nämlich standen im Zusammenhang gewachsener Städte, wo sich solch umfassende Geste von alleine verbot (wie ja auch in Durlach) — und die wenigen, die gleichfalls freie Hand hatten, kamen nicht annähernd diesem Geniestreich nahe. Das begründete schon damals, als nur wenige Baublöcke ausgefüllt, den Ruhm Karlsruhes.
     Jedoch aller Begeisterung zum Trotze musste man sich wohl verwundern über den Maßstab der Anlage. Gewiss, ein Geniestreich, ein barockes Schauspiel, aber — beim Zeus! — wer sollte sie eigentlich ausfüllen? Die kleine Markgrafschaft, nach dem Aderlass des 17. Jahrhunderts, hatte alles, nur keinen Überschuss an Bürgern. Deutsche aus anderen Landesteilen wurden angelockt. Religionsfreiheit, kostenlose Grundstücke, Bauholz umsonst. Den einen oder anderen zog's durchaus an, viele freilich fanden sich nicht ein; die Stadt wollte einfach nicht wirklich wachsen. Der Stadtgrundriss, er kam nicht nur großartig, er war auch schlichtweg zu groß für die kleine Markgrafschaft. Mag man Karl Wilhelm wirklich einen Visionär nennen, denn die folgenden Zeiten, sie bestätigten reichlich unerwartet die Richtigkeit seines Vorhabens. Echte Verwunderung scheint geboten, bedenkt man die weitere Entwicklung Badens, die eines nämlich dringend brauchte, nämlich eine Hauptstadt, der es leicht zu wachsen. Wahrlich, das konnte Karlsruhe, lange Zeit noch.
     1771 der erste Schritt. Die baden-badische Line der Markgrafen starb aus und das Territorium um die Hauptstadt Rastatt kam vertragsgemäß an Baden-Durlach, unter die Regierung Karl Friedrichs, Enkel des Stadtgründers. Die Markgrafschaft besaß nun mit einem Schlage doppelte Größe. Auch kam das Land, den Kriegen des 18. Jahrhunderts zum Trotz (welche im Vergleich zum Vorjahrhundert in Baden zumindest beinahe harmlos) immer besser auf die Füße. Dennoch, sehe man's eher als eine Art Vorspiel; gewaltige, zertrümmernde Zeiten nämlich sollten bald schon anbrechen, nicht nur für Baden.
     Die französische Revolution, die Umkrempelung Europas, für Baden und Karlsruhe der zweite, der entscheidende Schritt. Bald griff Napoleon nach Frankreich, bald nach der Weltherrschaft. Und die kleine Markgrafschaft hatte einen überaus geschickten Mann in Paris, den Freiherrn Sigmund von Reitzenstein, seit 1796 badischer Bevollmächtigter.

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Während Markgraf Karl Friedrich immer wieder Skrupel anfielen, auch nachdem er das Großherzogtum längst schon gewonnen, reizte Reitzenstein die Möglichkeiten, man kann es nicht anders sagen, genial aus. Er überzeugte den Markgrafen, und, in diesem Zusammenhang natürlich wichtiger, die französischen Strategen vom Nutzen einer großen badischen Landmasse. Baden also wuchs, wuchs weit über sich selbst hinaus, von 1802-06 weit hoch an den Main und noch weiter runter an den Bodensee. Am Ende fand man Baden um das fünffache vergrößert, einen Mittelstaat, welcher folgerichtig zunächst Kurfürstentum, dann Großherzogtum. Wohl geriet alles noch einmal in Gefahr. Das französische Wunder, verpufft im russischen Winter, Napoleon entzaubert, "la Grande Armée" zerschlagen auf Europas Schlachtfeldern. Die Landkarte, entworfen von Napoleon, ward entsprechend in Frage gestellt, damit auch das Großherzogtum, das freilich am Ende als ein riesiger Truppenaufmarschplatz der Bündnispartner gegen Napoleon wertvolle Dienste geleistet hatte und wiederum geschickt zu verhandeln wusste. Schließlich machte sich der russische Zar für Baden stark, die endgültige Rettung.
     Das Großherzogtum besaß das Territorium eines Mittelstaates. Die kleine Markgrafschaft existierte nicht mehr, wohl aber noch die kleine Hauptstadt Karlsruhe, viel zu gering für die neue Anforderung. Karlsruhe, bedeutend, attraktiv geworden, musste wachsen und zwar schnell.
     War der visionäre Entwurf des markgräflichen Gründers ein erstes außergewöhnliches Glück für die Stadt, so sollte nun der nächste, nur wenig nachstehende Glücksfall zur Hilfe eilen. Auch dieser in Gestalt einer Person: Friedrich Weinbrenner.
     Friedrich Weinbrenner, auch das lustig genug, stammte selbst aus Karlsruhe. Lustig, weil dies den entscheidenden Teil seines Lebenslaufes nur wenig tangierte. Die kleine markgräfliche Stadt hinter sich lassend war er, Mitte zwanzig, ausgezogen die Regeln der Baukunst zu erhaschen. Über die Barockmetropolen Wien und Dresden kam er endlich nach dem ganz auf der Höhe der Zeit stehenden Berlin — hier die moderne Interpretation des Renaissance-Giganten Palladio studierend, zu allermeist aber beeindruckt von den Phantastereien der französischen Revolutionsarchitekten, deren Entwürfe über die damalige Schaltstelle Rom hier ankamen und, bei den Jüngeren zumindest, für Furore sorgten. Weinbrenner leckte förmlich Blut, musste nun unbedingt an den seinerzeitigen Nabel der Architektur-Welt, nach Rom, oder genauer nach dem antiken Rom.

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Die Barockkünste ihrerseits hatten sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts reichlich überlebt, alle aktuelle Tendenzen wiesen wieder auf mehr Nüchternheit - ein Stil, den man viel später erst so treffend benannte, brach sich nun Bahn: der Klassizismus, die (nach der Renaissance erneute) Wiederentdeckung der Antike. Diese aber konnte man in jenen Tagen nirgendwo besser studieren als im mit antiken Ruinen nur so gespickten Rom. Weinbrenner also kam, sah und blieb fünf Jahre, und siegen sollte er auch noch.
     In die Position des badischen Oberbaudirektors (die höchstmögliche Stellung als Architekt, mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen) kam er auf einem veritablen Schlingerkurs, dabei nicht versäumend auch den Hof gehörig vor den Kopf zu stoßen. Der aber, mal wieder weiten Blickes, verzieh ihm, und ab 1800 begann sie dann: Badens Weinbrenner-Zeit. Beinahe 30 Jahre blieben Weinbrenner noch, in denen er ganz Baden einen einheitlichen Baustil gewann und nach Preußens Karl Friedrich Schinkel zum bedeutendsten klassizistischen Architekten Deutschlands aufstieg. So scheint es auch gerechtfertigt in ihm den wichtigsten badischen Baumeister überhaupt zu sehen. Sein Oeuvre, es verteilte sich munter über das Großherzogtum, zumeist aber die nun rasch aufblühende Hauptstadt prägend.
     Für Karlsruhe machte sich Weinbrenner vor allem um drei Hauptmaßnahmen verdient. Die erste der Stadtgrundriss — der barocke Strahlenkranz. Der Oberbaudirektor lies keinerlei Zweifel an seiner Ablehnung des Barockstils, dennoch aber behielt er weise den Grundplan, jene Inkunabel des Barock bei, die notwendigen Erweiterungen stets in dessen Sinne ausführend. Viele andere (gerade die Generationen nach ihm) hätten den Stadtgrundriss hemmungslos abgeändert, gar bekämpft — so ist dieser Verdienst Weinbrenners nicht hoch genug einzuschätzen.
     Die zweite Hauptmaßnahme lag im Entwurf der zahlreichen neuen öffentlichen Gebäuden, allesamt von großer Baukunst, allesamt seiner monumentalen Interpretation der Antike verpflichtet, endlich allesamt der Hauptstadt ein modernes, in Deutschland viel beachtetes Gepräge gewinnend.
     Und drittens, am wenigsten beachtet, dennoch nicht weniger wichtig: Modellvorgaben für die Unzahl der zu erbauenden Bürgerhäuser. Modellvorgaben, nochmals eine Idee des Barock, die Weinbrenner gerne aufgriff, bedeuteten klare Höhen- und Gestaltungsrichtlinien, die für eine homogene Stadtgestalt bürgten.

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Diese drei Maßnahmen, nach Weinbrenners Tod 1826, sorgten für das beste Aussehen, das Karlsruhe je besaß (in Vergangenheit wie Zukunft). Goethe, der mehrfach in Karlsruhe, lobte, und Heinrich von Kleist sah die Stadt "lichtvoll und klar wie Regel". Karlsruhe, im Vergleich zu anderen Hauptstädten immer noch von geringer Größe, war endgültig eine Berühmtheit geworden. Der barocke Strahlengrundriss fand seine Vollendung durch die klassizistische Architektur Weinbrenners. Die Anzahl der Gebäude des neuen Stils, vor allem bei den herausragenden öffentlichen Bauten überwog eindeutig die des Barock, welcher seinerseits dafür den Grundplan bestimmte. Weil die Gebäude unter Weinbrenners Ägide von großer Homogenität, welche ja auch barocken Vorstellungen entsprach, kam es zwischen den scheinbar so gegensätzlichen Ausrichtungen des Barock und des Klassizismus zu keinerlei Widersprüchlichkeit, vielmehr schien alles aus einem Guss. Kurzum die Planstadt Karlsruhe war vollendet.
     Weinbrenner lag das Schicksal Karlsruhes auch über seinen unweigerlichen Tod hinaus am Herzen. Mit den letzten Erweiterungen kam der Strahlengrundriss langsam aber sicher an seine Ende, und obgleich eine große entscheidende Erweiterung während seiner Amtszeit nicht zu realistischer Disposition stand, entwarf er den entsprechenden Plan, welcher die geregelte Ausbreitung der Stadt auf viele Jahrzehnte gesichert hätte und damit auch ihre wunderbare homogene Schönheit. Alles aber sollte anders kommen.
     Nach dem Tode Weinbrenners übernahm sein talentiertester Schüler Heinrich Hübsch. Mit seinen Fähigkeiten stand er seinem Lehrmeister kaum nach — ein Grund zur Hoffnung? Leider nicht, Hübsch nämlich war vor allem an der Implementierung seines eigenen Stils, des nun über ganz Deutschland aufziehenden Romantischen Stils interessiert. Hübsch verwarf Weinbrenner. Überall. Der visionäre Erweiterungsplan Weinbrenners interessierte ungefähr noch soviel wie ein in China umfallender Reissack.
     Wie Weinbrenner schuf Hübsch, wenn auch an Zahl geringer, einige ausgezeichnete Bauwerke für die Stadt. Die Homogenität freilich wurde unterwandert. Viel schlimmer aber der nun einsetzende Wildwuchs der Stadt. Freilich nahm sich dieser unter Hübsch noch einigermaßen harmlos aus; die Stadt wuchs, jedoch unter moderater Geschwindigkeit. Hierfür brauchte es schon die Gründerzeit, welche sich deutschlandweit ab den 1870ern ungestüm Bahn brach; mit ihm der flirrende, unstete Historismus.
     Der alte barocke und klassizistische Stadtkörper wurde nun von einem aus der Erde gestampften Stadtteil nach dem anderen umstellt. Seine Idee verlor mehr und mehr die Kraft, nicht zuletzt weil jetzt auch die homogene niedrige Bebauung der Zentrums Gebäude für Gebäude vom heterogenen, größere Gebäudehöhen suchenden Stil des Historismus ersetzt wurde.

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Nichtsdestotrotz blieb das Stadtbild ein schönes. Um dieses wirklich zu zerstören bedurfte es schon wirklicher Zerstörung. Die 1940er, ein Wahn und seine unvermeidliche Quittung; auch über Karlsruhe — geschlagene 50mal! Am Ende zeigte beinahe die gesamte Innenstadt die skurrile Welt der Trümmerlandschaft, die Bauten Weinbrenners zerstört, das stadtgründende Schloss nur noch als Fassaden-Kulisse. Letzteres hatte man zum Schutze komplett in schwarze Farbe getaucht; getroffen wurde es von den wahllos niederprasselnden Bomben trotzdem — das merkwürdigste Bild, das man sich vorstellen kann.
     Die Stadt musste also wieder aufgebaut werden, zeitgemäß, modernistisch. Die Architektenschaft legte die entsprechenden Pläne vor, Pläne, die ein für alle mal aufräumen würden mit dem "Mief von 1000 Jahren". Was der barocke Strahlenkranz Markgraf Karl Wilhelms oder die klassizistischen Bauwerke Weinbrenners mit den Nazis zu tun hatten? Das blieb das Geheimnis jener tönenden, alles besser wissenden Generation der Wiederaufbau-Architekten. Das Schloss jedenfalls sollte weg, viel schicker wären ein paar Hochhäuser; und die Baublöcke der Stadt — um Himmels Willen — hinfort, Zeilenbauten statt dessen. Karlsruhe hätte aufgehört zu existieren, wäre versumpft zu einer Vorstadt-Siedlung.
     Das aber war den meisten Entscheidungsträgern (oder den wichtigsten unter ihnen, darunter dem Bürgermeister) dann doch zu blöde. Die bedeutsamsten Gebäude immerhin wurden, zumindest dem Äußeren nach (dem für die Stadtgestalt ja Entscheidenden) mühevoll wiedererrichtet, darunter Schloss und Weinbrenner-Bauten; außerdem blieb der Stadtgrundriss weitgehend erhalten, hier und da zwar angefressen von modernistischen Ideen (man steht offenen Mundes vor diesen Geistlosigkeiten, bereit Munchs "Schrei" endlich auszustoßen), aber bis heute gut nachvollziehbar.
     Wer bis dato sich verwunderte über das Ungestüm des gründerzeitlichen Stadtwachstums, der musste beim modernistischen völlig aus dem Häuschen geraten. Wie eine Welle schwappten die Industrie- und Wohnviertel ins Umland — eine Zeiterscheinung, häufig genug emphatisch gefeiert; außerdem notwendig, denn die Stadt wächst nunmehr an die 300.000 Einwohner-Grenze. Ästhetischen Grundsätzen folgte nichts davon — wohl funktionalen und zeitgemäßen, und außerdem war's gut für den Weltfrieden (oder was immer durch die Nacht bringt).

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Der Stern Karlsruhes verglühte, früh genug schon und zunächst unmerklich; und nahm dabei — merkwürdig genug — das Großherzogtum mit sich. Wendepunkt war 1830, die Stadt Markgraf Karl Wilhelms und Friedrich Weinbrenners. Das Talent Hübsches vermochte anschließend noch einiges zu überdecken, dennoch hatte das Pendel schon ausgeschlagen; parallel dazu wurde in den 1840ern das Großherzogtum durch findige Revolutionäre in Frage gestellt. Nach Hübsch — die Gründerzeit — sank die Qualität der Bauten deutlich ab, wurde die Karlsruher Bauschule auf gesamtdeutschem Parkett immer unbedeutender; auch hier die politische Parallele, denn ab 1870/71 hatte man den Großherzog (wie seine fürstlichen Kollegen) zugunsten demokratischer Strukturen de facto entmachtet, so sanft, dass es beinahe niemand merkte. Nach der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg, welche man einseitig der Monarchie, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar nichts mehr zu sagen hatte, anlastete, vertrieb man den Großherzog nach 1848 das zweite Mal aus Karlsruhe, diesmal endgültig.
Das Großherzogtum wurde Republik, das Schloss Museum. Mag man noch so republikanisch gesinnt sein, der Verlust der Residenz war für Karlsruhe zumindest kein Gewinn. Ein Museum, ehrenhaft gedacht, aber ein Ersatz für einen Hof, der durch seine Kontakte beständig für europäische Präsenz sorgt (in beide Richtungen!), war's leider nimmer. Der Schlossgarten im übrigen war lange schon der Öffentlichkeit zugänglich, der Hof also keine sich abschottende Burg, sondern "natürlicher" Teil der Stadt.
In den 1950ern dann der letzte Schlag, Baden vereinigte sich mit Nachbar Württemberg — letzterem, größer und wirtschaftsstärker, gebührte die Hauptstadt-Ehre. Mag man ein noch so glühender Verehrer der baden-württembergischen Idee sein, der Verlust der hauptstädtischen Bedeutung, für Karlsruhe zumindest nicht zu verwinden. Würden nicht ab und an jene berühmten Richter in den noch berühmteren roten Roben über die Mattscheibe flimmern, außerhalb des Landkreises Karlsruhe würde wohl niemand um die Stadt wissen (was überspitzt, ich weiß). Konzession für die Aufgabe des Hauptstadttitels waren nämlich Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht, weshalb nun so mancher Karlsruhe als "Residenz des Rechts" bezeichnet, was immerhin trefflich klingt.
Muss man noch darauf hinweisen, dass parallel zum Bedeutungsverlust Karlsruhes die Gestalt der Stadt, bestimmt vom Modernismus, gleichfalls verblasste? Ich denke nicht.
Nachdem die Grundzüge der Stadtgestalt umständlich zum besten gegeben, soll dieselbe nun genauer, will heißen sollen die schönsten der sie ausfüllenden Bauwerke — kurz genug (zu kurz!) — unter die Lupe kommen.

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        Fortsetzung unter Karlsruhe '2'  (nächste Unterseite)
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