Baukunst in Baden
  Durmershm. Kirche (47)
 



 

Sankt Dionysius in Durmersheim (Landkreis Rastatt)   /   Johann Ludwig Weinbrenner   /   1830

Im recht farblosen Zentrum des heutigen Tages weit wie unansehnlich ausgeuferten Dorfes Durmersheim (nahe Rastatt) müht sich das in rotem Sandstein gehaltene klassizistische Gotteshaus recht erfolgreich um einige Aufwertung der Umgebung. Als Baumeister reüssierte der talentierte Johann Ludwig Weinbrenner, Neffe und Schüler des berühmten Onkels Friedrich. Wie es diesem Architekten gemäß ward dem ansonsten standardmäßig primären Grundtyp der klassizistischen Kirchen Badens eine originelle, individualisierende Geste beigegeben. Primärerer Grundtyp bedeutet einmal mehr, dass der Campanile auf der Vorderseite, den Haupteingang bereit stellend, die symmetrische vordere Querseite des Langhauses mittig durchschneidend. Die besondere Geste erzeigt sich klein genug, nichtsdestotrotz einflussreich genug. Man findet sie in dem großen Dreiecksgiebel über dem Eingang; dabei die ohnehin schon gelungene Inszenierung des Haupteintritts vollendend. Doch bevor auf denselben genauer eingegangen wird, soll ein weiterer besonderer Zug der Vorderansicht herausgestrichen werden.
     Während nun der angezeigte Dreiecksgiebel ohne weitere Parallele im Weinbrenner-Klassizismus (was man bei der zwar wirkungsvollen, trotzdem sehr einfachen Geste kaum wahrhaben will), so kommt die zweite merk-würdige Maßnahme als zwar nicht einzigartiger, dennoch aber seltener Entwurfszug zum Tragen. Man erblickt ihn in der Homogenität des Prospektes der Eingangsseite. Für gewöhnlich (im Weinbrenner-Stil) lebt dieser aus dem Gegensatz detailreiche und konstruktive Turmspitze zu körperhaftem Unterbau des Turmes und gleichfalls körperhaftem Langhaus, wobei den beiden letzteren als weiterer Kontrast Detailreichtum entschieden verwehrt wird (einzige Ausnahme: der Eingang). Die Durmersheimer Ausführung — und das keineswegs zu ihrem Nachteile - legt eine konstruktive Ordnung in Gestalt kolossaler dorischer Pilaster auf die benannte Querseite des Langhauses und dem unteren Abschnitt des Turmes. Dieselbe, in aller Regel nur für die Turmspitze vermutet (hier freilich nicht in kolossaler Ausführung) wird dieser verwehrt. Selbiges gilt der Detailanbringung — relativer Reichtum für erstgenannte Partien, relative Armut für die zweitere. So hat man im Falle des Durmersheimer Gotteshauses also die Umkehrung der Verhältnisse. Weil nun aber nur von "relativ" und keineswegs von "absolut" gesprochen werden kann; also Detailreichtum, bzw. Armut nur bei Vergleichung mit dem Standart der Weinbrenner-Kirchen zu konstatieren ist — vor Ort nichts anderes als ein Aufeinanderzugehen der bezeichneten Partien zu bemerken bleibt, ergibt sich der besondere Zug einer homogenen Ansicht. Oder in Kurzform: die detailarme Gebäudepartie wurde bereichert, die reiche dagegen reduziert — Gleichmaß statt Kontrast.
     Welcher Lösung aber ist der Vorzug einzuräumen? Dem Kontrast oder der Homogenität? Die gegensätzliche Wirkung ist der besondere Verdienst im Bild der Weinbrennerstil-Kirchen, der ganz besondere und individuelle Reiz dieser Stilart; ja der gesamte kraftvolle, monumentale Entwurf dringt förmlich auf diesen Kontrast, findet darin seinen folgerichtigen Abschluss. Dem Kontrast Turmspitze zu Turmunterbau/Langhaus wird also die vorteilhaftere Ausstrahlung attestiert. Freilich entsteht Schönheit, entsteht Baukunst auch jenseits dieser für den Weinbrennerstil idealen Lösung. Und so verbietet sich ein Tadel der Durmersheimer Ausführung von selbst, vielmehr gewinnt man hier ja den auch immer notwendigen Reiz eines alternierenden, vollauf gültigen Entwurfsprinzips (jene Homogenität im übrigen findet ihre Pendants in den Kirchenbauten zu Ötigheim, Oppenau und Auggen — alle gleichfalls Sammlung '2').

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ein Bild

Der Haupteingang, nicht nur dank des in dieser Gestalt für den Weinbrenner-Klassizismus einmaligen Dreiecksgiebel, verdient eingehendere Betrachtung. Tief und hoch schneidet eine Rundbogennische ein — in der Gestalt eines monumentalen Triumphbogens und adäquat für das Bild des Gebäudeeintritts in ein Gotteshaus. Alle gewählte Detailsprache spielt diesem Motiv zu. Der Triumphbogen nämlich wird förmlich gerahmt, von zwei kolossalen Pilaster und dem mehrfach schon angezeigten Dreiecksgiebel. Auch der Bogen selbst gefällt: fein gearbeitet und profiliert, darüber in Abhebung zum umgebenden rohen Sandstein akzentuiert, edel gehalten von zwei kräftigen Kämpfergesimsen. Verbleibt die Ausfüllung der großen Nische: zwei Quadratsäulen tragen mehrere Balkenlagen — das immer effektvolle Bild einer selbstständigen, frei eingestellten Konstruktion. Der Bogen selbst im übrigen klug für ein damit großes Halbkreisfenster freigehalten und der Säulenabstand für den eigentlichen Eingang.
     Setzen wir die Beschreibung der Vorderansicht fort: das Kirchenschiff zeigt keine Öffnungen, dafür zwei Statuen in den Pilasterabständen. Letztere tragen einen hohen Balkenstreifen, der Langhaus und Campanile geschickt formal zusammenbindet. Dann der fast obligatorische hohe Dreiecksgiebel, das Satteldach des Langhauses abschließend und streng durchschnitten vom Turm. Selbiger hat noch einige Öffnungen zu bieten: über der monumentalen Eingangspartie ein Zwillingspaar rundbogiger und hoher Fenster, welche veredelt von einem dritten Dreiecksgiebel der Vorderansicht. Wie dieser gleichsam Variation des wenige Meter unter ihm liegenden bedeutenderen Dreiecksgiebels, so wird auch das Fenstermotiv für die Glockenöffnungen erneut und in Variation auftauchen. Wiederkehr bleibt das entscheidende Moment, denn die auf die Zwillingsfenster folgende Öffnung in Form eines großen Halbkreises findet ihre Entsprechung im Fenster des Triumphbogens. Dann, von einem Gesimsstreifen abgetrennt das Glockengeschoss. Die Schallöffnungen werden von großen Rundbogennischen besorgt, welche Anlass zur Kupplung kleinerer, gleichfalls rundbogiger Öffnungen. Das Turmdach dann die übliche, geknickte Pyramide. Blickt man also von unten nach oben auf die Öffnungen des Turmes, so bemerkt man alsbald die wiederum homogenisierende Wiederholung der Formenmotive: Halbkreisfenster - rundbogiges Zwillingsfenster - Halbkreisfenster - rundbogiges Zwillingsfenster.
     Der runde Öffnungsbogen im übrigen Standart in den 1830ern bis 1850ern. Der auf Friedrich Weinbrenner (verstorben 1826) folgende badische Oberbaudirektor Heinrich Hübsch, wie sein Vorgänger zu den bedeutendsten Baumeistern seiner Zeit zählend, war ein entschiedener Verfechter des Rundbogens und als Oberbaudirektor von entsprechendem Einfluss auf die badische Formensprache.
     Wie fast immer gilt der formale Aufwand fast einzig der Vorderansicht. Entsprechend nüchtern sind die Seitenfassaden des Langhauses von langen Rundbogennischen mit je zwei übereinander liegenden Fenstern rhythmisiert. Die Rückseite hat immerhin die Besonderheit eines gerundeten, als eigener Baukörper auftretenden Chores zu bieten. Das gleiche Bild zeigen die Rückseiten der Gotteshäuser zu Ötigheim und Oppenau (beide Sammlung '2'), welche ebenfalls von Johann Ludwig Weinbrenner entworfen. Der Reiz klar definierter Baukörper gefällt, ansonsten aber herrscht auch hier ungebrochen die Nüchternheit.
     Alle Kraft des Entwurfes geht von der Vorderseite aus, und diese zeigt folgerichtig auf die Hauptachse Durmersheims. Monumentalität und Baukunst für das ansonsten Blasse.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Website
www.jkg-durmersheim.de
; nur Erbauungszeit 1830 genannt, Formensprache aber eindeutig auf Johann Ludwig Weinbrenner rückführbar (außerdem Einzugsgebiet des Bezirksbaumeisters)

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