Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erwuchs im Großherzogtum Baden eine ganz eigene Variation des europaweit dominierenden Klassizismus. Als ihr Initiator trat Friedrich Weinbrenner auf, neben Preußens Karl Friedrich Schinkel zum bedeutendsten deutschen Baumeister dieser Stilepoche aufsteigend.
Der Vorgängerstil, der schmuckprunkende Barock war allenthalben ermüdet, konnte der durch die Aufklärung und mehr noch durch Napoleon heranbrechenden neuen Zeit keine Abbildung mehr leisten. Jene neue Zeiten wiesen auf Nüchternheit, Klarheit und - bedingt durch die napoleonischen Kriegswirren - entschiedene Sparsamkeit. Das galt für Europa, und das galt umso mehr für das neu entstehende badische Großherzogtum.
Exakt zu diesem Zeitpunkt erlangt Weinbrenner, inspiriert von französischer Revolutionsarchitektur, und in Berlin, weit mehr noch am seinerzeitigen Nabel der Welt, dem (antiken) Rom autodidaktisch zum Baumeister ausgebildet, die Stellung des einflussreichen Oberbaudirektors und Hofbaumeisters Badens.
Weinbrenner entwirft eine entschieden zeitgemäße Formensprache, geeignet wie keine andere den Barockstil endgültig als einen nunmehr historischen Stil zu verabschieden. Die neue Zeit, jetzt fand sie auch hier eine fraglos gelungene Abbildung.
Die seinerzeitige, für ein kunstvolles Bauwesen immer kritische Knappheit der Geldressourcen traf auf einen Stilwillen, der aus der Not eine dergestaltige Tugend machte, dass die im Hintergrund wirkende Not in Vergessenheit fallen konnte. Weinbrenners ganzes Formenstreben galt zweierlei Aspekten: zuvörderst dem kraftvollen und monumentalen Ausdruck, dann dem Arrangement bildhafter Fassaden. Beides konnte ohne weiteres, ja vielmehr musste auf ein hohes Maß an immer kostspieligem Fassadenzierrat verzichten!
Der monumentale Ausdruck, welcher dank des weinbrennerschen Talentes nie niederdrückend wirkt, galt den durch den Klassizismus bereinigten Säulenordnungen, als ein Einfluss der Revolutionsarchitektur (und auch der Renaissance-Inkunabel Palladio) aber mehr noch den also erlebbaren Baukörpern. Die aus beidem erwirkten Kompositionen sind kraftvoller, durchaus wuchtiger Natur in statuarischem (weniger dynamischem) Auftreten. Und der bildhafte Ausdruck, der wiederum sehr befördert von Frankreich, vor allem vom “Umsetzer” der Revolutionsarchitektur Claude-Nicolas Ledoux, fand seine Ausführung durch gezielt platzierte Öffnungen und Schmuckelemente, durch eine graphische Behandlung der Fassaden. So kann man wie im Werke Ledouxs auch in den Bauten Weinbrenners die Überführung der beinahe grenzenlos überspannten Revolutionsarchitektur in einen realen (realistischen) Maßstab bewundern.
In all diesem unterscheidet sich das Wirken Weinbrenners stark vom deutschen “Klassizismus-Giganten” Schinkel, der “nur noch” auf die Monumentalität der Säulenordnungen, auf Strenge und Eleganz abzielte. Sehr zum Schaden der Bewertung Weinbrenners wurde der Entwurf Schinkels zum allgemeingültigen Maßstab des deutschen Klassizismus erhoben. Weinbrenner an Schinkel messen aber ist ein grobes Missverständnis.
Mit Hilfe talentierter, eigenständig arbeitender Schüler brachte der Weinbrennersche Klassizismus beinahe überall in Baden zahlreiche Frucht, ja wirkte in seiner Blüte über die Grenzen des Großherzogtums hinaus, wurde also auch für die Baumeister der benachbarten Länder zu einem vorbildlichen Kanon.
Der Stil Weinbrenners kreierte eine leicht erkennbare Variation des europaweiten Klassizismus. Zurecht hat man im Entwurfe Schinkels einen preußischen Klassizismus gefunden - sein süddeutscher “Gegenspieler”, in mancherlei Hinsicht gar konsequenter und ebenso ausgreifend, verdient gleichfalls solch’ aufwertende Spezifikation. Was sich im Großherzogtum unter Friedrich Weinbrenner bahnbrach ist ein badischer Klassizismus.
Die Rechtfertigung dieser Behauptung liefert diese Website. Und alle jene, die darüber vielleicht den Kopf schütteln, oder Weinbrenner als einen unter vielen klassizistischen Baumeistern und ferne von Schinkel sehen, die sind mit dem Oeuvre Weinbrenners und seiner Schüler schlicht nicht ausreichend vertraut. Letzteres aber geschieht leicht. Baden ist Rand von Baden-Württemberg, Rand von Deutschland, und Rändern traut man gemeinhin nicht allzu viel zu - ein generelles Problem badischer Baukunst.
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Folgende Untertitel ließen sich der Überschrift hinzufügen:
> Friedrich Weinbrenner und seine Schüler
> die Kunst des formalen Minimums
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Im Stile Weinbrenners gliedert sich in sechs Abschnitte:
> Einleitung - allgemeiner Überblick über das Wirken und die Entwurfsprinzipien Weinbrenners
> Sammlung 1 - die schönsten 50 Bauwerke des Weinbrenner-Stiles in Baden
> Sammlung 2 - weitere 50 badische Gebäude, die den Eindruck der ersten Sammlung abrunden
> Sammlung 3 - Bauten des Weinbrenner-Stiles, die in benachbarten (Bundes-)Ländern entstanden
> Sammlung 4 - wiederum Bauwerke Badens, in der "zweiten Reihe" stehend, welche für den Liebhaber/Experten ergänzen
> Anhang - die Fussnoten der Abschnitte 1-5 (auch die abgegangenen bedeutenden Bauwerke des Weinbrenner-Stils enthaltend)
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