Baukunst in Baden
  Abschnitt 8
 



 

... Dann aber in den Schlosspark. Oder besser doch noch nicht - besser eignet sich dieser nämlich für den Schlusseindruck! Es fehlt ja noch das oben schon angekündigte “entschieden Unansehnliche”. Und solches am Ende verdirbt denn wieder, sogar noch mehr als am Anfang, den tatsächlich angenehmen Eindruck Donaueschingens. Das Bauen unserer Tage, die Stillosigkeit des Modernismus hat den historischen Stadtkern nicht nur wie allerorts gründlich umstellt, auch im Zentrum selbst hat er die hiesige, nach dem Fürstenhause benannte Brauerei ganz bedenklich anschwellen lassen. Auch das eine Kuriosität Donaueschingens, eine riesige Fabrik mitten in der Stadt! In den hoffnungslosen Peripherien unserer Städte würde man an dem Gebäu recht achtlos vorübergehen, zu allgegenwärtig nämlich diese zeitgemäße Blech-Ästhetik; hier aber, an der Haldenstraße den Drei-Staffelgiebel-Bau und die barocke Achse besichtigend, schlagen einem die riesigen nackten Volumen ganz unerwartet ins Gesicht. Eine dem Auge so seltsame als unerfreuliche Erscheinung, die denn mal wieder die funktionalistische “Wahrheit” von Konstruktion, Form und Material ins rechte Licht rückt. Der unmittelbar benachbarten Baukunst nämlich bleiben solche Lügen Lügen.
Und dass jetzt bitte nicht wieder von Baukosten gejammert wird. Baden nämlich weiß es besser: der Wiederaufbau der am Ende des 17. Jahrhunderts in der Rheinebene wortwörtlich vernichteten Städte geschah unter großer Not und Sparzwang - das galt für Mannheim, Bruchsal, Durlach, Ettlingen, Offenburg, Lahr, Ettenheim, Emmendingen,… ja selbst für Heidelberg, welche heute zu den schönsten Städten der Welt zählt! Echte Baukunst verträgt Sparsamkeit ohne weiteres! Das galt für die wiedererrichtende Barockkunst genannter Städte und das obwohl ausgerechnet der Barock immer als verschwenderischer Stil verschriehen. Und das galt für den Klassizismus des folgenden Jahrhunderts. Friedrich Weinbrenner, einer der größten Baumeister Badens, nämlich konnte trotz der beißenden finanziellen Misere, die die napoleonischen Kriege brachten, eine spezielle Variation des Klassizismus kreieren, der die Sparsamkeit und die Baukunst zugleich höchste Tugend waren. Seine Bauwerke jedenfalls machten überall in Deutschland aufmerksam, kürten ihn hier zu einem der herausragenden Baumeister des 19. Jahrhunderts.
Dass unsere Bauten so aussehen, liegt keineswegs daran, dass sie “nichts” kosten dürfen (was denn vor allem für Industriebauten wie die Brauerei gilt). Das Abstoßende ihres Auftretens liegt einzig an der Vorentscheidung, dem Vorurteil des frühen Modernismus, dass die seit Jahrtausenden gültigen Regeln der Baukunst zu tilgen seien. Entsprechend verschwanden sie ab den 1920ern, nachhaltig.
Keine formalen Regeln (nichts was diese Bezeichnung im historischen Sinne verdient) also auf den unabsehbaren Flächen der riesigen Gebäudevolumen. Der Sieg der Funktionalität, ja gebaute Rationalität wurde und wird uns verkauft. Dabei wissen wir seit Immanuel Kant “Ohne die Erfahrung des Schönen bleibt die Rationalität unerfüllt”[1]. Also doch kein Sieg der Rationalität, sondern eine unerfüllte Rationalität! Und das genau ist es auch, was die unvoreingenommenen Gefühle deutlich zu erkennen geben: “Hier wurde das Schöne nicht eingelöst, die zwischen Fassade und Auge vermittelnde und versöhnende Baukunst wurde nicht eingelöst. Und das auch noch auf solch unabsehbaren Baumassen!” Nein, über die Abneigung, die sich bei solchen Ansichten in uns auftut, sollte niemand verwundert sein. Oder haben wir umsonst Kant?

[1] Scruton, Roger "Kant", Herder/Spektrum, S.114 (Kritik der Urteilskraft)

[aus Beitrag "Donaueschingen"]

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Ostern 1945, wenige Tage also vor der Kapitulation des 12jährigen "Tausendjährigen Reiches", kam das arme Königshofen noch unter die zermalmenden Räder des Zweiten Weltkrieges. Kein Luftschlag, wie andernorts bei solcher Zerstörungskraft zu beobachten, sondern ein heftiges Artilleriegefecht raubte der historischen Stadt nahe Tauberbischofsheim die bauliche Existenz.
Ostern, das Fest der Auferstehung Christi, für Königshofen das Datum des Untergangs. Kaum ein Gebäude blieb verschont, und so musste Königshofen, bereits im Jahre 823 das erste Mal urkundlich gesichert und spätestens seit dem 15. Jahrhundert ob eines 1492 verliehen Marktprivilegs befestigt, regelrecht wiedergeboren werden. Was aber hier ab den frühen 1950ern neuerliche Gestalt annahm, war alles nur keine wunderbare Neugeburt, sondern - dem Baustil der modernen Zeit geschuldet - ein Bild der Gesichtslosigkeit, ja der Hässlichkeit.

Eine Besichtigung der zwar fein im schönen Taubertal liegenden, baulich aber armen Stadt muss das interessierte Auge umgehend ermatten. Theodor Fontane hätte wohl wie folgt gesprochen: "Was auf fast eine halbe Meile hin diesen ganzen Stadtteil charakterisiert, das ist die völlige Abwesenheit alles dessen, was wohltut, was gefällt, in erschreckender Weise fehlt der Sinn für das Malerische."[1] und "Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverän und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe."[2].
Gerne versteckte der Modernismus die Unzulänglichkeit seiner einseitig funktionalen Gestaltung in den Nachkriegsjahren hinter dem Verweis, dass in solchen Notzeiten Bauen unbedingt kostengünstig und deshalb mit bescheidener Gestaltung einhergehen müsse. Aber freilich kamen dann die Gebäude der 1960er-90er keineswegs charaktervoller, sondern weiterhin anonym, ohne identitätstiftende Kraft. Und so sieht es denn aus, das Königshofen des frühen 21. Jahrhunderts: ein Stadtbild bar jeden ästhetischen Charakters. Dem Baustil der Modernismus muss man darüber ganz allgemein eine historische Fehlleistung bescheinigen. Und in der Tat war es ab den 1920ern ein gewagtes Experiment, die seit Menschengedenken existierende Verknüpfung Funktionalität + Baukunst aufzulösen in die Formel: Funktionalität ohne Baukunst! Jeder, der nur halbwegs bei klarem Verstand, kann bei Vergleichung historisches Stadtbild zu modernistischem Stadtbild nur die gewagte Verfehlung, das fragwürdige Experiment des Modernismus konstatieren. Aber freilich, darüber zeigt sich der Modernismus tatsächlich zeitgemäß, wie alles Bauen der Jahrtausende vor ihm. Das heißt, er stellt ohne weiteres ein Abbild der Gesellschaft, unserer geistigen Verhältnisse, der Art wie wir denken, wie wir uns selbst sehen. Das eines der Grundzüge der Bauhistorie, die immer aufs engste mit der Gesellschaft verknüpft: man bekommt was man verdient!
Irgendwann aber ward auch der Autor auf den Kirchplatz gespült, in das letzte Refugium schöner Bauwerke Königshofens. Auch im Mittelalter fand man hier die letzte Rückzugsstätte, in Zeiten kriegerischer Not. Im frühen 21. Jahrhundert statt dessen vor gestalterischer Not._

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[1] Theodor Fontane "Wanderungen durch die Mark Brandenburg - Band 3", Verlag Könemann, 1997, S. 155

[2] ebd., S. 156

[aus Beitrag "Königshofen"]

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Das große Dach aber des unlängst renovierten Gebäudes stellt ein typisches zeitgenössisches Missverständnis vor Augen. Die weitläufigen Ziegelflächen zeigen die sich immer gleiche Perfektion des industriellen Fertigproduktes; nur unmerklich strukturiert es die Ödniss leerer Fläche, die dann auch noch grell-rot dem betrachtenden Auge förmlich entgegenschreit. Man meint es gut, will den historischen roten Ziegel - häufig genug zu beobachten. Die industrielle Perfektion aber hat dessen ursprüngliche Wirkung vollends getilgt. Aus der historischen Hand nämlich, als ein handwerkliches Produkt war die Form keinesfalls millimetergenau und erst recht die Farbe von Ziegel zu Ziegel spürbar changiert. Die alten Dächer zeigten ein lebendiges Bild, mit ihren Ziegeldächern gleichsam das natürliche Blattwerk in rötlichem Schimmer widerspiegelnd. Obgleich die gleichmacherische Perfektion des Industrieproduktes schon seit Jahrzehnten offen am Tage, wird die charakteristische Fehlleistung, eben das Gleichmacherische, das Anonymisierende immer noch zu selten begriffen.
Dieses nun ist umso beklemmender, als darüber der bedeutende Vorzug des Handwerklichen, nämlich das Individualisierende, als spezifisch Menschliches nicht in den Blick kommt. Das Maschinenzeitalter hat den Menschen schon soweit entwertet, dass selbst solch bedeutende Vorzüge kaum noch verstanden werden. Nicht mehr dient die Maschine dem Menschen, mehr und mehr nämlich umgekehrt. Darum auch bildet die gebaute Umwelt, gleich ob man wie das zeitgenössische Bauen (Modernismus) direkt darauf abzielt oder das industrielle Produkt in historischem Sinne einsetzt, den essentiellen Nachteil der Verwischung Mensch-Maschine ab: den Verlust von Individualität, Charakter. Es bedürfte dieser Zeiten der wachsamsten Augen um den Menschen von den elektronischen Revolutionen nicht vollends aufsaugen zu lassen (der schon bald? drohenden genetischen "Optimierung"). Aber mit geöffneten Augen auch wirklich zu sehen, war noch nie des Menschen Stärke; daran vermögen selbst schreiend rote Flächen nicht zu rütteln.

[aus Beitrag "Sulzburg"]

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Auch manch anderer Besucher mag nach Bestaunung der zahlreichen Altäre und der illusionistischen Deckenbemalung, einer prachtvollen Entfaltung des Barockstiles, wie sie in Baden nur mit wenigen Parallelen, den kleinen Park aufsuchen, der sich an die Westseite von Sankt Georg legt. Von hier aus hat man auch die eigentliche Vorderseite mit dem schmuckreichen Hauptportal bestens im Blick. So zwischen den Bäumen sitzend, in der Nähe eine künstlich angelegte Grotte, umschmeichelt vom Grün - blickend auf das Hauptportal, die Verzierungsfülle des Innenraums noch im Geiste, will man die Worte Goethes wie billig bestätigen: "Und so wird uns durch künstlerische Arbeiten nach und nach das Auge so gestimmt, dass wir für die Gegenwart der Natur immer empfänglicher und für die Schönheiten, die sie darbietet, immer offener werden."[1].
Solche Kunstauffassung will uns plötzlich nicht anderes mehr sein, wie die Kehrseite ein und derselben Medaille - und wie dort, so befruchten sich auch hier die beiden Seiten gegenseitig, gehört beides, Natur und Kunst, schlicht und unverbrüchlich zusammen. Also von Natur und Kunst zu gleichen Teilen nachdenklich gestimmt, mag denn auch der Umkehrschluss nicht mehr verwundern: wie wenige begreifen heute die Schönheit der Natur in wirklicher Tiefgründigkeit (fern des oberflächlichen Fast-Food-Genusses) - wie viele aber nehmen die Natur mit aller Selbstverständlichkeit als billige Kloake (machen sogar ein Recht darauf aus!). Nein, da schwindet die Verwunderung, dass solch allgemeiner Geist zu einer allgemeinen Kunst, zu einem neuerlichen Kunststil sich nicht mehr aufzuschwingen vermag. Die Naturzerstörung findet ihr Abbild in nackt-sterilen Funktionsbauten; wo die vorgegebene natürliche Schönheit kaum wahrgenommen, ja missbraucht und zerstört wird, da kann denn auch das Neuentstehende, die zeitgemäße bauliche Umwelt, von echter Schönheit nichts mehr wissen!

[1] Johann Wolfgang Goethe "Italienische Reise", Insel Verlag in Frankfurt/Main und Leipzig, Auflage 1976, S. 528
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[aus Beitrag "Walldürn"]

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