Baukunst in Baden
  Teil I
 

  Einleitung                   Im Stile Weinbrenners

 



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Klassizismus in Baden vor Weinbrenner:   Spätjahr 1797. Friedrich Weinbrenner tritt seinen Dienst als stellvertretender Baudirektor der Markgrafschaft Baden in dessen Hauptstadt Karlsruhe an. Stunde Null des Klassizismus im Stile Weinbrenners für das Land Baden.
     In den vorangehenden Jahren hatte sich der junge Weinbrenner mehrfach durch an den Badischen Hof gerichtete Entwürfe seiner Heimat in Erinnerung gehalten; zuletzt ergriff der (nicht nur) dem Hofe wohl bekannte Philosoph und Theologe Lavater, der Weinbrenner kennen und schätzen gelernt hatte, entschieden Partei für denselben. Markgraf Karl Friedrich, endgültig überzeugt, bot dem gebürtigen Karlsruher die Stellvertretung des Landesbaudirektors Wilhelm Jeremias Müller an. Weinbrenner nahm freudeerfüllt an.
      Markgraf Karl Friedrich und vielleicht mehr noch dessen einflussreicher Minister von Edelsheim erkannten durchaus, welche Möglichkeiten sich dem damals noch kleinen Badischen Hof in der Person des weitgereisten und anempfohlenen Weinbrenner darbot. Während der nicht mehr junge Baudirektor Müller eisern am weiter ermüdenden Barockstil festhielt, brach sich in vielen Teilen Europas der Klassizismus endgültig bahn.
     Auch die Nachbarschaft Badens wusste hierin schon zu gefallen. Die Kurpfalz im Norden ließ durch den hoch talentierten Nicolas de Pigage vor allem für die großartige barocke Schloss- und Parkanlage Schwetzingens [1] eindeutig schon dem Klassizismus verpflichtete Einbauten vornehmen: der Minerva-Tempel, die sogenannten Zirkelbauten, die Moschee, der Apollo-Tempel und endlich künstliche Römische Ruinen befanden sich ganz auf der Höhe der Zeit - auch in Mannheim, der Residenzstadt der Kurpfalz, sah man klassizistische Anklänge, zuvörderst bei der Kirche St. Johannes [2]; schließlich zeigte auch die alte Residenz Heidelberg mit dem Karlstor [3] wiederum von de Pigage eine kraftvolle klassizistische Komposition. Südlich, in der Benediktinerabtei Sankt Blasien (Schwarzwald und Teil Vorderösterreichs) sonnte sich Abt Martin Gerbert gar im Glanze eines der größten (früh-)klassizistischen Werke in deutschen Landen überhaupt, dem wahrhaft beeindruckenden sogenannten "Dom" [4], als dessen Architekt Pierre Michel D'Ixnard (und bei deutlich kleinerem Anteile auch Nicolas de Pigage) wirkte. D'Ixnard schuf mit dem Palais Sickingen [5] in Freiburg (wiederum Vorderösterreich) ein weiteres beachtliches Werk von klarer klassizistischer Prägung.
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[1]-[5], etc.: Fußnoten als Bildnachweise finden sich im Abschnitt
"Anhang"
 

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Weinbrenner aber musste sich freilich erst noch beweisen, und dennoch wurden ihm von Anbeginn große Aufgaben zugeteilt: das Haus des Staatsrats Wohnlich [6],  die Synagoge [7] und vor allem der Entwurf des neuen Marktplatzes, welcher als eine der spannendsten Entwurfsaufgaben Süddeutschlands bereits Größen wie Erdmannsdorf und vorgenannten D'Ixnard herausgefordert hatte.
     Weinbrenner stand offensichtlich in hohem Ansehen - erstaunlich in Anbetracht beinahe völligen Fehlens einer regulären Ausbildung zum Architekten. Weinbrenner war Autodidakt. Wie aber sahen sie aus, die Einflüsse unter denen er sich selbst zum Baumeister erzog?
     
Ausbildung Weinbrenners: 1766, die Geburt Weinbrenners. Alles beginnt wiederum in Badens Kapitale Karlsruhe, der vielleicht genialsten der barocken Stadtschöpfungen, Landschaft und Baublöcke strahlenförmig um das stadtgründende Residenzschloss ordnend. Sie bildet den allgegenwärtigen Hintergrund Weinbrenners Kindheit und Jugend. Als Sohn eines Zimmermanns lässt er sich voller Begeisterung in das Handwerk des Vaters einführen; bereits seit frühesten Jahren involviert, legt er hier den unentbehrlichen Grundstock für das dem Architekten notwendige Wissen um Möglichkeiten der Konstruktion. Weinbrenners Ziele gehen bald über die des Vaters hinaus, zu den Fragen der Ausführung gesellen sich die der Planung, des Entwurfes. Selbsttätig und ohne konkrete Beauftragung hat er zunächst natürlich das barocke Karlsruhe vor Augen, erreicht beim Entwurf im die Heimat prägenden Stil auch passables Niveau. Schon bald aber füllt auch dieses Vorbild nicht mehr aus.
     1790, Weinbrenner ist jung, will hinaus in die Welt, findet schließlich in einem guten Freund hilfreiche Begleitung. Schon damals ahnt er, worauf die Baukunst hinaus will, Weinbrenner hat Paris, hat Ledoux, vielleicht auch schon Revolutionsarchitektur vor Augen. Aber er ist seiner nicht sicher, lässt sich schließlich zum Studium der prachtvollen und noch ganz dem Barockstil verpflichteten Zentren Wien und Dresden überreden. Wien, die Hauptstadt des Deutschen Reiches vermag ihn noch zu beeindrucken (was allerdings weniger für die Architektur gilt - einzig der gotische Stephansdom regt ihn zu eingehenderer Betrachtung ein), in Dresden dagegen atmet er schon Berliner Luft - nach geradezu unverschämt kurzem Aufenthalt vermögen die beiden Freunde der Anziehungskraft Berlins nicht weiter zu widerstehen.

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Berlin, die Hauptstadt Preußens war zwar nicht Paris, aber immerhin "beinahe". Seit bereits einem halben Jahrhundert zeigte sich hier ein Geist am Werke, der die Baukunst immer deutlicher in die Arme klassizistischer Reduktion und Strenge trieb. Von großen Namen ist hier die Rede. Boumann und Büring, deren Interpretation des Römischen Pantheons, die Hedwigskirche, Weinbrenner zweifellos Inspiration lieferte, und Knobelsdorff, der schon 1740 mit dem Opernhaus ein ganz erstaunliches Werk des Neupalladianismus geschaffen hatte, oder auch Gontard, der sich für die Kuppeln der Kirchen am Gendarmenmarkt und die Königskolonnaden verantwortlich zeichnete; schließlich, bei Ankunft Weinbrenners, David Gilly und Carl Gotthard Langhans, letzterer gerade mit dem Bau des Wahrzeichen deutschen Klassizismus' schlechthin beschäftigt, dem Brandenburger Tor (und Weinbrenner persönlich auf der Baustelle herumführte). Berlin befand sich ganz auf Höhe der Zeit - eifersüchtige Blicke Richtung Paris wären schlicht unnötig gewesen.
     Mit dem Neupalladianismus, der preußischen Interpretation der Werke Palladios, des großen italienischen Baumeisters des 16. Jahrhunderts stellte die Stadt ihren modernen Geist aller Welt vor Augen. Spätestens bei dieser Gelegenheit muss Weinbrenner "I quattro libri dell'architectura" von Palladio kennen gelernt und gründlich studiert haben.
     Berlin und Palladio bilden eine wichtige Grundlage für Weinbrenners Schaffen, hier nämlich macht er Bekanntschaft mit der kraftvollen Wirkung von Baukörpern, von Gebäuden, die bei sparsamen Fassadenschmuck die Ecken ganz freihalten und so einer körperhaften Ausstrahlung zutragen. Für Weinbrenners Entwurf ein entscheidender Schritt.
     Der fortschrittliche Geist Berlins bewies sich selbst und lies noch mehr zu: eine "brandneue" Strömung in der Baukunst - Revolutionsarchitektur. Man gab sich offen genug die Gedanken der architektonischen Führungsmacht Frankreich zuzulassen. Ledouxs und Boullees raumformende Utopien machten die Runde - spätestens Weinbrenners Berliner Freund, der Architekt und Maler Genelli hatte Drucke dieser neuen atemberaubenden Entwürfe von der "Schaltstelle" Rom nach Berlin überführt.
     Dem jungen Weinbrenner geben sie Anlass zu einem ungeheuren Befreiungsschlag, zum entscheidenden Moment der Inspiration. Quasi über Nacht gelangt er zum entwickelten Architekten - die Menge der Entwürfe, die er endlich und ab diesem Moment produziert, werden zum architektonischen Programm, das er zeitlebens verfolgen sollte: die beinahe haarsträubende Kraft und Monumentalität der französischen Phantastereien findet Übertragung in die Realität, in die Machbarkeit  baulichen  Handelns. 

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Nicht mit einem einzigen Entwurf erlaubte sich Weinbrenner die Utopie im Sinne französischer Avantgarde - nein, Weinbrenner wollte den bauenden Architekten und gewahrte schnell, dass Fragen der Ausdrucksstärke nicht durch schiere Größe beantwortet werden.
     Weinbrenner handelte entsprechend, er entwarf entsprechend. Er verbrachte nur ein halbes Jahr in Preußens Hauptstadt, doch die zahlreichen Entwürfe, insbesondere der protestantischen Stadtkirche für den Marktplatz Karlsruhes (wie alle Entwürfe im Grunde ohne Hoffnung auf Realisierung) weisen ihn fortan als zwar noch ein wenig "rauhen" aber bereits erstaunlich reifen Architekten aus - tatsächlich hätte er bereits nach Berlin seinen Dienst für den badischen Staat antreten können.
     Doch der bescheidene Weinbrenner sieht sich selbst noch nicht so weit. Er hatte sich berauschen lassen von palladianischem und französischem Zeitgeist - das war schon etwas, doch es blieb ohne Fundament. Wo man sich dieses Fundament am besten aneignen konnte wusste in diesen Tagen jeder. Winkelmann und Goethe (um nur die wichtigsten zu nennen) hatten die "Ewige Stadt" in unerreichte Sphären gehoben - alle profunden Fragen schienen dort die Antwort zu finden, die architektonischen allzumal. Weinbrenner musste nach Rom.
     In Begleitung neuer Freunde hastete Weinbrenner 1792 förmlich nach Rom. Nicht weniger als fünf Jahre sollte er Italien und dabei zuvörderst die ewige Stadt genießen, aber für die Stationen zu ihr: Como, Mailand, Genua, Pisa und Florenz hielt er rückblickend zwar Lob bereit, den Aufenthalt in ihnen jedoch kürzte er auf weinige Wochen. Wie sehr er zu diesem Zeitpunkt "seinen" Palladio schon verinnerlicht hatte, beweist die Tatsache, dass er dessen Städte (Hauptwirkorte) Vincenza und Venedig nicht einmal, wie die vorgenannten, streifte.
     Endlich fand sich Weinbrenner in Rom, am (nicht nur) der Kunst gewidmeten Nabel der Welt. Die preisenden Worte der Kunstkenner im Ohr und vor allem Piranesis übersteigerte Stiche vor Augen kann die Stadt mit seiner überhitzten Vorstellung zunächst jedoch nicht Schritt halten. Weinbrenner stutzt einen kurzen Moment, doch nur um die notwendige Ruhe zu finden für das sich anschließende Studium der unüberschaubaren Anzahl der (baulichen) Kunstwerke unter denen vor allem die Epoche des Römischem Imperiums Weinbrenners Aufmerksamkeit an sich zieht. Ihnen liegt eine innere Größe zu Grunde, die keiner Übersteigerung bedarf - über den Zeitraum von fünf Jahren sollte sie sich zu einem ungemein breiten Fundament ausbilden für das erst anschließend einsetzende bauliche Wirken.

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In Berlin hatte sich Weinbrenner vor allem für die griechisch-dorische Ordnung interessiert - das sollte sich nun sehr ändern, in eine Nebenrolle fallend musste sie im Oeuvre Weinbrenners die römischem Ordnungen passieren lassen. Berlin und mit ihr Karl Friedrich Schinkel blieben in der Interpretation der griechischen Antike, Weinbrenner dagegen erlag der römischen (Ausnahmen bestätigten diese Regel nur).
     Rom und Umgebung lehrten Weinbrenner das architektonische Detail, gleich ob Säulenordnungen, Fensterrahmungen, Gesimse oder Dreiecksgiebel, alles wurde akribisch aufgenommen und fand sich hernach in Karlsruhe und Umgebung, schließlich überall im Badischen wieder.
     Viel wichtiger aber sind Fragen der Komposition des Gebäudevolumens. Wenn zuvor gesagt wurde, dass sich die überhitzten Vorstellungen abkühlten, so stimmt das nicht zur Gänze. Seine Berliner Entwürfe und nicht minder die überwältigenden der Revolutionsarchitekten blieben im Geiste bei der Betrachtung der zahlreichen römischen Ruinen, von denen der Zahn der Zeit meist nicht mehr zurückgelassen hatte als nackte Mauermassen. Zu seiner Übung fertigte Weinbrenner mehrere zeichnerische Rekonstruktionen bedeutender Bauwerke, die allesamt nicht dem, wie man heute besser weiß, feingliedrigen und keinesfalls schmucklosen Aussehen verpflichtet sind, sondern dem von ihm in Berlin kennen und schätzen gelernten körperhaften und wuchtigen Ausdruck.
     Dieser findet sich freilich auch in Rom, allen voran in der gewaltigen Rotunde des verehrten Pantheons (oder auch der Engelsburg) und wurde von Weinbrenner (durchaus einseitig) zuungunsten der feingliedrigen Anlagen des Forum Romanum und anderer Foren preferiert. Letzteren brachte Weinbrenner nicht minder großes Interesse entgegen, jedoch trieb ihn bei diesen vor allem die Detailschulung um. So jedenfalls hat man bei Betrachtung des späteren baulichen Schaffens für das Großherzogtum Baden zu interpretieren. Weinbrenner geizte nicht gerade mit Säulenvorhallen und Dreiecksgiebeln, wichtiger blieb ihm zeitlebens aber der kraftvolle Ausdruck wuchtiger Massen.
     Reisen nach den von Weinbrenner gleichfalls verehrten Orten Pompeji, Neapel und Paestum, dessen gut erhaltene (gross-)griechische Tempel mit ihren "monströs" proportionierten Säulen Weinbrenner in seinem Streben nach dem kraftvollen Ausdruck nur bestärken konnten, runden nebst zahlreicher kleinerer Exkursionen das "italienische Bild" ab.

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Die Napoleonische Unterjochung Europas hatte begonnen. Französische Truppen nähern sich Rom. Dort macht sich als Folge ein kaum differenzierender Fremdenhass breit. Weinbrenner entgeht nur knapp einem hinterhältigen Anschlag. Hatte er sich kurz zuvor noch mit dem Gedanken getragen für immer in der innig geliebten Stadt zu verbleiben, fürchtet er nun um sein Leben. Kurze Zeit später bricht Weinbrenner auf. Ziel Heimat.

Anfang in Karlsruhe: Nun ist er also Bauinspektor, Assistent des Baudirektors Müller, Beamter im Dienste des badischen Hofes. Er verdient nicht gerade üppig und sieht sich konfrontiert mit allen Nachteilen, die eine solche Anstellung mit sich führt. Er ist "nur" zweiter Mann, entsprechende Rechenschaft schuldig. Gewiss, man hatte ihm große Aufgaben anvertraut, aber der Alltag im damals kleinen Karlsruhe bleibt doch trocken für jemanden, der noch kurz zuvor in der Weltstadt Rom ein freies Künstlerleben genossen hat. Zu guter letzt sorgen die schmucklosen wuchtigen Bauten bei der den Louis-XVI-Stil Müllers gewohnten Bürgerschaft Karlsruhes für Irritationen.
     Weinbrenner war mit viel Vorschuss-Lorbeeren gestartet, doch nun stößt er den badischen Hof vor den Kopf; er legt 1799 kurzerhand sein Amt nieder, zieht bald darauf nach Straßburg. Der ansonsten immer geradlinige Weinbrenner verliert sich selbst, für den von Sieg zu Sieg eilenden Napoleon und dessen französische Republik Republik entwirft er überspannte Vorschläge für Denkmäler - mit Gewalt will er sich bei der Macht der Stunde ins Gespräch bringen, nimmt hierfür gar die französische Staatsbürgerschaft an. Ferner liebäugelt er mit einer Anstellung am Hofe des Königreiches Hannover. Nur langsam kommt der mittlerweile 30jährige wieder zur Ruhe, hilfreich sicherlich auch die in dieser Zeit vollzogene Heirat.
     Dann stirbt in Karlsruhe Wilhelm Jeremias Müller - Markgraf Karl Friedrich und vor allem dessen Gemahlin Reichsgräfin von Hachberg beweisen Größe und enormen Weitblick, verzeihen Weinbrenners ungebührliches Verhalten und bieten ihm die vakante lukrative Stellung an. Und lukrativ war sie tatsächlich geworden, von Napoleons Gnaden sollte sich die kleine Markgrafschaft Baden schon bald in das vierfach größere Großherzogtum Baden verwandeln. Karlsruhe wurde mit einem Male Hauptstadt eines nicht unbedeutenden Mittelstaats! Hierfür zeigte sich das markgräfliche Karlsruhe viel zu klein; um ein großherzogliches zu werden bedurfte es eines gehörigen Stadtausbaus mit neuen Vierteln und einer Vielzahl öffentlicher und höfischer Gebäude. Auch an der Realisierung des Marktplatzes, für welchen Weinbrenner entsprechende Entwürfe ja bereits geliefert hatte, kam das "neue Karlsruhe" endgültig nicht mehr vorbei. Weinbrenner verzichtete auf Hannover und damit auf ein deutlich höheres Gehalt - seiner Heimat konnte und wollte er sich in diesem Moment nicht entziehen. Ab August 1800 beginnt sie nun wirklich, Badens Weinbrenner-Zeit!

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Und diesmal sollte Weinbrenner dem auf ihn gesetzten Vertrauen vollauf gerecht werden; der badische Hof hatte sich einen hoch motivierten Architekten gesichert, dessen Engagement nur als allumfassend bezeichnet werden kann. Für die kommenden Aufgaben musste freilich auch eine Neuorganisation des badischen Bauwesens her - hierfür bot ihm Karlsruhe noch kaum Ressourcen, Weinbrenner stand zunächst isoliert. Immerhin konnte er einige von ihm bereits ausgebildete Schüler gleich mitbringen; die folgenden entstammten dann seiner schnell eingerichteten Bauschule, für die er in Ermangelung entsprechender Materialien auch noch die seinen Vorstellungen gemäßen Lehrbücher entwickelte.
     Die beinahe unüberschaubare Anzahl von Bauaufgaben vereinnahmt Weinbrenner vollends - aber das Großherzogtum ist mehr als nur seine Hauptstadt, als Land mittlerweile beachtlicher Ausdehnung vom Main bis zum Bodensee bedarf es eines geregelten Bauwesens. Weinbrenner weiß darum, entsprechend implementiert er ein effizientes System, das der Autor gerne als "System Weinbrenner" bezeichnen will. Dem Baudirektor Weinbrenner selbst verbleibt "nur" die Hauptstadt nebst Umgebung, die zwei neuen Unterbauämter Mannheim und Freiburg bleiben ihm zwar gleichfalls verantwortlich, können aber, die fähigsten Weinbrenner-Schüler an der Spitze, im Grunde frei agieren, natürlich im Rahmen der Verpflichtung Architektur nach Weinbrenners Gestaltungsprinzipien zu entwerfen. Weinbrenner vertraute seinen Schülern also, von Eifersüchteleien gerade in Anbetracht wichtiger Bauaufgaben, die in diesem System auch den Schülern zwangsläufig zukommen, wird niemals die Rede sein.
     Von einem anderen Schlage sieht man zum Beispiel Karl Friedrich Schinkel an der Spitze des preußischen Bauwesens. Schinkel lies sich bei öffentlichen Baumaßnahmen die Baupläne zu einer Art Korrektur oder Verbesserung vorlegen, was dem einen oder anderen im ausgedehnten Königreich Preußens oft Hunderte von Kilometern entfernten Architekten manches Unbehagen bereiten musste.
     Das System Weinbrenner war ein effektives und es produzierte dankbare Schüler - noch 15 Jahre nach dem Tode Weinbrenners entstand unter ihrer Leitung Architektur in dessen Stil, obgleich der neue Baudirektor Badens Heinrich Hübsch entsprechend eigener differierender Vorstellungen von Architektur längst und konsequent Abkehr forderte.

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Die Schüler und Architekten mit dem größten Talent, die zu Lebzeiten Weinbrenners und darüber hinaus in Entsprechung zu Weinbrenner (in Baden) Gebäude entwarfen waren die folgenden: Christoph und Friedrich Arnold in Karlsruhe/Freiburg, Hans Voss in Lahr/Offenburg/Freiburg, August Schwarz in Bruchsal, Johann Thierry in Heidelberg und Johann Friedrich Dyckerhoff in Mannheim. Neben Weinbrenner selbst werden Ihnen vor allem diese Namen in der der Einleitung folgenden Aufstellung der Bauwerke im Stile Weinbrenners immer wieder begegnen. Allesamt blieben dieser Stilrichtung treu, niemand aber nahm die Vorstellungen Weinbrenners sklavisch, weshalb die Bauten genannter Schüler neben der Weinbrenners auch immer die eigene und gut verfolgbare Handschrift tragen. In ihren leitenden Positionen schufen sie diese in den aufgezählten größeren Städten, aber auch in den ihnen zugeordneten ländlichen Regionen.
     Landauf, landab entstand nun Architektur im Stile Weinbrenners, die auch auf die Nachbarn Eindruck machte. Der Klassizismus Weinbrenners strahlte über die badischen Landesgrenzen hinaus! Man bediente sich dessen Formenvokabulars, gleich ob in der unter bayrischer Obhut stehenden Pfalz (heute Rheinland-Pfalz), dem zu Frankreich zählenden Elsass, im Königreich Württemberg oder im Großherzogtum Hessen, das mit dem hochtalentierten Weinbrenner-Schüler Georg Moller den Ausbau der Hauptstadt Darmstadt nicht unähnlich der Karlsruher Aufgabe in Angriff nahm.

Architektonisches Programm: Wie sah es also aus, das architektonische Programm, das gestalterische Ziel, das Weinbrenner ab dem Jahre 1800 mit Hilfe seiner Schüler im Großherzogtum Baden verfolgte?  Im Stile Weinbrenners zu entwerfen bedeutete zuvörderst die abrupte Abkehr vom malerischen, lustvollen und spielerischen Barock-Stil, hin zu nüchterner Ausdrucksstärke und im Grunde kompromissloser Monumentalität, die entweder auf der wuchtigen, kraftvollen Wirkung unverstellter Baukörper beruhte oder von aller Verspieltheit befreite Säulenordnungen zur Anwendung brachte.
     Weinbrenner machte aus seiner Gesinnung keinerlei Hehl: "Ich kenne keine Stadt, worauf schon so viel Millionen Privatvermögen, so viele 100.000 Staatsgelder in einem Zeitraum von 14 Jahren verwendet wurden und die doch noch in ihrer Hauptpassage einen so widerlichen Eindruck veranlassen wie Karlsruhe." Damit belegte er zu Beginn seiner Amtszeit als Baudirektor die unruhig bebaute Lange Straße (heute Kaiserstraße) Karlsruhes, sich störend an den verschiedenen Gebäudehöhen und nicht minder am eingesetzten Stil - dem Barock.

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