In manchen dörflichen Regionen gab es fortan ein aufregendes Schauspiel zu beobachten. Durchreisend sah man vor allem einen munteren Wechsel von barocken und klassizistischen Kirchen, die als eindeutig dominierende Bauten der kleinen Ortschaften förmlich einen Architektur-Wettbewerb veranstalteten. Beide warteten mit großen aber gänzlich verschiedenen Qualitäten auf, trotz häufig identischer Verteilung der Baukörper Kirchturm und Kirchenschiff. Und so konnte man sich in einem Dorfe des lustvollen Spiels der Oberfläche und schon im nächsten des kraftvollen Emporstrebens erfreuen, anschließend wieder barockem Feinsinn und eine Ortschaft weiter erneut weinbrennerscher Wucht und Kargheit begegnen, weitere Wiederholungen inbegriffen.
Nun soll ein ganz eigener Gebäudetyp zur Anschauung kommen, der gleichfalls mehrfach im Oeuvre Weinbrenners und seiner Schüler auftaucht, der aber nicht wie die vorgenannten mehr oder weniger in Kontinuität zur Bauhistorie steht, sondern der tatsächlich als eine echte Neuschöpfung, als originelle Entwicklung Weinbrenners zu gelten hat.
Hierbei handelt es sich um das urbane Eckgebäude, das bei zwei durchaus verschiedenen Ausführungen zur letztlich gleichen Wirkung gelangt. Die erste, einfachere, für die zu beschreibende Wirkung aber umso effektivere Variante begnügt sich mit der Abrundung der Ecke und der hierbei noch wichtigeren Anbringung eines über die Gebäuderundung hinweglaufenden Balkons. Die zweite, auffälligere besteht aus zwei Seitenflügeln, die durch einen runden turmartigen Baukörper, der formal als Gelenk fungiert, verbunden sind. Blickt man in die vorangehende Bauhistorie, so wird das Originelle dieser Neuschöpfung leicht deutlich. In Mittelalter, Renaissance und Barock wird man zweier grundsätzlicher Typen gewahr: entweder stoßen an der Gebäudeecke schlicht zwei Fassaden aneinander oder aber man findet eine veredelnde Akzentuierung (z. B. Erker oder Eckpilaster), die also die Gebäudeecke als ein Detail oder appliziertes in sich ruhendes Element begreift. Bei Weinbrenner wurde aus diesem Detail/Element im Falle der zweiten Variante ein eigens definierter Baukörper, der die "Gebäudeumlenkung" zu einem Thema ausruft, dergestalt, dass er durch seine Rundung zwischen zwei ebenso als eigene Baukörper auftretende Seitenflügel vermittelt.
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Kurzgesagt, aus einem Gebäude werden optisch drei Gebäudekörper, deren wichtigster, weil auffälligster der Turm ist. Diese Konzeption bedeutet nicht weniger als die Einführung eines Gebäudetyps mit Über-Eck-Wirkung, eines Typus', der also nicht mehr (in erster Linie) durch die Fassaden sondern durch die um die Blockecke führende Baukörper-Anordnung seine (ausgezeichnete) Wirkung erzielt! Auch im Falle der ersten einfacheren Ausführung entsteht dieser neue Ausdruck. Auch hier hat das Stadthaus somit aufgehört einzeln über die beiden Fassadenflächen zu wirken. Die Geste der gerundeten Ecke und des über sie hinweglaufenden auffälligen Balkons bindet diese nämlich zusammen und lässt die Wirkung des Baukörpers in den Vordergrund treten.
Dieser Typus fand in seinen beiden Varianten zwar einige Verbreitung, welche aber nur zum Teil in die heutige Zeit hinübergerettet werden konnten. Das vorliegende Buch kann für die erste einfachere Ausführung nur noch zwei Beispiele belegen, für die zweite immerhin noch vier. In Karlsruhe, wo diese Erfindung ihren Lauf nahm standen Typ zwei angehend gleich derer drei: eines von Weinbrenner selbst (Museum) [15] und zwei ordentliche Kopien von Friedrich Arnold (ein Privatgebäude [16] und das Ständehaus [17]). Feuerbrunst und Weltkrieg ließen keines übrig. Wie beliebt dieser Typus bei der Bevölkerung war, zeigt sich darin, dass die für die Neubauten verantwortlichen Architekten genötigt waren auf diesen zurückzugreifen. Weinbrenners Museum entstand in einem neoklassizistischen und Arnolds Ständehaus in einem modernistischen Gewand wieder. Beiden jedoch geht der urtümliche weinbrennerhafte Charme ab - dem einen weniger, dem anderen mehr.
Gerade letztere, die noblere, markantere Ausführung wirft die Frage nach möglichen Inspirationsquellen auf. Der Typus kann seiner Wirkung nach zweifelsohne als eine Neuschöpfung gelten und weckt dennoch manche Erinnerung an bereits Dagewesenes. Zum Beispiel an die mittelalterlichen Wasserschlösser, welche die Burgecken gerne mit Rundtürmen besetzten; auf seinen Reisen hatte Weinbrenner sicher zahlreiche gesehen. Oder, und das scheint noch interessanter, an eine bestimmte Art barocker Palais, welche sich durch Lust am Formenspiel, durch den die Ornamentfläche leitenden Schwung, zu einem runden Corps de Logis bewegten. Hier könnte man mehrere Beispiel anführen, der Autor begnügt sich mit nur einem, dem dafür aber bekanntesten: Friedrichs des Großen Sanssoucis zu Potsdam, welches Weinbrenner natürlich kannte, bei Gelegenheit seines Berlinaufenthalts vielleicht sogar mit eigenen Augen gesehen hat.
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[15]-[17] Fußnoten als Bildnachweise finden sich im Abschnitt "Anhang"
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Mit ein wenig Phantasie kann Sanssoucis' Corps de Logis (auf der Terrassenseite) gleichfalls als eine Art formalen Gelenks zwischen zwei in diesem Falle in einer Flucht angeordneten Seitenflügeln gedacht werden. Tat Weinbrenner nicht mehr als einen der beiden Flügel um 90 Grad zu drehen und alle Partien entsprechend der gewünschten über die Blockecke hinweglaufenden Wirkung zu gestalten? Am Ende selbst hier das Moment der Kontinuität? Aber das bleibt Spekulation, und soll der tatsächlich originellen Komposition Weinbrenners keinen Eintrag tun.
Zentren des Klassizismus in Baden: Nach kaum 30 Jahren als bauender Architekt vollendet Friedrich Weinbrenner 1826 die "irdische Laufbahn" (wie dem Großherzog vermeldet wurde). Im vom Lehrmeister inaugurierten System konnten dessen Schüler immerhin noch 10-15 Jahre den erlernten Stil zur Anwendung bringen. Dem Klassizismus in der Manier Weinbrenners waren somit insgesamt 40 Jahre beschieden - wenig im Vergleich zu den vorangehenden Stilrichtungen, viel dagegen zur dann einsetzenden "Stiljagd". Letzten Endes haben die 40 Jahre gerade ausgereicht um für das Großherzogtum eine wenn auch bescheidene Flächendeckung zu erreichen, welche sich, wie dargelegt, in erster Linie dem Kirchenbau verdankt. Einige Landstriche mussten mit nur wenig Weinbrenner auskommen, andere dagegen konnten sich größerem Umfanges erfreuen. Unter letzteren kam es sogar zu einer regelrechten Ausbildung von Zentren. Der Klassizismus im Stile Weinbrenners bildete drei regionale Zentren aus. Konnte man deren erstes durchaus absehen, denn immerhin bildete das bereits mehrfach erwähnte Karlsruhe die auszubauende Hauptstadt eines Großherzogtums, so war das zweite in Baden-Baden kaum zu erwarten, schließlich verdankte das bis dato kleine und nach der totalen Zerstörung von 1689 (Pfälischer Erbfolgekrieg) nur notdürftig wieder errichtete Städtchen seinen ungeheuren Aufstieg der erst im 19. Jahrhundert Bedeutung erlangenden Eigenschaft als Kurort. Aber selbst letzteres gilt wenig gegenüber dem dritten Zentrum, dessen Entstehung nicht anders denn als faustdicke Überraschung gefeiert werden kann: der Kaiserstuhl!
Jedes Zentrum bildete dabei einen ganz eigenen aber stets modernen Charakter aus. Karlsruhe war einzig dem urbanen Umfelde gewidmet, wobei eine residenziale Planstadt aus feinsinnigem Barock und kraftvollem Weinbrenner-Stil entstand. Baden-Baden dagegen erbaute sich zwar gleichfalls in urbanem Kleide, bezog aber ebenso die reizvolle Landschaft mit ein, die als Teil des Nordschwarzwalds die Stadt mit bereits hohen Bergen umgibt.
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Der Kaiserstuhl als wahrlich merkwürdiges Zentrum entsagt urbanen Ideen zur Gänze und nutzt den aufregenden mitten aus der Rheinebene aufragenden Höhenzug zum wunderbarsten landschaftlichen Hintergrund für die große Anzahl der hier gemäß Weinbrenner entstandenen Kirchen. Für die Zentren Karlsruhe und Baden-Baden zeichnete sich vor allem Weinbrenner selbst verantwortlich - sie können zweifellos als die Hauptwirkorte des Meisters gelten. Auf dem Kaiserstuhl, das dem Unterbauamt Freiburg zugeordnet, "regierte" dagegen dessen Leiter Christoph Arnold.
Nachfolge Weinbrenners: Nach dem Tode Weinbrenners musste die Stelle des Oberbaudirektors natürlich neu besetzt werden. Großherzog Ludwig war sich der Qualitäten Weinbrenners offenkundig bewusst und wünschte dessen neben Heinrich Hübsch talentiertesten Schüler Georg Moller zum Nachfolger. Moller wäre genau der richtige Architekt gewesen; ohne sich sklavisch an die Vorgaben seines Lehrers zu halten hatte er dessen Stil in einer ganzen Reihe beachtlicher Bauten als dessen Hofarchitekt für das Großherzogtum Hessen (z.T. auch für das Herzogtum Nassau) zur Geltung gebracht. Leider lag genau hierin zugleich das Problem - Moller wollte weder den hessischen Großherzog noch sein umfangreiches und weiter zu ergänzendes Werk für Darmstadt (damalige Hauptstadt des großherzoglichen Hessen) verlassen. Moller sagte ab. Großes Pech.
Nun fiel die Wahl des Großherzogs auf Heinrich Hübsch, welcher zwar hoch begabt, aber der Architektur seines Lehrmeisters und einer entsprechenden Kontinuität in Stilfragen ganz offen kritisch gegenüberstand. Karlsruhe (und zunehmend ganz Baden) hatte nach nur 30 Jahren den nächsten großen Stilumbruch zu erleiden. Der Klassizismus Weinbrenners ging unter, aber immerhin, Hübsch zeigte sich tatsächlich talentiert. Zusammen mit dem "späten" Schinkel, dem mit Hübsch befreundeten bayrischen Hofbaumeister Friedrich von Gärtner und auch Gottfried Semper wurde er zum Hauptrepräsentanten des neuen "Romantischen Stils", der sich als originelle Mischung italienischer Renaissance und deutscher Romanik zu beachtlicher gestalterischer Qualität aufschwang. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bereits Weinbrenner erste Impulse für den neuen Stil leistete; Bauwerke wie vor allem der gotische Turm zu Karlsruhe [18] (abgegangen), Schloss Eberstein [19] oder die Meierei Bauschlotts fußen bei Weinbrenner-typischer Körperhaftigkeit und Kargheit entgegen der eigentlichen Vorliebe für die (römische) Antike auf mittelalterlichem Formengut.
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Weinbrenner und die Gotik: An dieser Stelle bietet sich die Gelegenheit, einige Worte zu verlieren über den Umgang Weinbrenners mit der Gotik, der in vielem den damals in Deutschland zu beobachtenden Versuche mit dieser Stilart entsprach.
Die Verunglimpfung des Werkes Weinbrenners setzte bald nach dessen Tod ein, und die Zahl von Schülern, die bereit waren dieses durch Werk und Wort zu verteidigen nahm gleichfalls beständig ab. Langsam brach sich auch eine tatsächliche Neu-Gotik als eigene Stilrichtung bahn, eine Stilrichtung, die nichts anderes im Sinne führte als eine möglichst detailgetreue Übernahme des mittelalterlichen Formenguts. Es entstand ein Stil, der einigermaßen uninspiriert einzig danach strebte möglichst originalgetreu zu kopieren. Dabei entstanden ob der Grandesse des Stiles der ursprünglichen Gotik zwar durchaus beachtliche Werke vor allem auf dem Gebiete des Kirchenbaus, die aber letztlich hinter den Kathedralen, Domen und Münstern des Mittelalters weit zurückhinken. Maßwerkfenster und Fialen mögen sich wohl kopieren lassen, aber keineswegs der mittelalterliche Geist, der diese Baukunst in einer Mischung aus über Jahrhunderte gewachsener und entsprechend profunder Bauhütten-Tradition und einen Wagemut sondergleichen in im Grunde unerreichbare Höhen getrieben hatte. Die Neo-Gotik besaß weder Tradition noch besonderen Wagemut, allenfalls den Mut hemmungslos zu kopieren. Architekten oder Kunstkenner, deren Namen im Gegensatz zu dem Weinbrenners heute niemand mehr kennt, fühlten sich berufen, Weinbrenner vorzuwerfen, dass er in Anbetracht seiner "kümmerlichen" gotischen Versuche den Stil der Gotik nicht begriffen hätte - was zugleich den Vorteil besaß, das Oeuvre Weinbrenners insgesamt zu verunglimpfen. Einem Architekten, der das großartige Konzept der Gotik derart missversteht, dem kann man auch insgesamt tiefergehende Fähigkeiten absprechen. Und in der Tat, gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollte niemand mehr etwas wissen von den "nackten" "prachtlosen" Bauten Weinbrenners.
Weinbrenner hatte die Gotik natürlich verstanden, hatte die Kathedralen zu Strassburg, Freiburg und Wien sogar eingehend studiert und von seiner Begeisterung für sie (und auch dem romanischen Dom von Speyer) keinen Hehl gemacht. Dennoch sah er in ihnen nicht das entscheidende Vorbild - dieses erblickte er vielmehr in der Antike, welche er nach seinem Geschmack von Wucht und körperhafter Monumentalität interpretierte und weiterentwickelte. Trotzdem "bediente" sich Weinbrenner das eine oder andere Mal auch bei der Gotik, doch immer nur dergestalt, dass er ihr Formengut für seinen spezifischen Ausdruck adaptierte.
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Verwendete Weinbrenner Gotik, bedeutete dies nicht das Streben nach Auflösen der Gebäudemasse in unzählige filigranste und gen Himmel strebender Bauteile, sondern einfach eine Bereicherung seines Formenvokabulars. Der Wunsch nach klaren Baukörpern, kraftvoll und massig blieb immer bestehen. Das ist die wirkliche Baukunst, Formen einer nach ganz anderem Gebäudeausdruck strebenden Stilart dienstbar zu machen für die neue Ausrichtung der Architektur - und dementsprechend entstanden bei der Gotik Weinbrenner originelle Bauten ohne Vorbild in der Bauhistorie (gleiches gilt z.B. für die Gotik Schinkels). Das soll weniger wert sein als (schlechtes) Kopieren?
Heinrich Hübsch: Das Talent in Heinrich Hübsch lies leider runde 10 Jahre auf sich warten und produzierte zunächst einen merkwürdig anzusehenden Zwischenstil gefangen zwischen Ideen Weinbrenners und dem tatsächlichen Romantischen Stil! Welch' Gegensatz zu Weinbrenner, der vielleicht schon nach Berlin, spätestens aber nach Rom als Architekt mit vollendeter Stilausbildung seine Stellung in Karlsruhe antrat. Zwar findet man bei ihm Unterschiede zwischen Früh- und Spätwerk, beide jedoch sind von gleicher Grundkonzeption und entsprechender Qualität getragen. Das Frühwerk war noch stärker von seinen Studienjahren geprägt, hatte demnach einen Hang zum Urwüchsigen, zum Brachialen, welcher sich im Laufe der Zeit zugunsten feinsinnigerer Anschauungen abschwächte, jedoch nie auf den typischen kraftvollen und wuchtigen Ausdruck von Monumentalität verzichtete.
Wie dem auch sei 10-15 Jahre nach Amtsantritt zeigte sich, dass Heinrich Hübsch mit nicht geringer Begabung ausgestattet, einzig eine Phase der Stilfindung für sich beansprucht hatte, und nun schuf er ein beeindruckendes Bauwerk nach dem anderen [20]. Hübsch baute sehr viel, vor allem Kirchen, und viel mehr als vor ihm Weinbrenner. Für Heinrich Hübsch ein Glücksfall, weniger jedoch für die Hauptstadt Karlsruhe. Zwar schuf er auch hier mehrere tadellose Bauten - alles andere aber vernachlässigte der "Baulustige": seine Stellung als Oberbaudirektor Badens, die Funktion des Leiters von Weinbrenners Bauschule (hier wurde er gar entlassen!) und vielleicht am schlimmsten die städtebauliche Erweiterung Karlsruhes. Die von Weinbrenner erdachte visionäre Süderweiterung hatte keine Chance mehr. Auf realistischen Voraussetzungen fußend wurde sie dennoch ohne gleichwertigen Gegenentwurf einfach fallengelassen. Die Planstadt war am Ende und als typische Entwicklung zunehmend dem "Wildwuchs" überlassen.
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Weiterentwicklung: Hübsches Romantischer Stil zeigte bei aller Qualität auch einen unübersehbaren Rückschritt, einen Schritt zurück zum "Verkleidungsstil" (wie er auf freilich andere Weise auch dem Barock zu eigen war). Mit der Abkehr vom Klassizismus hatte auch der Baukörper, oder besser dessen unverstellte Wirkung als Körper, ausgespielt. Heinrich Hübsch hängte wieder und zweifellos mit großem Geschick deutlich mehr Schmuck an die Fassade. Ein Vorbild das schnell Schule machte; die in atemberaubender Geschwindigkeit abgespulten nachfolgenden Stile: (einseitig) italienische Neo-Renaissance, deutsche Neo-Renaissance (als Ausdruck zunehmenden Nationalstolzes), Neo-Barock (die Prunkbedürfnisse vor allem des Parvenu-Bürgertums befriedigend), für Kirchen Neo-Romanik und Neo-Gotik, schließlich der gerne auch als Neo-Rokoko auftretende Jugendstil, erstickten die Idee des Baukörpers unter einer Flut (häufig erfolglos) nachahmender nur wenig erbaulicher Ornamente.
Nach leisen Anklängen im Jugendstil, sich langsam steigernd im Neo-Klassizismus z.B. eines Peter Behrens' kam diese Grundidee architektonischen Schaffens, die u.a. von Weinbrenner kultivierte Wirkung des Baukörpers erst wieder in der Strömung der Klassischen Moderne ( "Neues Bauen" ) zum Vorschein. Deren forsch auftretende Architekten beanspruchten bei nur vagen Hinweisen auf die tatsächliche Urheberschaft die Wirkung des unverstellten Baukörpers durchaus als eigene "Entdeckung". Eine der Architektur ureigenste Idee hatte nach Jahrzehnten der Leugnung nun ausgerechnet dem Modernismus die Tore geöffnet (der Baukörper in gewiss beachtlicher skulpturaler Ausformung genügte den Modernisten allerdings schon nach kurzer Zeit nicht mehr).
Weinbrenners Architektur wird gerne und sicher nicht zu Unrecht hinter die Leistungen Karl Friedrich Schinkels und Leo von Klenzes klassifiziert. An also dritter Stelle, auf sicher ehrenvoller Position, bringt man ihr, gerade im das Großherzogtum Baden umfassenden Gesamtwerk auch seiner Schüler, im Regelfall dennoch selten die entsprechende Würdigung entgegen. Um Weinbrenners Werk zu verstehen, muss man dessen monumentale Wirkung "am eigenen Leibe erfahren", vor Ort in Augenschein nehmen. Auf Fotografien jedenfalls kann der Ausdruck wuchtiger Massen dieser "Revolutionsarchitektur im Kleinen" schlechterdings nur geahnt werden - hier kommen die "schnittigen" strengen Werke Schinkels und von Klenzes eindeutig besser zur Geltung.
Weinbrenners Schaffen galt keiner Großstadt und auch keinem zweifellos gewichtigerem Königtum sondern einem (heute kaum mehr bekannten) Mittelstaat mit kleiner Hauptstadt, der, schließlich im Kunstprodukt Baden-Württemberg verschwunden, zu einem von Kennern der Architektur nur selten besuchten Randgebiet abstieg. Auch das sollte man bedenken.
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_ Quellen 1) die Bauwerke Friedrich Weinbrenners und seiner Schüler - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung vor Ort, soweit die Gebäude erhalten sind
2) Friedrich Weinbrenner "Denkwürdigkeiten", Braun Karlsruhe 1958 (Herausgeber Arthur von Schneider)
3) Arthur Valdenaire "Friedrich Weinbrenner: Sein Leben und seine Bauten", C. F. Müller Verlag, 4. Auflage Heidelberg 1985 (im Original: Braun Verlag, Karlsruhe 1926)
4) Wulf Schirmer "Friedrich Weinbrenner 1766-1826", Verlag C.F. Müller Karlsruhe, 2. Auflage 1982
5) Dieter Dolgner "Die Architektur des Klassizismus in Deutschland", Verlag der Kunst Dresden 1971
6) Dieter Dolgner "Klassizismus", E.A. Seemann Verlag Leipzig 1991
7) Tilman Mellinghoff, David Watkin "Deutscher Klassizismus: Architektur 1740-1840", Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989
8 ) Nerdinger, Philipp, Schwarz "Revolutionsarchitektur, Ein Aspekt der europäischen Architektur um 1800", Hirmer Verlag München 1990
9) Wundram, Pape, Marton "Andrea Palladio", Benedikt Taschen Verlag Köln, 1999
10) Rolf Toman "Klassizismus und Romantik", Könemann Verlag Köln, 2000
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