Baukunst in Baden
  Teil III
 

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Die beiden Stile traten formal gegeneinander an, in der Frage des Oberflächenmaterials aber blieben sie gleichgesinnte.
     Weinbrenner sah sich vom Barockstil gleichsam herausgefordert. Er verachtete dessen typisches Mansarddach, sah sich jedoch bei Betrachtung von dessen spannungsvollen Dachlandschaften verpflichtet. Ergo "purifizierte" er schnörkelnde, verspielte Linien um seinerseits nüchterne aber durch die monumentale Wirkung reiner Dachkörper imposante Dachlandschaften entstehen zu lassen.
     Renaissance, Barock und Klassizismus interpretierten entsprechend der selbst gesetzten Schwerpunkte die Architektur der Antike. Da konnte es gar nicht ausbleiben, dass Grundelemente wie Säulenreihen, Dreiecksgiebel, Pilaster, Gesimse, etc. in jeder der drei Stilarten auftauchten. Die Stile gelangten hierin zwar zu wahrnehmbaren Unterschieden, die sich aber beim Vergleich zu den wirkliche Gegenentwürfen der großartigen Gotik oder des zweifelhaften Modernismus beinahe in "Erbsenzählerei" verlieren. Was Weinbrenner hier tat, geriet unter Zuhilfenahme der römischen Lektionen zu schlichter "Purifikationsarbeit". Alle Stilmittel, die der Künstler einsetzte waren gleichfalls Elemente barocker Fassaden. Schließlich scheute er sich auch nicht vor direkter Übernahme, gerade im Falle der Säule. Die barocke Säule trat (nicht nur) im Raume des späteren Großherzogtums stets unkanneliert auf. Weinbrenner adaptierte diese Eigenschaft, obwohl er in Rom überwiegend kannelierte Säulen notiert hatte. Die Unkannelierte besitzt einen weniger strengen und mehr körperhaften Charakter. "Körper-Freund" Weinbrenner musste also nicht lange reflektieren um seine Wahl zu treffen: die "weiche" barocke Säule (unkanneliert) statt der strengen römischen (kanneliert). Zum Glück hatte Weinbrenner auch in Rom unkannelierte Säulen erfasst (z. B. am Pantheon) - Gewissenskonflikt konnten ausbleiben!
     Friedrich Weinbrenner setzte auf wuchtige Massenwirkung und monumentale Ausdrucksstärke, welche auf den ersten Blick einen aufregenden Kontrast zur barocken Umgebung konstruierten. Die Mittel hierfür finden sich durch die römische "Reinigung" hindurch ebenso im Barock. Wenn dieses dem Betrachter ob der weinbrennerschen Ausdrucksstärke auch nicht auffiel, so verspürte er das geheimnisvolle verbindende Element dennoch und bescheinigte Karlsruhe anno 1830 eine beachtliche Homogenität.

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Das Bindeglied zwischen dem Salz der repräsentativen öffentlichen Bauten und dem Fleisch der Stadt, den durchaus kargen, nach Modellentwurf gefertigten Wohn- und Geschäftsgebäuden des einfachen Bürgertums, lieferte der Typus des Stadtpalais'. Das Stadtpalais für Adelige oder verdiente (gut verdienende) Bürger bildete eine leicht ersichtliche aber dennoch moderate Monumentalität aus und stand damit ziemlich genau zwischen der beherrschenden Monumentalität Weinbrenners großer urbaner Werke und den dieser Eigenschaft beinahe zur Gänze absagenden modellhaften Bürgerhäusern. Stadtpalais spielten für die Gestalt Karlsruhes gerade dann eine wichtige Rolle, wenn weit und breit keines der bedeutenden Gebäude zu finden war und "modellmäßig" bebaute Straßenzüge Opfer anonymen Wesens zu werden drohten.
     Der Grundtypus des Stadtpalais war alles, nur keine Erfindung Weinbrenners, vielmehr bestand er in direkter Übernahme des barocken Vorbilds. Im vom Historismus und Modernismus überrumpelten Karlsruhe hat sich noch eines der maßgebenden Beispiele erhalten können: das sogenannte Schwedenpalais [12].  Dessen formale Geschichte ist schnell erzählt: per Walmdach gedeckter dreigeschossiger Baukörper - das untere als Sockelgeschoss definiert, schiebt symmetrisch einen Mittelrisalt aus der Straßenfassade (die Partien rechts und links desselben zu kurzen Seitenflügeln deklarierend), wobei sich der (moderate) monumentale Ausdruck auf genannten Risalit konzentriert und zwar in Form einer kolossalen (zweigeschossigen) Pilasterreihe (vier Interkolumnien), welche einen Dreiecksgiebel trägt.
     Weinbrenner verbannte das verspielte Moment - purifizierte - und übernahm ansonsten haarklein. Stadtpalais dieses Grundtyps gefallen durch ihr vornehmes, Horizontale und Vertikale austarierendes Wesen - landauf, landab verschönerten sie bald Badens Städte. Dennoch bildeten sie kaum mehr als eine purifizierte barocke Variante - kurzum, sie ließen den typischen Effekt Weinbrenners missen, das ausdrucksstarke (bildhafte) Moment. Damit konnte der Künstler kaum zufrieden sein und so entwarf (vor allem) er eine nicht geringe Anzahl von Sonderlösungen [13],  die weit mehr an seinen Rom-Aufenthalt als an das barocke Vorbild erinnerten. Allesamt originelle Entwürfe, denen jedoch die Bombennächte 1942-1945 die Existenz raubten - einzig das Haus Weltzien überlebte. Leider erlitten auch die Beispiele des Grundtypus' bis auf wenige Ausnahmen dieses Schicksal.
     Der Typus Stadtpalais bietet gute Gelegenheit auf die Purifizierung von Baukörper und architektonischem Detail genauer einzugehen. Der Baukörper sollte bekanntlich zur Geltung kommen - das bedeutete möglichst viel "leere" Fassadenfläche (durch Verzicht auf beinahe jedweden Schmuck) und freigehaltene Gebäudeecken durch Weglassung der die Fassaden seitlich abschließenden Pilaster oder Lisenen.
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[12], [13] Fußnoten als Bildnachweise finden sich im Abschnitt "Anhang"
 

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Die  Pilaster  (im Falle des Stadtpalais' den Mittelrisalit strukturierend) hatten weitgehend auf die Basis zu verzichten und mussten die Kapitelle auf  zurückhaltende Ordnungen - dorisch oder bestenfalls ionisch - einschwören. Das Gebälk wurde ebenso wie der Dreiecksgiebel von "unnötigem" Zierrat und natürlich den typischen barocken Verkröpfungen gereinigt. Die Giebelfläche verpflichtete sich ruhiger, eben leerer Fläche, die allenfalls kleine, gezielt gesetzte Fenster zu verkraften hatte. Weinbrenner hielt an der Fenstereinfassung fest: lustvolle Schnörkel mussten freilich gehen, statt dessen stand ein umgedrehtes (eckiges) "U" einigermaßen spröde auf der gleichfalls steinernen Fensterbank. Je nach finanziellem Spielraum des Auftraggebers konnten mehr oder weniger ausgeprägte Profilierungen zum Einsatz kommen, allerdings nur in streng geometrischem Sinne rechtwinkliger Abstufungen - das Vorbild hierfür liefert wieder Rom, namentlich der Vesta-Tempel in Tivoli. Wie gesagt, Weinbrenner unternahm zahlreiche Detailstudien in der ewigen Stadt. Auch Balkenverdachungen auf Rollwerkkonsolen blieben Bestandteil der Fassade - die Balken verloren die zahlreichen Abstufungen und die Rollwerkkonsolen wiederum die lustvollen Schnörkel. Giebelverdachungen verschwanden dagegen beinahe völlig: der Segmentbogen als barockes Wahrzeichen war ohnehin chancenlos und der Dreiecksgiebel kam nur noch selten (meist zur Betonung von Eingängen) und bei blockhafter (übergangsloser) Verschmelzung von Gebälk und Dreieck als eine "abstrahierte" Form zur Anwendung. Endlich hatten die für Weinbrenners Architektur wichtigen, da der horizontalen Wirkung zuspielenden Gesimsbänder als schlichteste (gerne breite) Gurte im Regelfall der (im Barockstil zahlreichen) Rückstufungen zu entsagen.
     Ein gleichfalls wichtiger Baustein Karlsruhes bildete das sogenannte Modellhaus, auf welches Weinbrenner gerne zurück griff, entsprach dieses doch ganz seiner Konzeption der gestalterischen Einheit (in der Vielfalt) für das unvermeidliche Fleisch der Stadt, dem bürgerlichen Wohnhaus.
     Wir sehen Weinbrenner auch hier in Kontinuität mit einer Entwicklung, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der alten Residenz Durlach ihren Anfang nahm und in der neuen Karlsruhes Fortsetzung fand, dem markgräflichen Wunsch nach gestalterischer Harmonisierung des Stadtkörpers mit Hilfe des barocken Modellentwurfs entsprechend. Diese entsprach damals ganz dem Zeitgeist - auch der badische "Bruder", die Markgrafschaft Baden-Baden ließ die residenziale Planstadt Rastatt durch Modellgebäude auffüllen; nicht anders die benachbarte Kurpfalz in Mannheim oder der württembergische Herzog in Ludwigsburg; und, in die Ferne schweifend, Friedrich der Große in Preußens Potsdam.

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Die Bürgerhäuser nach Modellvorstellung Weinbrenners, der hierfür Gestaltungsspielregeln und die Geschossanzahl vorgab, dürfen keinesfalls losgelöst vom Gesamtkonstrukt Planstadt betrachtet werden. Diese waren im Regelfall nämlich der Zurückhaltung verpflichtet, um die wichtigsten Gebäude der Stadt: Kirchen, Adelssitze, Rathäuser, oder Amthäuser in ihrer Monumentalität zu steigern. Die hieraus resultierende Kargheit des Fassadenbildes gerät bei Betrachtung im Einzelfall zu zwar disziplinierter, formal anständiger, aber nicht zu wirklich ergreifender Gestalt. Dreiecksgiebel, Säulen und Pilaster konnten, weil der stets begehrten Baugnade (eine Art Baukostenzuschuss des Staates) abträglich, nur vereinzelt zum Einsatz gelangen. Freilich sollten auch die kargen modellmäßig bebauten Straßenzüge ihren Höhepunkt, ihren Blickfang besitzen. Wenn hierfür weder monumentale öffentliche Gebäude oder zumindest Stadtpalais mit edelmütigem Pilaster-Portikus bereit standen, durfte auch das einfache Bürgerhaus Aufwertung beanspruchen.
     Der Regelfall sah dagegen ruhige, gleichmäßig gereihte Lochfassaden ohne auffällige Symmetrie (Mittenbetonung), verteilt über zwei bis maximal vier Geschosse, das untere zumeist als Sockelgeschoss ausweisend und das oberste gerne, zumindest was die Größe der Fenster betrifft, mezzaninartig. Das im Stadtkörper nur schwer zu erfassende Dach blieb einfachster Sattelform verpflichtet und gefällt in erster Linie durch die plastischen Balkenkopf-Gesimse. Auf Fassadenschmuck wurde weitgehend verzichtet, einzig die Öffnungen des Piano Nobile erhielten neben einfacher Steinrahmung immerhin Balkenverdachungen auf Rollwerkkonsolen.
     Das modellhafte Bürgerhaus kam nur in Karlsruhe selbst zu flächendeckendem Einsatz - die anderen Städte Badens hatten schlicht keinen der Kapitale entsprechenden Baubedarf, beschränkten sich zumeist auf das Füllen von Baulücken. In Karlsruhe dagegen wurden es zum Grundbaustein der um 1830 so beachtlichen Homogenität der Hauptstadt. Da außerdem eine nicht geringe Anzahl öffentlicher Bauten und Stadtpalais entstanden waren, und, wo notwendig, modellhafte Straßenzüge Aufwertung im Einzelfall erhielten, konnte sich die Homogenität der in diesem Fall nicht ungefährlichen Monotonie erfolgreich erwehren.
     Der Kirchenbau wurde zum Träger der klassizistischen Formensprache schlechthin. Er war es nämlich, der den Stil Weinbrenners über das gesamte Großherzogtum verbreitete, endlich auch ländlichen Gegenden Frucht brachte.

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Letztere erlebten, ebenso wie die Städte, nach den Drangsalen mit und gegen Napoleon einen moderaten Aufschwung, ließen in den unzähligen Dörfern aber entweder noch Fachwerkbau oder entsprechend dem urbanen Bürgerhaus modellhaft karge Gebäude zum Zuge kommen. Ausdrucksstarker Weinbrenner-Stil blieb dagegen Fehlanzeige. Da kam erst der den Unterbauämtern direkt unterstellte Kirchenbau zu Hilfe -  Mannheim und Freiburg oder die Zentrale Karlsruhe lieferten die aufregenden, aber immer der Sparsamkeit verpflichteten Entwürfe, die dem Stil der Zeit schließlich landesweite Geltung verschafften.
     Auch beim Kirchenbau leistete Weinbrenner große Purifizierungsarbeit. Diesmal jedoch nicht um wie beim Grundtypus des Stadtpalais' ein "halbbarockes" Gebilde vorzustellen, im Falle der Kirchen gelangte er zum ureigenen Wesen seines Stiles, zu monumentaler Ausdrucksstärke auf "rauhen" wuchtigen Baukörpern.
     Weinbrenners Vorgehen ist verblüffend. Tatsächlich sind beinahe alle eingesetzten Mittel im barocken Kirchenbau vorhanden und wurden ganz gezielt "bereinigt" um den ihm eigenen kraftvollen Ausdruck zu vollbringen. Die Grundkonzeption, das Arrangement des Gebäudekörpers übernahm er sogar direkt - dies ist leicht ersichtlich und legt zumindest die Vermutung nahe, dass er ganz bewusst Kontinuität suchte. In der Kategorie des Kirchenbaus reichte diese Kontinuität sogar über den Barock hinaus bis weit ins Mittelalter. Weinbrenners große Kirchenschöpfungen in Karlsruhe  - Evangelische Stadtkirche und Sankt Stephan - außenvorlassend, betrifft sie namentlich die Komposition den Kirchturm als ersten definierten Baukörper an eine der beiden Querseiten des zweiten klar definierten Baukörpers, des länglichen Kirchenschiffs zu platzieren - ein Vorgehen, das im Raume des späteren Großherzogtums landauf landab über die vielen Jahrhunderte (zurückgehend bis zur Romanik) nur selten Variation fand, etwa in Form der Zweiturmanlage oder der Situierung des Kirchturms an einer der Längsseiten.
     Weinbrenner geht jedoch direkt vom barocken Vorgänger aus. Das Kirchenschiff hat natürlich den Verlust jeglichen Fassadenschmucks zu erleiden. Zurück bleibt ein nackter wuchtiger Körper mit mehr oder weniger langen und gerne tief eingeschnittenen (nischenartigen) Rundbogen-Fenstern. Weinbrenners gleichfalls vorhandene Zuneigung für die Gotik hätte im Fall dieser Öffnungen durchaus Spitzbogen-Fenster erwarten lassen - gerade im Kirchenbau hätte gotischer Anspruch zu guter Geltung kommen können. Aber der Künstler verzichtet. Statt Spitzbogen also der Rundbogen, der in seiner Anspruchslosigkeit immer an frühromanische Kargheit und stärker noch an allen Zierrats beraubte römische Ruinen mit ihren tiefen Rundbogen-Öffnungen erinnert, sich aber nichtsdestotrotz in direkter Formkontinuität zum Barock bewegte.

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Neben reicher Verzierung erfuhr der Kirchturm des Barockstils mehrfach horizontale Zäsuren, durch den Schleier des Ornaments den latenten Eindruck einer Stapelung der Geschosse weckend. Weinbrenner verzichtete auf mehrfache Gliederung zugunsten ein klar ablesbaren Zweiteilung, wobei der deutlich längere untere Abschnitt in erneuter Kargheit und der körperlichen Wirkung verpflichtet den niedrigeren Anteil des Glockengeschosses trägt, welches gedeckt per Zeltdach, für weinbrennersche Verhältnisse geradezu über einen Reichtum an Details verfügt. Das Glockengeschoss besitzt zudem in aller Regel durch vier kraftvolle Eckpilaster, die ein umlaufendes Gebälk und schließlich das Zeltdach tragen einen schnell ersichtlichen konstruktiven (in Bauteile zergliederten) Charakter, der in feinem Kontrast zur unteren körperhaften Strecke steht.
     Der Gesamtausdruck versetzt in Erstaunen. Der Baukörper des Kirchenschiffs wird in einer spannungsreichen Geste vom Baukörper des unteren Turmabschnitts kraftvoll durchdrungen. Ein monumentales Massenschauspiel - und darüber, auf dem "Turmsockel"  stehend und in weite Fernen blickend, die im Detail anspruchsvolle Turmspitze, die die ihr zukommenden Funktionen veredelt und ihnen höchste Geltung verleiht, dem Hall der Kirchenglocke und dem das Turmdach bekrönende Kreuz Christi.
     Im Kirchenbau Weinbrenners unterscheidet der Autor drei Grundtypen. Primärer und sekundärer Grundtyp beruhen auf vorangestellter Beschreibung - einziger Unterschied: der Kirchturm des primären Ansatzes steht auf der Vorderseite (gleichzeitig die Funktion des Haupteingangs wahrnehmend), der des sekundären findet sich indes ohne Eingang auf der Rückseite der Kirche. Weinbrenner stiftete beide Vorbilder und in Scherzheim (primärer Grundtyp) und Kleinsteinbach (sekundärer) bezeichnenderweise schon für zwei kleine Dörfer. Der tertiäre Grundtyp als kapellenartige Kirche mit Dachreiter statt Turm geht auf einen der ersten Weinbrenner-Schüler Christoph Arnold zurück. Einige Jahre seinem Lehrmeister in Karlsruhe zur Hand gehend wird er auch die Kirche im Stadtteil Hohenwettersbach [14]  gesehen haben. Als zurückhaltende barocke Kapelle kann sie ihrer Gestalt nach als direktes Vorbild für Arnold tertiären Grundtyp gelten. Möglicherweise fand er die notwendige Inspiration auch an anderer Stelle, denn diese Art barocker Kapellen erfuhr im 18. Jahrhundert landesweite Verbreitung.
     Nach dem Tode Weinbrenners brach sich im Großherzogtum ein vor allem durch dessen Nachfolger Heinrich Hübsch zur Abgrenzung gegen seinen Lehrer aufgebrachtes und zunehmend verallgemeinertes Klischee bahn, dass die Gestaltung der Kirchen unangebracht, da auf "heidnischer" (griechischer und römischer) Formensprache fußend und nicht wie ja eigentlich von Nöten auf christlicher, demnach auf (früh-)mittelalterlicher.

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Auch auf dem Gebiete der Kunst, wenngleich weitaus weniger bekannt wie auf dem der Politik, schreckte man nicht davor zurück eigene - in diesem Fall die Architektur angehende - Vorstellungen religiös zu verbrämen!
     Man moralisierte, verquickte geschickt die eigene preferierte Formenwelt, die glücklicherweise zunehmend auf mittelalterlichen Vorbildern basierte, mit religiösen Anschauungen und konnte den Kirchen Weinbrenners tatsächlich einen herben Schlag versetzen - sie galten bald als verpönt und konnten keineswegs mehr Vorbildfunktion einnehmen (manche Kirche wurde in dieser Zeit äußerlich oder im Innenraum entsprechend umgestaltet). Mit christlicher Anschauung hatte diese Intoleranz freilich nichts zu schaffen. Die höchste Form der Ausübung, das Gebet, die Zwiesprache mit dem dreieinigen Gott als eine einzig geistige und nicht im mindesten an den Raum gebundene, hat sich letztlich sogar dagegen zu erwehren, dass Äußerlichkeiten gleich welcher Art Einfluss nehmen auf den rein innerlichen Prozess. In diesem Sinne lässt sich natürlich auch in den Kirchen Weinbrenners ausgezeichnet Gottesdienst feiern. Auch das Äußere der Kirchen erwehrt sich mit Verweis auf das oben sattsam besprochene Moment der Kontinuität erfolgreich gegen das Klischee einseitiger plötzlicher Übernahme heidnischen Formenguts.
     Schließlich soll nicht verschwiegen sein, dass sich gerade die äußere Formgebung ganz ausgezeichnet zur Darstellung christlichen Glaubens eignet; namentlich der kraftvolle Ausdruck, der sich vor allem im emporsteigenden Kirchturme manifestiert, welcher sich in seinem vertikalen Zuge nicht einmal vom schweren (durch die tiefen Fensternischen schwer wirkenden) Kirchenschiff aufhalten lässt, und darin - zumindest doch für Christen - ein vortreffliches Symbol darstellt für die wunderbare und besser noch siegreiche Auferstehung Christi, welche als gleichfalls emporsteigende Bewegung aus dem Totenreich mit dem Zwischenaufenthalt Erde (als Zeugnis) zur Himmelfahrt führend begriffen wird. Das kraftvolle Richtung Himmel strebende Motiv kann vor diesem Hintergrund als vortreffliches Abbild persönlicher christlicher Hoffnung gelten, die über das Irdische hinausgehend für das eigene unweigerliche Ende im Diesseits nicht den Tod sieht, sondern eine von unvorstellbarer Kraft gewirkte Wiederauferstehung, welche gleichfalls als vertikale Tendenz den Himmel zum Ziel nimmt.

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Das Thema der natürlich auch lobenswerten barocken Kirche war (entgegen leibfeindlicher Klischees) eine ungeschminkte und vollauf berechtigte Begeisterung für das irdische Leben, welche vor allem als Antwort auf die nicht enden wollenden Drangsale, den immer in der Luft schwebenden Geruch von Tod des 17. Jahrhunderts, zu verstehen sind. Als sich diese Idee im überspannten Rokoko überlebte und endlich mit der Wende zum 19. Jahrhundert eine neue Zeit begann, da waren auch im Kirchenbau neue Grundideen gesucht. Weinbrenner mag kaum in diesem Sinne theologisch an den Entwurf seiner Kirchen gegangen sein, vielmehr trugen auch die ungeheuer ärmlichen Randbedingungen zu schmucklosen und damit beinahe automatisch körperhaften Bauten bei. Zu seinem unbezweifelbaren Anteil aber wurde der Ausdruck von Monumentalität, welcher sich ungemein schöpferisch auf das Zusammenspiel Kirchenschiff und Kirchturm auswirkte und damit ein Motiv wirkte, das als Ganzes zu einem gleichfalls hervorragenden Thema gerierte, weil unmittelbarer Ausdruck christlichen Denkens, christlicher Hoffnung.
     Bei einem Architekten protestantischen Glaubens, tätig als Baudirektor für einen gleichfalls protestantischen Hof liegt natürlich die Vermutung nahe, Weinbrenner habe ernstgemeinten Protestantismus, asketisch einzig blickend auf den das Innenleben ausfüllenden Glauben sichtbar machen wollen, als er einen Kirchentyp schuf, der karg, ohne ablenkende Details nichts anderes sein wollte als ein Haus für den Gottesdienst. Aber das wäre zu weit gedacht, denn auch die badischen Katholiken schreckten nicht einen Moment davor zurück haargenau den gleichen Kirchentyp (auch durch Weinbrenner) für sich bauen zu lassen (allenfalls die Innenräume wurden ein wenig prachtvoller). Die Kirchen Weinbrenners und seiner Schüler trafen den die beiden Konfessionen verbindenden Zeitgeist, welcher auch durch die leeren Gemeindenkassen des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts nach Zurückhaltung verlangte bei der Ausschmückung der Fassaden.
     Neben den großen urbanen Werken sind vor allem die zahlreichen Kirchen gestaltgebend für den hiesigen Klassizismus; im Gegensatz zu ersteren wurden sie zum reichhaltigen Betätigungsfeld auch für die Schüler Weinbrenners. Bald zeigte sich, dass Weinbrenner so manches Talent ausgebildet hatte, denn blieben die Schüler auch den vorangestellten Gestaltungsmerkmalen verpflichtet, so gesellten sich nach und nach weitere originelle Entwurfsideen hinzu. In den ersten drei bis vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstanden auf diese Weise ungefähr 100 Kirchen im Großherzogtum, entsprechend der finanziellen Möglichkeiten der bauenden Gemeinden in durchaus verschiedenen Gestaltungstiefen, aber immer einem sparsamen Umgang der formalen Mittel verpflichtet. Die Gemeinden wussten's freilich sehr zu schätzen, denn reich war nach den napoleonischen Drangsalen keine von ihnen!

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