Baukunst in Baden
  Bad Cannstatt Kurh. (04)
 


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Kurhaus in Stuttgart-Bad Cannstatt, (Baden-)Württemberg   /   Nicolaus Friedrich von Thouret   /   1825

Am Hofe zu Württemberg gab man sich immer ein wenig glanzvoller. In Ludwigsburg und Stuttgart hatten die württembergischen Herzöge im 18. Jahrhundert gleich zwei prächtige Residenzschlösser errichtet! Während sich die badischen Markgrafen in Rücksichtnahme auf die Bevölkerung in Karlsruhe jahrzehntelang mit einem weitgehend in Holz errichteten Schloss zufrieden gaben! Und erreichte man hier in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts (freilich nur von Napoleons Gnaden) den Aufstieg vom Markgrafen (via Kurfürst) zum Großherzog, so verlangte der württembergische Hof nichts weniger als die Königswürde!
     Dennoch wanderte in den ersten Jahrzehnten eben jenes 19. Jahrhunderts so mancher verwunderte Blick in Richtung badischer Nachbar. Dieser machte nämlich nicht dieselben Ansprüche geltend und war trotzdem und durchaus plötzlich in Fragen der den Staaten und Höfen bauliches Gesicht verleihenden Architektur vorbeigezogen. Zu den großen und weitsichtigen Entscheidungen am badischen Hof unter Markgraf Karl Friedrich gehörte die Entscheidung Friedrich Weinbrenner trotz wenig gebührlichen Verhaltens (siehe Einleitung) zum Oberbaudirektor berufen zu haben. In ihm hatte man ein Talent erkannt, welches ebenbürtiges bzw. größeres in den deutschen Ländern nur in Preußen (Schinkel) und Bayern (von Klenze, Gärtner) fand. Ein Talent, das zudem fähig auch dem schmalsten Geldbeutel echte Baukunst zu verschaffen und damit dem Großherzogtum in baulichen Belangen flächengreifend den Klassizismus aufzuprägen. Der badische Staat machte damals, natürlich auch dank anderer Entscheidungen des Großherzogs einen ungeheuer fortschrittlichen Eindruck.
     Daran gebrach es dem württembergischen Königreich. Zwar berief man in Giovanni Salucci und Nicolaus Friedrich von Thouret zwei ausgezeichnete Architekten, die hier nun gleichfalls den Klassizismus heimisch machten, aber dieses immer nur vereinzelt, also ohne den ganzheitlichen Anspruch Weinbrenners. Der Klassizismus war längst aktuelle Strömung als er sich in Württemberg durchsetzte. Die benötigten Neubauten erhielten dementsprechend ihre Gestaltung. Für einen spezifisch württembergischen Klassizismus reichte es nicht, obgleich durch die beiden Hofarchitekten einige bedeutsame Werke entstanden.
     Noch in einem anderen Punkte blickte man sehr interessiert zum badischen Nachbarn. Der Aufschwung der Kurorte hatte begonnen und Baden-Baden erwirkte dem Großherzogtum beachtliches nationales und zunehmend internationales Renomee. Warum nicht solches auch für Württemberg?  Der Ort war bald gefunden: Cannstatt nahe Stuttgart. Ähnlich wie zu Beginn in Baden-Baden fehlte aber auch hier ein repräsentatives Kurhaus. Dem sollte Abhilfe geleistet werden, beauftragt wurde Hofbaumeister von Thouret. Von Thouret war begabt und in Bekanntschaft mit Friedrich Weinbrenner, den er in den Tagen seines Aufenthaltes in Rom kennen und schätzen gelernt hatte.

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Eine Bekanntschaft durchaus mit Auswirkung auch auf von Thourets Art der Gestaltung, wie sein wohl bestes Werk, das Kurhaus zu Bad Cannstatt zumindest nahe legt. Der langgestreckte Bau gefällt zuvörderst durch sein originelles Moment, durch eine Ausdrucksstärke, die vor allem die Mittelpartie der Schauseite in sehr vorteilhaftes Licht rückt. Der Klassizismus des Kurhauses wurde keiner strengen und erhabenen Säulenordnung verpflichtet, wie man sie dank Schinkel in Berlin oder von Klenze in München stetig mehr bewunderte, sondern einer ungewöhnlichen und markanten Geste. Das Kurhaus stellt keine leichte und elegante Ausführung zur Betrachtung, erscheint vielmehr schwer und von wuchtiger Natur. Kurzum das Kurhaus wurde errichtet im Geiste Weinbrenners.
     Das beginnt schon beim Detail. Die Kapitelle der Pilaster und Rechteck-Pfeiler gerieten weit ausladend und somit kraftvoll und sind zweifelsohne von Weinbrenners Kapitellen inspiriert, ebenso wie der Verzicht auf die Basen, welche entfielen zugunsten eines dynamischeren Emportretens aus dem umlaufenden Sockelstreifen.
     Die Mittelpartie stellt eine außerordentlich gelungene Komposition; originell, eine Verschmelzung aus Pilaster-Portikus und Monopteros, zusammengebunden durch das schwere dorisierende Gebälk, das über die gesamte Gebäudevorderseite hinwegläuft. Diese Geste ist ohne direktes Vorbild bei Weinbrenner und dennoch deutet der Verzicht auf eine "saubere" Säulenordnung zugunsten des markanten Ineinanderschiebens zweier grund-verschiedener Tempeltypen, welche durch das runde Heraustreten des schweren Gebälks einen wuchtigen Eindruck hinterlässt durchaus auf Weinbrenner. Auch der beinahe als reiner Halbkreis ausgeführte und gleichfalls schwer, merkwürdig klein und damit nur wenig einladende Eingang findet bei Weinbrenner Parallelen (Villa Hamilton — Sammlung '1', Nummer 11 / Stephanienbad — Sammlung '1', Nummer 31), nicht anders der Anschluss des Monopteros-Daches an den Dreiecksgiebel, welcher unmittelbar an Weinbrenners Lösung bei Eckgebäuden mit runder turmartiger Eckpartie erinnert.
     Nichtsdestotrotz stellt das Kurhaus zu Bad Cannstatt ein selbstbewusstes Werk von Thourets dar, vor allem weil ohne direkte Parallele zu einem Werk Weinbrenners, und da es einer klaren konstruktiven Ordnung unterliegt und (abgesehen von der Rückseite) somit der wuchtigen Wirkung des Baukörpers, die für Weinbrenner so typisch, absagt. Von Thouret führte völlig selbstständig durch, lässt darin aber den Geist Weinbrenners erkennen.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Tilman Mellinghoff, David Watkin "Deutscher Klassizismus: Architektur 1740-1840", Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989

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