Bürgerhaus in Speyer, Rheinland-Pfalz / um 1830
Einfaches zurückhaltendes Stadthaus bürgerlicher Natur, das über beachtliche Details verfügt, situiert in Speyer in Rheinland-Pfalz (davor bayrische Pfalz).
Als dreistöckiges Eckgebäude ohne eigentlich obligate horizontale Gliederung ist es dem langgestreckten Balkon (auf starken Hakenkonsolen) zu Dank verpflichtet, da dieser ob seiner Länge als "anständige" Zäsur zwischen Erdgeschoss und Piano Nobile gelten kann. Letzteres verdankt seine Wirkung zuvörderst den auszeichnenden Balkenverdachungen. Das zweite Obergeschoss besitzt dann niedrigere Öffnungen, die in der glücklichen Machart mezzaninartiger Fenster stehen. Ein markantes Dachgesims beschließt die Fassade, läutet das spitze Walmdach ein. Und hier findet man endlich das "rettende" Detail, das das Stadthaus gerade noch der Anonymität entreißt — eine sehenswert geformte Dachgaube, die kraftvoll aus der Dachfläche tritt. Edel tragen vier kleine Pilaster ein Gebälk mit fein profiliertem Dreiecksgiebel. Die Pilaster verschneiden sich außerdem in auffälliger Weise mit einer Fensterfigur, einem durch die Pilaster dreifach geteilten Bogen (auf einem Gesims stehend), dessen mittlere Partie im Gegensatz zu den beiden äußeren als tatsächliches Fenster geöffnet wurde.
Man findet ein weiteres verfeinerndes Detail. Der Fassadenabschnitt in unmittelbarer Nähe des Nachbar-gebäudes rückt fugenartig nach hinten, dem Stadthaus trotz gewohnter urbaner Einbindung den annähernden Eindruck eines Solitärs verschaffend. Diese formal ausgezeichnete Geste verweist stark auf den bekannten Würzburger Hofarchitekten Peter Speeth, der diese ungewöhnliche, aber zugleich einfache und verblüffend effektive Idee mit seinem Haus für den Gerichtsdiener [30] und vor allem mit dem Frauenzuchthaus [31] (beide in Würzburg) berühmt machte, und dabei nachwies, dass auch bei dichter Parzellenbebauung, die die Fassaden der benachbarten Gebäude unmittelbar aneinander stoßen lässt, eine beachtliche Solitärwirkung der entsprechend ausgeformten Häuser möglich ist.
Der Speyerer Architekt hatte diese Idee richtig verstanden, so ließ er neben der Fugenausbildung auch noch das Dachgesims rechtzeitig (in der Fuge, ohne Verbindung zum Nachbarn) enden und erzielt die gerade einem Eckgebäude gut anstehende angenäherte Wirkung eines freistehenden Gebäudes.
Letztendlich erhält die dreiachsige Hauptfassade durch die gezielten Maßnahmen einen disziplinierten, durchaus bildhaften Ausdruck, der als körperhafter Putzbau weniger der Eleganz, vielmehr der wuchtigen Architektur Weinbrenners verpflichtet wurde.
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[30], [31] siehe unter Kapitel "Anhang"
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort; Entstehungszeit abgeschätzt
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