Baukunst in Baden
  Darmstadt Kirche (09)
 



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Ludwigskirche in Darmstadt, Hessen   /   Georg Moller   /   1820-27

Mit dem Bau der Darmstädter Ludwigskirche begab sich der talentierte Georg Moller endgültig auf Augenhöhe mit Lehrmeister Weinbrenner. Dessen Karlsruher Kirche Sankt Stephan (Sammlung '1', Nummer 50) und eben die Ludwigskirche Mollers stellen kaum bezweifelbar die besten Schöpfungen für Gotteshäuser im Stile Weinbrenners; und beide hatten ein und dasselbe Vorbild: das ruhmreiche Pantheon in Rom. Als beeindruckendste Massenkomposition eines Tempels der römischen Epoche nahm sie großen Einfluss auf Weinbrenner und seine Eleven. Vor allem der wuchtigen Massenwirkung ergeben, lockte das Pantheon weit stärker als die in griechischer und römischer Antike dominierenden Tempel in Gestalt von Peripteros und Pseudoperipteros.
     Während Weinbrenner nun mit Sankt Stephan eine recht freie Interpretation des Themas Pantheon lieferte — nicht zuletzt durch den ihm aufgezwungenen Kirchturm — erstrebte Schüler Moller ganz bewusst größere Nähe zum Vorbild. Moller hatte nämlich anderes und nicht ganz unbescheidenes vor, deklarierte er doch für die Ludwigskirche nicht geringeres als die Korrektur des eigentlich unerreichbaren Pantheons!
     Das bedeutete für den mutigen Moller zunächst eine entschiedene Definition der drei Hauptbestandteile des Pantheons: Vorbau (Vorhalle), kirchenraumfassender Zylinder und überdeckende Kuppel — und das bedeutete im Stile Weinbrenners nichts anderes als konsequente Überführung in klar ablesbare Baukörper, die in wuchtiger Manier die dem Betrachter Respekt abverlangende Monumentalität erzielt.
     Ein kurzer Blick genügt, die Zielvorgaben wurden beinahe minutiös eingelöst. Die Ludwigskirche gelangte am Ende zu einer kaum zu überbietenden Monumentalität — an einer langen Blickachse (Allee) beeindruckt sie bis ins Herz des einst so ansehnlichen Darmstadt und muss wie alle großen urbanen Werke im Stile Weinbrenners unbedingt vor Ort "erlebt" werden (wie immer kann der unerhört kraftvolle Ausdruck über Fotografien kaum im Ansatze transportiert werden).

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Moller ließ die Wirkung der Körper und Massen so weit gedeihen, dass man sich fast schwer tut, die Ludwigskirche als genuin klassizistisches Werk zu verstehen. Im Grunde sieht man hier unverhohlene Revolutionsarchitektur, die sich gerade noch weniger klassizistischer  (antiker)  Applikate befleißigt: hier ein Dreiecksgiebel, dort ein paar Pilaster — das war's dann schon. Die Darmstädter Ludwigskirche ist im Rahmen des baulich (vernünftig) möglichen verwirklichte Revolutionsarchitektur.

Drei Baukörper, nach Moller also für korrigierende Maßnahmen gehalten.
1) Der "Säulenwald" des Pantheons wurde in einen Block stehenden Formats verwandelt. Standesgemäß mit Dreiecksgiebel bekrönt, fällt aber in erster Linie das monumentale, ungemein hohe und fast bis zum Giebel aufschneidende Rundbogenportal ins Auge. Immerhin, dieses findet in den Eckpilastern mit korinthischen Kapitellen und fein gearbeitetem Bogen Säumung durch edle Details. Der Dreiecksgiebel auf Rollwerkkonsolen hingegen kann kaum einfacher gedacht werden.
2) Der Zylinder des Pantheons erschien Moller vermutlich allzu schroff, nicht ausreichend gegliedert. Durch eine umlaufende Reihe Pilaster konnte dem "Abhilfe" geleistet werden. Auf hohem Sockel stehend, selbst basislos und umso schwungvoller aus diesem in die Höhe strebend, tragen die dorisierenden Kapitelle ein hohes, zweifach gegliedertes Gebälk, das im vom Dreiecksgiebel ausgehenden Rollwerkkonsolen-Kranz Abschluss findet. Die Fläche zwischen den Pilastern strukturiert sich durch horizontale Putzrillen und weist in Analogie zu den beim Pantheon statisch notwendigen Entlastungsbögen solche als eine Art von Muster auf. Urbild und hessische Interpretation gefallen sich durch beinahe vollständige Öffnungslosigkeit .
Mollers Zylinder macht neben der monumentalisierenden Geschlossenheit der Wand durch das rhythmische Spiel der Pilaster und "Entlastungsbögen" sowie durch die Ausgewogenheit horizontaler und vertikaler Dynamik einen  wahrlich ausgezeichneten Eindruck.
3) Endlich die Kuppel, die als reiner Körper und durch vertikale Aufkantungen aufsteigend dynamisiert tatsächlich einen weitaus eleganteren Eindruck macht als die von den Problemen antiker Statik gezeichnete mehrfach horizontal gestufte und somit schwerfällige Kuppel des Pantheons. Letzterer muss ob der ingenieur-technischen Leistung ihrer Zeit freilich weit mehr Respekt gezollt werden, und dennoch Mollers leichte Kuppel beeindruckt nicht minder, gleicht in ihrer Leichtigkeit gar einem in Kürze aufsteigenden schon halb herausschauenden Gasballon. Allerdings muss man anmerken, dass die Kuppel erst im Zuge des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg diese elegante Fassung erhielt. Ursprünglich war das Dach schiefergedeckt, was wohl den runden Körper noch besser zur Geltung brachte, dafür aber den reizvollen vertikalen Zug der Blecheindeckung missen lies.


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Moller leistete für Darmstadt, der Hauptstadt des Großherzogtums Hessen eine Aufgabe, die bei geringerer Quantität der Weinbrenners für die badische Hauptstadt nicht unähnlich war, und die Ludwigskirche bildete darin zweifellos den Höhepunkt. In den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs wurde Mollers Werk und mit diesem die gesamte Stadt im Wortsinne dem Erdboden gleich gemacht. Kluge Menschen sorgten für den Wiederaufbau des Darmstädter Pantheons, das (im Äußeren) zusammen mit dem gleichfalls bombengeschädigten Theater (siehe Sammlung '3', Nummer 10) das einzige Überbleibsel des einst so reichen Wirkens Mollers für Darmstadt bedeutet.
Der für das Äußere so gelungene Wiederaufbau, der ja mit einer modernen Interpretation für die Kuppel durchaus erfolgreich war, schoss im Innenraum leider deutlich über das Ziel hinaus. Löblich zunächst, dass das wichtigste Innenraum-Motiv: der Kranz 28 korinthischer Säulen, der ein hohes Gebälk trägt, widerhergestellt wurde (er hatte auch der Zerstörung getrotzt, was der Ruine kurioserweise ein ungemein reizvolles Bild gleich einer bedeutenden antiken Schöpfung verlieh). Alles andere aber wurde in modernistischer Manier dem Auge wenig erfreulich gestaltet, wie z.B. die hölzerne, kassettierte Kuppel durch eine Stahlbeton-Konstruktion (sic!) ersetzt wurde, und auch die sämtliche Einrichtung, vor Rekonstruktion ängstlich zurückschreckend, den interessierten Blick langweilt oder ärgert. 2005 hat man zuletzt saniert, was dem Innenraum immerhin eine durchaus interessante Farbwirkung brachte (man hat noch das beste "rausgeholt": Reiz kräftiger Farben, natürlich kein wirklicher Ersatz für die einstige gediegene und kunstvolle Wirkung). Was darüber hinaus verblieb, ist die enorme Kraft der Raumwirkung.

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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Tilman Mellinghoff, David Watkin "Deutscher Klassizismus: Architektur 1740-1840", Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989
3) Dieter Dolgner "Klassizismus", E.A. Seemann Verlag Leipzig 1994
4) Informationstafel vor Ort

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