Baukunst in Baden
  Wiesbaden Schloss (05)
 
Herzogliches Palais in Wiesbaden                  Georg Moller 1835-37


 

Auch außerhalb des Großherzogtums Hessen, welchem er als planender und ausführender Hofarchitekt diente, wurde Georg Moller einige Male tätig. Das herausragende Produkt dieser "Nebentätigkeit" findet man in Wiesbaden, der Hauptstadt des einstmaligen Herzogtums Nassau, wo er für Herzog Wilhelm von Nassau ein zwar auf einem Vorgängerbau fußendes aber im Grunde völlig neues Schlossgebäude schuf.
     Das Herzogliche Palais kann als ein ausgezeichnetes Beispiel der typischen Ecklösung Weinbrenners Geltung beanspruchen. Nicht die Wirkung einzelner an der Gebäudeecke zusammengehender Fassaden wurde erstrebt, sondern die eines über die Ecke hinauslaufenden und dynamischen Gesamteindruckes. Die in diesem Falle automatisch in den Blickpunkt rückende Gebäudeecke gilt als die edelste Gebäudepartie und fungiert darüber hinaus als das formale Gelenkstück zwischen den beiden rechtwinklig zueinander stehenden Seitenflügeln. Da das Eckgebäude nicht weniger als ein Schloss werden sollte, erhielt es beachtliche Größe und eine edle Detailsprache, welche der gestalterischen Grundidee zumal unter der Hand des talentierten Moller endlich letzte Noblesse versprechen konnten.
     Den Regeln des Stiles Weinbrenners folgend erhielten die langen Seitenflügel ein nüchternes Aussehen, disziplinierte Lochfassaden bei blitzsauberer horizontaler Schichtung. Die Fenster des durch Putzrillen ausgewiesenen Sockelgeschosses zeigen bereits feinprofilierte Rahmungen — in der bekannten Gestalt umgedrehter schlicht auf der Fensterbank aufstehender U-Formen; die des Piano Nobile bei gleichfalls gekonnter Rahmung standesgemäß edel gearbeitete Rollwerk-Konsolen, Balkenverdachungen tragend; endlich beschließen die dem Fassadenbild immer zuträglichen mezzaninartigen Fenster (in verkleinerter Öffnungshöhe). Die wirklich auffälligen Details finden sich jedoch erst in den der dynamischen horizontalen Wirkung gewidmeten Gliedern der beiden langen Gesimse. Neben der klaren Schichtung der Fassade, die durch den Sockelstreifen und die Putzrillen des Sockelgeschosses beste Einleitung findet, sorgen vor allem das zwischen Sockelgeschoss und Piano Nobile scheidende fein ornamentierte, hohe Gurtband und das gleichfalls sorgfältige und hoch angelegte Balkenkopfgesims des ehemaligen Daches für die horizontale Wirkrichtung.
      Beide Gesimse weisen mit Vehemenz zum entscheidenden Gebäudeteil (dem die Umleitung der horizontalen Wirkkraft obliegt), der runden turmartigen Partie des formalen Gelenkes, welchem zeitgleich und damit den gestalterischen Anspruch untermauernd die Aufgabe des Haupteinganges zukommt. Letzterer erhält durch die gleichfalls gerundete Treppenanlage und Säulenvorhalle eine überaus gelungene, den herrschaftlichen Anspruch des Gebäudes untermauernde Komposition. Die sechs kannelierten Toskanischen Säulen und zwei Pilaster tragen das unvermittelt aus den beiden Seitenflügeln hervortretende Gebälk, welches bei nicht geringer Aufweitung den repräsentativen Balkon des Piano Nobile trägt. Durch Balustern gesichert, die, einem Bande gleich, das hohe Gesims der Seitenfassaden verlängern, stellt der Balkon ein sehr reiz-, da schwungvolles Bauelement. Nicht anders das kleinteilige Dachgesims, welches nun aber auf Höhe der Fassade die Umführung der Horizontalen leistet. Endlich besorgt das Herzogliche Wappen, das statt des mittleren Mezzaninfensters die Achse des Eingangs schmückt, letzte Veredelung.
     Geflissentlich wurde bisher das Jenseits des markanten Dachgesimses verschwiegen. Einst besorgte eine schiefergedeckte Dachlandschaft den gestalterischen und zugleich adäquaten Abschluss der horizontalen Schichtung. Als signifikant differentes Gebäudeelement leistete sie einen weitaus gelungeneren Abschluss als der neu hinzugekommene verputzte Fassadenabschnitt, welcher zudem das den Übergang zum Dache leistende Balkenkopfgesims zu einem in dieser Form merkwürdig anzusehenden Fassadenband degradiert. Außerdem veränderte sich dank zusätzlicher Fassadenhöhe die Gesamtproportion des Gebäudes ungünstig weiter in die Vertikale. Verwässerung, oder  — ehrlicher  — Verunstaltung. Welche Rechte besitzt sie noch, die Kunst, im Zeitalter der Funktion?
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Tilman Mellinghoff, David Watkin "Deutscher Klassizismus: Architektur 1740-1840", Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989

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