Baukunst in Baden
  BAD Kurhaus (15)
 

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"Kurhaus" von Baden-Baden   /   Friedrich Weinbrenner   /   1821-25

Es geschah in den arkadischen Tagen Baden-Badens als Friedrich Weinbrenner diese mit dem Bau des Kurhauses zu höchster Blüte trieb.
     Das alte markgräfliche Baden-Baden war 1689 wie fast alle Städte und Dörfer Nordbadens bis hinunter nach Freiburg auf Befehl des französischen Sonnenkönigs sprichwörtlich in Schutt und Asche gelegt worden (Pfälzischer Erbfolgekrieg). Anschließend geriet die ehemals prachtvolle Stadt beinahe in Vergessenheit — nur notdürftig wieder aufgebaut und ihrer Hauptstadtfunktion entkleidet, musste sie hilflos zusehen wie Markgraf Ludwig Wilhelm (der hochdekorierte "Türkenlouis" ) aus dem nahe gelegenen ehemaligen Marktflecken Rastatt die neue Kapitale und zugleich prachtvolle Barock-Residenz der Markgrafschaft Baden-Baden machte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts jedoch konnte Baden-Baden immer nachhaltiger mit seinen (mittlerweile weltberühmten) Qualitäten als Bade-Kurort werben — Baden-Baden wurde "wiederentdeckt". Dieses geschah in den Tagen Weinbrenners und folgerichtig erhielt die Menge der zunehmend benötigten Neubauten das seinen Vorstellungen entsprechende Antlitz. Gebäude wie die Antiquitätenhalle [23] (abgegangen), die Trinkhalle [24] (abgegangen), der Umbau des großen Jesuiten-Kollegs (Sammlung '2', Nummer 10), die kraftstrotzende Villa Hamilton (Sammlung '1', Nummer 11), das Hotel Badischer Hof (durch Umbauten stark verändert) von Weinbrenner selbst, zahlreiche Bürgerhäuser, errichtet von dessen Schülern, und gleichsam als Höhepunkt der neuen Zeit das große Kurhaus, verwandelten Baden-Baden in eine Stadt Arkadiens und machten die zahlreichen Besucher glauben mitten im Nordschwarzwald griechische Luft zu atmen.
     Weinbrenners Kurhaus wurde zum Höhepunkt ob seiner ausgezeichneten Lage vor den Toren der Stadt, dieselbe wie ein auf das Kurhaus bezogenes Amphitheater nutzend, und ob der eindringlichen Gestalt, gleich einem klassizistischen Palast. Die hoheitliche Ausstrahlung, die mit Dreiecksgiebeln, Pilastern und Säulen beinahe verschwenderisch umgeht und über die schiere Länge von fast 200 Metern verfügt, bedeuten diesen palastähnlichen Ausdruck. Das Kurhaus gehört zu den herausragenden Bauten Weinbrenners und das keinesfalls nur wegen der erstaunlichen Länge, die er (wie aus seinen Lehrbüchern und von anderen gebauten Beispielen bekannt) um monotoner Wirkung entgegenzutreten in eine nicht minder erstaunliche Anzahl von Abschnitten gliedert. Über allem steht natürlich der Eindruck von Symmetrie, die auch dem unbedarften Betrachter schwierige Kompositionen in einen leicht verständlichen Rahmen stellt. Weinbrenner schuf im Grunde drei Gebäude: das dominierende mittige enthielt das Konversationshaus; ihm zur Seite finden sich zwei kleinere (Theater und Gasthof), die durch eigene Partien mit dem graziösen Hauptbau verbunden sind. Da jedes Gebäude seinerseits aus dominierendem Mittelabschnitt und zwei Seitenflügeln besteht, lassen sich demnach nicht weniger als 11(!) Gebäudeabschnitte ausmachen.

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Das Kurhaus hatte zu leiden. Die von ihm geborgenen Funktionen beanspruchten mit der weiter steigenden Bedeutung Baden-Badens mehr Platz oder wurden von anderen raumgreifenderen Funktionen verdrängt. Kurzum das Kurhaus platzte aus allen Nähten: die einst auch fein anzuschauende Rückseite wurde fast gänzlich zerstört — noch problematischer aber gerieten die Anbauten der Vorderseite. Weinbrenner selbst musste die Überformung nicht mehr mit ansehen. Ein schwacher Trost.
     Bei näherer Beschreibung kommt es nun zu einem munteren Wechsel zwischen "Urform" und "Neuform", zwischen Qualität und Verwässerung. Betrachtet man die der Stadt zugewandte Schauseite, so spricht alles für das Potential der weinbrennerschen Konzeption, die aller Entstellung zum Trotze weiterhin ein ausgezeichnetes Bild vor Augen wirft. Das liegt zuvörderst an der zum Glück noch erkennbaren Grundgestalt: der mittlere als der wichtigste Abschnitt erhält (beinahe zwangsläufig) die edelste Gestalt in Form der prächtigen Säulenhalle aus korinthischen Säulen, die einen glücklich gearbeiteten Schmuckfries tragen; den Abschluss der Komposition besorgten einstmals weit eigenständiger wirkende Seitengebäude, deren früher sichtbare ionische Pilaster (heute nur noch die Kapitelle zu gewahren) mitsamt Dreiecksgiebel den notwendigen Akzent an den beiden Enden der Gesamtgestalt erzielten [25].
     Beginnen wir mit der weitgehend verschonten Mittelpartie. Die noblen korinthischen Säulen (wie immer bei Weinbrenner in dieser Ordnung mit ionischer Basis) stehen wie das gesamte Gebäude auf einem Sockelstreifen. Elegant tragen sie einen ionischen Schmuckfries (mit weißen Greifen) vor badisch-rotem Hintergrund. Auf das Balkenkopfgesims folgt ein einfaches Walmdach — verwunderlich, eher würde man hier den bekrönenden Dreiecksgiebel vermuten. Dann jedoch wäre aus dem Kurhaus endgültig ein Palast geworden, was für diese nicht höfische Institution durchaus nicht standesgemäß. Außerdem sorgen bereits Säulen und Fries für Anmut in der mittleren Partie, die zudem deutlich über die direkt zu ihr gehörenden Seitenflügel erhoben wird — auf Wandhöhe durchstoßen dorisierend-kraftvolle Pilaster Gebälk und Dachrand der Seitenflügel, den Fries und das Walmdach weiter in die Höhe schiebend. Die zu diesem Abschnitt gehörende Wandfläche wird neben den klar strukturierenden Pilastern von wenigen aber umso effektvolleren "schwarzen" Öffnungen gezeichnet.

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Drei Rundbogen-Türen halten den ehemaligen Eingang des Kurhauses bereit, und über viel weißer Fläche schweben in jedem Pilaster-Abstand "geheimnisvolle" quadratische Öffnungen. Auch die angrenzenden Seitenteile werden von kraftvollen aber niedrigeren Pilastern, einen Gebälkstreifen tragend, gegliedert. Aus einst rechteckigen Fenstern wurden im Laufe der Zeit (zu) hohe Türen — ein Eingriff, der aber nur wenig schmerzt.
     Für die entscheidende Verwässerung sorgen die neu hinzugekommenen Vorbauten, die jeweils den abschließenden formal eigenständigen Gebäude-Abschnitten mit deren zum Hauptbau führenden Verbindungsgliedern zusammenzwingen (sic!).
     An den beiden Enden der elfteiligen Komposition standen dermaleinst eigenständige Gebäude (Theater und Gasthof), deren Mitte jeweils von einem risalitartig vor- und hochtretenden Abschnitt in sich und auch für die Gesamtschau akzentuiert wurden. Ionische Pilaster, Gebälkstreifen, Dreiecksgiebel mit spannungsvollen Halbkreis-Fenstern veredelten. Von letzteren sind durch den Vorbau leider nur noch die oberen Anteile sichtbar. Nicht weniger wird jeweils der Verbindungstrakt zum prachtvollen Mittelbau verdeckt. Zu Beginn als offene Säulen-Vorhallen erlebbar, betonten sie auf beiden Seiten die Eigenständigkeit der heute unangenehm "verschmolzenen" drei Hauptabschnitte.
     Neben der lebendigen Durchgliederung des langen Gebäudes vollzieht sich — zunächst meist unbemerkt — ein weiteres spannendes Motiv, ein Motiv, das freilich wieder auf der Durchgliederung fußt: das reizvolle Spiel der Dachfläche, eine veritable Dachlandschaft formend.
     Dachlandschaften wurden zu einem Stilmittel, das sich gleichsam als roter Faden durch das Oeuvre Weinbrenners zieht. Spätestens mit der Berufung zum badischen Oberbaudirektor machte er den Anspruch geltend, den mittlerweile ermüdeten Barock-Stil durch eine frische Interpretation antiker Baukunst zu überwinden. Um diesem nicht geringen Anspruch gerecht zu werden musste er gerade in der Anfangszeit Bauwerk für Bauwerk eine Beweisführung antreten. Je länger desto besser konnte er durch seine monumentalen, ausdrucksstarken Bauten den verkleidenden, an der Oberfläche spielenden Barock vergessen machen. Dennoch muss so manches an diesem Stil auch Weinbrenner imponiert haben — darunter das lebendige Spiel der Dachflächen, welches er nicht wie andere barocke Ansätze einfach verwarf, sondern adaptierte und in seinem Sinne weiterentwickelte: Weinbrenner "reinigte" die Dachformen von Schnörkeln und Kurven und gelangte zu nüchternen (meist nahe der Trauflinie geknickten) Walmdächern, die aber weiterhin in lebendigem Spiel zueinander standen. Ein ausgesprochen gelungenes Beispiel zeigt das Kurhaus: jeder Abschnitt erhält deutlich sichtbar sein eigenes Dach, woraus über die gesamte Länge ein lebhaftes "auf und ab" der Dachflächen resultiert.
    

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Einige abschließende Worte zur Entstellung der zur Stadt gewandten Schauseite. Dem Autoren ist selbstverständlich bewusst, dass diese einen funktionalen Aspekt besitzen, auch wurde auf die weiterhin gute Gesamtwirkung hingewiesen. Alleine die Erweiterungen hätte zweifellos harmonischer, will heißen eingehend auf die Grundstruktur gelingen können. Das wäre die richtige Aufgabe für Weinbrenner gewesen — er hätte sie gelöst.
     Die Beschreibung schließt mit einer anderen Größe des deutschen Klassizismus — mit Karl Friedrich Schinkel. Seine Meinung über das Kurhaus dürfte weithin bekannt sein — auf seiner zweiten Italienreise Baden-Baden streifend, fällte er über dasselbe ein geradezu vernichtendes Urteil: "In der Stadt angekommen, besuchten wir noch im Zwielicht die Badepromenade und die neuen Badesäle, das Theater und die dazugehörigen Hallen von der ungeschickten Architektur Weinbrenners". Eine Einschätzung, die schmerzt, fällt sie doch kein geringerer als der zweifellos bedeutendste klassizistische Architekt unserer Lande. Jedoch, dieses Urteil fällend, steht er noch längst nicht in dieser heute allgemein anerkannten Position. 1824 erfasst Schinkels Oeuvre erst wenige Werke, und in diesem Lichte erscheinen die merkwürdig kompromisslosen Worte in durchaus eifersüchtigem Tone — Eifersucht gegenüber einem Architekten, der zu diesem Zeitpunkt ein weitaus größeres Werkverzeichnis vorlegen konnte. Die Art der gewählten Worte ficht ohnehin zunächst Schinkel selbst an — es spricht aus ihnen eine Form der Respektlosigkeit, die man gegenüber der objektiven Leistung Weinbrenners kaum anders denn als Frechheit begreifen kann. Worte eines Menschen, der sich auf dem Wege befand, auf dem Wege zu (noch) besseren Bauwerken — und auch zu menschlicher Reife.
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[23]-[25] siehe unter Kapitel "Anhang"
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Arthur Valdenaire "Friedrich Weinbrenner: Sein Leben und seine Bauten", C. F. Müller Verlag, 4. Auflage  Heidelberg 1985 (Original: Braun Verlag, Karlsruhe 1926)
4) Dieter Dolgner "Klassizismus", E.A. Seemann Verlag Leipzig 1991
5) Website  
www.bad-bad.de

6) örtliche Informationstafel

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