Baukunst in Baden
  Scherzheim Kirche (03)
 



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Evangelische Pfarrkirche in Scherzheim (Lichtenau, Landkreis Rastatt)   /   Friedrich Weinbrenner   /   1810-12
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     Der Prototyp! Die grundlegende Gestalt der Kirchen im Stile Weinbrenners steht nicht etwa in Karlsruhe oder vielleicht in Heidelberg, Mannheim oder Freiburg, sondern das kleine Dorf Scherzheim zwischen Baden-Baden und Kehl darf sich der ersten Kirche nach Entwurf des Meisters rühmen - wie sehr diese zum Vorbild für Weinbrenners Schüler wurde, lässt sich der vorliegenden Website leicht genug entnehmen!
     Alles beginnt natürlich mit der Grundkonzeption der Baukörper — deren sehen wir sich verschneidend zwei: Kirchenschiff und Kirchturm, wobei letzterer kraftvoll und symmetrischer Ordnung gehorchend aus dem Schiffe emporstrebt.
     Nicht minder grundlegend der gestalterische Ansatz der einzelnen Baukörper. Das Kirchenschiff ist ein ruhiger rechteckiger Bau, gedeckt von einem Satteldach. Die Längsseiten besitzen aller Affinität Weinbrenners zu Trotze nicht etwa gotische Spitzbögen, sondern lange Nischen mit Rundbögen in überraschender Kontinuität zu barocken Kirchenfenstern. Gotische Spitzbögen wären bautechnisch problemlos gewesen, trotzdem setzt der Meister unerwartet auf Kontinuität — bei Weinbrenner jedoch besitzt die Rundbogen-Nische keine Rahmung, greift vielmehr tief in die gemauerte Masse. Zur Wiederverwendung gelangen auch die auffälligen Schlitzfenster als seitliche Begrenzung der Längsfassaden und am Turm - ungeachtet ihrer geringen Breite verfügen diese über Steinrahmungen.
     Der Kirchturm wird fortan markant zweigeteilt: er besteht aus dem eigentlichen Turmkörper, einem stehenden rechteckigen Kubus, dessen formaler Abschluss eine leicht auskragende und umlaufende Galerie auf markanten Rundkonsolen besorgt; hierauf Teil zwei, die zurückgestaffelte Turmspitze als Glockengeschoss, welche fast immer eine konstruktive Gestalt besitzt — eine Auflösung der Mauern in Pilaster und Gebälk — wobei die Ecken von vier mächtigen Pilastern Einnahme finden, deren Abstände die Schallfenster bereit halten.
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Ausgesprochen reizvoll zeigt sich der entstehende Kontrast zwischen dieser konstruktiven Ordnung und dem körperhaften Unterbau. Als Spitze und damit den gesamten Turm vertikal abschließend, fungiert ein Zeltdach mit Knick in Traufnähe, welches endlich ausläuft im die Gebäudebestimmung in die Ferne tragenden Kreuz. Diese Dachform, die vertikale Kraftrichtung vollendend, wählte Weinbrenner ob ihrer klaren geometrischen Form, die in Verbindung mit dem ausladenden Gesims beinahe wie ein eigener der Turmkomposition aufgesetzter Baukörper erscheint.
     Der Haupteingang erfolgt vorausweisend durch den Turm. Die Scherzheimer Ausführung desselben wird in Variationen mehrfach wiederkehren: eine hohe und tief eingegrabene Rundbogen-Nische, die durch eine statisch autonome Installation aus mächtigen quadratischen Säulen (mit dorisierenden Kapitellen) und verschiedenen Balkenlagen (und natürlich von Tür und Fenstern) Ausfüllung findet. Dieses konstruktive Gerüst scheint unabhängig von der Nische schlicht eingestellt und hinterlässt wiederum einen spannungsreichen Eindruck.
     Ungewöhnlich zeigt sich dagegen eine weitere Maßnahme — wir kehren zurück zum nüchternen Kirchenschiff - dessen Satteldach auf den Schmalseiten nicht im obligatorischen Dreiecksgiebel mündet, sondern die Mauern ungebremst zu den geneigten Dachrändern vordringen lässt. Hierdurch steigert sich die körperhafte Wirkung des Schiffes nochmals und verschafft dem Gesamteindruck der Eingangspartie einen umso wuchtigeren Charakter. Solches geschieht aber nur ausnahmsweise — die Freude an der antiken Formensprache sorgt bei den Kirchenbauten im Stile Weinbrenners für beständigen Einsatz des verehrten Dreiecksgiebels.
     Weinbrenner entwarf den Prototyp inspiriert von verschiedenen Quellen, die er ganz nach seinen Vorstellungen dem eigentlichen Ziele dienstbar machte, der monumentalen Wirkung.
     Der Anfang war gemacht — ein Prototyp in ausgereifter Manier, in geradezu erstaunlich ausgereifter Manier. Er würde zu Lebzeiten Weinbrenners keiner Revision bedürfen.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959; Abbruch der Vorgängerkirche 1810
3) Arthur Valdenaire "Friedrich Weinbrenner: Sein Leben und seine Bauten", C. F. Müller Verlag, 4. Auflage  Heidelberg 1985 (im Original: Braun Verlag, Karlsruhe 1926); Erbauungszeit 1810-12
4) örtliche Informationstafel; Einweihung 1811
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