Stadtpalais in Ettlingen (Landkreis Karlsruhe; Kreuzung Kronenstraße und Lauergasse ) / um 1830
Dieses Geschäfts- und Wohnhaus in Ettlingen gehört zur Typologie der Gebäude mit auffälliger Über-Eck-Wirkung. Das Besondere an der Ettlinger Ausführung liegt in der Baukörper-Konzeption, die exakt im Sinne Friedrich Weinbrenners entstand — worin sie sich tatsächlich als das allerletzte "überlebende" Exemplar erweist! Die drei in ihrer Wirkung gefälligeren Beispiele der alten Residenzstadt Karlsruhe, auch deren zwei in Freiburg sind allesamt abgegangen.
Repitieren wir kurz: Weinbrenners Neueinführung bestand darin, die herkömmliche Erscheinung von urbanen Eckgebäuden als an der Blockecke an-einander geschobene Fassaden zu ersetzen durch eine über die Hauskante hinweglaufende Erscheinung. Das Gebäude wird dadurch in erster Linie über seine Eigenschaft als (dreidimensionaler) Baukörper und nicht mehr von (zweidimensionalen) Fassaden bestimmt.
Durch die exponierte Lage und natürlich dank der auffälligen Grundform steigt der runde Eckturm zum formal wichtigsten der drei Gebäudeteile auf. Damit über diesem die beiden Seitenflügel nicht in Verges-senheit geraten und aus der umlaufenden Wirkung keine Fixierung auf den Rundturm geschieht, muss sich dessen Ausgestaltung der Maßhaltigkeit verpflichten. Rechtfertigen lässt sich die ihm geltende Einführung einer Pilasterordnung im Piano Nobile, in diesem Falle als kraftvoll-dorische (einen Gebälkstreifen tragend), zur Veredelung des nichtsdestotrotz wichtigsten Gebäudeabschnitts — entsprechend der feineren Detailierung des Mittelrisalits beim Typus des Stadtpalais'. Der expliziten Wirkung abträglich wäre eine überfrachtete Detailsprache oder eine Überhöhung durch ein zusätzliches Geschoss. Ganz im Sinne des allgegenwärtigen Lehrmeisters besitzt dieser Turm die Fassadenhöhe der Seitenflügel und dessen kegelförmiges Dach entwickelt sich auf spannendste Weise aus deren zwei Dächern heraus — der Turm besitzt insgesamt also die geringere Gebäudehöhe.
1
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
Da sich Baukörper Turm durch geschickte Details: horizontal gerilltes Sockelband, zwei Gesimsstreifen und plastisches via-artiges Dachgesims jeweils umlaufend, sowie gleichbleibende Öffnungsformate (inklusive Rahmungen) aus den angrenzenden Baukörpern, den Seitenflügel, herausentwickelt, löst der Architekt den wünschenswerten Gesamteindruck endgültig ein — der Schüler hatte seinen Lehrer verstanden. Darüber hinaus geht's freilich sehr karg zu. Neben der reizvollen Baukörper-Konzeption vermögen einzig die schon erwähnten Pilaster blickfangender Wirkung: basislos fahren sie unvermittelt in die Höhe, stehen auf dem unteren Gesimsband auf, wohingegen sie das kurz darauf folgende durchstossen und auf diese Weise das erstere zum die Geschosse trennenden und damit gewichtigeren Gesimsband küren.
Eine traurige Maßnahme der Gegenwart liegt im Ersatz der Schiefer-Dachdeckung der Seitenflügel durch der Gesamtwirkung (ohnehin) abträgliche rote Ziegel. Sie haben die materielle Einheitlichkeit der effektvollen Dachlandschaft aufgekündigt, die Entwurfsidee spürbar verwässert — einen Materialgegensatz zwischen Rundturm und Seitenabschnitten hätte der initiierende Architekt keinesfalls aufgebaut.
_
_ Quellen 1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort, Erbauungsjahr abgeschätzt
2
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
_
| Heute 230 Besucher (287 Hits) | | 1.295.320 Besucher, 5.952.200 Hits seit September 2006 |