Rathaus der Stadt Schopfheim (Landkreis Lörrach) / Entwurf von Johann Ludwig Weinbrenner? / 1826
Am Rande des reizvollen mittelalterlichen, bzw. mittelalterlich anmutendenden (ein Großteil der Substanz entstammt dem neuzeitlichen 18. Jahrhundert) Kernes der Stadt Schopfheim trifft man auf ein Gebäu im Stile Weinbrenners, das zweifellos zu den schönsten klassizistischen Rathäusern Badens zählt (nur die Eberbacher und die Eppinger Ausführung, beide gleichfalls Sammlung '1', würde der Autor "passieren" lassen). So setzt der Weinbrenner-Stil also auch im sogenannten Wiesental, genauer in der Tiefe dieses südlichen Schwarzwaldtales einen kraftvollen Farbtupfer.
Alles beginnt mit einem zurückhaltenden, zweigeschossigen Gebäudekörper mit Walmdach. Ein im Erdgeschoss über drei Seiten umlaufender Arkadengang (zum Teil mit Blindöffnungen) aber verleiht umso größeren Reiz, als das Piano Nobile formal direkt aus den stämmigen Pfeilern herauswächst (via schwungvollen Rundbögen). Jedoch gelangt dieser, der überwiegende Gebäudeanteil, nicht über die Rolle eines formalen Rückgrates hinaus — was aber alles andere als ein Schaden, denn die entscheidende Aufwertung besorgt ein der Symmetrie und der Vorderseite des Rathauses verpflichteter Mittelrisalit, der ganz nach dem Geschmacke Weinbrenners von entschieden kraftvoller Wirkung. Jener nun verleiht der Gesamtkomposition eine Monumentalität, die über die keineswegs besondere Gebäudegröße deutlich hinausweist und der Funktion als Rathaus das entsprechende Gepräge schenkt.
Betrachten wir den gleichfalls zweigeschossigen, gegenüber dem Hauptbaukörper ein wenig nach vorne tretenden Risalit genauer. Neben dem kraftvollen Anspruch gilt der des Bildhaften. Zu diesem Behufe wurde typisch für den Klassizismus (nicht nur des Stiles Weinbrenners) ein Tempelportikus gewählt, welcher wohl der Antike nacheifert, jedoch nur unter dem Vorsatze nach gewisser, angepasster Freiheit von den strengen, teils trockenen Vorgaben dieser verehrten Epoche.
Der Portikus wurde auf einen hohen Sockel gestellt (der als Sockel ausgebildeten Erdgeschoss-Fassade). Dieser nun übertrifft spannungsvoll die Sockelhöhe des seitlich angrenzenden Hauptbaukörpers — wodurch wird der dem Risalit gut anstehende vertikale Zuge befördert. Die Pfeiler-Kapitelle bleiben zwar auf gleicher Höhe, dafür aber werden die graphischen Putzrillen auch in den Raum zwischen Kapitell und Gurtband geführt. Jenes umlaufende Gurtband im übrigen bindet den Risalit auf angenehme Weise ein. Das Sockelgeschoss bringt drei rundbogige Durchgänge in den offenen Laubengang, dank der Kämpfergesimse damit vier Rechteckpfeiler. Man beachte vor allem die beiden inneren Pfeiler, welche dank besonderer Breite von geradezu unbotmäßiger Kraft! Das aber ist der Klassizismus à la Weinbrenner, die wuchtige Wirkung preferierend, wo allen voran ein Karl Friedrich Schinkel kopfschüttelnd auf Eleganz und Feinsinn gesetzt hätte.
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Dem Gurtband "entspringen" in die Höhe sechs ionische Pilaster und nach vorne der dem Rathaus gebührende repräsentative Balkon. Letzterer ruht als flache Scheibe auf vier Hakenkonsolen. Erstere vollführen eine ungewöhnliche Anordnung: außen jeweils ein Pilaster und innen zwei Doppelpilaster. Letztere nehmen trefflich die Flucht der unter ihnen befindlichen Brachial-Pfeiler auf. Hier hätte sich Schinkel wohl vollends abgewendet, dem Weinbrenner-Klassizismus aber war solche freie Formulierung, erst recht unter dem Gewinn weiterer kraftvoller Wirkung nur umso angemessener. Auch im Piano Nobile drei Öffnungen. Rechts und links ein hohes Fenster, in der Mitte die Tür zum Balkon. Alle drei zeigen profilierte Rahmungen und Balkenverdachungen auf Rollwerk-Konsolen.
Knapp darüber die fein gearbeiteten ionischen Kapitelle, die einen zahlreich gestuften Balken tragen. Dann aber ein Lapsus: der obere Teil des Gebälks trägt nicht die Farbe des Balkens, sondern den rötlichen Ton der Fassade! Damit aber zählt er dem optischen Eindruck nach zur Fassade zwischen den Pilastern und nicht wie üblich (und notwendig) zum Gebälk. Nicht nur, dass dem Gebälk damit die vorteilhafte Schwere genommen, das gesamte Bild verschwimmt darüber, ordnet zusammen, was nicht zusammengehört. Gewiss ein Maßnahme späterer Zeit und nicht im Sinne des ursprünglichen Entwurfes.
Dann der Dreiecksgiebel, der dank des ausladenden Balkenkopfkranzes von schwerer, dem Weinbrenner-Stil wieder bestens anstehender Wirkung. Der Geison ist wiederum mehrfach gestuft und das Giebelfeld von einem gestreckten Halbrundfenster belebt. Den lastenden Dreiecksgiebel, von im übrigen nicht allzu strenger Dachneigung (auch das typisch für den Weinbrenner-Stil) sieht man gerne von gleich sechs Pilastern gehievt. Es ergibt sich durch die angesprochene Pilasterstellung zwar ein ungewöhnliches Bild, aber doch ein kraftvoll-harmonisches, weil man der Pilasteranzahl die Abtragung des Giebels (die im übrigen ja nur Abbildung und in Wirklichkeit von den Wänden geleistet wird) durchaus zutraut.
Bleibt am Schluss die insgesamt sehr gute Farb-, bzw. Materialwahl zu loben (die einzige Ausnahme wurde genannt). Die Fassaden in einem zur kraftvollen Wirkung gut passenden Rot-Ton, die Stilmittel (Pfeiler, Gesimse, Pilaster, Rahmungen, etc.) in trefflich kontrastierendem weiß und die Dachflächen hautartig aus schwarzem Schiefer.
Wahrlich ein klassizistischer Farbtupfer in der Tiefe des Wiesentales.
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_ Quellen 1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort; J. L. Weinbrenner bis 1825 Bezirksbaumeister von Lörrach und damit für Schopfheim zuständig (anschließend Bezirksbaumeister von Baden-Baden) - lieferte er noch den Entwurf?
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Website www.schopfheim.de
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