Schloss in (Edingen-)Neckarhausen (Rhein-Neckar-Kreis) / Jakob Friedrich Dyckerhoff 1824-25 / Leonhard Schäfer 1910-11
Die große Zeit des Schlossbaus hatte sich überlebt. Es war das 18. Jahrhundert, welches für Deutschland ein Flut von Schlössern erbrachte — auch in Baden, als einem der besten Beispiele, zwischen Mannheim und Rastatt eine veritable Schlösser-Landschaft ins Leben rief (der berühmte "Fleckenteppich", die "Kleinstaaterei" mit ihrer Vielzahl an Residenzen hatte sie vermocht).
Wohl übte sich auch das beginnende 19. Jahrhundert noch im Schlossbau. Alleine bei Vergleichung mit dem vorangehenden nahm sich dieses Unternehmen wahrlich bescheiden aus. Das galt für ganz Deutschland und umso mehr für das in den napoleonischen Umwälzungen ausgeblutete Großherzogtum Baden. Darin ein erster entscheidender Grund für den "dramatischen" Rückgang des Schlossbaus: die deutschen Fürsten besaßen schlicht nicht mehr die Mittel für die großen Ergötzlichkeiten. Der zweite Grund: warum neue Paläste, wo dieselben doch geradezu im Übermaß vorhanden? Auch hier Baden ein Vorzeige-Exempel. Durch die Expansion von der Markgrafschaft zum Großherzogtum besaß der Hof mit einem Mal gleich vier Residenzschlösser: Mannheim, Bruchsal, Karlsruhe und Rastatt. Dem nicht genug traten weitere (Lust-)Schlösser hinzu: das großartige Schwetzingen, Kislau, Waghäusel, Stutensee, die Durlacher Karlsburg, das Ettlinger Stadtschloss, die Rokoko-Perle Favorite bei Rastatt und endlich das Baden-Badener Stadtschloss. Aber, Hand auf's Herz, gebaut hätten sie bestimmt alle gerne, die deutschen Fürsten. Aber es waren eben auch die Tage, in denen sich selbst die Landesoberhäupter der Aufklärung rühmten, Verfassungen zumindest schon versprachen. Ein selbstherrlicher Schlossbau à la absolutistischem 18. Jahrhundert verbot sich da ganz von selbst.
So hatte der Klassizismus wohl zahlreiche Bauaufgaben, der Palastbau aber spielte hierbei nur noch eine Nebenrolle. Wohl traten im Oeuvre Friedrich Weinbrenners manche Werke durchaus in schlossartiger Dimension auf: das Baden-Badener Kurhaus, das Rathaus und die Münze in Karlsruhe können in Aufbau und Größe Parallelen nicht leugnen. Aber das einzige, dass denn wirklich Schloss, war das Markgräfliche Palais am Karlsruher Rondellplatz — errichtet ganz standesgemäß dem badischen Hof.
Wohl wollte manch' adeliger Bauherr nicht wahrhaben, dass es mit dem glanzvollen Schlossbau nun vorbei. Und so taucht der Würdetitel Schloss auch im badischen Klassizismus noch oft genug auf: Schloss Bauschlott, Schloss Schomberg, Palais der Markgräfin Friedrich, Rohrbacher Schlösschen, Schloss Rotenfels. Alleine, vergleicht man diese Bauten mit ihren Vorgängern des 18. Jahrhunderts, so muss man die Überspitzung billig einräumen. Wo sind die prunkvollen Fassaden, ja vielmehr wo ist die Großzügigkeit der Verhältnisse? Man redet im Falle der genannten "Sünder" von vortrefflichen Bauwerken, aber man redet nicht von Schlössern — Landvilla oder Stadtvilla geht dem nüchternen Geist weit leichter über die Lippen.
Das Markgräfliche Palais immerhin ward noch als Schloss ausgemacht. Es sollte denn doch nicht ganz alleine bleiben. Was nämlich vor allem aus der Hand des Jakob Friedrich Dyckerhoff zwischen Heidelberg und Mannheim, namentlich in Neckarhausen entstand, das bedeutet dank der Großzügigkeit des Bauwerkes, auch einer ohne weiteres schlossartigen Gliederung einen zweiten Schlossbau des Weinbrenner-Stiles in Baden.
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Aber halte man sich hier unbedingt die badische Bescheidenheit (Knappheit der Geldmittel) der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts vor Augen — wohl lädt die Größe und Gliederung des Bauwerkes zur Adelung "Schloss" ein, keineswegs aber der Fassadenschmuck. Zwar steht man, wie ja auch die Größe schon vermuten lässt, nimmer vor ärmlichen, aber halt auch nicht vor reichen Fassaden. Der Bauherr, das Adelsgeschlecht von Oberndorff, konnte wohl das eine oder andere zulassen — die "Gefahr" des Prunkes jedoch drohte zu keinem Zeitpunkt.
Den feinsinnigen barocken Schloss-Baumeistern hätten die relativ geringen Investitionsmittel zweifellos schlaflose Nächte bereitet, einem Weinbrenner-Schüler jedoch waren sie normal wie nur was. Weinbrenner und seine Schüler kannten es überhaupt nicht anders (selbst das Markgräfliche Palais "schleppte" sich von 1803-11 elend dahin) — und der von Weinbrenner implementierte Stil hatte die bescheidenen badischen Verhältnisse von Anfang an fest im Blick. Das war vielleicht der größte Verdienst des Weinbrenner-Kanons überhaupt, trotz "schwindsüchtigen" Terrains der Baukunst das stabilste Fundament zu sichern. Der Baukunst wurden Früchte eingebracht, ganz unbezweifelbar. So auch in Neckarhausen.
Hier nun trat der Weinbrenner-Stil keineswegs befreit auf die grüne Wiese, sondern hatte sich auch noch mit einem umzubauenden Vorgänger des 18. Jahrhunderts "herumzuschlagen". Aber die Baugeschichte des Neckarhausener wurde noch komplizierter. Denn nach Dyckerhoffs Eingriff 1824/25 folgten zwei weitere: 1850 und 1910/11. Das dabei gewiss erstaunlichste: das Gebäu wirkt zweifellos wie aus einem Guss, es ist ein Werk (fast) reinsten Weinbrenner-Stiles. Weder lässt sich Barock-Stil des Vorgängers gewahren noch wichen die weiteren Maßnahmen vom Klassizismus ab. Darum auch sollte man in Jakob Friedrich Dyckerhoff den Hauptbaumeister des Schlosses sehen, den badischen Klassizismus nämlich führte seine Person hier ein. Dass anschließend Kontinuität gewahrt wurde, kann freilich seinerseits nicht genug gelobt werden. Freilich halfen auch die Umstände der Zeit mit, denn die Hauptmaßnahme von 1910/11, ausgeführt vom Darmstädter Architekten Leonhard Schäfer fiel genau in die Tage des Neo-Klassizismus, weshalb Umbau und Ergänzung schon dank der Wünsche des Zeitgeschmacks nach Kontinuität verlangten.
Betrachten wir das homogene Konglomerat also genauer. Überaus gelungen die repräsentative Vorderseite: lang und gekonnt in fünf Abschnitte gegliedert, kommt man an der Einschätzung Schloss gewiss nicht umhin. Es war vor allem die Mittelpartie, die den Vorgängerbau zu berücksichtigen hatte. Dieser nun wurde von Dyckerhoff um ein Geschoss erhöht, außerdem wurden die Fassaden auf Weinbrenner-Stil getrimmt. Am ansehnlichsten eben das Obergeschoss mit einer reizvoll scharf eingeschnittenen Rechtecknische. Sie nimmt drei der insgesamt fünf Fensterachsen auf. Hier sind die Öffnungen mit vollem Rundbogen, außerdem veredeln zwei schöne ionische Halbsäulen. Letztere stehen auf dem vom zweiten Stockwerk separierenden Gurtband und scheinen die Stabilität der Nische zu gewähren. Ansehnlich auch das weit ausladende, plastische Balkenkopfgesims, dass dank der Erhöhung der Mittelpartie praktisch ganz umlaufen kann. Es trägt ein reines (nicht wie so oft geknicktes) Walmdach, was einen Ausdruck der Strenge befördert. Je weiter es nach unten geht, desto bescheidener: das zweite Geschoss lässt immerhin noch Balkenverdachungen zu, das Erdgeschoss nur noch einfachste Rahmungen.
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Die rechts und links dem Mittelstück anschließende Abschnitte weichen vor allem in der Höhe deutlich zurück (um ein Geschoss), was treffliche Überleitung zu den dann wieder erhöhten Eckpavillons. Die beiden Abschnitte stammen im wesentlichen von Schäfer. Im ersten klassizistischen Bauabschnitt 1824/25 blieb das Mittelstück freistehendes Herrenhaus, im zweiten 1850 verbanden Terrassen mit den gleichfalls 1824/25 erbauten Eckpavillons. 1910/11 nun umschlossener Raum statt der beiden Terrassen. Ein kurzer Blick genügt um Schäfer gekonnte Stilfortsetzung zu bescheinigen. Am schönsten die dorischen Pilaster und tief eingeschnittenen Fenster im Piano Nobile. Des weiteren belebt die Durchfahrt des rechten Abschnitts die insgesamt strenge Fassadenschau durch dorisierte Quadratpfeiler.
Dann die Eckpavillons. Wiederum erhöht, jedoch, für die Gesamtschau glücklich, nur um eine Mezzaninetage, hinter der Höhe des Mittelbaus also deutlich zurückbleibend. Auch hier die strengen Walmdächer. Auffällig natürlich die hohen Schmuckfriese, von Dyckerhoff zwischen Erdgeschoss und Piano Nobile platziert. Es sind die Friese, die ionischen Halbsäulen, auch die Pilaster und Pfeiler, die der großen Gebäudemasse die dem Schloss-Charakter dringend notwendigen edlen Details sichern. Und man ist geneigt zu sagen, dass es weniger nicht sein dürfte! Die Anzahl und Schönheit der Details aber reicht tatsächlich aus, und so darf man sich einmal mehr an der weinbrennerschen Kunst des formalen Minimums erfreuen.
Von ganz anderem Auftreten die Rückseite, also die Gartenansicht. Nicht nur, dass uns statt einer langen geraden Ansicht ein sattes Hufeisen anlugt — vorbei die Strenge und es lebe die Lebendigkeit! Was nun der repräsentativen Vorderseite eher ungünstig gewesen wäre, kann man auf der (einst) privaten Rückseite billig gelten lassen. Vor dem Hintergrund eines weitläufigen (heute öffentlichen) Parks dominiert auch hier der Mittelbau, finden sich gleichfalls fünf Abschnitte. Die Symmetrie allerdings wurde für die rechts und links zu spiegelnden Fassaden blindlings aufgegeben (nur durch die Hufeisenform bleibt sie latent spürbar). Am lustigsten der von Schäfer angefügte Rundturm, ein formaler Farbtupfer. Und wenn auch die Symmetrie aufgegeben wurde, so doch keineswegs die Detailsorgfalt. Wohl tritt auch sie gegenüber der Straßenansicht zurück, bietet aber weiter erbauliches. Zum Beispiel der Eingang in den Mitteltrakt: zwei mächtige dorische Pilaster stemmen ein abstrahierten Dreiecksgiebel. Oder der linke Zwischenabschnitt: die Durchfahrt wird weiter von dorisierten Pfeilern gesichert und darüber dorische Säulen für eine Loggia.
Unter dem Strich aber ist es vor allem die disziplinierte Vorderseite, monumental und würdevoll, die Dyckerhoffs (und Schäfers) Schloss unter die bedeutenden Werke des Weinbrenner-Klassizismus kürt.
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_ Quellen 1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) örtliche Informationstafel
4) Website www.burgeninventar.de
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