Modellhäuser in Karlsruhe / nach Vorgaben Friedrich Weinbrenners / ab 1800
Karlsruhe um 1830 präsentierte sich zuvörderst durch die prachtvollen (Groß-)Bauten, bestimmt der Öffentlichkeit in Gestalt der Kirchen und des Rathauses, oder dem großherzoglichen Hofe per stadtgründendem Schloss und der Adelssitze. Eine stattliche Anzahl von ihnen vollendete sich durch glückliche Platzierung an der wichtigsten Achse des Strahlensystems des Stadtgrundrisses, der auch entsprechend titulierten "Via Trimphalis".
Dennoch benötigt eine Stadt weitaus mehr, allen voran natürlich Gebäude dienend den Funktionen des Wohnens und des Handels. In ihrer Bedeutung hinter den auch sie letztlich repräsentierenden Bauten der öffentlichen oder höfischen (halböffentlichen) Institutionen konnten sie folgerichtig nicht die gleiche Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Das galt insbesondere für das Stadthaus des einfachen Bürgers, der aufwendige Fassadengestaltung (zumal in den bescheidenen ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts) zu bezahlen schlicht und ergreifend nicht vermochte. Und doch wurden gerade diese einfachen Bürgerhäuser zur nicht minder gewichtigen Trumpfkarte des Stadtbildes um 1830, welches nämlich außer den großartigen Bauten durch das gleichfalls bewegende Moment der Homogenität außerordentlich zu beeindrucken wusste. Karlsruhe bot dem Auge des aufmerksamen Betrachters feinste Speise; durch die zahlreichen Möglichkeiten zum Schloss blickend, oder über den Markt- oder Rondellplatz flanierend, fand er alles Gewürz um auf dem Wege durch den Stadtkörper das milde Fleisch der damals zahlreichen homogenen Straßen in echter Ruhe zu sich zu nehmen — und wann immer das Gericht drohte fade zu werden, tauchte flugs das nächste monumentale Gebäude öffentlicher oder höfischer Natur auf, oder zumindest ein den Appetit haltendes vornehmes Stadtpalais. Karlsruhe war geschickt inszenierte Planstadt, war ein wirkliches Erlebnis. Goethe (zweimal in Karlsruhe) lobte und nicht nur Kleist sah sie "klar und lichtvoll wie eine Regel — als ob ein geordneter Verstand uns anspräche".
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Weinbrenner hatte für die Mehrzahl der bewunderten, die Stadt repräsentierenden Gebäude gesorgt — aber auch für das sie zusammenhaltende Fleisch der Bürgerhäuser schnellstmöglich die homogenisierenden Spielregeln festgelegt. Beides lag gleichermaßen sehr in seinem Sinne; bei ersten sollte der monumentale Ausdruck die verspielten Fassaden des Barock ablösen und bei letzteren der vereinheitlichende Charakter den des unruhigen, der sich insbesondere in der Hauptstraße, der sogenannten Langen Straße (heute Kaiserstraße) bemerkbar machte. Nichtsdestotrotz griff Weinbrenner dabei auf die dem Barock gängige Idee des Modellhauses zurück.
Wir sehen Weinbrenner hier in Kontinuität mit einer Entwicklung, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der alten Residenz Durlach ihren Anfang nahm und in der neuen Karlsruhe Fortsetzung fand, dem markgräflichen Wunsch nach gestalterischer Harmonisierung des Stadtkörpers mit Hilfe des barocken Modellentwurfs folgend. Diese entsprach damals ganz dem Zeitgeist — auch der badische "Bruder", die Markgrafschaft Baden-Baden ließ die residenziale Planstadt Rastatt durch Modellgebäude auffüllen; nicht anders die benachbarte Kurpfalz in Mannheim oder der württembergische Herzog in Ludwigsburg; und, in die Ferne schweifend, Friedrich der Große in Preußens Potsdam.
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In Karlsruhe erlitt dieser harmonisierende Ansatz jenseits der dem Schloss direkt gegenüberstehenden Bauten des inneren Zirkels im Laufe des späten 18. Jahrhunderts zunehmend Vernachlässigung. Dem wollte Weinbrenner unbedingt Abhilfe leisten und legte den entsprechenden und von großherzoglicher Baugnade (staatlicher Zuschuss) geförderten Kanon des klassizistischen Modellhauses vor.
Dieser begann bei der Frage der Geschossigkeit, welche, zwei bis vier Stockwerke erlaubend, am jeweiligen Standort ihre Antwort fand — je näher den zentralen Straßen und Plätzen, desto höher durfte und sollte das Stadthaus geraten.
Dann setzten die Gestaltungsmittel für die Fassaden ein, welche im wesentlichen einer "abgespeckten" und durchaus kargen Version von Weinbrenners klassizistischem Entwurf folgten. Die Fassaden, grundsätzlich verputzt, erfuhren klare horizontale Gliederung in Sockelgeschoss, Piano Noble (ein- oder zweigeschossig), gerne ein mezzaninartiges Geschoss und endlich das durch markantes Gesims abgetrennte einfache Sattel- oder Walmdach. Die Öffnungen erhielten mehr oder weniger einfache (gestrichene) Steinrahmungen, im Regelfall im Piano Nobile immerhin Balkenverdachungen auf Rollwerk-Konsolen. Schließlich bildeten einfachste die Geschosse trennende Fassadenbänder und das plastische Balkenkopfgesims des Dachrandes den einzigen Gebäudeschmuck.
Da kann es kaum verwundern, wenn ein willkürlich herausgegriffenes Modellgebäude für sich alleine betrachtet keinen Jubelsturm zu erwarten hat. Reizvoll dagegen ist durchaus die Addition, das Straßenbild eben, welches sehr von der kleinteiligen Parzellenstruktur profitiert. Die Modellgebäude besitzen selten größere Breite, wodurch also eine rasche Abfolge der Gebäude resultiert, welche verstärkt durch die verkürzende Wirkung der Perspektive ein doch munteres Bild vor Augen wirft. Und mehr bedarf das Straßenbild auch gar nicht, besitzt es doch schon einen Trumpf, namentlich den des homogenen Eindruckes, der zur wirklichen Belebung nur das das Moment der Vielfalt wünscht — eine Vielfalt in der Einheit. Die kleinteilige Parzellenstruktur ist letztlich dafür verantwortlich, dass die Idee des modellhaft bebauten Straßenzuges funktioniert. Weinbrenner hatte sie gezielt genutzt, genau wissend, dass man hierbei einer Aneinanderreihung tollster Fassaden überhaupt nicht bedarf.
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