Evangelische Thomaskirche in Kleinsteinbach (Pfinztal, Landkreis Karlsruhe) / Friedrich Weinbrenner / 1806-17
Natürlich gebührt dem Meister die Ehre auch den sekundären Grundtypus der Kirchen im Stile Weinbrenners einzuführen. Neben den beiden großen Stadtkirchen Karlsruhes baute Weinbrenner vier weitere (kleinere) Kirchen, worunter drei (Scherzheim - Sammlung '1', Langensteinbach - Sammlung '1', Renchen - Sammlung '2') dem von ihm in Kontinuität zum Vorgänger-Stil, zum Barock, eingeführten primären Grundtypus folgen, der eine Durchdringung der beiden klar ablesbaren Baukörper Kirchenschiff und Kirchturm auf der Querseite des Haupteingangs besorgt, denselben in den Turm verlegend. Die Kirche in Kleinsteinbach weiß zwar auch um diese Durchdringungsgestalt, ordnet diese aber auf die Rückseite der Kirche. Die den Haupteingang führende Giebelseite ist ganz der Wirkung des Kirchenschiffes überlassen. Eine solche Konstellation als im Stile Weinbrenners immer wieder auftauchende Variation der primären Grundfigur soll fortan als sekundärer Grundtypus bezeichnet werden.
Der Besucher trifft zunächst auf die an der Ortsstraße gelegene Eingangsseite. Bei vorgestellter Konstellation kann dies für Weinbrenner nichts anderes bedeuten als die Ausbildung einer sich auf die Antike berufenden tempelartigen Schaufront: Sockel, Säulen (und Pilaster), Gebälk und Dreiecksgiebel brav eingesetzt. Freilich lässt Weinbrenner kopieren nicht gelten und so entsteht bei aller Grundvoraussetzung keineswegs eine einfallslose Nachahmung eines antiken Tempels, sondern eine klassizistische Front im Rahmen der Formvorstellungen Weinbrenners.
Obwohl ohne weiteres möglich, verzichtet er auf eine reine Säulenordnung — Säulen stehen den Eingang säumend nur innen, rechts und links dagegen je zwei Pilaster. Mit ihren dorischen Kapitellen treten sie lastwillig in die Höhe — dabei ergibt sich aber, für einen antiken Tempel ganz undenkbar, eine klare Dreiteilung der Fassade — statt dem Motiv der Säulenreihung zeichnet sich deutlich eine Symmetrie. Auch mit dem Dreiecksgiebel meint es Weinbrenner nicht wirklich antik, dafür gerät die Neigung der Dachflächen nämlich zu steil — in dieser Machart fühlt man sich eher an die historische landläufige Dachneigung erinnert. Und schließlich fehlt der Fries über dem Architrav — im Regelfall wählte Weinbrenner diesen in Form des römischen Balkenkopf-Frieses. Nicht jedoch hier, der Dreiecksgiebel trifft unvermittelt auf den Balken — eine erstaunliche Giebelausbildung, weil diese Auslassung durchaus in barocker Manier — und solches bei Weinbrenner!
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Nach getaner Analyse darf man wohl feststellen, das der Meister zwar eine antike Tempelfront "ins Badische" bringt, sie aber durch kunstreiche und konzessive Maßnahmen in Kontinuität mit der hiesigen Bauhistorie anwendet um ein originelles Fassadenbild zu kreieren.
Dass sich Weinbrenner mit dem optisch "weichen" Oberflächenmaterial Verputz gleichfalls in den Fußtapfen des Barock-Stiles bewegt, bedarf hier wohl keiner genaueren Ausführung mehr. Freilich sorgen der weitgehende Verzicht auf Schmuckformen, die zahlreichen unbehandelten Flächen, die kantigen kristallinen Formen und die oben schon erwähnte klar ablesbare Durchdringungsfigur wie immer für einen zunächst eindeutigen Kontrast zum barocken Vorgänger-Stil. So auch auf der Rückseite der Kirche: vor allem der eigentliche Turmkorpus (der untere Abschnitt des Turmes) mit seinen freigehaltenen Kanten und den nur gering in die Fassade schneidenden Halbkreisfenstern zelebriert geradezu den reinen Körper in Gestalt eines riesenhaften stehenden Quaders. Würden hier die Öffnungen tiefer dringen, so würde sich ob der gezeigten Leibung die Wirkung schwerer Wände zuungunsten des leichten glatten Körpers verstärkt haben.
Die Turmspitze, das sind zunächst vier nur kurz aufschießende Eckpilaster, einen umlaufenden Balken tragend. Die sich ergebenden breiten Interkolumnien lassen wiederum Raum für leere Fläche und sich gleichfalls nur gering eingrabende Glockenklang-Öffnungen mit Rundbogen. Nun folgt das Turmdach, welches für Weinbrenner ein verblüffendes Maß an Verspieltheit bereithält: dem ersten geknickten Zeltdach setzt sich eine Laterne mit wiederum geknicktem Zeltdach auf — alles klare Formen, aber — man traut es sich kaum noch auszusprechen — erneut in barocker Manier. Der gute Weinbrenner hat die barocke Architektur bis auf wenige Ausnahmen derart unglimpflich abgeurteilt, dass man sich eigentlich zurückhalten will gerade zu diesem Stil Kontinuität festzustellen.
Freilich heißt das alles ohnehin nur akademisieren — in dem ansonsten an baulichen Höhepunkten armen Kleinsteinbach steht mit Weinbrenners Kirche große Baukunst. Nur darum geht es!
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_ Quellen 1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Arthur Valdenaire "Friedrich Weinbrenner: Sein Leben und seine Bauten", C. F. Müller Verlag, 4. Auflage Heidelberg 1985 (Original: Braun Verlag, Karlsruhe 1926)
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