Evangelische Stadtkirche von Lörrach (Landkreis Lörrach) / Wilhelm Frommel / 1814-17
Verwundert rieb sich der Autor die Augen. Er stand nämlich vor einer der originellsten Kirchbau-Schöpfungen des Weinbrenner-Stiles überhaupt, und diese sollte ausgerechnet aus der Hand des Wilhelm Frommel herrühren? Nun war der gute Frommel alles nur kein Schlechter, in zahlreiche Planungen der klassizistischen Tage Badens involviert — z.B. gemeinsam mit Friedrich Weinbrenner in der Wiederaufbau-Konzeption des niedergebrannten Gernsbach, auch gehen die Rathäuser von Mannheim-Sandhofen und Heidelberg-Rohrbach (beide Sammlung '4') auf ihn zurück — aber ein solcher Geniestreich? Das war denn wahrlich eine Überraschung.
Im Gotteshaus Lörrachs (Innenstadt) hat man hinter den beiden Stadtkirchen Karlsruhes von Friedrich Weinbrenner, der Adelshofener Schöpfung von August Schwarz und dem Christoph Arnoldschen Wurf für Rippoldsau (bzw. für Lörrach-Stetten) die ausgefallenste Gestaltung unter den badischen Weinbrenner-Kirchen. Und es ist durchaus ein geringes, sie vom Standpunkte der Extravaganz auf gleiche Augenhöhe mit den letzteren zwei zu stellen. Alleine nämlich vom Standpunkte der Schönheit bleibt sie einen Tick zurück. So zählt Frommels zweifellos glänzendstes Werk zu den ausgemachten Farbtupfern, den kraftvollen Farbtupfern, die den im Weinbrenner-Klassizismus an Qualität eindeutig dominierenden Kirchenbau, welcher seinerseits ja eindeutig unter Hegemonie von primärem, sekundärem und tertiärem Grundtypus, erfrischenden Esprit einhauchen. Und wenn man's annehmen will, so sind die aufgezählten Tupfer die Edelsteine unter einer erlesenen Sammlung, einer erlesenen Sammlung, die den einzigen wirklich badischen Stil ausmachen.
Schauen wir uns Frommels Tat genauer an. Betrachtet man hierbei zunächst die monumentale Vorderseite, so ist man gewillt jene Tat stehenden Fußes in die wohlbekannte Kategorie "Doppelturm-Kirche" einzuweihen. Alleine ein weiterer Turm, von der Rückseite niederlugend, die beiden anderen Türme an Höhe billig überragend, macht solchen Ratschlag gleich wieder zunichte. Jener dritte Turm im übrigen hat es mächtig in sich. Der kundige Blick erfasst es sogleich: kein Werk Frommels, oder genauer "fast" nicht. Oder lächelt uns hier nicht ein lieber Turm hiesiger Landgotik zu, ein Werk also des (auch Frommel schon) fernen Mittelalters? Die spitzbogigen Schallfenster weisen ihn aus, die Eckquaderung macht ihn schwer (und, weil original, alt) — und die rundbogigen Öffnungen, ja die katapultieren zumindest den unteren Teil des Turmes nochmals um Jahrhunderte zurück, in die Tage der der Gotik vorangehenden Romanik.
Und wie nun Frommels Lörracher Kirche dem Weinbrenner-Klassizismus ein Farbtupfer, so dieser uralte Turm wiederum ihr. Er im übrigen ist der Überrest der zum Behufe des Neubaus abgetragenen mittelalterlichen Kirche. Diese aber, unser Turm verrät es leicht, war in ihrer Hauptachse von anderer Stellung, namentlich um circa 45 Grad gedreht. Als man aber zum Neubau der Kirche schritt, fand man der sich seinerzeit gleichfalls ändernden Stadtgestalt angemessener das Langhaus um genannte Zahl zu drehen. Und seit diesem Zeitpunkt, als ein echtes Unikum der Kirchenbaukunst ganz allgemein (keineswegs nur der badischen) findet man einen Campanile in 45 Grad-Stellung an einer Ecke des Langhauses in die Höhe steigen. Und es ist jene Komposition, die die Markanz des Lörracher Gotteshauses dick unterstreicht.
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Dem mittelalterlichen Turme aber, Frommel wollte auch hier nicht untätig sein, ward ein pyramidales Turmdach à la Weinbrenner aufgesetzt: das geknickte Zeltdach. Weit lädt dessen Gesims aus, macht das Dach schwer, ungemein schwer (zu schwer in den Augen des Autor, vor allem aus der Ferne geblickt) — Schwere, das war dem Weinbrenner-Stil als monumentalisierende Maßnahme immer lieb, jedoch galt dies Bestreben weniger dem vor allem der reinen Form verpflichteten Kirchturmdach.
Frommels extravagante Dreiturm-Anlage(!) lebt also in nicht geringem Maße von seinerzeit bewahrter Substanz. Alleine geringer schätzen darf man des Baumeisters Arbeit darüber nicht — da würde die ungewöhnliche Vorderseite lügen strafen. Die Ausgefallenheit des Lörracher Bethauses wird zu gleichen Teilen vom "schrägen" Campanile und der Eingangsfassade getragen. Beide ergänzen einander trefflich, steigern wechselseitig die jeweilige Wirkung.
Wohl erstrebte Frommel für die Vorderseite eine Doppelturm-Anlage — aber betrachte man die dann eingeschlagene Ausführung: die Front des Langhauses breit angelegt, die Türme dagegen von sehr schlanker Proportion, in ihrer Höhe (inklusive Dach) auch noch hinter der Höhe des Langhauses zurückbleibend, gleichsam als Turmstümpfe — ein Arrangement einer Doppelturm-Anlage, das nicht leicht hätte ausgefallener ausfallen können! Als Doppelturm-Konzeption eifert sie zwangsläufig einer Unzahl von Vorbildern von Romanik bis Barock nach, als konkrete Umsetzung aber sucht man vergeblich nach vergleichbaren Vorläufern.
In Lörrach, das sollte nun offen am Tage sein, findet man also nicht nur einen Farbtupfer des Weinbrenner-Stiles, nein, man findet einen Farbtupfer des Kirchbaues ganz allgemein.
Klar dominierend also die beiden Querseiten des Kirchenschiffes (Saalbau): symmetrische Vorder- und asymmetrische Rückseite, geprägt von den Türmen. Und so will man in der Zurückhaltung der Längsseiten umso weniger Schaden sehen, umso weniger Schaden sehen, als die bekannten hohen Rundbogenfenster, die hier alleine rhythmisieren, von edler Detailsprache: Kapitelle, indem sie als Zweierpaare jeweils "ihren" Bogen halten, beleben.
Die Vorderseite, oft genug schon angeklungen, nunmehr im Detail. Neben den beiden Türmen lebt sie von zwei weiteren Gesten. Zum einen vom großen Triumphbogen, welcher die eigentliche Eingangszone bestens markiert, zum anderen vom hohen und durch ein Rundfenster betonten Dreiecksgiebel. Edelstes Bauteil eindeutig der Triumphbogen, jene von Friedrich Weinbrenner für seinen Kirchenbau in Scherzheim erstmals eingebrachte Nische, welche von einer frei eingestellten Konstruktion ausgefüllt. In Lörrach nun wurde sie breiter als gewöhnlich und (noch) edler als gewöhnlich angelegt.
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Trefflich wird man durch eine Freitreppe auf sie zugeführt. Dann steigen zwei stämmige dorische Säulen in die Höhe, rechts und links, von der Nische gleichsam angeschnitten zwei Pfeiler gleicher Ordnung. Vier Stützen, demnach drei Abstände — für die Wirkung am besten: alle drei als Eingang ausgebildet. Kraftvoll gehievt wird ein enorm hohes Gebälk. Diesem, für einen zusätzlich edlen Ausdruck mehrfach horizontal gegliedert, entspringen auf geschickte (verschmelzende) Weise die nächsten vier Stützen. In Flucht der unteren nehmen sie nun durchgehend die kantige Form an, fallen kürzer, aber nicht weniger kraftvoll aus. Auch ihre dorisierten Kapitelle tragen ein hohes, damit schweres Gebälk (welches aber, für die Gesamtwirkung von Vorteil, deutlich niedriger ausfällt als das untere). Damit aber sind wir genau am Übergang zum Bogen angelangt, was bei weiterer Ausführung Anlass zu einem sehr großen Halbrund gab. Im Ganzen ein spannungsvolles Konstrukt und ein vorzügliches Beispiel für die weinbrennerschen Triumphbögen.
Ein weiteres wichtiges Detail geht aus der Nische hervor. Ein Gesimsband, welches die beiden Türme ein erstes Mal einzufangen vermag. Und die "Armen" werden noch ein zweites Mal "gemaßregelt". Jenes weitere Mal nämlich vom Geison des Dreiecksgiebels, welcher also weiterlaufend, nach Willen des Baumeisters genau auf unterer Höhe der Bögen der Schallfenster nach den Türmen greift. Zwar durchstoßen ihn die Schallfenster, den Eindruck des Einbindens aber lösen sie nicht auf. Jene zwei formal zusammenbinden Maßnahmen aber bremsen nicht nur den vertikalen Zug der Türme, des weiteren nämlich homogenisieren sie das Bild der Vorderseite.
Um bei den dreistöckigen Türmen noch kurz zu verweilen: einfache Rechtecköffnungen beleben, nehmen aber nicht die Strenge; und die von sehr flachen Zeltdächern gedeckten Glockengeschosse, gleichfalls ohne besondere Detailtiefe, folgen durchaus, wenn auch in abgeschwächter Form, dem Weinbrenner-Standard — ein Gesims "läutet" ein, und das umlaufende Geison-Band veredelt die Wandabschnitte in Richtung Eckpfeiler.
Verbleibt noch der Dreiecksgiebel. Einfach und dünn genug die Geison-Arbeit. Immerhin gewahrt man unter seinem horizontalen Anteil ein überleitendes Gesims mit Balkenkopf-Verzierung. Was nicht von glücklichster Wirkung, dass die unteren Ecken des Dreiecks unsauber mit den Türmen zusammenlaufen (möglicherweise eine nicht plangemäße Ausführung, denn dass sich Horizontal- und Schräggeison gerade eben nicht treffen, will man dem Entwerfer eines solchen Gebäudes nicht zutrauen). Von wiederum sehr guter Wirkung, die dem Weinbrenner-Stil typische steile und damit hohe Ausführung, welche zusätzlich monumentalisiert und den Giebel umso höher über die Türme recken lässt. Die notwendige Belebung erfolgt durch das schon eingeführte Rundfenster.
So hat man unter dem Strich, neben der Originalität und dem monumentalen Ausdruck, das trefflich gezeichnete Bild einer Fassade vor sich. Wahrlich nirgendwo ein Zuviel, aber auch nirgendwo ein Zuwenig, sondern einmal mehr ein Beispiel für die Kunst des formalen Minimums des Weinbrenner-Klassizismus. Die unberührten Fassadenflächen stehen in spannungsvollem Kontrast vor allem zum Triumphbogen. Die Öffnungen und Bänder sind streng graphisch gefasst. Es ist ein Bild, das alle Maßnahmen auf eine Weise einsetzt, die dem Betrachter Interesse abgewinnt. Baukunst.
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_ Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959 (Baumeister Frommel)
3) Homepage www.matthaeusgemeinde-loerrach.de
4) Website www.loerrach.de (Baumeister Frommel)
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