Sankt Michael in Ötigheim (Landkreis Rastatt) / Johann Ludwig Weinbrenner / 1828-30
Man findet diese Kirche im Herzen des Ortes Ötigheim, welcher nahe zu Rastatt durch seine Volksschaubühne nicht wenig bekannt. Ötigheim selbst kann sich nur (noch) auf wenige ansehnliche Bauten historischen Herkommens berufen, worunter denn Johann Ludwig Weinbrenners Entwurf in rotem Sandstein der eindeutig schönste wie bedeutendste.
Man steht vor einer typischen Kirche des Weinbrenner-Stiles, monumental gezeichnet, dem primären Grundtypus folgend. So ordnet Sankt Michael also den Campanile auf die Vorderseite, die kraftvolle Schnittfigur mit dem Langhause nicht säumend, und endlich den Haupteingang bereit stellend. Die formalen Bestrebungen gelten wie immer vor allem der Vorderseite, belässt den Längsfassaden des Kirchenschiffes nur den ruhigen Rhythmus langer Rundbogenfenster, welcher immerhin belebt von einem durch die Öffnungen mehrfach durchschnittenen Kämpfergesims.
Auch die Rückseite gefällt, bedeutet sie dem Chor doch eine runde Form, welche gleich einer romanischen Apsis einfach an das Langhaus geschoben. Letzteres ist denn nicht mehr typisch (Friedrich!) Weinbrenner, sondern vielmehr eine Eigenart des Baumeisters, welche ihn unter die talentiertesten Schüler seines Onkels Friedrich Weinbrenners ordnet. Dieses aber umso mehr als auch die "standardisierte" Vorderseite um einen originellen Eingriff weiß. Diese nämlich verzichtet auf den ansonsten dominierenden Gegensatz körperhaftes Langhaus und körperhafter Turmunterbau gegen konstruktives Glockengeschoss. Wohl strebt letzteres dank der vier Eckpilaster, welche Gebälk und geknicktes Zeltdach tragen ohne weiteres der allgemeinen Machart nach; Langhaus und Turmunterbau aber vollziehen eine klare Abkehr. Diese nun gilt schon für die Vorderseite des Langhauses, welche durch die beiden tiefen Fensternischen und rechts und links säumende Kämpfergesimse den Eindruck von vier mächtigen Pfeilern erweckt. Noch deutlicher der Turm: zwei lange Eckpilaster tragen ein Gebälk und damit (nur optisch) die gesamte Turmfront.
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Nun ist also der typische Kontrast zwischen Kirchenschiff/Turmunterbau und Glockengeschoss aufgehoben. Wollen wir darin einen Nachteil erkennen? Obgleich für gewöhnlich unerwünscht soll zu gleichen Teil ein "Ja" und ein "Nein" stehen. Das "Ja" würde einer Standardisierung gelten — denn die Aufhebung des reizvollen Kontrastes raubt dem Entwurf der Vorderseite einige Klarheit; ja die Vermischung scheint sogar ein wenig an der Monumentalität, welche von Klarheit immer profitiert, zu kratzen.
Johann Ludwigs Onkel Friedrich hatte also den Idealtyp kreiert, der jenen Kontrast auf's vortrefflichste einsetzt. Wie aber gerade jedes gebaute Ideal bei vielfacher Anwendung notwendigerweise an Originalität einbüßt, damit einhergehend auch an Ausdruckskraft verlieren kann, so muss man also den Variationen, selbst wenn dieselben nicht von gleicher Qualität, umso dankbarer sein. Alle talentierten Weinbrenner-Schüler blickten nach der Variation und, wichtiger noch, reüssierten in aller Regel. So auch Johann Ludwig, dem also neben dem hier negativen "Ja" auch das positive "Nein" nicht verwehrt werden kann. Denn man kommt nicht umhin der Vorderseite, ja dem gesamten Kirchenbau ein Lob auszusprechen. Die eingesetzten Stilmittel, selbst wenn sie den Kontrast abschwächen, sind gekonnt angewendet. Gerade die Vorderseite zeigt eine vorzüglich bildhafte Ansicht, der man tatsächlich nur durch den Verweis auf das Ideal Eintrag leisten könnte. Beachte man den schönen Aufbau des Einganges: rechts und links die hohen Pilaster, dann eine Rundbogennische für den Eintritt, welche gesäumt von zwei Rechteckpfeilern und abgeschlossen von einem Halbkreisfenster; dessen Bogen wird von zwei Kämpfergesimsen getragen, welche ihrerseits die Abschnitte zwischen Pilaster und Eingang zu Pfeilern veredeln.
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_ Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959; 1827 als Erbauungsjahr
3) Website SAAI Karlsruhe www.rz.uni-karlsruhe.de
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