Sankt Brigitta in Iffezheim (Landkreis Rastatt) / Wilhelm Vierordt, Johann Ludwig Weinbrenner / 1829-30
In Iffezheim gelingt Wilhelm Vierordt zusammen mit Johann Ludwig Weinbrenner [A] ein besonderer "zweiter Streich". Genau wie im nahen Dorf Achern ("Unserer lieben Frau", Sammlung '1') kann er der hiesigen Kirche landgotischer Machart den zeitgenössischen klassizistischen Stil Weinbrenners aufprägen. Da bei diesem Beispiel jedoch im Gegensatze zu vorgenanntem weniger der ursprünglichen mittelalterlichen Natur zurückbleibt, gelangt der gotische Aspekt aber eher in eine Nebenrolle, zu einer freilich gerne begrüßten Art von formalem Bonus.
Vierordt und Weinbrenner widmen sich bei Erhaltung des gotischen Turmkörpers dem primären Grundtypus der klassizistischen Kirchen Badens. Sie ordnen das neu zu erstellende Langhaus dergestalt an den alten Campanile, dass dieser dessen vordere Giebelseite (mit Haupteingang) durchdringen "muss". Die entstehende Konstellation erhielt des weiteres eine "originelle" dritte Komponente, namentlich eine vor Turm und Langhaus platzierte Vorhalle. Zusammen mit einer breiten auf den Eingang zielenden Freitreppe und dem die erhöhte Topographie ausgleichenden Umfassungsmauern (allesamt aus rotem Sandstein) ergibt sich ein ausdrucksstarkes und zugleich harmonisches Gesamtbild.
Die formale "Geschichte" des Kirchenschiffs lässt sich — wie so oft — schnell erzählen: als einfacher rechteckiger Körper wurde es mit einem Satteldach (auf den Querseiten Dreiecksgiebel führend) gedeckt und langen Rundbogen-Fenstern auf den Längsseiten bestückt. Letztere belassen den tangierten Seiten durch die nicht zum Boden gelangende Ausführung die Lochfassade und dem Schiff somit den körperhaften Charakter. Eher ungewöhnlich dagegen die nur geringe Leibungstiefe, die die im Regelfall zu notierende schwere Wirkung der Mauern zugunsten eines leichteren Ausdrucks verwehrt.
Wie bereits angedeutet kommt der gotische Bestand nicht zu voller Geltung — der Blick auf die Eingangsseite verrät schnell warum: die an und für sich lobenswerte Vorhalle verdeckt die untere Hälfte des Turmes. Das mag durchaus zum Schaden gotischen Ausdruckes gereichen, keinesfalls aber zu dem des Gesamtbildes, strebt doch der schlanke Turm nun zugleich aus Schiff und Vorhalle, eine ungewöhnliche spannungsvolle Geste bereitend, die der Iffezheimer Kirche schließlich den glückliches Status eines Unikats einbringt.
Sparsam gestreute Details runden die erfolgreiche Formung der zuvörderst betrachtenswerten Vorderseite ab. Nach der Materialvorgabe "roter Sandstein" schlägt hier zum zweiten Mal die Stunde des gotischen Bestandes: in den vor allem auf leere Flächen (zur Steigerung der massiven Wirkung) bedachten Arrangement fällt den wenigen gotischen Details — insbesondere dem mit feinem Maßwerk versehenen Spitzbogen-Fenster — eine gewichtige, zweifellos eine belebende Rolle zu.
Die Vorhalle gibt per breiter Rundbogen-Öffnung den Haupteingang (mit gotischem Spitzbogen) frei, wobei zwei geradezu zyklopenhafte Kapitelle den fein profilierten Rundbogen tragen und die einfachen Mauerwerk-Abschnitte zu Rechteck-Pfeilern veredeln. Darüber dann die gotischen Einzelheiten: das schon erwähnte Spitzbogen-Fenster, die durch größere Quader betonten Kanten, das feine Gesimsband und ein reizvoll geschwungener Fensterschlitz.
Vierordt, dem "unbescheidenen" reichte die bestehende Turmhöhe allerdings nicht aus — deutlich sichtbar mauert er den Turm übergangslos weiter und führt auch die statisch notwendige Eckquaderung auf geradlinige (neuzeitlich interpretierte) Weise fort. Ein zweites, gleichfalls dünnes Gesimsband läutet nun das Glockengeschoss ein. Dieses gelangt über wiederum zyklopenhafte Eckpilaster zum zu den Baukörpern Langhaus/unterer Turmabschnitt/Vorhalle kontrastierenden Charakter konstruktiver (elementierter) Natur. Von ähnlich übersteigerter Proportion wie die angedeuteten Pfeiler des Vorbaus tragen sie gleichfalls fein gearbeitete Bögen, die im Pfeiler-Abstand die Schallöffnungen und die den Zifferblättern bestimmte Flächen kraftvoll definieren. Endlich das Turmdach, welches in gewohnter Zeltform doch durch Weglassung des üblichen markanten Knickes nahe der Trauflinie zur Reinform findet, die zwar weniger originell als die Vorhalle, aber dennoch — man möchte es ob der Einfachheit kaum fassen — Unikat-Status erreicht. In Verbindung mit dem horizontal gerillten Dachgesims erhöht die Reinform überdies den Eindruck eines eigenständigen auf die Turmspitze gesetzten pyramidalen Körpers.
Auf der Eingangsseite stehen sich die wenigen Detailakzente gotischer und klassizistischer Ausführung gleichberechtigt gegenüber und beweisen ein weiteres Mal das harmonische Zusammenspiel der durch Epochen getrennten und ganz eigenständigen Stilarten.
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[A] Über die Urheberschaft dieses Kirchenbaus herrscht eine gewisse Uneinigkeit; der Autor folgt hier Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester, die in ihrem Standardwerk badischer (Bau-)Kunst "Kunstwanderungen in Baden" (Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959, S. 228) gleichzeitig auf Wilhelm Vierordt und Johann Ludwig Weinbrenner verweisen. Als amtierenden Bezirksbaumeister stand der Entwurf vor allem dem ohnehin älteren und erfahreneren Vierordt zu, wohingegen Weinbrenner eher für die Ausführung zu vermuten ist.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) SAAI Karlsruhe nennt Johann Ludwig Weinbrenner als alleinigen Baumeister (gleiche Erbauungszeit).
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