Katholische Stadtkirche Hl. Kreuz in Renchen (Landkreis Ortenau) / Friedrich Weinbrenner / 1817
Die katholische Gemeinde Renchen wünschte eine größere Kirche. Das Problem: die Gemeinde verfügte, leider ganz zeitgemäß (dem napoleonischen "Freiheitsschwindel", wie Weinbrenner in seiner Autobiographie "Denkwürdigkeiten" definierte, geschuldet) über nur wenig Geldmittel! So oblag es Friedrich Weinbrenner die, unter den in diesem Buche vorgestellten Gotteshäusern, am stärksten der Reduktion verpflichtete Kirche zu schaffen.
Das Ergebnis lässt sich am besten durch einen Besuch des Ortes bestaunen: mit der Gebäudelänge senkrecht zur Hauptstrasse platziert, den Kirchturm nach vorne stellend, gibt der Bau ein enormes Maß weiß strahlender Monumentalität in diese Hauptachse. Reine Körper, nur unabwendbare Öffnungen und darüber hinaus fast bar jeglicher Details verlässt sich die Kirche einzig auf die Wirkung von Massen, und erzielt eine Monumentalität, die man einem Gebäude dieser relativ geringen Größe kaum zutrauen würde.
Weinbrenner war siegreich ausgezogen einen Stil zu implementieren, der sich seiner Qualitäten auch dort sicher sein konnte, wo man sich nur irgendwie in der Lage fand zu bauen — einen Stil, der auch dort glänzen durfte, wo die finanziellen Mittel für ein Würde ausstrahlendes Bauwerk eigentlich gar nicht vorhanden waren.
Die Kirche zu Renchen stellt hierin ein beredtes Beispiel. Das Grundprinzip zweier sich durchdringender Baukörper — Kirchenschiff und Kirchturm (mit Haupteingang) — bildet wie beinahe immer den Ausgangspunkt. Das per Satteldach gedeckte Schiff im Format einer großen Dorfscheune verfügt an den Längsseiten über lange Rundbogen-Fenster, wie immer tief ins "Fleisch" des Mauerwerks einschneidend und von frühromanischer Wirkung. Ungewöhnlich dagegen die Schmalseiten, die auf eine Formulierung des eigentlich obligaten Dreiecksgiebels verzichten. Diese Anordnung kennt man zwar auch von der Scherzheimer Kirche (Sammlung '1', Nummer 3) — hier aber liegt die Vermutung nahe, dass er tatsächlich den Einsparungsplänen anheim fiel. Die Wirkung kommt nichtsdestotrotz ausgezeichnet, ungebremst gegen die Dachränder laufend steigert sich die Massenwirkung sogar.
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Der Turm. Der eigentliche Turmkörper erfährt eine Zäsur durch ein Gesims auf der Höhe des Horizontalgeisons des eigentlich nicht vorhandenen Dreiecksgiebels und deutet ihn also auf subtile Weise doch an — die beschriebene Massenwirkung des Schiffes nicht beeinträchtigend. Die Frontseite wird von noch tieferen Nischen aufgeschnitten; die den Eingang freigebende besitzt mächtige Pfeiler und Balkenwerk in der Art einer sich selbst und unabhängig von der Nische tragenden Installation — im Grunde das einzige das Bauwerk veredelnde Detail. Der Turmkorpus schließt mit der umlaufenden Galerie, deren filigranes Kreuzungsgeländer einen effektvollen, weit sichtbaren Kontrast zu den wuchtigen Massen besorgt.
Die Turmspitze gefällt sich im Regelfall in edler konstruktiver Gestalt, einen spannungsvollen Gegensatz zur körperhaften Konzeption des Turmkorpus spielend. Nicht hier. Zu aufwendig (und damit zu teuer). Statt dessen wirken auch hier die Massen. Hiervon rührt auch die erstaunliche monumentale Ausstrahlung; die wuchtige körperhafte Wirkung endet nämlich nicht mit dem Turmkorpus, sondern wird weiter getragen in die Turmspitze und erhält somit unübliche Fernwirkung (diese ist ansonsten der konstruktiven Wirkung vorbehalten). Vier mächtige nackte Mauerecken tragen die obere nur von Uhren geschmückte Partie. Letztere weicht zurück, die vorgenannten Ecken betonend. Das Turmdach beschließt in geknickter Zeltform.
Wenig Geldmittel, wenig Details — dafür freies Spiel der weißen Massen. Keinerlei Schaden, nur Gewinn.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959; 1816/17 ausgeführt
3) Hubert Krewitz "Der Weinbrenner-Schüler Johann (Hans) Voß", Artikel aus "Geroldsecker Land" 1974, Heft 16, S. 89-103; Hans Voss lieferte erste Pläne, mit welchen Weinbrenner aber nicht zufrieden
4) Ausstellung im Schloss Bruchsal, 21.03.-07.09.2003 "Kirchengut in Fürstenhand. 1803: Säkularisation in Baden und Württemberg. Revolution von oben."; hier wurden auch mehrere Weinbrennerstil-Bauten, obgleich nicht unmittelbar zur Thematik sich fügend, präsentiert
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