Bürgerhaus in (Karlsruhe-)Durlach / 1830
Heinrich Hübsch, neben Georg Moller der Schüler Weinbrenners mit dem wohl größten Talent, fällte, die Fußtapfen Weinbrenners verlassend, ein geradezu vernichtendes Urteil: der klassizistische Stil seines Lehrmeisters sei nicht mehr zeitgemäß, ließe insbesondere beim urbanen "Fleische", dem bürgerliches Wohnhaus die notwendige Ausdrucksstärke missen. Nun war Heinrich Hübsch nicht irgendein Architekt, vielmehr nahm er nach dem Tode Weinbrenners auf dessen Stuhl als badischer Baudirektor Platz — umso weitreichender also die geäußerte Kritik.
Was kann der Autor dieses Büchleins zur Verteidigung der Architektur im Stile Weinbrenners entgegnen? Leider muss er Heinrich Hübsch zunächst recht geben — betrachtet man beim Bürgerhaus das Durchschnittsergebnis, so findet sich tatsächlich wenig Identitätsstiftung. Im gemeinen Wohnungsbau gelangte der Stil Weinbrenners nur selten zu betrachtenswerter Blüte — geht man jedoch über den Durchschnitt hinaus, blickt man also auf solche Bauwerke von Weinbrenner selbst oder auf gekonnte Beispiele seiner Schüler, so lässt sich Hübsch widerlegen.
Eine dieser gelungenen Ausführungen kommt nun zur Betrachtung. In Durlach, der "Mutter Karlsruhes", unweit der barocken Karlsburg werden die gestalterischen Anliegen Weinbrenners in ausgezeichneter Weise auf ein Bürgerhaus kapriziert. In einer ansehnlichen Häuserreihe gefällt dieses zuvörderst durch das kraftvolle Auftreten, besitzt aber auch nicht geringe Anmut und Erhabenheit durch eine "sanfte" oder besser gesagt eine angepasste Monumentalität. Natürlich durfte auch ein Bürgerhaus zum monumentalen Ausdruck gelangen, welcher jedoch maßvoll sein und keineswegs wie der einer Kirche oder eines Rathauses auf ein breites Umfeld ausstrahlen sollte. Andernfalls wäre die dann über und über mit Monumentalität gefüllte Stadt kaum zu ertragen gewesen. Diese nicht leicht Aufgabe wurde in unserem Beispiel vorbildlich eingelöst.
Hoch zieht sich das Sockelgeschoss, das vor allem durch die weit spannenden Bögen seinen kraftvollen Ausdruck erhält. Das Piano Nobile dagegen schrumpft zu einer merkwürdigen Proportion zusammen, besitzt dadurch aber eine stärkere horizontale Wirkung, die dynamisiert. Die Öffnungen besitzen schöne Sandstein-Rahmungen und feine Klappläden — Details, die diesem Geschoss gut anstehen. Schließlich ein mächtiges Zwerchhaus, vom Piano Nobile getrennt durch ein wiederum der horizontalen Dynamik Vorschub leistendes profiliertes Gesims und ausgestattet mit einem zurückhaltenden aber fein detaillierten Giebeldreieck. Es ist also das Würde-Symbol schlechthin, der klassizistische Tempelgiebel, der durch seine ruhige Ausführung für die angepasste Monumentalität sorgt. Mit dem vertikal gestreckten Halbkreisfenster besitzt der Giebel zudem einen Akzent, der der gesamten Fassade zu gute kommt.
Das Zwerchhaus muss ohnehin gelobt werden, auch dessen Fenster arbeiten der erhabenen Geste zu: ihr direktes Aufsitzen auf dem vorgenannten Gesims sowie ihre vorteilhafte Anordnung verleihen den zwischen ihnen befindlichen Mauerabschnitten einen pfeilerartigen Charakter. Das Zwerchhaus gelangt so zum zurückhaltenden abstrakten Bild eines das Gebäude in vertikaler Richtung abschließenden kleinen Tempels.
Die gesamte Vorgehensweise hätte einer vorbildlichen Funktion alle Ehre erwiesen, aber die Zeit des Klassizismus war nur kurz bemessen — dieses spätklassizistische Beispiel konnte kein entsprechendes Zeichen mehr setzen.
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