Baukunst in Baden
  Müllheim "Tempel" (48)
 


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"Tempel" in Müllheim (Breisgau-Hochschwarzwald)   /   Johann Ludwig Weinbrenner?   /   um 1825

Die von zahlreichen klassizistischen Bauten ausstaffierte Altstadt Müllheims kann auch auf zwei besondere Gebäude dieser Stilart verweisen. Beide, schon für sich selbst genommen von einiger Ansehnlichkeit, vollenden aber ihre Wirkung durch Hinzunahme der nächsten Umgebung. Im Falle des ersten Bauwerks, eines Schulbaus, welcher gleichfalls in die Sammlung '2' Eingang gefunden hat ist es ein Bachlauf der munter unter dem Gebäude durchsprudelt, für dasselbe markanterweise eine Brückenkonstruktion notwendig machte.
     Im zweiteren Falle vollendet das angrenzende Bauwerk, nichts weniger als das historische Gotteshaus des Ortes, die gotische Martinskirche (heutigentags als Festhalle genutzt, was aber ohne Einfluss auf die gottverehrende Majestät des Äußeren). Hier nun ergreift das Wechselspiel der Stile, mehr noch das Wechselspiel der Archetypen. Denn was hier bei bescheidenem Gebäudevolumen im Stile Weinbrenners ausgeformt wurde, trat schließlich in die blitzsaubere Gestalt eines antiken Tempels. So gewahrt man also auf der einen Seite den gotischen Stil eines typischen mittelalterlichen Kirchenbaus und auf der anderen den klassizistischen in seinem favorisierten Gebäudebild, dem des griechisch-römischen Tempelbaus. Gotik zu Klassizismus und Kirche zu Tempel.
     Der Kontrast ergreift. Blickt man von der Hauptstraße, so links das gotische Werk, vornean der hohe monumentale Turm, die Vorderseite des Langhauses zu nicht geringen Teilen verstellend — dann rechts der "Tempel", deutlich kleiner, dafür von entschiedener, klarer Geste. Einmal mehr hat man den entscheidenden Vorzug der historischen Stile herauszustreichen. Allen gemein war der unbedingte Willen die durch Funktion und raumumhüllende Formen entstehende Gebäudemasse dem betrachtenden Auge zugänglich, will heißen angenehm zu machen. Baukunst entstand. Schönheit ward geboren, das der Verdienst der historischen Baustile — und so ist es eben jene Schönheit, die Anmut der Fassadengestaltung, die bis zum 20. Jahrhundert das verbindende, einende Band der historischen Stilarten ausmachte. Der dann folgende Modernismus verfemte nichts mehr als Schönheit, entsprechend scharf grenzt er sich von allem Vorausgegangenen ab — und entsprechend dankbar blickt das vom Zeitgenössischen gelangweilte bis abgestoßene Auge auf die historische Grundregel beim Gebäudeentwurf, die eingelöste Schönheit. Das durch den Modernismus erst auf den wahren Kontrast geübte Auge — Schönheit auf Seiten des historischen Entwurfes, zumindest Fragwürdigkeit auf der des Zeitgenössischen — nimmt nur umso klarer neben dem natürlich auch gegebenen Kontrast zwischen den historischen Gestaltungsprinzipien das einende Moment der Stilweisen zur Kenntnis; es erblickt Schönheit hier und Anmut dort. Darum also ist das unmittelbare Aufeinanderprallen von mittelalterlicher Gotik und neuzeitlichem, aufklärerischem Klassizismus keine Unmöglichkeit oder gar Ärgernis, sondern das Schauspiel eines aufreizenden Ensembles.

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Das das Primäre, spricht man von Müllheims "Tempel", das effektvolle Zusammenspiel mit der Martinskirche. Lange wohl erfreut man sich daran; irgendwann freilich tritt man näher, das klassizistische Gebäu genauer betrachtend. Hier stellt man neben der klaren Formulierung einer Tempelfront aus Säulen und Dreiecksgiebel einen weiteren formalen Vorzug des Gebäus fest. Dieses nämlich steht reizvoll in Verlängerung einer den Kirchenbezirk umgebenden Mauer, welche durch Ausgleich der ursprünglich geneigten Topographie von nicht geringer Höhe. Es ist gleichsam als würde das der Martinskirche geltende Plateau aus dem "Tempel" herausfließen, was wohl die Chronologie keinesfalls aber den Reiz der Geste auf den Kopf stellt.
     Die nächste Schicht der Betrachtung, die letzte, die dem Außenwerk noch möglich, die Detailsprache. Entschieden im Stile Weinbrenners, gleichsam als Musterstück: alle Kraft der Geste des Bauwerkes, dem Detail nur noch unterstützende, oder positiver eine vollendende Aufgabe. Schmuckarmut ist also einmal mehr das Stichwort. Am wichtigsten natürlich die Vorderseite, die Tempelfront: der Dreiecksgiebel erhielt für Horizontal- und Schräggeison starke Profile, das Dreieck in aller wünschenswerte Klarheit, Strenge und Monumentalität zeichnend. Belebend außerdem das Halbkreisfenster in der Giebelfläche. Vier vertikale Glieder wuchten den hohen, damit schweren Giebel. Die beiden inneren sind durch die entsprechende Kapitellwahl der dorischen Ordnung zugeführt. Noch interessanter die beiden Äußeren: zäsurlos und bei gleichem Querschnitt gehen sie in das zum Giebel vermittelnde Gebälk über — gewonnen ist der hier treffliche Anblick eines Rahmens, welcher gestützt von Säulen den Dreiecksgiebel trägt.
     Ein wenig schade ist's wohl um das Tor in der zweigeschossigen Seitenfassade. Hier geht die sonstige Klarheit des Bauwerks verloren, indem die links an die Torkonstruktion anschließende Fassadenpartie merkwürdig hilflos. Der rundbogige Durchgang selbst — im 20. Jahrhundert wenig gelungen zur Tür vermauert — zeigt zumeist dank der kräftigen, den Torbogen haltenden Kämpfergesimse ein an und für sich schlüssiges Bild; ein schlüssiges Bild, das ein wenig unglücklich eingepasst. Eine Träne im Knopfloch des ansonsten geschickt gestalteten Bauwerks.
     Sei abschließend auf zwei Punkte verwiesen, die das Zusammenspiel des gotischen und des klassizistischen Bauwerks noch weiter beflügeln. Zum einen zeigen beide in den natürlich gleichfalls verbindenden Putzfassaden eine gewisse, aber keineswegs bedenkliche Detailkargheit (das Mindestmaß an Belebung ist nicht unterschritten). Gotik und Klassizismus vermochten weit mehr; hier aber treten nüchterne Landgotik und stets detailsparsamer Weinbrennerstil zusammen. Der zurückhaltende, dafür umso gezieltere Detaileinsatz schlägt also eine Brücke. Des weiteren und damit zweitens die Giebel. Der Dreiecksgiebel des "Tempels" wurde typisch für den Weinbrennerstil und dabei geradezu unantikisch(!) steil geführt — darüber aber nähert er sich dem hinter dem Kirchturm hervorlugenden Giebel des Langhauses an, der als ein mittelalterlicher fast zwangsläufig steil ausgeführt wurde.
     In Müllheims Stadtmitte sind Gotik und Klassizismus auf seltene Weise zusammengeführt. Der badischen Baukunst ward ein merkwürdiges Ensemble gewonnen, dem aufmerksamen Betrachter nicht geringe Freude.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort; Entstehungszeit abgeschätzt

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