Baukunst in Baden
  Ichenheim Kirche (06)
 



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Sankt Nicolaus in Neuried-Ichenheim (Landkreis Ortenau)   /   Hans Voss   /   1822

Reduktion gleichsam auf die Spitze getrieben! Der klassizistische Stil Weinbrenners zeigte beständig einen Hang zu gestalterischer Reduktion, will heißen zum Verzicht auf schmückende oder gliedernde Elemente: das Ziel war (stets) der kraftvolle, monumentale Ausdruck; und allzu viel Zierrat ist diesem Wunsche nur abträglich.     
     Einen wichtigen Beitrag leistet aber auch die Zeit: die ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wurden geprägt von Napoleonischer Unterjochung Europas und der Überwindung der mit den großen Kriegen einhergehenden Verarmung. Auch die Städte und Dörfer Badens konnten sich nur langsam erholen — fast immer wäre schlichtweg kein Geld zur Ausschmückung von Gebäuden vorhanden gewesen. Zu den großen Verdiensten Friedrich Weinbrenners zählt die Einführung einen Architektur-Stils, der sich fähig zeigte auch mit spärlichsten (finanziellen) Mitteln Baukunst zu schaffen.
     Hans Voss war offensichtlich ein verständiger Schüler. Die Ichenheimer Kirche kann geradezu als ein Paradebeispiel für genannte Zwänge und Chancen gelten. So besitzt diese Kirche einzig die funktional unverzichtbaren Fensteröffnungen — wenige genug findet man. Ansonsten werden unverhohlen die nackten Baumassen kraftvoll ausgedrückt — selten kann das zentrale Thema der Kirchen im Stile Weinbrenners so unverstellt vor Augen geführt werden: zwei Baukörper, Kirchenschiff und Kirchturm, letzterer in ersteren optisch eingesteckt, eine kraftvolle Durchdringungsfigur zeichnend.
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Das durchaus große Kirchenschiff ist eine an Schlichtheit kaum zu überbietende "Kiste" mit einfachem Satteldach, an den beiden Querseiten "gerade noch" Dreiecksgiebel ausformend (Horizontal- und Schräggeison sind aus Holz verfertigt, dabei von geringer Stärke, gleich graphischen "Strichen"). Die schönen ruhigen Öffnungen an den Längsseiten werden wie üblich von langen vertikalisierenden Rundbogen-Fenstern besorgt; um die Wirkung des reinen Körpers nicht zu stören, gelangen sie weder ans Dach noch bis zum Boden, bilden vielmehr eine der körperhaften Wirkung zuspielende Lochfassade.
     Zur Schauseite, der Eingangsseite, bietet das Langhaus überhaupt keine Öffnungen! Da auch der Kirchturm nur auf wenige und zum Teil kleine Öffnungen zurückgreift, kann sich die Durchdringungsfigur in aller Ungestörtheit vor den Augen des Betrachters entwickeln:  nichts beeinträchtigt hier die Wirkung zweier sich durchdringender Körper.
     Hans Voss wusste natürlich, dass diese Geste alleine noch nicht ausreicht und deshalb drückte er Löcher verschiedenster Couleur in den Turmkörper (mit dem bekannten zweigliedrigen Aufbau): den rechteckigen Haupteingang, ein Halbkreis-Fenster, die mit Rundbogen ausgeführten Glockenöffnungen und als Höhepunkt ein fein anzusehendes gotisches Spitzbogen-Fenster (dieser einzige "Luxus" ist im übrigen das nach außen sichtbare
Überbleibsel des im Neubau aufgegangenen mittelalterlichen Kirchturmes). Dieser Umgang bringt die notwendige Lebendigkeit ohne die Dominanz der großen weißen Flächen zu stören.
     Immerhin findet sich über dem Haupteingang ein "abstrahierter" Dreiecksgiebel auf Rollwerk-Konsolen, und die Rundbögen der Schallöffnungen werden von Kapitell-Streifen (Kämpfergesimsen) getragen — damit aber hat sich dann der Gebäudeschmuck erledigt. Das die Turmspitze einleitende Gesimsband auf kleinen Konsolen kann an Sparsamkeit wiederum kaum überboten werden, und auf die im Weinbrenner-Klassizismus so oft zu sichtenden Eckpilaster der Turmspitze verzichtete Voss zur Gänze.
     Darüber reibt man sich in Ichenheim verwundert die Augen, dass spärliche finanzielle Mittel die Baukunst förmlich zu befördern scheinen ... geschuldet dem entwurfssicheren Hans Voss und natürlich dem von Friedrich Weinbrenner entwickelten Architekturkanon.
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Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Vorort-Betrachtung des Gebäudes
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Hubert Kewitz "Der Weinbrenner-Schüler Johann (Hans) Voß", Artikel aus "Geroldsecker Land" 1974, Heft 16, S. 89-103
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