Torhäuser in Mosbach (Neckar-Odenwald-Kreis) / Johann Anton Ferdinand Thierry? / um 1830
Zwei einfache Torhäuser ersetzten ein prachtvolles mittelalterliches Stadttor. Ab 1820 rollt die vielleicht merkwürdigste Zerstörungswelle (nicht nur) durch die badischen Lande. Auf die obsolet gewordene Schutzfunktion gerade der mittelalterlichen Stadtmauern reagierten die Bürger in (auch zeitlich) gleicher Weise: Abriss der Mauern, aber ebenso der häufig zu den baukulturell bedeutendsten Gebäuden der Stadt zählenden Türme und Stadttore. Welch' gewaltiger Verlust! Nicht wenige Städte büßten an Silhouette und Identität erheblich ein. Der Verlust der Bedeutung der Befestigung war keine neue Entwicklung, vielmehr bereits ab dem 18. Jahrhundert im Gange bot sie dem Klassizismus nur noch wenig Spielraum. Fanden Renaissance und Barock auch auf dem Gebiete der Gestaltung von Stadttoren ein reichhaltiges Betätigungsfeld, musste sich der Klassizismus mit "allerletzten Resten" begnügen.
In diesem Sinne entstanden in ganz Baden lediglich zwei Stadttore von wahrhaft repräsentativem Charakter. Beide wurden von Weinbrenner selbst für die Hauptstadt Karlsruhe entworfen: das Mühlburger Tor [28], ebenfalls aus zwei Wachhäusern bestehend, und das monumentale Ettlinger Tor [11], das neben dem Brandenburger Tor (Berlin) zum eindrucksvollsten klassizistischen Stadttor Deutschlands avancierte. Aber auch für sie und andere weit weniger wertvolle Toranlagen fand sich früher oder später genug Abriss-Willen, und so stellen die braven Wachhäuser Mosbachs tatsächlich den kärglichen Rest klassizistischer Tor-Arrangements in Baden dar.
Aber immerhin, die beiden Torhäuser sind betrachtenswert. Das gilt vor allem für das nördliche, das auf seiner Schauseite im Gegensatz zum anderen Wachhaus keinen zerstörerischen Eingriff modernistischer Machart zu erdulden hatte.
Die Gebäude zeigen sich von einfacher körperhafter Wirkung, Über dem Sockelstreifen erhebt sich der zweigeschossige Baukörper, gegliedert von einem breiten Gurtband, und abgeschlossen von einem durch das weit ausladende plastische Dachgesims beinahe wie ein eigener Körper erscheinendem Dachabschnitt. Dieser besitzt Sattelform und Dreiecksgiebel-Ausbildung, die sich ob der steilen Dachneigung nur wenig (antik-) griechisch respektive römisch sondern eher landläufig ausnimmt. Die Fassade wurde diszipliniert arrangiert, ermangelt aber auch nicht des lebendigen Momentes, welcher durch Auflösung strenger Fensterachsen der Giebelseite und die Säulenverwendung der Eingangsfassade erwirkt wurde. Den entscheidenden Akzent bringt die jeweilige Mittenbetonung der einander zugewandten Schauseiten. Auf hohen Basen befinden sich zwei lastwillige dorische Säulen knapp vor der Fassade, um im Zusammenspiel mit zwei dort (also in nächster Nähe) aufstrebenden Pilastern (wiederum dorisch) einen schweren Balken zu tragen. Dieser nimmt seinerseits einen hölzernen Rechteck-Erker auf, dessen verglaste Partien dem Torwächter aus übersichtlicher Höhe die notwendige Umschau ermöglichten. Der Ein- und Austritt für das vor allem mit Passkontrolle beauftragte Wachpersonal fand ehrenvoll zwischen den stämmigen Säulen (beziehungsweise den Pilaster) statt — bis endlich auch diese Funktion nicht mehr benötigt wurde.
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[11], [28] siehe unter Kapitel "Anhang"
_ Quellen
1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort; Erbauungszeit abgeschätzt, Thierry als Baumeister vermutet
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