Rathaus in Kirchheim (Heidelberg) / Johann Thierry / 1822-24
Das Rathaus zu Kirchheim besticht in der für Thierry üblichen Körperhaftigkeit. Durch klare Horizontalisierung erhält sie außerdem einen durchaus eleganten Zug. Namentlich das zwischen Piano Nobile und dem Sockelgeschoss scheidende Gesimsband, aber auch das das Erdgeschoss halbierende Kämpfergesims bringen der waagrechten Dimension bestimmende Geltung — fast scheinen sie den Baukörper zu dynamisieren. Die Rundbogen-Fenster und -Türen durchschneiden genannten Gurt und verklammern die beiden Sockelhälften dergestalt effektiv, dass ein an dieser Stelle fatales Auseinanderfallen und damit eine Verunklarung der Fassadenstruktur erfolgreich verhindert wird. Das Erdgeschoss stellt sich bei dem Piano Nobile entsprechender Farbgebung nicht als ausgesprochenes Sockelgeschoss dar, sondern transportiert den Gedanken des zweigeschossigen homogenen Baukörper. Thierry suchte auch hier den symmetrischen Ausdruck, wenngleich die unterzubringenden Funktionen dieser Ordnung widersprachen, und so kann die Toreinfahrt eine "nur" formale Antwort durch Nischenbildung auf der gegenüberliegenden Seite erhalten.
Wie immer bei den Werken des Weinbrenner-Stils haben wir uns an wuchtigen Massen und monumentalen auffallenden Gesten zu erfreuen. Der besondere Verdienst Thierrys liegt darin, den Baukörper bei diesem Anspruch nicht zur schweren oder gar plumpen Gebäudemasse verkommen zu lassen, vielmehr erwirkt er durch sparsame aber effektvolle Mittel das notwendige Maß an Eleganz.
Die sicher auffallendste Geste ist jedoch der "brachiale" Giebel. Kraftvoll schiebt sich die Masse in Dreiecksform nach oben. Dieser gesprengte Giebel in Vollendung schafft dem Gebäude letztlich seinen großen Reiz.
Auf eine feine Detailsprache gilt es freilich wie beinahe immer zu verzichten. Weder Säulen noch Pilaster und nur auf das notwendigste reduzierte Fensterumrahmungen, welche sich im Piano Nobile nahezu auf Fensterbänke beschränken (typisch für Thierry). Im Erdgeschoss besitzen die Fenster- und Türbögen immerhin feine Profilierung, und die Wandabschnitte dazwischen werden dank der Kapitellstreifen (Kämpfergesims) durchaus in Richtung freilich unbotmäßiger Rechteckpfeiler veredelt.
Die wichtigsten Details findet man folgerichtig in der Gebäudemitte. Der Balkon auf vier markanten Hakenkonsolen bedeutet eine weit ausladende Verkröpfung des Gurtbandes und ist mit filigranem Eisengeländer ob seinem und dem Rathaus wohl anstehenden repräsentativem Effekt unverzichtbar, wobei zusätzlich der Eingang notwendige Markierung findet. Die Balkontüre als wichtigste Öffnung des Piano Nobile erfährt immerhin Akzentuierung durch eine Balkenverdachung auf Rollwerk-Konsolen.
Nicht minder interessant zeigt sich auch die schlitzartige Segmentbogen-Öffnung im Giebel. Dreigeteilt deutet es gerade noch ein Thermenfenster an. Aber es kann und will nicht als feinsinniges Detail wirken — sein Ziel wurde die Steigerung der Massenwirkung des Giebels indem es eben denselben akzentuiert.
Der Dachreiter dagegen hält sich formal zurück. Den Raum für das obligatorische Rathaus-Glöckchen bereitstellend, will er Teil des Daches sein und keinesfalls ablenken vom monumentalen Spiel der Gebäudemasse.
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_ Quellen 1) das Bauwerk selbst - Stilmerkmale und Wirkungen; Betrachtung des Gebäudes vor Ort
2) Bernd Müller "Architekturführer Heidelberg, Bauten um 1000-2000", Edition Quadrat Mannheim, Ausgabe 1998; Angabe Baumeister, Jahreszahlen
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