Baukunst in Baden
  Altenheim
 


Es ist gleichsam als träfe man wenige Kilometer südlich des Hanauer Landes nochmals auf eine Dependenz, auf eine Exklave derselben. Das sogenannte Hanauer Land, grob umrissen entlang des Rheines zwischen den größeren Ortschaften Lichtenau (Norden) und Willstätt (Süden) sich erstreckend bedeutet nichts weniger als den letzten Landstrich Badens, der noch auf eine Anzahl ansehnlicher Dörfer verweisen kann. Als eine beeindruckend ungewöhnliche Ausnahme trotzte hier eine ganze Gegend dem allgemeinen Dorfschicksale des 20. Jahrhunderts, das als das rurale Opfer des Modernismus in bedenkenswerter Konsequenz Dorf für Dorf zerstört, zumindest aber entstellt, verwässert, anonymisiert ward.
     Wie nun dem erfrischend abweichenden Hanauer Land ein eigener Beitrag in den 'Wanderungen Band 2' gebührte — deren zwei schönste und auch historisch bedeutsamste Orte Kork und Willstätt gleichfalls zu eigener Hervorhebung gelangten — so darf man den heutigentags Neurieder Ortsteil Altenheim ohne weiteres mit den beiden letzteren vergleichen. Auch sollte man in diesem Zusammenhange der Namen Kürnbach (bei Eppingen) und Bauschlott (bei Pforzheim) gedenken, welche gleichfalls, obgleich dörflich geprägt auch im 21. Jahrhundert noch mit ausgewiesener Schönheit. So hat man nämlich die ansehnlichsten Dörfer Badens endlich in einem Abschnitt zusammengeführt. Allen gemeinsam ist der leider so extraordinäre Erhalt der historischen Substanz in der jeweiligen Ortsmitte.
     In Altenheim eine Dependenz des rühmlichen Hanauer Landes zu erfinden, mag an der räumlichen Annäherung beider seine Begründung finden. Altenheim, als einer der unzähligen Fleckchen im vorgroßherzoglichen Baden gehörte dem “Exoten” Nassau-Usingen, das ansonsten im späteren Baden nur noch über den wenige Kilometer entfernten, nur wenig größeren Raum von Lahr und Umgebung verfügte. Jene Partie mit dem Hauptorte Altenheim lag über eine “Landbrücke”, die schmaler nicht gedacht werden kann mit besagtem Hanauer Land gar noch unmittelbar verbunden. So mag diese zarte Berührung jenes markante Leben eingehaucht haben, das Jahrhunderte später noch Frucht in Gestalt eines Dorfidylls eintrug.
     Bei Altenheim also von einem Dorfidyll zu sprechen beruht wie bei den anderen: Kork, Willstätt, Kürnbach und Bauschlott auf selber Grundlage: erhaltene historische Bausubstanz — soviel wurde bereits eingeführt. Freilich kann bedeutend verfeinert werden, denn was die rurale Schönheit bewirkt, die locker gestreute Bebauung in enger Beziehung zur durchwirkenden Natur ist in allen Fällen “haarklein” dieselbe — Fachwerkbauten des 18. und 19. Jahrhunderts, geschart jeweils um einen alten Kirchenbau. Wagt man einen Vergleich, so verweist man im Falle von Kürnbach und Bauschlott auf bescheidene, nichtsdestotrotz hilfreich ergänzende Schlossanlagen. Darüberhinaus aber nimmt man leicht differenzierbar die Gotteshäuser zu Hilfe: in Kürnbach gotisch, in Bauschlott romantizistisch (Mitte 19. Jahrhundert), in Kork und Willstätt barock. Und in Altenheim? Da geht’s entschieden kraftvoll, besonders monumental zu; denn kein geringerer als einer der bedeutendsten Baumeister Deutschlands, Friedrich Weinbrenner, der badische (Ober-)Baudirektor der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts lieferte einen trefflichen zeitgemäß-klassizistischen Entwurf. Das also die ausgewiesene Besonderheit Altenheims unter den anmutigsten Dorfansiedlungen Badens: eine der schönsten Weinbrennerstil-Kirchen des Landes (siehe hierzu auch den Artikel unter ‘Im Stile Weinbrenners‘).

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Eine durchaus gewichtige Nachricht trat oben noch eher unscheinbar auf: die Fachwerkbauten entstammen dem 18. und 19. Jahrhundert. Das gilt bei sehr wenigen Ausnahmen für alle genannten Dorschönheiten, und dies gilt ausnahmslos für Altenheim. Das 17. Jahrhundert, mordend, plündernd, brandschatzend, in den abscheulichen Fratzen 30jähriger Krieg, Holländischer Krieg und Pfälzischer Erbfolgekrieg warf insbesondere zwischen Mannheim und Freiburg alles in schiere Hoffnungslosigkeit. Der mittlere Krieg, also der Holländische, näherhin im Jahre 1677, ließ in Altenheim durch Soldaten des “Sonnenkönigs” nahezu alles in Flammen aufgehen.
     Erst im Verlaufe des 18. Jahrhundert beruhigte sich der fürchterliche Brandschatzungseifer. Altenheim, freilich mühsam genug, kam zu neuem Leben. Ein Leben, das im darauf folgenden Jahrhundert, im durch die napoleonischen Umwälzungen nicht mehr Fleckenteppich-badischen, sondern großherzoglich-badischen Jahrhundert zu einer bedeutenden Blüte gar sich aufschwang. Im Universallexikon des Großherzogtums wurde der Ort ob florierender Landwirtschaft unter die reichsten Gemeinden des gesamten Landes gezählt!
     Gerne hält man Ausschau nach solch glorreichen Zeiten, bei vergangenen eben nach Zeugen der berühmten Tage. Und man wird fündig. Da ist zunächst die Ausdehnung schon des historischen Ortes, ob der erhaltenden Liebe zum Fachwerk noch heutigentags leicht verifizierbar. Das reiche Altenheim, obgleich an Status und Aussehen immer Dorf bleibend, es wurde eine verhältnismäßig große Ansiedlung.
     Und zweitens grüßt da die schon eingeführte WEINBRENNER-KIRCHE. Erbaut 1813 steht sie aber eher am Anfang des seinerzeit wohl auch noch nicht zu vermutenden Aufschwungs. So wird das kraftvolle Gebäu rückblickend zu einer Art Startsymbol. Der Aufschwung im übrigen verdankte sich zu nicht geringem Anteil der Zähmung des nicht ferne vorbeifließenden Rheines, welche durch den in Baden großen “Rhein-Regulierer” Gottfried Tulla kurze Zeit später erfolgte, mehr und sicherer zu bebauenden Ernteboden eintrug.
     Zahlreiche FACHWERKHÄUSER, oft noch in der erbaulichen Wirkung intakter Ensembles, das der bedeutendste gestalterische Ruhm Altenheims. Errichtet in der relativ kurzen Zeit von rund 150 Jahren finden sie naturgemäß zu nicht geringer Homogenität. Eine stilistische Einordnung in die grobe, aber übliche Rasterung alemannisch — fränkisch macht bei dörflichen Fachwerkhäusern des 18./19. Jahrhunderts wenig Sinn. Zwar neigen die Konstruktionen der ein- bis maximal zweigeschossigen Häuser durchaus deutlich dem fränkischen Stil zu, alleine bei fast vollständigem Verzicht auf Schmuckformen im Fachwerk ergibt sich solche Einstufung zumeist aus konstruktiven Erwägungen (und da waren die fränkischen Mittel schlicht moderner, weil einfacher zu handhaben als die alemannischen).

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Solche bautechnischen Termini leisten dem Reiz des Bildes aber nicht den geringsten Eintrag; wie auch die geringe Schmuckanwendung nicht von spürbarem Nachteil. Die Fein- und Vielgliedrigkeit des Fassadenbildes, sie ist das eigentliche (und auch das ursprüngliche) Wesen des Fachwerkbaus, und sie zeugt insbesondere bei der ununterbrochenen Aneinanderreihung von Fachwerkhäusern die vortrefflichsten Ansichten. So auch in Altenheim, wo dieses Bild als ein typisch rurales von lockerer und niedriger Bebauung, beständiger Einschaltung von Scheunen und Ställen und der Verbindung mit Natur den Empfänglichen leicht ergreift. Ein Idyll, dörfliche Romantik. Einst das allgemeine Dorfaussehen. Heutigentags bedeutende Seltenheit, dergestalt, dass freilich auch Altenheims historischer Ortskern mit mancherlei Narbe und durch die unvermeidbaren und generell unästhetischen, eben (pseudo-angepassten) modernistischen Ausdehnungen des 20.Jahrhunderts der unmittelbaren Verbindung zu Wiesen und Feldern beraubt.
     Der Reichtum des 19. Jahrhunderts erbrachte im übrigen typischerweise keine prächtigen Fachwerkbauten. Die ländlich bescheidene Mentalität wurde durch Reichtum, der ohnehin weiterhin per harter körperlicher Arbeit erwirkt, als ein wiederum allgemeines Phänomen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts “unterminiert”; als aber der Fachwerkbau zu den bauhistorischen Akten gelegt, und Detail-aufwendige Putz- oder Steinfassaden im Stil des zeitgemäßen Historismus auch im ruralen Umfeld endlich ihre Abnehmer fanden. Das Fachwerk also auch im reichen Altenheim ein funktionales, will heißen alleine von statischen und nicht repräsentativen Bedürfnissen geleitet.
     Auch zweigeschossige Fachwerkhäuser führen dorftypisch die Holzkonstruktion bereits im Erdgeschoss aus (in Städten in aller Regel Steingeschosse); außerdem fällt eine fast durchgängige Giebelständigkeit auf (Giebel zeigen zur Straße). Letztere als auffälligste Gebäudepartien zeigen zumeist strenge spitze Giebel, sind bereichert durch schmale Verdachungen (als konstruktiver Holzschutz) und formulieren denn auch den Großteil des wenigen Strebenschmuckes.
      Die schönste Straße führt an der evangelischen Weinbrenner-Kirche vorbei. Und das keineswegs von ungefähr. Das hier weitgehend intakte Fachwerk-Ensemble, zu beiden Seiten des Weges säuberlich, aber keineswegs abwechslungslos aneinandergereiht, trifft hier auf den vorzüglichsten “Gegenspieler”. Die wuchtig entworfenen Baukörper Langhaus und Campanile des klassizistischen Gotteshauses treten nämlich ob ihrer monumentalen Wucht, den detailarmen, fast nur leere Fläche kennenden Fassaden in besten Kontrast zur fein- und vielgliedrigen Fachwerkumgebung. Die orange-rote Turmspitze bereichert schon an zahlreichen Stellen die Fachwerkprospekte; hier aber zeichnet der gesamte Kirchenbau durch seinen entschieden-andersartigen baukünstlerischen Ansatz die zweifellos schönste Ansicht Altenheims. Aufrüttelnd, aufmerksam und empfänglich machend der scharfe Gegensatz. Er gelingt tatsächlich alleine, weil auf “beiden Seiten” die Baukunst das Zepter schwingt.
     Und denselben wollten sich die Altenheimer in klugem Bewusstsein keineswegs rauben lassen. Am 03. April 1945, also nur noch knapp einen Monat vor der Kapitulation des 12jährigen “Tausendjährigen Reiches” wurden noch zahlreiche Gebäude Altenheims teilweise schwer beschädigt, darunter auch die Weinbrenner-Kirche. Der “Totale Krieg“, jene Aufführung eines ungeschminkten Totalwahnsinns, wie er für solches Regime tatsächlich folgerichtig und dasselbe exakt abbildend, er raubte Millionen Menschenleben, ganze Städte und nun auch noch diesen kleinen Kirchenbau. Oder besser wollte rauben, denn die Altenheimer bauten keineswegs zeitgemäß modernistisch neu, sondern einfach die alte Kirche wieder auf. Male man sich den Schaden aus, stünde an dieser Stelle ein gesichtsloser Bau des 20. Jahrhunderts, dessen vergebliche formale Ziele bestenfalls zu ahnen. Nein, ein jenem Jahrhundert ungewöhnlicher Dorfgeist baute zunächst sein zerstörtes Gotteshaus wieder auf und sorgte hernach für den weitgehenden Erhalt der Fachwerk-Identität. Eine Ausnahmeerscheinung, und welch’ ehrwürdige!


Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Ort und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage der Gemeinde Neuried

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