Baukunst in Baden
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Der Residenz eine Renaissance! Ja, der alten Residenz der Markgrafen eine gebührliche Renaissance! Das badische Dornröschen war zu lange schon einem schauerlichen Märchenschlafe anheim gefallen. 1689 gab Frankreichs "Sonnenkönig" auch für Baden-Baden den auslöschenden Befehl. Die "Niemandsland-Politik" Ludwig XIV. pochte auch für die Capitale der Markgrafschaft Baden-Baden auf völlige Zerstörung!
     Im August 1689 loderte der Stadtbrand in die Höhe. Ein bis zwei Tage züngelte sich das gewaltige Flammenmeer durch die engen mittelalterlichen Gassen, fraß auch die herrschaftliche Schlossanlage. Dichte und pechschwarze Rauchwolken stiegen empor, verdunkelten sogar das mächtige Himmelsgestirn. "Das Licht ging aus" — eine Symbolwirkung, wie sie der Markgrafenstadt nicht passender hätte sein können!
     Wohl wollte die Markgrafschaft nach ihrer völligen Zerstörung — auch die anderen Städte und meisten Dörfer wurden im Pfälzischen Erbfolgekrieg niedergebrannt — neu erstehen. Und nicht umsonst stand einer der großen Helden jener Epoche an der Spitze des kleinen Landes: Markgraf Ludwig Wilhelm, weit bekannter unter seinem Synonym "Türkenlouis". An der Spitze der kaiserlichen Heere focht er für das Deutsche Reich überaus erfolgreich gegen die großen Bedrohungen jener Zeit: im Osten gegen die weit nach Europa eingefallenen Osmanen, im Westen aber gegen die modernste Armee Europas, die Heere des unruhigen "Sonnenkönigs". Eilte er zunächst gegen die Osmanen von Sieg zu Sieg, so führte er eben im furchtbaren Pfälzischen Erbfolgekrieg mit zusammengewürfelten Reichstruppen einen erbitterten Defensivkrieg gegen den übermächtigen französischen "Goliath". 1697 endlich der Friede von Rijswick, das Ende des Vernichtungsfeldzuges des "Sonnenkönigs".
     Da erstand also unter Führung des "Türkenlouis" auch die Markgrafschaft aufs neue. Nur das dieser entschieden modern geprägte Monarch mit der "Gebirgsstadt" Baden-Baden nicht mehr allzu viel anfangen konnte. Deshalb trat er in die Ebene des Rheintales und machte dort das bisherige Dorf Rastatt, welches allerdings auch vollkommen zerstört, zur neuen Capitale, ja zu einem Musterbild einer barocken Residenz: Schloss und Stadtanlage strebten unverhohlen dem großen Vorbild dieser Tage nach — Versailles.
     Welch’ gewaltiger zweiter Schlag aber für das altehrwürdige Baden-Baden! Zuerst die Zerstörung und nun die Versetzung ins zweite Glied! Wie aber als vollkommen zerstörte Stadt wiedererstehen, wenn alle Attraktivität gewichen? Das arme Baden-Baden, eben noch glanzvolle Renaissance-Residenz, es wusste um keine Antwort! Aus der Hauptstadt wurde ein Provinzstädtchen, abgeschieden zwischen den hoch aufragenden Höhen des Nordschwarzwalds. Die Markgrafschaft Baden-Baden war alles nur kein reiches Fürstentum, was aber an Kraft doch vorhanden, musste ganz auf das neue Rastatt verwendet werden. Für Baden-Baden aber fielen nur noch "Brosamen" ab. Mehr und mehr fiel die erste Residenzstadt der badischen Markgrafen in Vergessenheit. Ja, war die Stadt überhaupt wiederaufgebaut worden? Oder war sie noch weiter in den Schwarzwald "hineingerutscht"? Das alte Baden-Baden, es ward kaum noch gefunden!
     Und dennoch, eines hatte man ihr nicht nehmen können: heilsame Quellen! Heilsame Quellen, die schon die allererste Blüte des Ortes begründet hatten. Und solche kam aus keiner geringeren Hand als der römischen! Sie entdeckte die hilfreichen Wasser und legte sogleich um 80 nach Christus eine Stadtgemeinde mit dem sinnreichen Namen "Aquae" um die Quellen. Und als im Jahre 213 der Cäsar Caracalla, gleichsam als eine Vorhut der wahren Flut von Berühmtheiten, welche freilich erst viel später folgen sollte, den heilenden Flüssigkeiten einen Besuch abstattete, da fand man in Baden-Baden gar den Hauptort des römischen Verwaltungsbezirks Civitas Aurelia Aquaensis.

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Jene Quellen begleiteten die Stadt durch ihre Historie, auch über die folgenschwere Zerstörung 1689 hinaus ins für Baden-Baden dornröschenhafte 18. Jahrhundert. Wie die Märchenprinzessin Dornröschen am Ende fast ganz vergessen, hundert Jahre als versunkene Schönheit einem traurigen Schlafe anheim gestellt — so auch Baden-Baden. Niemand fragte mehr nach ihnen, aber beide waren den Augen der Zeit nur insofern entrissen, als ihre bedeutenden Qualitäten einzig des rechten Momentes harrten. Und wenn beide auch die wirklich märchenhaft-unglaubliche Zeit von 100 Jahren abzuwarten genötigt: am Ende gab es für beide den wachküssenden Helden!
     Baden-Baden, an den steilen Abhang des Schlossberges gebaut, an ein ins Oostal ragendes Massiv, lies sich als mittelalterliche Stadt leicht genug denken. An oberster Stelle des Stadtkörpers standen nämlich gleich zwei Schlösser, von solcher die Wehrhaftigkeit begünstigenden Topographie in der Manier des Mittelalters profitierend, gleich einer Glucke die schützenden Flügel über die städtischen Kücken ausbreitend. Ende des 16. Jahrhunderts wurde das erste Schloss, die Veste Hohenbaden, das erste Residenzschloss überhaupt der badischen Markgrafen zerstört, und — wie dargestellt — Ende des 17. Jahrhunderts das Ende von Stadt und zweitem Schloss. 1689 ging das mittelalterliche Baden-Baden, im 16. und 17. Jahrhundert zu einer bedeutenden Renaissance-Stadt veredelt, vollends unter. Die folgenden barocken Zeiten, und so fand es auch der "Türkenlouis", konnten mit solcher Stadtlage nichts mehr anfangen. Das 18. Jahrhundert suchte die Lichte und Weite, alles nur keinen winkeligen und dichten Körper einer angenäherten Gebirgsstadt.
     Aller Attraktivität entkleidet, erstand die gelähmte Stadt nur sehr langsam neu. In solcher Not und Armut kam das neuerliche Leben, dass an der Lage der Stadt und auch an der mittelalterlichen Winkeligkeit nichts zu ändern. Was hier im Laufe des 18. Jahrhunderts peu à peu doch wieder entstand, es war nicht mehr als das gelinde Atmen einer Schlafenden. Irgendwann aber — wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt — fiel der Traumgefangenen ein Arm zur Seite: im Falle der Stadt bedeutete dies die Anlage eines Gartens gegenüber des befestigten Stadtkörpers — Baden-Badens Arm griff über das Flüsschen Oos; das geschah in den 1760ern und machte auch bei dieser Schlafenden keinerlei Aufsehen. Ja, für einen Moment wurde alles sogar noch schlimmer! 1771 fiel nämlich die Markgrafschaft Baden-Baden mangels männlicher Erbfolge vertragsgemäß an den badischen "Bruder", die Markgrafschaft Baden-Durlach. Jene aber besaß dank Karlsruhe eine eigene Residenz und hatte selbst für die aufgelöste Capitale Rastatt kaum eine Verwendung, um wie vieles weniger also für Baden-Baden! Da war die seit 1535 geteilte Markgrafschaft Baden nach fast 250 Jahren endlich wieder vereint, nach deren einstiger Hauptstadt Baden-Baden aber krähte kein Hahn.
     Es brauchte nicht weniger als eine Revolution um solchen Todesschlaf wieder gegen Leben zu vertauschen! Und genau die kam! Und wieder war es der französische Nachbar, der Unruhe brachte: ab 1789 die französische Revolution, verknüpft alsbald mit den europäischen Revolutionskriegen und endlich den (nur an Statur) kleinen Korsen Napoleon an der Spitze Frankreichs, ja Europas! Da sollten denn auch die obligatorischen Verhandlungen und Kongresse, die Gefechte der Worte nicht fehlen. Ein glücklicher Zufall benannte ausgerechnet das unbedeutend gewordene Rastatt zu einem Kongress-Ort: 1797-99.

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Man mag sich ausmalen, dass solch lange Redezeiten um unbedingten Ausgleich verlangten: die Abgesandten schwärmten aus; ohnehin konnte das kleine Rastatt kaum für Abwechslung sorgen. Und da schwärmten sie freilich gern gen Schwarzwald. Wie es sich bei der langen Kongress-Zeit auch herumsprechen musste, das ein Heilwasser in gebirgiger Umgebung wohl auch die allgegenwärtige Langeweile zu lindern versprach.
     Aber freilich, das war nicht mehr als die "halbe Miete"! Nein, ein paar Kongress-Abgeordnete, ohnehin gerne farblos genug, taugten nicht wirklich zu einem wachküssenden prinzenhaften Helden. Aber sie hatten das gewichtigste, das man sich überhaupt ausmalen kann im Kurzreise-Gepäck: eine neue Zeit! Was durch Napoleon in den Staub getreten, waren nicht nur die altehrwürdigen Monarchien Europas, es war gleich eine ganze Epoche: die Ära des Absolutismus und damit auch die Ära des Barock. Halb stieß der blitzgescheite Napoleon, halb sank es von alleine dahin: das 18. Jahrhundert, das barock-lustwandelnde, die pompöseste Epoche, die Europa je gesehen. Ihre Zeit war ohnehin gekommen, die Dekadenz schon längst greifbar. Napoleon versetzte nur den letzten, einen freilich bemerkenswert entschiedenen Stoss! Die Ära sogenannter Aufklärung, im Hintergrund schon lange wirkend, trat nun endgültig in ihre Blüte.
     Man mochte ihn nicht mehr, den Barock. Den vegetabilen "Fluss" der Gebäudefassaden hatte man satt, nicht weniger die streng geometrischen Architekturen der Gärten und Landschaften. Längst schon wiesen die Bauwerke in Richtung von Klarheit und Nüchternheit, die umzuformende Natur auf landschaftlich-natürliche Arrangements. Über dem absterbenden Barock ward der Klassizismus geboren und mit ihm der englische Landschaftsgarten. Mit letzterem — und das ist in unserem, dem Baden-Badener Falle so wichtig — aber stieg die Bewunderung der Natur alsbald "raketenmäßig" in die Höhe.
     Die Rastatter Abgesandten, sie hatten ihre helle Freude am landschaftlich so reizvoll eingebetteten Schwarzwald. Und da gefielen denn auch die noch kleine Kuranlage und die hilfreichen Wässerchen nicht wenig. Die Kongress-Abgeordneten indes berichteten nur allzu gerne von ihrer "Entdeckung", wurden gleichsam zu Botschaftern Baden-Badens. Alleine der "hohen" Gesellschaft und ihren Fürsten berichteten sie freilich; aber das war auch seinerzeit das Entscheidende. Darüber nämlich kam Baden-Baden keineswegs in aller Munde, dafür aber in die einflussreichen Munde. Das verlorene Baden-Baden, seinen schauerlichen Todesschlaf gar noch 10 Jahre länger als das arme Dornröschen leidend, nach rund 110 Jahren erkannte es Europa wieder. Eine Revolution, eine neue Zeit hatte das badische Dornröschen wachgeküsst!
     Und was hier in Baden-Baden erwachte, das erzeigte sich gleichfalls als eine Prinzessin. Solcher aber gebührte auch das entsprechend herrschaftliche Gewand. Die neue Zeit überreichte ein solches nur allzu gerne! Die altehrwürdige Markgrafen-Capitale sah man lange schon untergegangen; was zu neuem feudalem Leben sich aufschwang, trug ein anderes Kleid. Der Residenz eine Renaissance! Ja, der alten Residenz der Markgrafen eine gebührliche Renaissance! Zu neuer Bedeutung schwang sich die Stadt auf, dem alten Format nacheifernd. Solches verlangte denn ein zeitgemäßes Abbild: das mittelalterliche Baden-Baden war für immer dahin, das neue aber, am Ende schmiegte es sich in ein noch prächtigeres, oder besser ausgedrückt: in ein pompöseres Aussehen.

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Die Großen (und sich selbst groß machenden) Deutschlands und Europas, kurzum der Adel war der schlussendliche Atem, der von der neuen Zeit konkret eingehaucht wurde. Im Geiste des beginnenden 19. Jahrhunderts zog man nach Baden-Baden. Man erfreute sich an der glänzenden landschaftlichen Einfügung eines Kurortes. Noch aber tobten "da draußen" ja die napoleonischen Kriege. Ein wirklicher Geld-Adel wollte noch nicht so recht in Schwung kommen. Und der alte Adel, häufig genug in Offizierspositionen in den aufeinanderbrandenden Heerscharen, er ward mit noch nüchternem, einem echt klassizistischen Geist gefunden. Ja, der Tod und Teufel auf Europas Schlachtfeldern, der hatte den im 18. Jahrhundert gerne (aber nicht immer) ungetrübt lustwandelnden Adel nüchtern, durch die allgemeine Not der Zeit auch bescheiden gemacht.
     In solchem Esprit erstand auch das badische Dornröschen. Nüchtern und bescheiden und dennoch sehr edel. Eine Kunst, die sich solcher Merkmale erfreut, wird nicht zu Unrecht als eine der größten gefeiert: der Klassizismus. Er, gleichermaßen der Kunst und Disziplin, der Ästhetik und der Klarheit griechischer und römischer Antike nacheifernd, er wurde nach dem mittelalterlichen der zweite echte Baumeister Baden-Badens. In solche Beliebtheit kam die Stadt schon in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, dass sich das Stadtbild schlagartig änderte. Die im 18. Jahrhundert nochmals instand gesetzte Befestigung wurde als letztes mittelalterliches Charakteristikum vollständig entfernt. Klassizistischer Neubau reihte sich neben klassizistischen Neubau. Es waren die Tage des vielleicht größten badischen Baumeisters überhaupt: Friedrich Weinbrenner. In Berlin und vor allem in Rom hatte er sich autodidaktisch dergestalt zum Baumeister herangebildet, dass der gebürtige Karlsruher in die sehr einflussreiche Position als badischer Hofarchitekt und Oberbaudirektor kam. Aus Karlsruhe, der durch ihn so bemerkenswert ausgebauten Hauptstadt des neuen badischen Großherzogtums, lieferte er auch die wichtigsten Entwürfe für Baden-Badener Neubauten; den Rest besorgten seine Schüler. Baden-Baden, in seinem Aufschwung der Hauptstadt von allen badischen Städten am nähsten kommend, ward nach eben jener zum zweiten Zentrum des badischen Klassizismus. Am Ende, um 1830, kurz bevor der neue Oberbaudirektor Heinrich Hübsch den Klassizismus verbindlich zu den bauhistorischen Akten legen würde, sah man in Baden-Baden nicht nur eine entschieden klassizistische Stadt, nein, manch einer vermeinte in den Höhen des Nordschwarzwalds regelrecht eine klassische griechische Luft zu atmen!
     1830 war die Neugeburt, die Renaissance Baden-Badens abgeschlossen. Das Kleid der Stadt, nüchtern und kunstvoll, diszipliniert und ästhetisch zugleich, es vermochte als entschieden Charaktervolles dem mittelalterlichen Stadtbild nachzustreben. Zweifellos zeigte das spätgotische, renaissancistische, kurzum das untergegangene Baden-Baden mehr Schönheit — und Matthäus Merians berühmter Kupferstich aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kann kaum anders gedeutet werden. An Charakter aber stand die neue Stadt, dieser entschlossene Hort des Klassizismus keineswegs nach. Und an Bedeutung überstieg sie sogar noch! Eine markgräfliche Capitale, das konnte sich im Mittelalter schon sehen lassen — ein neuzeitlicher Kurort aber, der den Hochadel Europas anzog, der übertraf denn doch billig.

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Ab 1830 aber änderten sich die Zeiten noch einmal, für Gesellschaft und Kunst. Nun war es der Klassizismus, der langsam aber sich zu gehen hatte — und mit ihm die Ästhetik der Bescheidenheit, die kunstvolle Nüchternheit. Die Kanonen und Geschütze Europas schwiegen seit über einem Jahrzehnt. Und von Dekade zu Dekade "setzte" sich die Gesellschaft. Was vorher von einem allgemeinen Leid und Elend gezeichnet, brachte nun Generationen hervor, für die Krieg und Jammer überhaupt nicht mehr oder nur noch am Rande eine Rolle spielten. Die schönen Seiten des Lebens verloren ihr "Gegengewicht"; und als dann das immer einflussreichere Großbürgertum mehr und mehr zum Adel aufschloss, zum kapitalismusträchtigen Geldadel geboren ward, und seinerseits der alte Adel entweder auf die gleichen unausgeglichenen Bahnen geriet oder an Bedeutung schon ganz verlor, da hatte der klassische Geist des frühen 19. Jahrhunderts sein Leben vollends ausgehaucht.
     Nun zog der Pomp in Baden-Baden ein! Der Romantizismus des neuen Oberbaudirektoren Heinrich Hübsch vermittelte in den 1840/50ern noch; wie ja in gesellschaftlicher Stimmung auch der biedermeierliche Geist jener Dekaden. Ja, für einen Moment kam es durch die neuen Bauwerke sogar zu einer weiteren Veredelung. Das Talent Hübsches vermochte solche. Aber es ward auch schon ein böser Stachel gesetzt; denn der Klassizismus seines Lehrmeisters Weinbrenner stand bei Hübsch in keinen besonderen Ehren, sollte vielmehr "überwunden" werden. Demgemäß wurde auch schon das erste Weinbrenner-Werk durch einen Hübsch-Neubau ersetzt (Antiquitätenhalle durch Altes Dampfbad). Außerdem brachte der wieder ornamentreiche romantische Stil die Einheitlichkeit des klassizistischen Stadtbildes "aus dem Tritt". Alles aber kann rückblickend nur zum Vorspiel erachtet werden.
     Nach dem Sieg Preußen-Deutschlands über Frankreich 1870/71 griff die sogenannte Gründerzeit wie wild um sich. Sie griff nach Karlsruhe und alle größeren Städte Badens, zumeist nach der Industriestadt Mannheim, welche gar zu einer Großstadt wurde. Aber freilich Großstadt oder gar eine Industrialisierung wollte man in Baden-Baden nicht. Und beides hatte man schlicht und ergreifend nicht nötig! Die mondäne Welt, die ab 1800 mehr und mehr durch die alsbald niedergelegten Stadttore einzog, die brachte immer dickere Geldbeutel mit, das entsprechende Luxusdenken. Indessen gewahrten also auch die Baden-Badener eine Gründerzeit, freilich eine Gründerzeit ferne von Fabrikschloten und Mietskasernenviertel.
     Zahlreiche Neubauten entstanden, um und inmitten der historischen Stadtgrenzen. Baden-Baden durchlebte wie auch Karlsruhe und Mannheim einen regelrechten Maßstabssprung: die zwei- bis dreigeschossige Bebauung des frühen 19. oder noch des 18. Jahrhunderts verwandelte sich über weite Strecken in fünf- bis sechsgeschossige. Und die Gediegenheit und Ruhe der klassizistischen (oder noch barocken) Fassaden ward gegen den Ornamentpomp des Historismus vertauscht.

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Die Gesellschaft, die aus ganz Europa sich in Baden-Baden vereinigte, worunter auch eine ellenlange Liste von Prominenten wie Dostojewski, Brahms, Victor Hugo, Richard Wagner, ja selbst der neue Kaiser Wilhelm I., sie verlangte im selbstbewussten Stil der Zeit eine gründliche Prachtentfaltung. Das war schlicht der "Gang der Dinge": auf den bescheidenen Klassizismus folgte der schon reichere Romantizismus und dann der üppige Historismus. Zeiten, die nicht von Katastrophen unterbrochen, nehmen für ihre Künste nur allzu gerne einen immer reicheren Verlauf. Nur bedeutet reicher keineswegs zwangsläufig besser! Im Falle des 19. Jahrhunderts hat man für die Künste (als Abbild der Gesellschaft) sogar eine regelrechte Dekadenz auszumachen! Und wie immer, wo der Verfall noch nicht in den Untergang mündet, man also weder Verfall noch drohenden Untergang wahrhaben will, wird einfach immer mehr Tünche aufgetragen. Die "hohe" Gesellschaft beutete das Proletariat für immer neuen Luxus aufs widerlichste aus; fand in ihrem Taumel von Freude zu Spaß, von Glücksgefühl zu Rausch am Ende nur noch an einem großen Krieg die notwendige Aufreizung der reichlich überstrapazierten Nerven. Und hatte der neue Kaiser, Wilhelm II., nicht "herrliche Zeiten" versprochen?
     Aller Pomp und alle Überspanntheit der Gemüter ward denn auch auf den Neubauten einer mondänen Stadt abzubilden. Die Dekadenz der Baukunst sollte in dessen Fall durch immer mehr Ornament überdeckt werden. Ein allgemeiner "Gang der Dinge", in der alten Markgrafenstadt nur etwas pompöser, damit nur etwas geschmackloser. Jahrzehnte später würde eine neue Bewegung, der Modernismus, genau jene Überladenheiten zur gelegensten Zielscheibe machen um sogleich alle historischen Gestaltungsregeln in Bausch und Bogen zu verurteilen. Als der Modernismus die Baukunst dann ab den 1930ern schlussendlich erfolgreich zu Grabe getragen hatte, kam denn auch der schon so lange Verfall der Baukunst an sein endgültiges Ende.
     Das alte Baden-Baden indessen war aus den Fugen geraten. Die ehemaligen Stadtgrenzen verwischt und die Altstadt in die Höhe getrieben. Nichtsdestotrotz verblieb Ansehnlichkeit, wie ja auch Bauten aus der ästhetischen Hochzeit des frühen 19. Jahrhunderts überdauerten, welche wie die ganz wenigen "Überlebenden" aus mittelalterlicher Residenzzeit gerne an weithin sichtbaren Stellen von hoher Baukunst Zeugnis gaben. Das Stadtbild des frühen 20. Jahrhunderts konnte noch ohne weiteres ergreifen. Wiederum war ein neues Baden-Baden entstanden, ein Stadtprospekt, der nach dem mittelalterlichen und dem vorwiegend klassizistischen nun als dritter eine reizvolle Durchmischung der Baustile präsentierte.
     Dieses wertvolle Stadtbild sollte nur wenige Jahrzehnte später in höchste Gefahr kommen. Man wird leicht wissen warum: der Zweite Weltkrieg. Deutschland hatte sich hinter einem grenzenlos größenwahnsinnigen wie grenzenlos widerwärtigen "Führer" versammelt, im Taumel des "Herrenmenschen" die Welt in Brand zu stecken. Und freilich musste solches Feuer, ein nur billig vergeltendes Feuer, denn auch Deutschland entzünden. Ab 1940 verschwand eine Stadt nach der anderen hinter den Explosionen und Flammenwänden des Luftkrieges der Alliierten. Eine Flugabwehr, die mehr als ein Tropfen am heißen Stein, existierte nur in den kranken Geistern, von welchen es seinerzeit freilich genug gab.

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Auch die badischen Städte waren alles nur keine Bollwerke eines "Herrenmenschen". Pforzheim, Breisach und Bruchsal verschwanden ganz. Ebenso Mannheim, dessen noch von alter kurfürstlicher Herrlichkeit geprägtes Stadtbild der Schönheit Baden-Badens nicht nachstand. Gleiches galt für Karlsruhe, erbaut auf einem spektakulären barocken Strahlengrundriss vor allem vom Klassizismus Weinbrenners. Und endlich ward auch das feine, Baden-Baden an Schönheit leicht übertreffende Freiburg fast ganz ausgelöscht.
     Baden-Baden aber, genauso wie Heidelberg entgingen der irdischen Hölle hauchdünn, blieben nahezu unbeschädigt. Mochten sich die siegesgewissen Alliierten die beiden Städte tatsächlich schon als Residenzen der Besatzungsmächte ausgeguckt haben.
     Blicken wir nochmals zurück an den Beginn des 20. Jahrhunderts, der (untergegangenen) Schönheit der badischen Städte wegen. Da stand schon seinerzeit unter den größeren Heidelberg ganz oben, auf gleicher Höhe aber noch mit Freiburg. Dann folgten in einer nicht näher zu differenzierenden Traube Mannheim, Karlsruhe und Baden-Baden. Durch die vergeltende Zerstörung aber, und den wiedererrichtenden Baustil unserer Tage — den Modernismus — der auf die Jahrtausende gültigen Regeln für Städtebau und Architektur — kurzum für Baukunst — nichts mehr außer Verfemung und Spott gab, dafür aber unendliche Freude an nackter Funktionalität zeigte, durch diese seltsamste Mixtur seit Menschengedenken, rutschten Freiburg, Mannheim und Karlsruhe deutlich ab; und hätte man nicht deren wertvollste Gebäude wiederaufgebaut, vollends in ein modernistisches Nirwana, anzusiedeln irgendwo zwischen Anonymität, Langeweile, Monotonie, Herzenskälte und Sterilität. Was der Mensch ohne Gefühl, das ein Bauen ohne Baukunst. Wie sehr die Idee des Funktionalismus, eine Geburt aus 1920, ein Betrug an den Menschen, das lässt sich in den Trabanten unserer Städte, ohne weiteres aber auch in den Zentren von Freiburg, Mannheim und Karlsruhe auf leichteste Weise nachvollziehen. Aller modernistischer Indoktrination zum Trotz. Denn blind ist der Betrachter über dieselbe nicht geworden, obgleich die funktionalistischen Fassaden "zeitgemäßer Ästhetik" durchaus dazu einladen.
     Nein, solches Ungemach blieb den Innenstädten von Heidelberg und Baden-Baden erspart. Und das ehemalige Dornröschen, die wiedererwachte Prinzessin, ward darüber nur noch herrschaftlicher: seit 1945 ist Baden-Baden hinter der unangefochtenen Königin Heidelberg die badische Kronprinzessin!
     Baden-Baden zählt also zu den wertvollsten Perlen Badens, damit auch unter die schönsten ganz Deutschlands. Ja, wie im Falle Heidelbergs geht der Ruhm sogar noch weiter: Baden-Baden darf sich einer Bekanntheit auf der ganzen Welt erfreuen! So besitzt Baden im wiedererwachten, wiedergeborenen Dornröschen also eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges. Denkt man an die 1689 ausgelöschte Residenz, den 110jährigen Todesschlaf, man möchte diese Beförderung kaum fassen. Die Geschichte, das Schicksal indessen lieben solche Brüche und extremen Schwankungen.
     Freilich hängte die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auch der Kronprinzessin manch unerbaulichen "Schmuck" an. Und es war alleine die der Bebauung über weite Strecken ungünstige Topographie, die die Schönheit der Stadt vor abträglicher Umstellung und Umlagerung bewahrte. Das vom Flüsschen Oos durchströmte Tal bildet auch auf Höhe des historischen Baden-Baden nach Norden und Süden hohe Steilhänge aus, welche die modernistische Baulust zumindest bremste. Letztendlich kam es auch hier zu einer gelinden Ausuferung, welche noch in der Gründerzeit begann, aber fast durchgängig bei einem kleinen Gebäudemaßstab halt machte. Winters fallen diese Partie unangenehm auf, in belaubter Jahreszeit aber "dämpft" die Vegetation glücklich genug. Wähle man unbedingt letztere zur persönlichen Abwägung; ansonsten nämlich mag die kronprinzessliche Stellung eher in den anderen badischen Perlen wie Wertheim, Überlingen oder Meersburg vermuten werden.

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Nach Osten und Westen, also in Talverlauf konnte ganz ungeschminkt erweitert werden. Auch hier noch im 19. Jahrhundert, vor allem aber ab 1950. Im Charme verblühender oder schon verblühter Baukunst entstand hier das Kuriosum einer veritablen Bandstadt, eines urbanen "Geschiebes", das sich über viele Kilometer vom Ortsteil Oos in der Rheinebene bis Oberbeuern tief im Schwarzwald erstreckt. Zum großen Vorzug der Altstadt legte man den Michaelstunnel an, der, 1989 eröffnet, den nicht geringen Durchgangsverkehr unter dem Zentrum hindurchführt.
     Aber genug der Einträge! Das Durchleiden der modernistischen Ansiedlungsperipherien gehört heute immer und überall dazu; und ansonsten seien nochmals später Frühling/Sommer/ früher Herbst anempfohlen. Was dann zu sehen, was dann erbaut, das ist in der Tat die oben eingeführte "reizvolle Durchmischung der Baustile". Zeichnen wir sie nach.
     An höchster Stelle und gleichsam das schönste "Mobiliar" der Stadt überhaupt: die mächtige Burgruine Hohenbaden. Rund zwei Kilometer über der Stadt ragt sie markant aus umgebenden Wald hervor, gleichsam als i-Tüpfelchen des Stadtprospektes. Als ein Element noch aus Residenztagen zeigt sie Romanik, vor allem aber Gotik. Ihr zunächst, der Stadt damit direkt "aufsitzend" das zweite Schloss, die Stadtresidenz. Als jüngeres Gemäuer nennt man es seit jeher das "Neue Schloss", Hohenbaden damit "Altes Schloss". Ab dem 14. Jahrhundert angelegt, schwankt die viereckige Anlage zwischen Spätgotik und Renaissance, durch die Zerstörung 1689 und anschließenden Wiederaufbau auch Barock.
     Nicht weniger auffällig das dritte Überbleibsel des wirklich alten Baden-Baden: die Stiftskirche. Direkt unter dem Neuen Schloss an den steilen Florentinerberg (oder Schlossberg) gebaut, macht sie durch die begünstigende Topographie und ein beachtliches Gebäudevolumen auf sich aufmerksam. Auch sie, bereits 987 urkundlich nachweisbar, schwankt lustig zwischen den Stilen, namentlich zwischen Romanik, Gotik und Barock. Letzterer wie beim Schloss als Wiederaufbaumaßnahme, denn auch das Gotteshaus ward 1689 ungnädig angesehen.
    Nicht durch den Geländeverlauf, dafür aber von der wunderbaren Kuranlage bestens in Szene gesetzt, das Baden-Baden der Glanzzeit nach Dornröschenschlaf: das lange "Kurhaus", welches von Friedrich Weinbrenner in den 1820ern errichtet. Jener bauliche Höhepunkt des "griechisch-römischen" Baden-Baden ward leider nicht wenig entstellt. Die schlossartige Vorderseite mit ihrer schönsten Partie, einer mittigen korinthischen Säulenvorhalle, zählt nichtsdestotrotz zu den besten Werken des Klassizismus in Baden, ja darf auch deutschlandweit genannt werden, spricht man von diesem strengen wie edlen Baustil.
     Mit demselben in vorzüglichster Ensemblewirkung die "Trinkhalle" aus den 1840ern, aus den romantizistischen Händen des Weinbrenner-Schülers Heinrich Hübsch. Das mit der Kunsthalle Karlsruhes schönste badische Profangebäude des Romantizismus muss wie das Kurhaus auch im gesamtdeutschen Werk dieser Stilrichtung Beachtung finden. Das lange Bauwerk zeigt zur Vorderseite eine durchgängige Säulenhalle, welche von einem mit Dreickecksgiebel betonten Mittelabschnitt symmetrisch gegliedert. Selten war mondänes Leben so geschmackvoll wie in diesen beiden Bauwerken und dem sie zusammenfassenden Landschaftsgarten.

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            Fortsetzung auf der nächsten Unterseite: Baden-Baden '2' [Link]

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