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Und heute? Nicht das mindeste überspielt die Stringenz der Anlage. Die Rationalität des Stadtgrundrisses und die Pseudo-Rationalität der Gebäude verstärken sich sogar gegenseitig! Beide setzen sich aufs entschiedenste gegenseitig in Szene. Der verdiente wohl einen Orden, der es auf sich nähme, interessierten Auges den gesamten "Altstadtbereich" abzulaufen. Denn der wäre hernach wohl blind, zumindest aber verstummt! Nein, von den Quadraten Mannheims hat unsereins noch niemanden wohlmeinend sprechen hören. Wohl verweist unsereins dann immer auf den ursprünglichen Effekt der Stadtanlage; alleine hierfür muss man durchaus sehr geschult sein um das originäre Gebilde im Geiste wiedererstehen zu lassen.
Das eine der merkwürdigsten Folgen der Stadtzerstörung im Zweiten Weltkrieg, dass sich der ja gleich bleibende Stadtgrundriss in seiner Ausstrahlung so sehr verändert hat! Er wendet sich gleichsam gegen sich selbst. Mag man ohne weiteres auch an diesem Punkte die Fähigkeiten "moderner" Architektur abwägen!
Obgleich der barocke Stadtgrundriss also überliefert, so büsste er dennoch dergestalt seine originären Qualitäten ein, dass man ihn beinahe für abgegangen erklären möchte. Aus der baulichen Blütezeit Mannheims unter Karl Theodor verschwand also nicht nur die markante Befestigung, ja fast jedes Gebäude, überdies auch noch die städtebauliche Wirkung der Straßenanlage. Das Mannheim des frühen 21. Jahrhunderts hat kaum noch etwas gemein mit dem kurfürstlichen. Und selbst jenes wenige, hätte man es nicht unter größten Mühen und entgegen aller modernistischen Unkenrufe wiedererrichtet, selbst jenes wenige stand also in größter Gefahr.
Auch unsereins fand sich oft genug in Mannheim wieder, aus den verschiedensten Gründen. Die Schwäche der Stadtgestalt, ohnehin allgemein bekannt, war denn auch dem Autoren ein allzu leichter Begriff geworden. Vermutlich deswegen zögerte er die längst schon fällige genaue Examinierung der überlebenden (wiederhergestellten) Barockwerke hinaus. Bedenke man auch, dass in nächster Nähe Heidelberg, Ladenburg und Weinheim, dass der grandiose Schlosspark Schwetzingens nicht ferne. Da fällt einem die "Stadtabstraktion" denn umso schwerer.
Endlich aber war es soweit. Und der sich dann entbietende Eindruck — von entschiedener Überraschung! Eine der merkwürdigsten Stadtbesichtigungen! Und vielleicht wertvoll genug zur Wiedergabe auch an dieser Stelle. Wer nichts hofft, der gewinnt das meiste!
Das Schloss machte den Anfang; durchaus folgerichtig, denn immerhin signalisierte dessen Anlage ab 1720 auch die neue Bedeutung Mannheims als kurpfälzische Capitale. Nach der Zerstörung der Festung wie auch der Hauptstadt Heidelberg im späten 17. Jahrhundert, zögerten die Kurfürsten den neuen Schlossbau also fast drei Jahrzehnte hinaus, auch weil mit demselben ja untrennbar die Frage nach der Hauptstadt verbunden. Die Kurfürsten Johann Wilhelm und Karl Philipp litten obendrein manch "Schererei" mit der selbstbewussten Heidelberger Bürgerschaft, die zu allem "Überfluss" auch noch evangelisch, während sie selbst katholisch, was seinerzeit kein unbedeutend Spannungsfeld. Der erste barocke Entwurf für eine neue große Schlossanlage galt noch Heidelberg, dessen viele Jahrhunderte altes Residenzschloss ja wie die Stadt in Trümmern lag. 1720 dann die Entscheidung für Mannheim. Eine durchaus unerwartete Adelung der bis dato nur als Veste betrachteten Stadt; und welch‘ herber Schlag dagegen für Heidelberg!
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Für Mannheim jedoch ward hiermit der Startschuss zur oben beschriebenen Blüte gegeben. Und die Ambition der Kurpfalz sollte sich ohne weiteres auch am Schlossbau im Stile des großen Vorbildes, dem Versailler Schloss des "Sonnenkönigs" (Ludwig XIV.) ablesen lassen. Was nun umso dringlicher schien, als man mit seinem Schlossbau durchaus hinterher "hinkte". Die drei anderen großen Barock- und Residenzschlösser Badens waren zu diesem Zeitpunkt zumindest schon angefangen: Rastatt (Markgrafschaft Baden-Baden) ab 1697, Karlsruhe (Markgrafschaft Baden-Durlach) ab 1715 und Bruchsal (Hochstift Speyer) ab 1719. Mochte also der Mannheimer Palast seine Verspätung durch eine besondere Größe ausgleichen. Und in der Tat ist eben jene dessen ganz besonderes Markenzeichen; dergestalt gar, dass er als unmittelbar zusammenhängender Flügelbau einer der weitläufigsten Europas, der größte Barockpalast überhaupt ganz Deutschlands wurde! Die Kurfürsten Karl Philipp und Karl Theodor suchten den Ruhm also in schierer Ausdehnung. Weil aber die kurpfälzischen Staatskassen nach der unaufhörlichen Drangsal des 17. Jahrhunderts nur bedingt belastbar, zog sich der Bau sage und schreibe 40 Jahre in die Länge (und beanspruchte hintereinander vier leitende Baumeister!); konnte außerdem nur eine moderate und keineswegs üppige Schmückung auf die unabsehbar langen Fassaden gelangen.
Nichtsdestotrotz lässt sich der lange Koloss leicht bewundern. Man gewahrt neben der Größe auch eine schwindelerregende Anzahl einzelner Flügel — diese nun umso leichter, als der geschickte Entwurf einer monotonen Wirkung, wie sie solch große Bauten nur allzu leicht anfällt (siehe Modernismus), entschieden entgegentrat. Allenthalben gewahrt man optische Gelenke, bevorzugt formuliert durch turmartige Pavillonbauten, welche gegenüber den Flügeln um ein Geschoss erhöht, gegenüber den Satteldächern der Flügel durch flache Deckung und umlaufende Balustraden aufmerksam machen. Was also den langen Fassaden an Schmuckreichtum anderer badischer und deutscher Schlossbauten fehlen mag, das wird durch eine geschickte Bewegung der Massen ohne weiteres ausgeglichen.
Die Grundfigur ist die eines riesigen Hufeisens für den repräsentativen und zur Stadt geöffneten Ehrenhof; diesem hängen dann nach Osten und Westen in einer Flucht mehrere Trakte an, die die Stadt, namentlich deren Straßen gleichsam aufzuspannen scheinen. Hinter dem östlichen Abschnitt "verstecken" sich nochmals mehrere Flügel, einen geschlossenen Hof zeichnend. Auf der westlichen Rückseite dagegen kam diese Erweiterung über die Planung nicht hinaus. Auch das Schloss ward durch den Zweiten Weltkrieg schlimm getroffen. Zum großen Glück aber für das Stadtbild baute man wieder auf; was aber das Innenleben angeht, so verschwand manch bedeutender Bestandteil auf immer in den Flammen.
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Die schönste Partie des schönsten Abschnitts, also des geräumigen Ehrenhofes, kann auch im Falle des Mannheimer Palastes nur der Corps de Logis sein. Man gewahrt eine Steigerung der Ausschmückung. Gegenüber den langen Seitenarmen, die ein Piano-Nobile-Geschoss nebst einem Mezzaninstockwerk reizvoll auf Arkadengängen herbeiführen, erhöht sich der Anteil des Fassadenschmuckes für die kürzeren Abschnitte rechts und links des Corps de Logis; wie auch diese beiden Partien durch ein höheres Walmdach akzentuiert. Noch höher und noch schmuckvoller dann der Corps de Logis, der sich nach vorne durch das breite fünfachsige Treppenhaus und den um ein Stockwerk höheren "Rittersaal" abzeichnet. Letzterer, der wiederhergestellte kurfürstliche Prachtsaal, gibt sich zur Rückseite, damit zum ehemaligen Schlosspark, noch effektvoller: ein Arkaden-Altan hebt hier den hohen Baukörper, welcher durch abgerundete Ecken umso markanter, auf sehr ungewöhnliche Weise in die Höhe. Zahlreiche Pilaster und Segmentbogengiebel über den plastisch geformten Fensterrahmungen dürfen denn am Corps de Logis nicht fehlen, dessen Pracht für das Portal zum Ehrenhof die letzte Steigerung erfährt.
Der Feierlichkeit des Corps de Logis am nächsten kommen die beiden äußeren Ecken der Innenseite des Ehrenhofs: von Turmpavillons akzentuiert, gewahrt man je einen zurückweichenden übergiebelten Abschnitt mit hohen Rundbogenfenstern, welche als ehemalige Hofkirche (Westseite) und Kabinettsbibliothek (Ostseite) die Queransicht und erster Abschnitt der langen an den Ehrenhof anschließenden Flügelbauten.
Neben der Eigenschaft als damaliger Startschuss für Mannheims glanzvollste Zeit, ist der Schlosskoloss heutigentags sicher auch die klügste Initiierung für eine Besichtigung der Stadt. Und von hier aus lockt denn schon die Jesuitenkirche, die sich monumental aus dem Stadtkörper hebt. Den Weg zu ihr leitet das Bretzenheimer Palais ein, das größte erhaltene Stadtpalais, dem Schloss direkt gegenüber. Mit seinem deutlich kleineren Maßstab sucht aber auch dieses Werk lustigerweise sein "Heil" in schierer Ausdehnung; beinahe möchte man es als kleinen Schlossbau nehmen. Peter Anton von Verschaffelt, Bildhauer und Baumeister, lieferte den Entwurf 1771 (weshalb man auch das Gebäu auch Palais Verschaffelt nennt). Die Strenge der dreistöckigen Putzfassade atmet schon in tiefen Zügen Klassizismus. Alleine die breite Mittelpartie schafft spürbare Belebung: langer Balkon auf Rollwerkkonsolen und Wappen-Sprenggiebel für die mittlere Tür des Piano Nobile.
Hat man die lange Hufeisenform des barock-klassizistischen Palastes abgeschritten, ist denn auch die alte Jesuitenkirche nicht mehr ferne. Monumental und dynamisch, mit bedeutender Pracht schiebt sich deren sandsteinerne Front in die Höhe — eine Wirkung, die umso effektvoller, als das gotteshäusliche Gebäu mit dieser Partie keineswegs wie zu erwarten einen großen Stadtplatz befruchtet, sondern auf eine schmale Straße weist (den kleinen Vorplatz nimmt man kaum als solchen wahr). Welch’ merkwürdige Entscheidung!
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Man muss sich regelrecht den Hals ausrenken um die oberen Partien des rot leuchtenden Monuments abzuwägen! Zwar will man solcher ohne weiteres steigernden Wirkung den Beifall keinesfalls verweigern, alleine solche Kraft der Ausstrahlung wäre leichter an einer sauberen Platzfront zu bewundern (statt dessen steht es nur mit der Nordwestecke an einem Platz). Freilich ändert das an der eigentlichen Bedeutung des Kirchenbaus nur wenig. Das vorzügliche Werk — und hierbei rechnet man das prächtige Innenleben hinzu — zählt zu den beachtlichsten ganz Süddeutschlands. Und in Baden lässt es bestenfalls Gleichwertigkeit gelten: zusammen mit Balthasar Neumanns Gotteshaus in Bruchsal, der Birnauer Wallfahrtskirche und der Klosterkirche in Schuttern zeigt sie die schönste Außenarchitektur; was allerdings das nach der Kriegszerstörung mühsamst rekonstruierte Innere angeht, so steht die Jesuitenkirche denn "unangefochten".
Weniger die sehr bewegte und von zwei Türmen bekrönte Vorderseite eifert, wie bei Jesuitenkirchen häufig zu beobachten, der Mutterkirche "Il Gesu" in Rom nach, sondern die Gesamtanlage: ein Querschiff tritt ans Langhaus und nimmt die Vierung als Anlass für eine Kuppel. Während aber die Vorderseite von dezidierter Pracht, so nehmen sich jene Partien, ja selbst die Kuppel nach außen sehr bescheiden aus. Alle äußere "Kraft" galt der Vorderseite. Das Innenleben freilich wollte selbst diese übertreffen und schuf hier Meisterwerk neben Meisterwerk. Die Raumwirkung vor allem verweist auf "Il Gesu", ward denn aber auch wieder von ganz spezifischer, individueller Natur — die Mutterkirche des noch heute größten christlichen Ordens war ein Vorbild, das die große Form vorgab, nicht aber die jeweiligen Details. Fast alles wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, das wichtigste aber bis 2007 weitgehend restauriert. Die Geltung dieses Gotteshauses legte den bedeutenden Aufwand nahe.
An der sandsteinernen Front überzeugt zumeist die gelungene Bewegung der Gebäudemasse: einerseits tritt sie für den großen Eingangsportikus nach vorne, andererseits "schälen" sich schlanke Türme heraus und in die Höhe. Wie die beiden von Zwiebeldächern gekrönten Campanile, so fährt auch der obere mittlere Abschnitt entschieden in die Höhe, wo denn ein Dreiecksgiebel für den adäquaten Abschluss sorgt. So bemerkt man also eine nicht geringe Dynamik, die gleichermaßen nach vorne wie in die Vertikale weist. Und solche Bewegtheit der Masse wurde dann von zahlreichen plastischen Pilastern und Gesimsbändern, von Fenstern und Nischen, von Dreiecksgiebeln und Segmentbogengiebeln auf’s verständigste weiter belebt.
Der Italiener Alessandro Galli da Bibiena lieferte den Entwurf. Baubeginn war 1733. Und auch hier zog sich die Fertigstellung über Jahrzehnte, namentlich bis 1760; so blieb es dem nicht weniger talentierten Franz Rabaliatti vorbehalten, die Arbeit des 1748 verstorbenen Bibiena zu vollenden. Und als die schönste Jesuitenkirche Badens endlich fertig, da konnte der Orden gerade einmal 13 Jahre nutzen, ward dieser nämlich ab 1773 für mehrere Jahrzehnte von Papst Clemens XIV. aufgehoben!
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Auf illustre Geschichten dieser Art trifft man in der Hochzeit der kurpfälzischen Capitale durchaus auf Schritt und Tritt. Auch das nächste, sehr nahe Gebäu, erzählt extraordinäres. Das ein weiteres bedeutendes Merkmal der barocken Tage Mannheims: zahlreiche Türme. Diese stammten keineswegs, wie andernorts seinerzeit noch oft zu sehen, von der mittelalterlichen Befestigung (Mannheims Schanzenanlage war typischerweise turmlos) und den Campanile der Gotteshäuser. Wohl gab es die letzteren gleichfalls, bedeutend aber ergänzt von den Türmen des Rathauses (erhalten), des Kaufhauses (abgegangen) und am "exotischsten" vom Campanile einer Sternwarte! Nach Entwurf durch Johann Lacher, Ausführung von Rabaliatti besaß Mannheim ab 1774 nicht nur einen weiteren trefflichen Stadtturm, auch nämlich eine der allerersten Sternwarten Deutschlands! Und solcher Berühmtheit wollte denn auch die schmuckvolle, ja vielmehr reizvoll bewegte Gestalt des hohen Oktogons keineswegs nachstehen. Das verputzte Bauwerk beginnt mit einem quadratischen Unterbau, dem dann das zweigeteilte Oktogon aufsitzt. Auch die Details, wie zum Beispiel die Stapelung der Fenster, unterstreichen den vertikalen Zug des Turmes. In der alten Sternwarte (heute für Atelierwohnungen genutzt) erkennt man eines der ungewöhnlichsten Barockbauwerke ganz Badens!
Als nächstes wartete das große Zeughaus, von der Rückseite durch lustig erhaltene Schildhäuschen angekündigt. Wie im übrigen auch das Schloss stand das dreigeschossige Gebäu, welches als Museum genutzt, im beginnenden 21. Jahrhundert unter umfangreicher Sanierung. Ein Zeughaus diente der Aufbewahrung von Waffen und Munition, war also genuin militärischer Natur. Das Mannheimer Exemplar aber, einmal mehr den Rang der kurpfälzischen Hauptsstadt untersteichend, glänzt wie der prächtigste Stadtpalast! 1777/78 ausgeführt, mimt das Gebäu mit wiederum bereits klassizistisch anmutender Strenge italiensche Palais-Architektur nach; besonders gelungen auf der einem großen Platz zugekehrten Vorderseite. Alleine die vielfachen Rustizierungen: Sockelgeschoss, Eckpilaster und Pilaster der Mittelpartie weisen auf die militärische Funktion hin. Der Putzbau weiß um zahlreiche Sandsteinelemente. Im ganzen beeindruckt das lange Gebäu durch Detailvielfalt und dezidierte Monumentalität, welche beide ihren Höhepunkt in der spannungsvollen Mittelpartie mit Prachtportal finden.
Nicht ferne das Gotteshaus des alten Bürgerspitals. Das nächste Werk des in Mannheim also einflussreichen Frühklassizismus. Das kleine, verputzte Gebäu wurde 1786-88 von Bauinspektor Faxlunger ausgeführt und gefällt zumeist durch die Vorderseite. Vier toskanische Säulen, auf hohem Postament stehend, tragen einen klassizistisch-scharf gezeichneten Dreiecksgiebel. Die Komposition steht mittig der schmalen symmetrischen Front und säumt auf’s prächtigste das seinerseits schmucke Portal. An den Gebäudeecken kolossale Eckpilaster und in Verlängerung der Mittelpartie ein vielgliedriger Dachreiter. Ein bewegtes plastisches Bild, das das kleine Gotteshaus zur zweitwichtigsten frühklassizistischen Kirche Badens kürt! Alleine der freilich auch weit größere Dom von Sankt Blasien übertrifft noch. Das Gebäu atmet schon reichlich monumentalen und graphisch strengen, auch bildhaften Geist, den der große Friedrich Weinbrenner rund ein Jahrzehnt später noch weiter "reinigen" würde, um denselben dann als eine spezifisch badische Variante des Klassizismus zu deutschlandweiten Ehren zu führen.
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Weiter nurmehr zum nächsten Markstein, zu einem Gebäu das gleichermaßen Rathaus und Kirche, beide durch einen schmuckvollen Turm akzentuiert. Eine Gestalt, die in ihrer seltenen Markanz ergreift: zum großen Marktplatz erbaut sich eine symmetrische Anlage aus drei klar ersichtlichen Partien. Aus der Mitte strebt ein detailreicher Turm, sich nach oben kunstvoll verjüngend, in einstmals weithin sichtbare Höhen — und rechts und links schließen zwei walmdachgedeckte Baukörper an, rechts die Untere Pfarrkirche und links das ehemalige Rathaus. Eine Komposition so schön als originell! Diese Art der Anlage, welche im barocken Mannheim durch Konkordienkirche und Kaufhaus noch zwei weitere Male zu bewundern, musste man nach dem quadratischen Stadtgrundriss und dem größten Schloss des Reiches für das dritte spezielle Charakteristikum der kurpfälzischen Kapitale nehmen — ein vorzügliches Charakteristikum, das in Deutschland ganz ohne Parallele. Interessanterweise gaben Kirche/Rathaus auch den eigentlichen Startschuss für den Wiederaufbau des komplett zerstörten Mannheim: ab 1700 (und bis 1711) wurde mit diesem repräsentativen Bau das gleichfalls neue Rathaus der seinerzeit ja noch amtierenden Hauptstadt Heidelberg sogar übertroffen. Ein Startsignal also für die Wiedergeburt Mannheims, das von noch weiter gehendem Ehrgeiz berichtet.
Am schönsten der gleich den Flügeln verputzte Campanile: der quadratische Korpus ward wie die deutlich abgesetzte und oktogonale Spitze dreifach unterteilt. Und wie die letztere die drei Dachhauben schweift, so nimmt sich der Korpus in entsprechend barocktypischer Weise eine Vielzahl von Schmuck- und Gliederungselementen: wo die Turmspitze die Laternen stapelt, da der Korpus die Pilaster an den Ecken. Endlich sei auf den großen Dreiecksgiebel des letzteren verwiesen, der dessen ersten Abschnitt beschließt und damit gleichsam einem von den beiden Flügelbauten ankommenden dorisierenden Gurtband aufsitzt. Das Gurtband im übrigen bindet die drei Gebäudeteile trefflich zusammen.
Auch das Portal des Turmes ist ansehnlich genug, wird aber von den zwei Haupteintritten von Rathaus und Kirche noch deutlich übertroffen. Diese formulieren nämlich gleich die gesamte jeweilige Mittelpartie. Gestaffelte Pilaster "tragen" wiederum das schon eingeführte Gurtband, welchem dann (statt einem Dreiecksgiebel wie beim Turme) jeweils ein Segmentbogengiebel aufsitzt. Die Eingänge selbst werden von je zwei großen Karyatiden, welche einen repräsentativen Balkon "wuchten", in höchst kunstvoller Manier gesäumt. Ansonsten erzählen die Fassaden von Rathaus und Kirche von neuerlichem Pilasterreichtum, dessen umso strengere Gliederung die sehr ungleichen Fensterformate von Kirche (langer Rundbogen) und Rathaus (je zwei Rechtecke) dergestalt einfasst, dass deren Asymmetrie der Symmetrie der Gesamtansicht keineswegs zum Schaden gereicht. Vielmehr gewahrt man auf der langen Marktplatzseite nun ein erfrischendes Spiel zwischen Symmetrie im Großen und Asymmetrie im Kleinen.
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So eingestimmt tritt man umso lieber vor die in ihrem Hauptmerkmal ja schon eingeführte Konkordienkirche. Auch hier also ein zentraler Turm und zwei rechts und links angefügte Flügelbauten, die von scharf gezeichneten Walmdächern gedeckt. Und es war eben der Vorgänger dieses Gotteshauses, der die markante Gebäudefigur 1685 in Mannheim einführte. Nur vier Jahre später hatte des Sonnenkönigs Befehl sie schon wieder ruiniert! Zwar zeigt das heutige Gebäu nicht geringen Um-, bzw. Neubau des 19. Jahrhunderts, entscheidend aber immer noch die markante Gestalt und die barocke Fassadenbehandlung. Ein Bauwerk, das den Betrachter nicht wenig erfreut. Prächtige Portale laden ein. Und der Detailreichtum der von Pilastern klar strukturierten Flügelbauten wird vom Campanile und insbesondere von dessen feingliedriger Spitze noch übertroffen. Auch entspinnt sich zwischen dessen rotem Sandstein und dem weißen Verputz der beiden als Schule und Kirche genutzten Trakte ein erbaulicher Kontrast. Obgleich die Konkordienkirche hinter der Formation von Altem Rathaus/Unterer Pfarrkirche zurückbleibt, darf auch sie als besondere badische Sehenswürdigkeit gelten.
Auf dem Rückweg zum Schloss gefällt noch ein nicht allzu großer Stadtpalast. Auch dieser barocke also einer der ganz wenigen nichtöffentlichen Gebäude, dessen Schicksal unter glücklich verschonendem Stern. Ein noch hochbarocker Geist besaß im Gegensatz zum Palais Bretzenheim deutlich mehr Freude an schmückender Form. Insbesondere der Mittelrisalit samt Dreiecksgiebel erfreut, wie auch dessen und die an den Gebäudeecken monumentalisierenden Kolossalpilaster (ionische Kapitelle). Die Fenster sind stiltypisch, damit geschweift eingefasst und am schönsten wiederum ein prächtiges Portal. Geschmacksfragen entscheiden, und unsereins gibt solcher Formenliebe den Vorzug vor der kühlen Strenge des Bretzenheimer Palais. Im übrigen darf man auch diesen Stadtpalast unter die ansehnlichsten Badens rechnen, allerdings nur unter dem Zusatz, dass viel Gleichwertigkeit, manch übertreffendes Beispiel zu "dulden" ist.
Und dann stand der Autor wieder vor der 440 Meter(!) langen Stadtseite des Kolossalschlosses. Was den Residenzschlössern in Rastatt und Karlsruhe die geschickte Führung der Straßen, welche gleichsam als "Strahlen" am Schloss ihren Ausgang nehmen und so alle Blicke immer wieder zum Schloss ziehen, das ist dem Mannheimer Palast die schiere Länge: sieben Straßen des rechtwinkligen Gitters treffen auf die lange Stadtfront! Ein Bündelung der Straßen wie in Rastatt und noch schöner im Strahlenkranz Karlsruhes, hatte der lange Koloss schlicht und ergreifend nicht nötig.
Sollte dem Initiator der Besichtigung auch deren letzte Momente gelten. Und diese war denn ganz wie vorgenommen: ohne Umschweife von Höhepunkt zu Höhepunkt der barocken Hochzeit. Wahrlich, um das andere hatte man sich nicht zu scheren, die niederdrückende modernistische Hegemonie und die allenfalls überlebenden Fetzen aus historistischer Gründerzeit.
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Während abschließende Blicke den Schmuck der Palastfassaden abwägten, verwunderte sich der Autor nicht wenig über die große Erbauung, die die gesamte Besichtigung nun eintrug. Und da fiel’s ihm dann wie Schuppen von den Augen — genau jenes war tatsächlich gelungen: alleine die Werke aus der kurfürstlichen Glanzzeit hatte er wirklich betrachtet, alles Andere und Anstößige nur insofern gesehen um sicheren Schrittes von Barockwerk zu Barockwerk zu gelangen. Von den vielen, vielen Fragwürdigkeiten hatte er nicht mehr erwartet als dass sie ihm den Weg zu den wenigen Erbaulichkeiten freigeben. So wenig waren sie den Blicken wert gewesen, dass sie noch nicht einmal den immer drohenden Anstoß erwirkten. Alle optische Abneigung, obgleich von den Augen übermittelt, entsteht doch einzig und alleine im Inneren, im Gefühl. Und da war jene erste Tür wohl geöffnet, die zweite aber fest verschlossen. Dieses aber unter dem einzigen Vorsatz, der hier gelingen kann, dem unwillkürlichen, dem unbewussten. Der entschlossene Vorsatz, am Anstößigen keinen Anstoß zu nehmen, hätte allzu leicht für Aufruhr gesorgt: dem Sehen seine vorzüglichste Qualität, das Erkennen, rauben — nein, das wäre ja der vollständige Sieg des Modernismus! Nein, die ungeheuerliche Armut des zeitgenössischen Stils soll unbedingt erkannt sein.
Aber wie oben schon ausführlich über denselben geschrieben, so hatte auch die Betrachtung dieses Tages jenen Ballast bereits abgeworfen; und nach der Erkenntnis kommt dem Denker die Ruhe (Adorno: "wer denkt ist nicht wütend"), wie sie als liebste Besinnlichkeit der Begleiter durch Mannheims Quadrate. Freilich war dennoch alles glücklich, auch zufällig genug. Aber welch’ unglaublicher Effekt! Vor meinen Augen war noch einmal recht ungestört der alte Glanz des kurfürstlichen Mannheims aufgetaucht — die Erinnerung gab einzig die barocken Hochwerke wieder! Zurückblickend leuchteten alleine die Fassaden von Schloss, Bretzenheimer Palais, Jesuitenkirche, Sternwarte, Zeughaus, Spitalskirche, Rathaus/Untere Pfarrkirche, Konkordienkirche und Stadtpalais!
Hätte man auch das sehr ansehnliche Kaufhaus, welches ab 1727 von den Baumeistern Baumgratz und Bibiena errichtet, nach der Kriegszerstörung wiederaufgebaut, fast die sämtlichen Vorzeigewerke des alten Mannheim wären noch erhalten. Aber auch ohne das Kaufhaus, die Trinitatiskirche (1706-09), die Stadttore und manch Stadtpalais steht noch heutigentags qualitativ genug vor Augen um die kurfürstliche Epoche nachvollziehen zu können. Was nämlich erhalten, reiht sich zugleich unter die besten Erzeugnisse ganz Deutschlands, zumindest Badens — und da lässt sich nur noch auf eine einst allgemeine Bedeutsamkeit der gesamten Stadtgestalt extrapolieren. Auch das schwang natürlich bei jener einseitigen Sichtweise mit! Und die Wirkung war in der Tat allerliebst; und denn lustigerweise auch von einer Einmaligkeit, wie sie dem alten Mannheim ohne weiteres gebührt. Am Ende griffen noch die letzten "Zahnräder" ineinander!
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[1] Hugo Staudinger, Johannes Schlüter "Die Glaubwürdigkeit der Offenbarung und die Krise der modernen Welt", Burg Stuttgart/Bonn, Ausgabe 1987, S. 158
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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Palatinatus Rheni"
3) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
4) "Mannheim in alten Ansichtskarten", Gondrom Verlag, Bindlach 1995
5) Homepage www.mannheim.de
6) Informationstafeln vor Ort
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