Während man dem monumentaler und monumentaler aufsprießenden Schwabentor immer näher, darf allenthalben die Kleinteiligkeit und der Abwechslungsreichtum der Bebauung bewundert werden. Man trifft hier gleichsam auf das exakte Gegenbild zur Steifheit, Glattheit und Monotonie der Kaiser-Joseph-Straße. Obgleich die meisten Fassaden hier keineswegs üppig, ließ man ihnen freilich nie weniger als das belebende Minimum kunstvoller Details angedeihen. Bedenkt man dann noch die immer differierenden Gebäudehöhen, die fast immer kurzen Hausbreiten, so mag man die Lebhaftigkeit des Straßenzuges leicht begreifen. Und man bedarf keineswegs der sezierenden Analysen des Fachmanns um als Laie ganz einhellig zu verspüren, dass diese historische Kleinteiligkeit, ihre Funktionalität den Blicken durch baukünstlerische Griffe vermittelnd, den Menschen weit besser annimmt, ja vielleicht sogar widerspiegelt — wohingegen die sterilen und kunstlosen Gebäudemassen der Kaiser-Joseph-Straße nur abstoßen, keiner Anteilnahme, ja vielleicht sogar keines Blickes wert sind; dort tritt uns gebaute Gesichtslosigkeit, Anonymität im Gewand schnell überlebten Designs entgegen, die unsere Individualität und Natürlichkeit keineswegs wiedergibt, sondern wie ein leerer Schlund aufzusaugen droht. Himmel und Hölle.
Kurz vor dem Torturm biegt die lange Herrenstraße ab, welche gleichfalls noch um zahlreiche historische Bauwerke und die einhergehende Lebendigkeit weiß. Jene Aufspreizung reizt vor allem, gewahrt man sie vom Schwabentor aus. Dann nämlich treten zur Kleinteiligkeit der Bebauung auch noch der gewaltige Campanile des Münsters, ja selbst dessen deutlich kleinere Hahntürme in den Prospekt. Häufig lässt sich der Münsterturm, dessen kühn durchbrochene Steinspitze schon im Mittelalter nicht nur als Krone des Münsters, vielmehr als Krönung des gesamten Stadtkörpers begriffen, von den Straßen und Plätzen, den Gassen aus bewundern. Nur noch an sehr wenigen Stellen aber lässt sich der so dynamisch aufstrebende Sandstein mit geschlossener historischer Bebauung in Perspektive bringen. Der Autor mag sich täuschen — zwar hat er sie Stadt viele Male besucht, aber darüber ward er ja mitnichten so tief eingeweiht wie der um alle Prospektmöglichkeiten wissende Einheimische — wenn er behauptet, dass jene Ansicht über der Kreuzung Salzstraße-Herrenstraße, aus dem Stadtkörper heraus die schönste Verbindung Münster-Altfreiburg entbreitet. Der rote "Sandsteinfluss" aber, welch berauschend’ Bild, wie er ganz unvermittelt aus dem Stadtgeflecht himmelwärts "strömt". Die Gotik atmet hier ihre tiefsten Kunstmöglichkeiten; ein Gebäu wie nicht von dieser Welt. Der Himmel, Gott ist das Ziel! Wahrlich dieser Strom ist schon auf dem Wege, hat die irdische Welt schon halb hinter sich gelassen. Ein Geist, weil er bereits am "Entrücken", so fremd und freilich auch: wie ergreifend! Will er uns schon mitnehmen? Armer säkularer Geist, der du solche Begeisterung hinter dir gelassen!
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Das mittelalterliche Steinwunder im Rücken bemerkt man noch vor dem Schwabentor eine ungewöhnlich reich wie geschickt verzierte Fassade. Es ist das Haus mit dem lustigen Namen "Zum alten Kameltier", welches hier die Weichheit und Mannigfaltigkeit von Rokoko-Stuck zum besten gibt; ein Werk also des 18. Jahrhunderts und das liebreizendste seiner Art in ganz Freiburg.
Dann aber das Schwabentor, das gleichsam wie der "Bruder" des Martinstores. Die Wirkung: wuchtige Monumentalität, und die Materialen: weißer Verputz und gräulicher Naturstein, wie auch die schiere Höhe des Bauwerks konnte man schon am wenige Jahre älteren Martinsturm bewundern. Durch ein dünnes Gesimsband abgetrennt die Aufstockung. Wie bereits angedeutet, hat man im Falle des Schwabentores die Verlängerung teilweise rückgängig gemacht. Dabei aber trug man vor allem die sehr markante Gestalt der Spitze ab und vertauschte sie gegen das einfache Zeltdach. Vielleicht waren dessen Giebelgebilde tatsächlich ein wenig überspannt, und immerhin gab es das Einsehen, dass die originale Höhe dem nachmittelalterlichen Stadtbild nicht mehr gewachsen. Eine Art Kompromisslösung.
Auch den zweitschönsten Stadtraum Freiburgs, den Rathausplatz, durch die hier situierte Ordenskirche einst und malerischer Franziskanerplatz gerufen, erreicht man von der Kaiser-Joseph-Straße. Zu diesem Behufe wird nach Westen in die Rathausgasse abgebogen, welche sodann auf bezeichneten Platz führt. Drei, nein vier Bauwerke von ausgesuchter Schönheit veredeln die ohnehin wohlproportionierte Platzgestalt. Die westliche Platzwand konstituieren die neuen Namensgeber: Altes und Neues Rathaus. Einmal mehr fesselt der zwischen Spätgotik und Renaissance wippende Geist der Blütezeit Freiburgs. Noch schöner das Alte Rathaus, im Dunkelrot, einem "Ochsenblut-Rot", dessen kraftvoller Effekt gleich mehrere Bauten des alten Freiburg leuchten lässt. Die Kraft der Farbe steht ferne genug der aufreizenden Signalwirkung, für welche Rot gerne verwendet. Trefflich, nicht über Gebühr betont sie die erwählten Bauwerke.
Auch das dreistöckige, nicht allzu lange Alte Rathaus ward zerstört und glücklicherweise wiedererrichtet. Treppengiebel und ein geschweifter Giebel adeln das ruhige Gebäu unter die schönsten genannter Stile in ganz Baden, in Freiburg übertroffen nur noch vom "Kaufhaus" am Münsterplatz. Das Werk, dessen Asymmetrie der Vorderseite vor allem durch den links aufsitzenden Schweifgiebel befördert, ward 1556-59 aus mehreren Häusern zusammengefasst, um 1600 durch die Eckpartie mit Schweifgiebel erweitert. Die schönen Fenstergewände fallen auf, umso mehr als sie nach dem Wiederaufbau goldfarben akzentuiert. Und am anmutigsten freilich die gleich drei Portale, welche in Größe und Ansicht belebend differieren. Die Renaissance hielt den beiden größeren Portalen Säulen, respektive Pilaster für schicklich. Auch die lange Rückseite gefällt, zumeist durch einen polygonalen Treppenturm.
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Das südlich benachbarnde Neue Rathaus (seit 1896) indes sieht sich dem Historismus "aufgeopfert". Die originale Gestalt zeigte gleichfalls Spätgotik/Renaissance, ein 1539 erbautes Doppelhaus, dessen beide Giebelfronten Ende des 16. Jahrhunderts durch eine Zinnenmauer zur Freiburger Universität verbunden, Ende des 19. Jahrhunderts aber durch einen historistischen Flügel zum Neuen Rathaus. Jener nun, vor allem aber die mancherlei "Aufwertungen" der Seitenfassaden, verwechselte in der Manier des Historismus die mittelalterliche Rustikalität und Unregelmäßigkeit mit Klobigkeit und Schwere. Nichtsdestotrotz macht die Vorderseite insbesondere im Prospekt mit dem Alten Rathaus und dessen Schweifgiebel eine reizvolle Figur: gleich drei Renaissance-Giebel reihen sich dem Betrachter aneinander.
In das von den beiden Rathäusern "begonnene" Bild gediegener Schönheit reiht sich auch die Franziskanerkirche Sankt Martin vorzüglich ein, dabei die nördliche Platzwand bestellend. Das gotische Gebäu entstand ab 1262 über einem Vorgänger. Im großen Gegensatz zum Münster tritt hier die Gotik in bescheidener, ländlicher Manier auf. Der mittelalterliche Stil aber umspannte gleichsam ein weites Feld: spektakulär an den Kathedralen, ruhig an den einfachen Kirchen. Je größer die Geldsäckel, desto feingliedriger und höher die Gotik. Im Falle einer Franziskanerkirche aber war obendrein eine Einfachheit der Verhältnisse gleichsam spirituelle Aussage. Die weiß verputzte Basilika gefällt zuvörderst durch ihre schlanke, dreischiffige Proportion, durch starke Strebepfeiler an der Vorderseite, durch viele Maßwerk-Spitzbogenfenster. Der Barock verpasste der Front im 18. Jahrhundert ein prächtiges Hauptportal (und den beiden Pfeilern lustig befremdliche Kapitelle); der Historismus dagegen 1892 einen neogotischen Campanile, der zumindest nicht anstößig.
Das vierte sehr gefällige Bauwerk des Rathausplatzes geht als Kreuzgangüberrest von Sankt Martin ab, dabei die östliche Platzbegrenzung entbietend. Wie trefflich im Erdgeschoss dessen lange Maßwerk-Arkade! Eine der schönsten alten Kreuzgangarkaden ganz Badens! Wie beim Gotteshaus stehen auch hier die sandsteinroten Öffnungsrahmungen in gutem Kontrast zum weißen Verputz.
Zwei weitere Prachtstücke des ausgehenden Mittelalters findet man in unmittelbarer Nähe des Rathausplatzes. Hinter dem Alten Rathaus (Turmstraße) findet man ein veritables Kleinod: die "Gerichtslaube". Auch dieses spätgotische Gebäu ward nach vielerlei Entstellung späterer Zeiten wieder vorzüglich in Szene gesetzt. Zwei Treppengiebel monumentalisieren das zweigeschossige kompakte Gebäu, und ungewöhnlich lange Fensterbänder gliedern horizontal. Da gewahrt man wieder überdeutlich, dass dem gerne laut "polternden" Modernismus noch nicht einmal das von ihm reichlich überstrapazierte Fensterband eigene Erfindung! Wie denn auch hier die Aneinanderreihung der Fenster nicht ohne Kunstgriffe, z.B. den gotischen Spitzbogen, vorstellbar. Zu allem ästhetischen "Überfluss" tritt noch eine Freitreppe hinzu, die den Feinsinn der Renaissance, namentlich mehrere Säulen für die Überdachung einbringt. Auch an diesem Gebäude der gelungene Gegensatz weißer Verputz — rote Sandsteinelemente.
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An Attraktivität nicht nachstehend ein Gebäude mit wiederum lustig klingendem Namen "Haus zum Walfisch", dem Chor von Sankt Martin gegenüber (Franziskanerstraße). Hier "strotzt" wieder das kraftvolle Rot, erneut auf gediegener Spätgotik-Fassade. Das im Zweiten Weltkrieg gleichfalls zerstörte Haus deutet schon mit seinem Namen auf eine ungewöhnliche Historie: 1516 ward es als Alterssitz für Kaiser Maximilian errichtet (welcher aber noch vor dem Einzug starb), dann, einige Jahre später, dem berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam ein Refugium.
Als ein Alterssitz für den habsburgischen Kaiser Deutschlands konnte das Gebäude freilich nur gedacht werden, weil Freiburg seit 1368 zu Vorderösterreich zählte. So unglücklich waren die Freiburger mit den auf den letzten männlichen Zähringer Bertold V. ab 1218 folgenden Grafen von Urach (sich dann Freiburger Grafen nennend), dass sie sich nach zum Teil heftigen, Menschenleben fordernden Zwistigkeiten buchstäblich loskauften und freiwillig Habsburg unterstellten. Durch das seit 1120 gültige Marktrecht, den verkehrsgünstigen Standort und nicht geringe Silbervorkommen im Schwarzwald, durften sich die Freiburger im Mittelalter zumeist reich nennen. Und so konnte man selbst das seinerzeit exorbitant hohe "Lösegeld" aufbringen.
Doch zurück zum roten "Walfisch". Auch hier gefallen Staffelgiebel, welche seitlich des traufständigen Bauwerks, nicht weniger die edlen Fenstergewände, zumeist aber in Fassadenmitte das prächtige Portal mit Erker darüber. Bei letzteren geriet die Spätgotik in eine Zierfreude und Feingliedrigkeit, welche für nichtkirchliche Bauten ohne weiteres ungewöhnlich und am besten auf den ursprünglichen Zweck deuten mögen. Durch jene mittlere "Prachtachse" steht der "Walfisch" dem Alten Rathaus nur unwesentlich nach (ohnehin eine Geschmacksfrage bei solchen Exempeln höchster Baukunst!).
Auch der schönste Stadtraum Freiburgs — man darf ebenso sagen: der schönste Stadtraum Badens — wird von der Kaiser-Joseph-Straße angedient. Was denn seinerseits merkwürdig genug, wie das Hässliche also gleich dreimal zum Anmutigen führt!
Die Nicht-Freiburger, Besucher und Touristen stehen regelmäßig wie vom Schlage gerührt, wenn sie, noch von der Kaiser-Joseph-Straße gefangen, ungefähr auf deren Mitte nach Westen in die rechtwinklig abgehende Münsterstraße blicken. An deren Ende trumpft nämlich niemand anderes als der Münster-Campanile ganz unvermittelt in seine atemberaubende Höhe!
Während man am Münsterplatz die Turmvorderseite nicht ohne Genickschmerzen abwägen kann, dabei die oberen Partien ohnehin kaum erhascht, sieht man den Campanile von dieser Perspektive in der gesamten Länge seines effektvollen Steinflusses.
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Da mag man leicht erkennen, dass der Campanile der höchste Kirchturm ganz Badens: 115 Meter. Eine sich beinahe dem Wahnsinn zuneigende Kühnheit wagte solche Höhe alleine in Stein und Mörtel! Welch’ Mut zur Konstruktion, ja welch’ Mut unserer Altvorderen! Das seit der Aufklärung gerne belächelte Mittelalter, wie würden seine Baumeister wohl in schallendes Gelächter ausbrechen, führte man sie heutigentags auf die Kaiser-Joseph-Straße. In Grund und Boden müsste sich da die Moderne schämen! Sein Haupt nicht vor den Leistungen des Mittelalters zu neigen, statt dessen die "dunklen" Zeiten zu belächeln, zeigt eine Arroganz der neuen Zeit, die alleine ausreicht um alle unsere Probleme zu erklären.
115 Meter ward aufgetürmt, aus blanker Gottesbegeisterung, auch aus echtem Bürgerstolz! Von beidem hat die Oberflächlichkeit des 20./21. Jahrhunderts nur noch Rudimente übrig gelassen. Und die modernen Stadtbilder zeichnen den Verlust billig nach: Gleichgültigkeit und unverhohlener, unvermittelter Eigennutz!
Und 115 Meter waren denn doch keine Waghalsigkeit, sondern ein gereifter Mut. Die gewaltigen Erschütterungen in Folge der Detonationen rund um das Münster, kurzum den Zweiten Weltkrieg überstand das himmelwärts Strebende ohne größeren Schaden!
In höchster Kunstfertigkeit verjüngt sich der Campanile mit zunehmender Höhe, dabei die gelungensten Übergänge für den zweifachen Wechsel der Grundform zelebrierend. Auf das Quadrat des Unterbaus folgt nämlich für die obere Partie ein Oktogon, für das Dachgerüst dann eine Pyramide. Durch die Kunstgriffe fließen diese Formen regelrecht ineinander über: im Grunde gewahrt man einen einzigen, sich nach oben auflösenden Körper, erst bei genauer Examination den Formenwechsel. Auch die Zergliederung des roten Sandsteins gewinnt je höher desto kühnere Ausmaße. Während der quadratische Unterbau, welcher dominiert vom großartigen Hauptportal, noch ein recht massiver "Grundstock", zergliedert aber auch schon von den mächtigen Strebepfeilern, so geht das Oktogon nach Abtrennung durch die zwölfeckige Sterngalerie alsbald in immer bedenklichere Filigranität. Jene aber erfährt ihre höchste Steigerung durch ein Dach, das seine originäre, wetterschützende Funktion zugunsten des auflösenden Momentes ganz drangegeben hat! Das Dach ward nicht nur gleichfalls aus rotem Sandstein verfertigt, nein, sondern setzte die Zergliederung der Baumasse fort, indem es als das wunderlichste Steingerüst zum Stehen kam! Mache man sich die Mühe, den nahen Schlossberg zu erklimmen, von welchem man nämlich den Gerüstcharakter am besten gewahrt, durch das "Dach" hindurchblicken kann!
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Und es war eben dieser Turmhelm, der Freiburg berühmt machte, die Spitze einem Wunder gleichnahm. Bereits um 1330 sah sich der quadratische Unterbau des Westturmes durch Oktogon und das Dachgerüst vollendet. Damit aber fand man zu diesem frühen Zeitpunkt keine gleichwertige Parallele für Freiburgs wunderlichen Turmhelm! Rechne man sich dessen Bewunderung also aus. Im Mittelalter sollten als weitere bedeutende Beispiele noch das Straßburger Münster, der Wiener "Steffel" nacheifern; was aber ansonsten an Vorzeigebeispielen bewundert: Kölner Dom, Ulmer Münster, Regensburger Dom, erhielt seine feingliedrigen Turmspitzen erst in der romantischen Phase des 19. Jahrhunderts! Und Frankreich im übrigen, das die Gotik initiiert hatte, machte sich aus solchen Turmspitzen nicht das mindeste. Man darf für den Baustil der Gotik durchaus schwadronieren, dass zunächst Frankreich erfand und Deutschland dann vollendete; und zu jener Vollendung zählten unbedingt die Turmspitzen.
Das gewaltige, aber so fein "zersplitterte" Volumen des Münsters teilt den großen Münsterplatz recht sauber von Osten nach Westen in zwei Hälften. Die nördliche liegt fast immer im Schatten des Gotteshauses, lag aber keineswegs in dessen Schatten beim Bombenbewurf des Zweiten Weltkrieges. Vielmehr schien das Münster seine erstaunliche Unverwundbarkeit über die südliche Platzhälfte ausgeweitet zu haben. Auch hier wurden Wunden geschlagen; kein Vergleich aber zur fast ausradierten Bebauung der Nordhälfte!
Immerhin erbaute man ihr das 1498 wiederum in spätgotischer Manier errichtete Kornhaus aufs neue, namentlich dessen Schauseite zum Platz (der Rest kommt moderat zeitgenössisch). Die wunderbare Treppengiebelfront vermag der nördlichen Platzhälfte vieles, freilich nicht alles. Die monumentale Front, mit Eckquaderung, großen Spitzbögen im Erdgeschoss, zahlreichen edlen Fenstergewänden, versteht sich dennoch als optischer Widerpart zum freilich übergewaltigen Langhaus, das hier südlicher Platzrand. Schönheit und kraftvolle Figur zeichnen den Gegenakzent. Oben wurde vom Münster als Glucke, den weiteren herausragenden Bauwerken Freiburgs als Kücken gesprochen: auch die Front des Kornhauses darf man als munter nachstrebenden "Nachwuchs" begreifen.
Weil die Platzpartie westlich des Kornhauses mit angepasstem Modernismus, teils noch mit alten Resten bestückt, außerdem freilich das Langhaus mit beeindruckender Kunstfertigkeit, dahinter aber der Schlossberg auch landschaftliche Reize einbringt, bereitet diese Blickrichtung noch einige Freude.
Weit schöner — schlicht weil besser erhalten, aber auch weil hier das Langhaus nicht im Eigenschatten "schmachtet", sondern rötlich in der Sonne funkelt: die Südhälfte des Münsterplatzes. Sie denn auch nichts geringeres als der schönste Platzraum ganz Badens, damit auch einer der ansehnlichsten Deutschlands.
Gleich sieben Bauwerke und freilich das Münster, das diesmal die nördliche Platzwand, fallen besonders angenehm ins Auge. Und die restlichen Platzgebäude sind bis auf wenige Ausnahmen gleichfalls noch der Historie geschuldet, ohne weiteres von unaufdringlicher Ansehnlichkeit. Der Schlossberg, der bereits über die Nordhälfte des Münsterplatzes wachte, er tritt auch hier sehr erbaulich in den Ostprospekt.
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Freiburgs landschaftliche Situierung war seit jeher eine schöne: am Ausgang des Dreisamtales, zu Füßen des Hochschwarzwalds, aus nur geringer Ferne den Kaiserstuhl, die mächtigste Erhebung in der Rheinebene, freundlich grüßend. Nunmehr aber, im frühen 21. Jahrhundert, da Freiburg mit 200.000 Einwohner ein "kleiner Moloch" geworden, dessen Peripherien unansehnlich wie ein Krebsgeschwür in die Rheinebene gewuchert; jetzt da Freiburg eine quadratkilometergroße Stadt"landschaft", kann keineswegs noch von schöner landschaftlicher Einbettung gesprochen werden. Wohl ist alle bedeutende Natur noch da, der "Gegenspieler" aber kommt so riesig, vollends undefiniert daher, dass von einem Zusammenspiel, gar von einer Harmonie (wie sie auch Merians Kupferstich wiedergab) keine ernstliche Rede mehr sein kann.
Hier aber, auf dem Münsterplatz und am schönsten auf der Südhälfte, besteht die reizvolle Verbindung Stadt-Natur noch heute! Der Schlossberg nämlich — ab 1091 mit Zähringer-Burg, Ende des 17. Jahrhunderts mit einer mächtigen barocken Veste, welche aber beide fast restlos verschwunden — ward glücklicherweise und wegen ungünstig steiler Topographie freigehalten von Bebauung. Während also Freiburg im ausgehenden 19., vor allem aber im 20. Jahrhundert nach (fast) allen Seiten ungestüm ausuferte, so blieb immerhin der direkt an die mittelalterliche Stadt grenzende Schlossberg von solcher Baulust verschont. Hier ergreift die gegenseitige Befruchtung Menschenwerk — Naturwerk noch heutigentags. Und dass ausgerechnet der ohnehin so erbauliche Münsterplatz von diesem Vorzug profitiert, das gewinnt die Vollendung seiner Schönheit.
Endlich wüsste man sich keinen schönen Platzprospekt als eben den östlichen der Südplatzhälfte zu denken: links das flirrende Steinschauspiel des Münsters, rechts die bedeutende Schönheit des spätgotischen "Kaufhauses", im Hintergrund das sanfte Schwingen des Schlossbergs, und davor drei exzellent "arrangierte" Stadthäuser.
Und solcher fast gewagten Anmut gebührte denn auch das gleichsame Idealbild eines Städtebaus, welches nämlich von den drei letzteren präsentiert. Links leuchtet gelb die barocke, 1733 erbaute "Hauptwache", mit hohem Walmdach und offenem Arkadengang — in der Mitte ein einmal mehr spätgotisches Gebäu, das mit Fensterrosette im Giebel und einem Strebepfeiler wie ein Ableger des Münsters und darüber seine kirchliche Nutzung preisgibt — rechts wiederum ein Barockbau, der durch zwei edel detaillierte Toreinfahrten aufmerksam macht. Allen drei ist hohe gestalterische Qualität, kurzum Baukunst, zu eigen; nirgendwo aber unter Prunk. Gute Architektur ist das Grundelement eines guten Städtebaus. Dann aber zeigen die drei Häuser nur gelinde Größe, an Breite und an zwei- bis dreigeschossiger Höhe. Und sie sind sauber zueinander definiert: die Hauptwache schiebt sich nach vorne, die beiden anderen sind durch eine Toreinfahrt getrennt. Ein Abbild (funktionierender) menschlicher Existenz, von Gesellschaft! Das notwendige Miteinander verwischt nicht die jeweilige Individualität; das Miteinander weiß um Nähe, nicht aber um überlastende Zusammendrängung; die Schönheit des Einzelnen, kunstvoll und moderat zugleich, setzt individuelle Akzente, die nicht nach Unterdrückung der anderen trachten. Wahrlich ein Idealbild! Und entsprechend selten zu beobachten! In Stadt und Gesellschaft!
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