Hat man’s dann doch verwunden, bemerkt man die schöne schmale Proportion des dreistöckigen Hauses, die Rustikalität des mittelalterlichen Fachwerks, aber auch die Eleganz des langen Firstständers, der den Giebel weit in die Höhe treibt. Fachwerk dieser ganz alten Zeit zeigt zumeist keinen Fassadenschmuck, alleine die statisch notwendigen Hölzer. So ist es in diesem Fall einfach die Fein- und Vielgliedrigkeit, die gleichsam natürliche Schönheit des Holzrasters, die gefällt. Kraftvolle Abstrebungen, Knaggen fallen an den Ecken und mittig auf, das auskragende oberste Stockwerk abfangend; wie denn auch die durch Zapfenköpfe akzentuierten Verblattungen (sichtbares Übergehen der Holzteile ineinander). Um vieles ansehnlicher die Rückseite, schlicht weil hier die Erdgeschoss-Fassade zwar gleichfalls nicht original, aber noch mit historischem Umbau, der mit dem roten Sandstein weit rücksichtsvoller verfuhr. Hier erinnern die beiden markanten Überkreuzverstrebungen jeweils in Fassadenmitte durchaus schon an den alemannischen "Wilden Mann"; wobei die obere reizvoll weit in den Giebel greift. Ansonsten auch hier die Knaggen und Verblattungen.
Der direkte Nachbar des Salzhauses, mit der wiederum schmalen Giebelseite bereits Teil des Marktplatzes, mag an Bedeutung, keineswegs aber an Schönheit nachstehen. Das lange und schmale Haus nimmt sich noch ein viertes Stockwerk, eine Höhe, die das Gebäu schon scheibenartig wirken lässt. Reizvoll auch der notwendige Wechsel: zum Marktplatz ganz kurz, zur Hauptstraße dagegen sehr lang. Das nach zwei Steingeschossen ebenfalls zweistöckige Fachwerk neigt ganz dem fränkischen Stil zu. Mehrfach gewahrt man den "fränkischen Mann", außerdem schönes Schnitzwerk an der Gebäudeecke zum Marktplatz. Durchaus lobenswert hier der neuzeitliche Umbau der Erdgeschoss-Fassade, namentlich durch Wahrung des Lochfassadencharakters und Sandsteinrahmung der großen Bögen. Man bewegt sich hier keineswegs in Sphären der Baukunst, aber solche Anpassung ist noch das beste, das einem an modernistischen Fassaden begegnen kann.
Nun stehen wir auf dem für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlich geräumigen Marktplatz. Und was keinem interessierten Besucher gelingt, nämlich diesen schönen Platz mit seinen erbaulichen Bauwerken sogleich wieder zu verlassen, das müssen wir für die weiterführende Betrachtung der "Via Triumphalis" denn doch auf uns nehmen.
Mag solcher Zwang und die vom Autoren gewirkte "Künstlichkeit" durch das Palm’sche Haus versüßt werden. Das schönste, zumindest aber schmuckreichste Fachwerkhaus Badens steht an der Ecke Marktplatz — Hauptstraße. Durch direkt anschließende Nachbarn besitzt es durchaus nur zwei Fassaden, wobei die eine noch zum Marktplatz, die andere schon auf die Hauptstraße weist. Was den Reiz der Fassaden, die in Fachwerkmanier ziervoller nicht zu denken, vollendet, bewirkt ein polygonaler Eckerker, der sich so geschickt nach vorne wölbt und auch ansonsten alle Detailsorgfalt walten lässt, dass er gleichsam über die Gebäudeecke hinwegleitet, dass also die beiden Schauseiten nicht wie üblich aneinander stoßen, sondern in einem Fluss ineinander übergehen!
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Diese effektvolle Wirkung, welche der Modernismus mit seinen Übereck-Fensterbändern so gerne als eigene Erfindung ausgibt, bewundern wir hier an einem Bauwerk des Jahres 1610. Eine reiche Beamtenfamilie namens Schragmüller schuf dieses Monument, das ganz allgemein unter die bedeutendsten baulichen Zeugnisse Badens zu rechnen. Es ist ein vollendetes Werk der Spätrenaissance, weitgehend die fränkischen Stilmerkmale für die Holzformationen walten lassend. Indem aber die drei Fachwerk-Stockwerke, und dabei wird der genauso hohe Erker keineswegs vergessen, noch ein wenig auskragen und überdies die Köpfe der Deckenbalken sichtbar, greift interessanterweise auch der alemannische Stil noch einmal in das gestalterische Geschehen ein.
Das Erdgeschoss ward, wie gerne in den städtischen Gefilden, aus Stein verfertigt. Und auch hier trifft man auf überaus wertvolle Details wie die mächtigen Konsolen, die, in unterschiedlicher Gestalt und sehr fein gearbeitet, das Fachwerk abtragen; am schönsten die gewaltige Konsole, der der Erker obliegt — provokant lugt uns hier ein Neidkopf entgegen, seine Arme schützend um die Gebäudeecke legend. Auch die Rahmungen für die Rundbogenöffnungen sind fein profiliert. Und wie freigelegte Überreste beweisen, war selbst die einzige unbewegte Fläche, die Putzabschnitte, durch Bemalung mannigfaltig differenziert. So fügt sich also auch der steinerne Sockel in die allgemeine Bedeutung des Bauwerkes.
Das Fachwerk ward über seine drei Stockwerke in solcher Dichte mit Zierformen ausgestattet, dass hier das eigentliche Ansinnen des Fachwerkbaus gleichsam auf den Kopf gestellt. Die Vermischung nämlich aus Holz und ausfüllendem Mauerwerk sah zumindest ein ausgewogenes Verhältnis, zumeist aber eine Hegemonie des Volumens für das Mauerwerk. Hier aber findet man das verputzte Mauerwerk derart zerstückelt und mit solch geringem Anteil, dass nicht mehr viel fehlt um von einem reinen Holzhause reden zu müssen! So weit also trieb die Lust an der Ausschmückung!
Allenthalben, als Hauptverstrebung, gewahrt man den "fränkischen Mann". Daneben eine Vielzahl variierend geschwungener Strebenwerke im Brüstungsbereich, beständig Putzaugen präsentierend. Bei solchem Reichtum fällt denn überhaupt nicht ins Gewicht, ja kaum auf, dass die Fenster sehr unregelmäßig gestreut. Eine Unruhe entsteht darüber jedoch nicht, weil nämlich die Fassade so gleichmäßig und durchaus aufreizend belebt, dass die Fläche als ganzes und ohne starke Akzente wirkt. So reich der Streben- und weiterer Schmuck, dass selbst die zierlich bearbeiteten Fensterrahmungen, dessen Schnitzwerk auch noch farblich behandelt, keineswegs zu dominieren vermögen. Auch ansonsten nämlich reichliche Schnitzzier, durch Farben abgesetzt.
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Das Gebäu wirkt als Ganzes, durch Höhe und Auskragungen durchaus monumental; und wie reizvoll dabei die Übereck-Wirkung. Nicht weniger bedeutend aber das angewandte Detail, also die ausschnittsweise Betrachtung. So manieristisch dicht die Zierformen, dass es schwer genug, sich auf einzelne Elemente zu konzentrieren. Umgehend locken benachbarte Glieder den Blick weiter und treiben die Augen über die gesamte Fassade. Am Ende mögen einem die Sinne schwirren.
Kann man sich endlich losreißen, damit endlich in die nördliche Hauptstraße eingehen, gefällt sogleich eine Dreiergruppe auf der linken Seite. Vor allem die beiden letzten gefallen sich in großem Volumen, jeweils über vier Etagen. Das äußere, Haus Hechtl, neigt mit seinen Auskragungen und Deckenbalkenköpfen, weiten Ständerabständen, seinem ganz allgemein kantigen Aussehen dem alemannischen Stil zu; das mittlere dagegen, mit mancherlei Schmuckform und Gebälken, die die Deckenbalkenköpfe verstecken, dem fränkischen. Letzteres ward um 1600 erbaut, wird nach dem Erwerb durch Wilhelm Kapferer im Jahre 1884 allgemein Kapferer-Haus genannt. Beachte man unbedingt auch dessen steinere Erdgeschoss-Fassade: so anmutige Renaissance-Arkaden findet man nur noch sehr selten, zumal in Baden. Außerdem unerlässlich erwähnenswert eine der ungewöhnlichsten Sanierungsmaßnahmen im Badischen: 1968/69 wurden die beiden Häuser nämlich wie so viele andere abgebrochen, jedoch in diesem Falle alleine um nach alten Plänen wiedererrichtet zu werden! Da wurde also das Innere nach neusten Bedürfnissen funktional arrangiert, das Äußere aber in vollem Bewusstsein der außerordentlichen Schönheit für Wert erachtet.
Nach Haus Hechtl geht die Keßlergasse ab und führt damit auch das gegenüberliegende Gebäude in die immer besondere Ehre eines Eckhauses. Und dem wird auch dieses durchaus kurios anmutende Werk leicht gerecht. Deutlich zweigeteilt, wobei Schnitzwerk den linken Teil nach 1602, den rechten aber nach 1603 verortet, erscheint es wie eine nachträgliche Vereinigung zweier einst eigenständiger Häuser. Bei durchaus breiten Holzgliedern neigen die sämtlichen Partien dem fränkischen Stil zu.
Eine Wegstrecke weiter, kurz bevor die Hospitalgasse wiederum links abbiegt, erneut monumentale Gebäudevolumina, rechts und links einander direkt gegenüber, damit gleichsam in einer Torwirkung. Das rechte, breit gelagert, fränkisch und mit vielerlei Zierform — das linke, ebenfalls dem fränkischen zufallend, dagegen eher mit funktional-statischem Holzarrangement, sehr gefallend aber durch einen Eckerker.
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Voranschreitend rechts und links weitere Fachwerk-Erbaulichkeiten und dann eine neuerlich besonders markante Gruppe, rechter Hand. Zunächst wieder ein beeindruckende Gebäudeausdehnung, dann vier schmale Hausfronten. Ersteres mit vier, die anderen mit drei Stockwerken. Einheitlich werden spitze und hohe Giebel gezeigt, fränkischer Stil. Hier wie an den meisten anderen Stellen sind die Häuser in mittelalterlicher Manier nicht direkt aneinander gebaut, sondern bei kleinen bis größeren Abständen (für Gassen) immer freistehend. Ein Bild der Individualität! Befördert durch die Giebelständigkeit, mancherlei Geschossauskragung, auch einen mittigen Fassadenerker. Ein lebendiges Bild! Gleichsam als hätten sich die Häuser hier zwanglos eingefunden, versammelt; in der wahrnehmbaren Ordnung alleine durch gegenseitige Rücksichtnahme. Dieses städtebauliche Prinzip ist noch ein mittelalterliches, das erfolgreichste im Nachzeichnen der menschlichen Verhältnisse, der Gesellschaft. Und ist das nicht die wahre Aufgabe des Städtebaus, der Architektur — Verhältnisse, die uns gleichsam widerspiegeln, die die unvermeidliche Künstlichkeit unter die Ägide der Natürlichkeit stellen? Aber das angeblich so "dunkle" Mittelalter, die seit der Aufklärung angeblich so "abergläubische" Zeit, sie ist der Moderne viel zu verfemt um die eigentlich offenkundige Vorbildwirkung ernst zu nehmen.
Dieser Fünfergruppe gegenüber ein breitgelagertes alemannisches Werk, das 1529 erbaute Färberhaus. Die zwei Fachwerkgeschosse und auch der abgewalmte Giebel kragen weit aus; der typisch alemannische Ausdruck lastender Schwere. Ein schöner kleiner Platz lädt als Abschluss der nördlichen Hauptstraße zum Verweilen ein, sommers vor allem, der Ludwigsplatz.
Indessen schreiten wir die weiteren Sehenswürdigkeiten, allesamt fachwerkgewirkt, ab — wie im Falle der Hauptstraße einzig den allerwichtigsten nur Nennung verhelfend. Biegt man in die schon genannte Hospitalgasse ab, steht man sogleich vor dem schönsten alemannischen Werk Mosbachs, dem "Alten Hospital". Mit zwei weiteren Fachwerk-Flügeln formt es überdies einen heimeligen Hof, einen mittelalterlichen Raum, wie er im frühen 21. Jahrhundert nur noch sehr selten zu finden. Der eigentliche Hospitalbau ward in Residenztagen, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Behausung für Arme und Alte, Hilfsbedürftige errichtet. Die Außenseite ordnet zwei auskragende Fachwerketagen über einen hohen Steinsockel, den die Jahrhunderte gar bemerkenswert — fast möchte man sagen: bedenklich — verzogen und verzerrt haben. Knaggen und Verblattungen, die sichtbaren Balkenköpfe verifizieren den alemannischen Stil, der alleine von enger Ständerwirkung (fränkisch) "unterminiert". Vor allem aber der diesem Stil gemäße Effekt von Kraft und Wucht.
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Nicht ferne vom Alten Hospital eine weitere dezidierte Besonderheit des fachwerklichen Mosbach: Haus Kickelhain. Ein Gebäu, das an Grundfläche nicht kleiner zu denken! In scheibenartiger Wirkung werden nichtsdestotrotz drei Geschosse und spitze Giebel übereinander getürmt. Ein kurioses Bild! Und überdies eines der kleinsten Fachwerkhäuser ganz Deutschlands (an Grundfläche). Haus Kickelhain zeigt ein Beispiel für den Wohnungsbau der unteren Bevölkerungsschicht, die finanziell gerade noch imstande zu bauen — darum die Kleinheit und freilich auch das Fehlen von Schmuckformen. Was hier einst Behausung einer Anzahl Menschen reicht anderen Häusern nur zum Treppenhaus! Neuere Zeiten haben das Gebäu freigestellt, was die aufreizende Wirkung dieser "spitzen Scheibe" bestens unterstreicht.
Unbedingt erwähnenswert auch der "Pfalzgrafenstift" im Süden der hier bergauf steigenden Altstadt. Vermutlich ein Werk des 16. Jahrhunderts, zeigt es zwei Fachwerkgeschosse, funktional und fränkischen Stils (mit alemannischem Einschlag durch sichtbare Deckenbalkenköpfe), die einem Steinstockwerk und bemerkenswerter Weise zwei Säulen aufliegen. Solche freistehenden mittelalterlichen Steinsäulen bedeuten einmal mehr Seltenheit, schon in der Entstehungszeit, vor allem aber dem heutigen Betrachter. Die Rundform macht schlank und elegant, und würfelartige Kapitelle vermitteln kunstvoll zum aufsitzenden Holzwerk.
Nur einige Meter weiter, die Topographie wird nun immer steiler, grüßt das Stadtschloss — die ehemalige Residenz der Pfalzgrafen. Neben Rathaus und Stadtkirche das dritte Nicht-Fachwerk-Gebäude von besonderem Belang. Seine Wurzeln reichen in die Tiefen des Hochmittelalters, als aus dem Benediktiner-Kloster Mosbach allmählich die Stadt geboren. In den Hauptstadttagen hat die bis dato kleine Veste Aufwertung erfahren müssen, namentlich ab 1430. Ab dem 16. Jahrhundert seines residenzialen Status’ entkleidet, hielt man das Gebäu zumindest in solchen Ehren, dass es noch auf dem Kupferstich des berühmten Matthäus Merian, also in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein beeindruckendes und durch Fachwerkpartien auch malerisches Bild zeichnen konnte. Das Schloss ward auf dem höchsten Punkt der Altstadt errichtet, wachte also seit alters her gleichsam über die zu Füßen versammelten Gebäulichkeiten — Merian bildete entsprechend ab.
In den Folgejahrhunderten jedoch, dem 18. und 19., muss es mit dem Schloss entgegen seiner Stellung im Stadtkörper nicht wenig bergab gegangen sein. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts nahm man sich seiner wieder an, was mancherlei romantische Beigabe wie die Staffelgiebel und einen großen Fachwerkerker eintrug. Das Mosbacher Schloss als ein genuin mittelalterliches Werk kam nie zu dezidierter Pracht, erachtet immer von wuchtiger, burgartiger Wirkung. Daran vermochte selbst der Umbau 1898 nur wenig zu rütteln. Und so steht noch heutigentags der Nordflügel karg und monumental über der Stadt, dabei noch ohne weiteres an den Prospekt Merians erinnernd. Direkt unterhalb des Bollwerks konnte sich auch ein mittelalterlicher Schalenturm erhalten, ein liebes rundes Ding.
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Mag man an dieser Stelle auch einige Worte zum gerade bezeugenden Merian-Stich lassen. Nicht nur eine sehr schöne Ansicht gelang Merian auch im Falle Mosbachs, ebenso gab er dem Stadtbild nämlich die Bewertung "feine, wohlgebaute kurpfälzische Stadt" bei. Auch Merian also ein Bürge für die besondere spätmittelalterliche Blüte.
Neben der liebreizenden landschaftlichen Einbettung des durch die Stadtmauern scharf definierten Baukörpers, treten besonders die Stadtkirche, das Rathaus und Schloss aus dem Dächermeer ins Bewusstsein; überdies die mannigfaltige Befestigung. Während Stadtkirche, Rathaus und Schloss, ja auch das Dächermeer sich noch heute bester Gesundheit erfreuen, ging die beeindruckende doppelte Umwehrung mit den "unzähligen" Türmen leider fast vollends ab. An der doppelten Stadtmauer erkennt man im übrigen einmal mehr die Bedeutung Mosbachs im ausgehenden Mittelalter. Selbst die beiden Capitalen der badischen Markgrafen: Durlach und Baden-Baden mussten mit nur einer einzigen Befestigungsmauer auskommen!
Besondere Aufmerksamkeit weckt das Stadttor im Osten (links im Bild), welches hoch wie lang, besetzt mit Wichhäusern einst gewiss unter den schönsten im badischen Raum. Bis heute erhalten, wäre es eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges wie zum Beispiel die besonders schönen mittelalterlichen Stadttore im Bodensee-Raum. Statt dessen aber zeigten die Mosbacher der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Konsequenz beim Schleifen! Zwar konnten sich einige Strecken der beiden Stadtmauern erhalten, jedoch immer stark gekürzt, immer wenig ansehnlich. Nur ein einziges Türmchen verschonte man, einst der äußeren Mauer aufsitzend (westlicher Altstadtrand, nahe des Schlosses). Im polygonalen oberen Stockwerk zeigt das Türmlein Fachwerk, im Falle Mosbachs gewiss keine Überraschung mehr!
Die "Via Triumphales" des Fachwerkbaus, der größte Ruhm Mosbachs leitete die konkrete Stadtbetrachtung ein, soll also der zweite große Verdienst, ohnehin kaum nachstehend, der Marktplatz dieselbe beschließen. Drei Bauwerke ragen hier heraus: das schon vorgestellt Palm’sche Haus und die bereits angedeuteten Bauten des Rathauses und der Stadtkirche. Die letzteren beiden zeigen auch die nach dem Schloss verbliebenen zwei wichtigen Steinbauten der Innenstadt. Zwar steht die Stadtkirche, eine raue landgotische Schöpfung dem Rathaus an Schönheit keineswegs nach, alleine an Bedeutung. Denn im 1554-58 ausgeführten Rathaus erblicken wir nicht weniger als das schönste Renaissance-Rathaus Badens! Ganz allgemein ist es diesem Stil freilich eine der größten badischen Zierden. Einmal mehr blitzt also auch ein halbes Jahrhundert nach Endigung der Residenz-Tage der Einfluss Mosbachs auf.
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Das besondere dieses Gebäudes fällt natürlich sogleich ins Auge: der hohe Turm. Verwundert erblickt man solchen an einem Rathaus (zumal er kein Treppenturm, was häufiger zu sehen), will als Besucher nach erstem flüchtigen Blick diese Bestückung eher als Ausweis eines Gotteshauses begreifen. Und nicht zu Unrecht! Denn das Rathaus besaß einen Vorgänger, der noch die Grundmauern und auch den unteren Abschnitt des Turmes lieferte — und der war tatsächlich gotteshäuslich: die alte Cäcilienkirche! Im Zuge aber der Reformation, der die Kurpfalz ab 1546 zuneigte, ward die Keimzelle Mosbachs, die Benediktinerabtei 1564 aufgehoben, die Stifts- fortan als Stadtkirche zu nutzen. Damit bedurfte man der Pfarrkirche nicht mehr, wurde sie, deren Wurzeln vielleicht gar bis ins 9. Jahrhundert zurückreichten, mit Ausnahme genannter Rudimente abgetragen, um ein Rathaus von nicht geringem Format entstehen zu lassen.
Der Rathausbau selbst zeigt über einer großen ehemaligen Markthalle im Erdgeschoss zwei weitere Stockwerke, insgesamt ein beträchtliches Gebäudevolumen. Neben dem Turm gilt eine große Freitreppe an der südlichen Längsseite als bedeutende Zierde. Darüberhinaus findet man an den sehr gut erhaltenen Fassaden rundherum schöne Renaissance-Details für die Öffnungen. Der getreppte Giebel zum Marktplatz weiß überdies um eine fein gearbeitete Fensterrose, die gleichsam Echo auf die kirchliche Vergangenheit des Baus. Endlich entspinnt sich eine angenehm kontrastierende Wirkung zwischen dem weißen Fassadenputz und den zahlreichen roten (rot angestrichenen) Sandsteingliedern.
Am schönsten freilich der 34 Meter hohe Campanile, weit ins Land lugend. Verschiedene Öffnungsformate, worunter auch mehrfach gotische Spitzbögen, beleben den Turmkorpus nicht wenig. Dann eine Galerie auf kräftigen Hakenkonsolen, gleichsam Plattform für die sehr reizvolle Turmspitze: ein niedriger Aufbau mit dafür hohem Dach. Eine Haube entwickelt sich kunstvoll aus dem quadratischen Aufbau, dann in eine Laterne weitersprießend, welche wiederum von einer Haube gedeckt.
Dem Rathaus auf der anderen Seite des Marktplatzes, der Ostseite, direkt gegenüber die Stadtkirche. Auch die gleichen Fassadenmaterialien binden diese beiden Werke schön zusammen: erneut also weißer Verputz und rote Sandsteinglieder. Groß an Volumen zeichnen Rathaus und Stadtkirche zumindest am Marktplatz einen kräftigen Gegenakzent zur sonstigen Hegemonie der Fachwerkwelt.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ließen die Benediktiner über Vorgängerbauten die heutige Ansicht schrittweise entstehen, als Stiftskirche Sankt Juliana. Dann, 1564, ward in Folge der Reformation erst der Stift aufgelöst, nach mancherlei Wirrungen, auch weil der kurfürstliche Hof im späten 17. Jahrhundert wieder katholisch wurde, die Kirche zum Simultaneum erkoren. Sichtbares Zeichen dieser gemeinschaftlichen Nutzung der katholischen und evangelischen Konfession bildete seit 1708 eine sauber abtrennende Innenwand: den Protestanten das Langhaus (als Stiftskirche), den Katholiken dafür der große Chor (als Sankt Juliana). Und als eine weitere Besonderheit Mosbachs blieb der Zustand des Simultaneums, der in Baden oft gesehen, aber beinahe genauso oft später aufgelöst, für die Stadtkirche bis auf den heutigen Tag erhalten! Neuerdings aber (2007) wurde nicht zuletzt ob der hier sehr gut funktionierenden Ökumene zumindest eine teilweise Öffnung beschlossen.
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Das Äußere des großen Kirchenbaus, weitgehend verschont von späteren Eingriffen, erblüht bis auf ein barockes Seitenportal ganz in ländlich spätgotischer Manier. Man gewahrt drei Hauptpartien: den großen Chor, den Campanile und ein dreischiffig basilikales Langhaus. Letzteres zeigt mit seiner durch die drei Schiffe und lange Strebepfeiler markant dreiteiligen Vorderseite zum Marktplatz, in Richtung Rathaus. Die zuerst genannte Partie, der große und hohe Chor ist zugleich der älteste, entstanden um 1370. Lange Strebepfeiler und feine Maßwerkfenster zeichnen hier das typisch gotische Bild, zugleich die edelste Ansicht des Gotteshauses.
Der Campanile hingegen fällt durch Schlankheit auf, scheint dem großen Kirchenbau kaum gewachsen. Dieses Missverhältnis, welches jedoch ohne Einfluss auf die Anmut der Gesamtansicht, erklärt sich aus der Tatsache, dass ursprünglich eine Doppelturmanlage geplant. Und der leider in seinen Anfängen steckengebliebene Zwillingsturm hätte — zusammen mit dem ausgeführten — der Komposition den schlüssigen vertikalen Gegenakzent eingegeben. Schön steht der südliche Campanile im Stadtbild, gedeckt von einem hohen Zeltdach. Verschiedene Öffnungsformate beleben das ab 1400 errichtete Werk, spitzbogige Zwillingsöffnungen bedeuten im obersten Stockwerk die Schallfenster.
Zahlreiche Öffnungen freilich auch am Langhaus, lange Spitzbogen für die Seitenschiffe und kleine Fenster für das zwischen den Seitenschiffen auftauchende Hauptschiff. Von den für die Gotik typischen Strebepfeilern hier aber keine Spur. Am schönsten die Vorderseite, welche auch zusammen mit dem Hauptfenster des Chores das schönste und größte Maßwerkfenster präsentiert, und knapp darunter das schön zurückgestufte Hauptportal, gleichfalls mit Spitzbogen. Im spitzen Dreiecksgiebel, welcher das Hauptschiff abschließend, akzentuiert eine kleine Rosette ganz in der Art der des Rathauses. Welch’ reizvolles gestalterisches "Echo", formales Zusammenspiel der beiden feinen Details. Die Ausführung des Gotteshauses dabei freilich die ältere.
Detailreichtum, dynamisches Vertikalstreben und Auflösung der Gebäudemasse gen Himmel, kurzum die gotische Kunst der Kathedralen, sind der ruhigen, ein wenig herben landgotischen Schöpfung fremd. Als Stiftskirche standen ihr die großstädtischen Geldmittel, die die berühmten filigranen Konstruktionen erst ermöglichten, ohnehin nicht zur Verfügung. Die große Gebäudemasse wird vielmehr durch die gotischen Mittel schön gegliedert und akzentuiert, gewinnt ihre Kraft aus der Ruhe.
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Nachbar der Kirche, direkt an das Palm’sche Haus grenzend: das kurioseste Fachwerkhaus Mosbachs. Vermutlich gleich mehrere Erweiterungen haben hier zu einem Spiel definierter einzelner Baukörper geführt, die wie übereinander gestapelt. Ein Bild, seltsam und aufreizend, vielleicht weniger schön, unbedingt aber spektakulär. Man wähnt sich in einem dekonstruktivistischen Experiment, im frühen 20. Jahrhundert; eine Aufgliederung und Sprengung des Gebäudevolumens, die dem Fachwerkbau eigentlich fremd, ja die im völlig artfremden Geiste Picassos geführt! Nurmehr eine weitere Perle unter den baulichen Zeugnissen der Stadt: Mosbachs Kubismus-Fachwerkhaus, wenn man erlaubt, Mosbachs "Picasso".
Sehr schön schiebt sich ein vierstöckiges Fachwerkgebäu mit abgewalmtem Giebel in die Südseite des Marktplatzes. Erbaut 1589, neigt es sehr schmuckvoll dem fränkischen Stil zu. Man gewahrt den "fränkischen Mann" und zahlreiche geschwungene Andreaskreuze im Brüstungsbereich. Ein steinerner, noch historischer Umbau der Erdgeschossfassade hat der Ansicht wohl kaum geschadet.
Was den Reiz der großen, unregelmäßigen Platzfläche nicht wenig steigert, liegt an weiteren kleineren Plätzen, die gleichsam auf den Marktplatz fließen und so die Großzügigkeit nurmehr fördern. So geht der östliche Kirchplatz, geschieden nur von zwei Bäumen und einer die Topographie ausgleichenden Mauer, direkt in den Marktplatz über, ebenso der westliche Vorplatz des Rathauses, schließlich zwei kleine Platzräume an der Südseite. Weil nun so viel Platz an den Marktplatz herantritt, stehen durchaus wenige Gebäude direkt an demselben, ergeben sich insbesondere nach Süden schön gestaffelte Prospekte. Direkt am Marktplatz stehen nur sieben Gebäude; im Uhrzeigersinn und im Norden beginnend: Palmsches Haus, Mosbachs "Picasso", Stiftskirche, ein Fachwerkhaus, das eben beschriebene fränkische Fachwerkgebäude, der scheibenartige, spitzgiebelige Fachwerkbau, der nach dem Salzhaus skizziert und das Rathaus.
Mag abschließend der kleine angrenzende Platzraum im Süden (der westliche der beiden) noch kurz beschrieben sein: das fränkische und das scheibenartige Fachwerkhaus leiten über; am Ende ruht ein sehr schöner Fachwerk-Doppelgiebelbau, dem das Zusammentreffen der Giebel die Anbringung eines großen Fassadenerkers wert; und zwischen diesem und der "Scheibe" die alte Stadtapotheke, erbaut 1615. Neben dessen fränkischen, moderat schmuckvollen Fachwerk fällt ein prächtiges Renaissance-Portal im unteren Steinstockwerk angenehm auf. Dergleichen Details findet man in Mosbach durchaus noch in zahlreichen Erdgeschoss-Fassaden, weshalb sich neben dem sehr erbaulichen Gesamteindruck der Fachwerkstadt immer auch der untersuchende Blick verlohnt. So manche Seltenheit kommt hier noch zu Tage, immer wieder aufs neue von der großen Zeit Mosbachs im Mittelalter erzählend.
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Letztere blieben den kindlichen und jugendlichen Blicken des Autoren noch verborgen, viel länger als die regelrechte Spätgeburt selbst wahrhaben will. Nicht aber ersteres! Welch’ schönster Rahmen für die Tage der Kindheit und Jugend, des frühen Erwachsenseins, die dem Autoren in seiner Heimatstadt vergönnt! Am Rande der Altstadt wuchs er auf, und wie gerne nahm er den Weg in diese Altstadt; wie denn für den Gang in die Bibliothek (Altes Spital) ganz bewusst der räumlich so spannende Weg durch eine der engsten Gassen gesucht, eine Gasse, die reizvoll auch noch halb überbaut, teils wie ein Tunnel.
Und freilich, wie viele Geschichten gäbe es da zu erzählen, gute und böse für fast jeden Winkel! Die Sanierungen bekam der sich seiner bewusst werdende Geist schon ganz gut mit, vor allem wenn dann doch böse abgerissen wurde und mit einem Mal schaurige Lücken klafften. Und einmal wäre er auf solcher Baustelle in einer engen Regenwasser-befüllten Grube fast ersoffen; der Spieltrieb hatte an einem Sonntag die Verbote überwunden, der vom Freund schnell herbeigerufene Erwachsene noch rechtzeitig heraus gezogen!
Ebenso unvergesslich, wie die übliche Indoktrination auch den Autoren zum folgsamen Jünger des Modernismus herangebildet. Der in diesen Dingen noch ungeübte Geist ward an der Universität schnell überrumpelt. Am Ende blickten die Augen auf das einst Geliebte mit Verachtung und Spott — welch’ widerlich’ Kapitel! Aber Heidelberg lehrte wieder sehen; weit wichtiger aber der christliche Wahrheitsbegriff, der der ohnehin schludrigen Jugend endlich wieder Vernunft und Sinn schenkte. Und am Ende des Architektur-Studiums nahm ich mein Mosbach wieder in die Arme, erfreuter denn je.
Den unverzichtbaren Wert von Baukunst bezeugt der Autor "am eigenen Leibe". Was wusste das Kind schon von alemannisch und fränkisch, Firstständer und Renaissance? Freilich nicht das mindeste! Die Schönheit aber der Fachwerkfassaden ist zuvörderst eine Schönheit, die einfach gefühlt wird; deshalb jedem Laien auch so leicht zugänglich ist. Und so einfach begreifbar diese Anmut, dass sie auch dem kindlichen Geist schon einen Begriff von Schönheit ermöglichte, ohne dass er hätte sagen können wie und warum. Und dieses Verständnis verifizierte sich durch die Gegenprobe, nämlich bei Betrachtung der "modernen" Gebäude. Die offenkundige Hässlichkeit, Monotonie und Vernachlässigung wurden deutlich wahrgenommen. Die kindliche Naivität konnte einfach keine Antwort darauf finden, warum hier so explizit hässlich gebaut. Und wie unangenehm war ihm der städtebauliche Brei der 1950-80er zwischen Mosbach und Neckarelz! Alleine liebe Freunde vermochten ihn in dieses Niemandsland zu locken. Erst viel später bekam er dann den "Sieg des Funktionalismus", den "Kitsch der Baukunst" so beharrlich aufgeschwatzt, dass er für einige Jahre im Geiste erblindet.
Wie gut, ja vielmehr wie befreiend, dass diese Halbwahrheiten, diese glitzernde Tünche wieder abgewaschen. Und auch Mosbach half die ersten noch unsicheren Schritte wieder zu festigen … eine Geschichte mehr!
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_ Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Palatinatus Rheni" (siehe oben)
3) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
4) Homepage www.mosbach.de
5) Website www.erzbistum-freiburg.de/Kirche-des-Monats-Juni-2005 (Stiftskirche/Sankt Juliana)
6) Informationstafeln vor Ort
7) jahrzehntelange persönliche Erfahrung mit Vielzahl kleinerer Quellen
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