Bad Säckingen am Rhein, eine sehr ansehnliche Stadt, liegt rund 30 Kilometer flussaufwärts von Basel. Damit liegt sie noch am vom Bodensee ausgehenden Ost-West-Arm des Oberrheines, vor dem markanten Knick desselben nach Norden, welcher denn ab Basel nach der Grenzmarkierung zur Schweiz fortan Badens Grenze zum elsässisch-französischen Nachbarn vollzieht.
Die landschaftliche Situierung Bad Säckingens ist eine denkbar reizvolle. Zum einen fließt “Vater Rhein” direkt vorbei, was also den bedeutenden Vorzug einer Fluss-Stadt mit sich bringt; zum anderen aber umgrenzt zu beiden Seiten des Stromes eine sanft geschwungene Hügelwelt, welche alsbald — nach Norden in den Schwarzwald, nach Süden zu den Alpen — an Höhe gewinnt, ferne dabei von jeder Schroffheit.
Matthäus Merian, der berühmte Kupferstecher des ausgehenden Mittelalters hat die schönste Ansicht “Seckingens” aus der Mitte des 17. Jahrhunderts in einem vorzüglichen Stiche festgehalten. Letzterer hat nicht geringe Bekanntheit erlangt, zählt er doch zu den schönsten der badischen Stadtprospekte Merians.
Merians Perspektive liegt erhöht über dem südlichen Ufer des Flusses; entsprechend sieht man dasselbe als Teil des landschaftlichen Rahmens im Vordergrund. Dann der Strom und sogleich die erste bauliche Berühmtheit der Stadt, noch heutigentags neben dem Sankt Fridolinsmünster das bedeutendste Bauwerk Bad Säckingens: die auf steinernen Pylonen aufsitzende Holzbrücke, den breiten Fluss überspannend. Seinerzeit verband sie vorderösterreiches Territorium, heute schlägt sie durchaus noch reizvoller den Bogen auf das seit Beginn des 19. Jahrhunderts ausländische Gebiet der Eidgenossenschaft. Auf dem nördlichen Ufer trifft die Brücke demnach auf die Stadt; auf einen Stadtkörper, der wohlgebaut nicht geringe Homogenität verheißt. Als mittelalterliche Ansicht beeindruckt die Definition, der säuberliche Fassung des lebendigen Häusermeeres durch die Notwendigkeit der Fortifikation.
Jene nun, sichtbar alleine zum Rhein, weist den Stadtkörper als einen gestreckten, als entlang des Rheines in sanftem Bogen gestreckten nach. Die hohe Stadtmauer, in ihren meisten Partien wie direkt aus dem Strome heraustretend, wird gleichsam von zwei markanten Befestigungstürmen aufgespannt. Der rechte der beiden, der dicke Gallusturm, existiert noch heute, wie auch die Stadtmauer, wenngleich bedeutend gestutzt, noch im 21. Jahrhundert zu sehen. Auch der linke Rundturm wacht noch heute, jedoch alleine in einem Nachfolgebau des Historismus.
Jene von Rhein und Stadtmauer gefasste Ansicht war nicht nur der schönste Prospekt Seckingens — er ist auch der gestalterische Ruhm Bad Säckingens, eine Ansicht, noch heutigentags von verblüffender Schönheit, welche fast im Alleingang die freilich auch ansonsten sehenswerte Stadt unter die schönsten urbanen Erzeugnisse Badens kürt.
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Obgleich von der zwischen Basel und Mannheim aufgespannten Rheinebene abgerückt, so teilte Seckingen dennoch das erschreckend standardisierte Schicksal des 17. Jahrhunderts mit den dort befindlichen Städten, welche mit Ausnahme von Freiburg, Breisach, Ladenburg und Weinheim allesamt im Wortsinne dem Erdboden gleich gemacht wurden. Sei es als Strafmaßnahme im 30jährigen Krieg oder als Opfer der Niemandslandpolitik des Sonnenkönigs, Ludwig XIV. gewesen. Letztere verteilte sich auf zwei Kriege: den Holländischen in den 1670ern und den Orleans’schen (oder Pfälzischer Erbfolgekrieg) von 1688-1703. Wie bei den meisten südbadischen Leidensgenossen legte in Seckingen der Holländische Krieg den vernichtenden Stadtbrand.
Nichtsdestotrotz haben auch die weiteren markantesten Gebäude auf Merians Stich, wenn auch bei nicht geringer Veränderung bis heute überdauert. Das Herz der Stadt war seit jeher das Sankt Fridolinsmünster, eine Stiftskirche. Auch Merians Stich streicht das an Volumen und Höhe mit weitem Abstand größte Gebäude innerhalb der Stadtmauern deutlich heraus. Als seinerzeit noch gotisches Gotteshaus, führt es auf der Vorderseite ein Zwillingsturmpaar in die Höhe — neben der Rheinbrücke der Blickfang schlechthin des Stiches.
Des weiteren fällt links vom Münster ein wiederum großes Gebäudevolumen auf: das Abteigebäude des bedeutenden Nonnenstifts, monumental in Szene gesetzt durch spätgotische Treppengiebel. Die steinerne Außenhülle des Gebäus hat der Niederbrennung 1678, auch einem weiteren Stadtbrand Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgreich getrotzt und steht bei nur wenigen Veränderungen noch heutigentags monumental im Stadtkörper.
Das dritte “hartnäckige” Bauwerk findet man in der wiederum steinernen Gestalt des Trompeterschlößchens (auch Schloss Schönau genannt), welches ganz am linken Ende der Stadtummauerung, in einem Ensemble mit dem oben eingeführten Rundturm. Wie dieser hat auch der wuchtige Schlossbau eingreifende Veränderung erfahren.
So kann man also an dieser Stelle vergnügt feststellen, dass die Hauptbestandteile des von Merian gebannten Stadtbildes bis jetzt überdauert haben. Nahezu alle wurden verändert, wurden damit gleichsam nicht ohne das Moment der Nachvollziehbarkeit durch die Zeiten von fast dreieinhalb Jahrhunderten transferiert. Wenn man das überlebende Bedeutende als das verfeinernde Gewürz des urbanen Genusses bezeichnen möchte, so lässt sich ähnlich Vorteilhaftes auch vom Fleisch der Stadt, von der Versammlung der einfachen Stadthäuser behaupten. Zwar gingen fast alle durch die Zerstörungen ab; was aber alsbald neu erbaut, hat das dem Stich Markante auch noch durch das der historischen Baukunst so feindselige 20. Jahrhundert gerettet: das lebendige Bild. Und wie jenes im 17. Jahrhundert, also für die Gebäude von Gotik und Renaissance dem Anschein des Stiches nach mit einem homogenen, unaufgeregten Zug, welcher in ähnlichen Gebäudehöhen und Verwendung von Putzfassaden begründet — so auch für das in neusten Zeiten zu betrachtende Stadtbild, welches dasselbe Charakteristikum auf Häuser des 18. und vornehmlich des 19. Jahrhunderts übertrug.
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Was den selbstverständlich zu erwartenden gewaltigen Unterschied zwischen Merians Stich und dem modernen Stadtbild ausmacht, wird vor allem durch den Hintergrund konstituiert. Ersterer hält zunächst eine Überraschung bereit: namentlich einen weiteren Rheinarm, der Seckingen über den Status als Fluss-Stadt hinaus in den Vorzug gar einer echten Inselstadt führte. Das dabei ungekünstelte der Situierung wird durch weitere, der Landwirtschaft dienende Ländereien erwirkt, welche sich nämlich bei einer der Stadt ähnlichen Größe mit derselben das Inselleben teilen.
Zwar kamen auch andere badische Städte, und hier sei zum Beispiel an Breisach und Mannheim gedacht, durch die Anlegung von der Fortifikation dienenden Wassergräben durchaus in Insellage. Freilich ward das Künstliche solcher Anlagen immer deutlich vor Augen, wie denn auch niemand die Breisacher oder Mannheimer ernstlich als Inselvolk begreifen wollte. Solch echte Inselsituierung einer Stadt konnte man einzig Seckingen zugestehen.
Diese begünstigende, weil schützende Lage machte denn auch die Geburtsstunde der Ansiedlung aus. Der iroschottische Mönch Fridolin, hernach in den Heiligenstand berufen und auch Namensgeber für das Münster, überblickte klug die sich bietende Möglichkeit. Erfolgreich ausgezogen um das alemannische Heidentum für den christlichen Glauben zu gewinnen, ausgestattet auch noch mit königlich-fränkischen Befugnissen, gründete auf der Insel Kirche und Doppelkloster. Kirche und Doppelkloster also die Keimzellen Bad Säckingens. Ihre Zeit reicht zurück bis ins 6./7. Jahrhundert. Und ausgestattet mit den Privilegien eines Königklosters, nicht wenigen Ländereien, begünstigte man im 11./12. Jahrhundert auch eine Marktgründung, welche mehr und mehr in eine Stadt mündete. Als 1307 die Äbtissinnen des Nonnenstiftes gar in den Reichsfürstenstand erhoben, da endlich waren auch die Stadtrechte nicht mehr ferne, erwirkt in Form des Ersten Freiheitsbriefes 1316.
Jene Verbindung Abtei — Stadt blieb durch alle Zeiten hindurch ein bestimmender Faktor, in Gestalt des für die Stadt (und auch für eine Abtei) sehr großen gotischen Münsters und weitläufiger Klosteranlagen, mit welchen die übrigen Stadthäuser durch die mittelalterliche Befestigung vereinigt.
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Solche Verbindung, die auch im 18. Jahrhundert noch schöne bauliche Blüten trieb, aufzulösen war einmal mehr den tumben wie raffgierigen Machthabern in Karlsruhe vorbehalten. Als brave napoleonische Gefolgsleute waren dem Markgrafen und seinen Ministern atemberaubende Gebietsvergrößerungen zugefallen — unter anderem die habsburgischen Besitzungen Vorderösterreich und Ortenau, welche von fast selber Größe wie die Markgrafschaft selbst. Seckingen als eine wichtige Stadt Vorderösterreichs fand sich also ab 1805 in den alsbald nicht mehr markgräflichen, sondern großherzoglichen Händen badischer Couleur wieder.
Für den Stift, immerhin um viele Jahrhunderte älter als die okkupierende Markgrafschaft Baden, das zwangsläufige Aus. Der Karlsruher Hof, protestantisch und selbstbewusst der Aufklärung zugetan. Selbstbewusst bedeutete hier, dass man sich über Vorzüge der Aufklärung, wie z.B. der Toleranz eben selbstbewusst hinwegsetzen konnte. Die klösterliche Lebensform, seit Luther, also bereits seit der Geburtsstunde des Protestantismus, demselben eine echte und unbedingt zu tilgende Unmöglichkeit. Weil überdies der Pakt mit Napoleon die Staatskassen böse, sehr böse plagte, und durch die Gebietszugewinne zahlreiche wohlhabende Abteien greifbar, wurden dieselben flugs aufgelöst und verschachert, was denn irgendwie zu verschachern war. Das führte denn, vielfach bis heute schriftlich überliefert, zu zahlreichen peinlichen Szenen, als deren Urheber man wohl einen mittelalterlich-raubritterlichen Despoten ausmachen wollte, niemals aber einen tatsächlich der Aufklärung zugetanen Hof. 1806 das unerbittliche Ende auch für den Seckinger Stift.
Zum großen Glück der Klosteranlage war diese mit der Stadt ja unmittelbar verbunden und stand nicht wie manch andere bedeutende Abtei alleine “auf weiter Flur“. Denn dass das Münster und mehrere Klosterbauten neue “Abnehmer” finden würden, war durchaus zu erhoffen. Und so sind eben das Münster und das große Abteigebäude bis heute Wahrzeichen der Altstadt, und auch das eine oder andere erhaltene Klostergebäude ergänzt noch heute hilfreich. Jene anderen Abteien auf der “Grünen Wiese” nämlich, wie z.B. Allerheiligen, Frauenalb, Ettenheimmünster, Schuttern, Tennenbach haben teils als erfolglose Manufaktur, teils als Lazarette herhalten müssen, erlitten schweren bis schwersten Verlust der konsequent vernachlässigten Bausubstanz.
Mit dem Ende der Abtei, welche für die Stadt ja die Insellage bestimmt hatte, kam merkwürdigerweise auch alsbald das Ende Insel! Der schützende Vorzug der Situierung war schon im 17. Jahrhundert, im 30jährigen Krieg nicht mehr wirksam; wie man auch 1741-45 (Österreichischer Erbfolgekrieg) und 1796 (Revolutionskriege) dem französischen Invasoren kaum noch etwas entgegenzusetzen hatte.
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Was aber weiterhin von bedeutendem landschaftlichem Reiz gewesen wäre — und immerhin lebte man seinerzeit schon in der Natur-verehrenden Epoche der Romantik — ward von den Bürgern selbst nur noch als mannigfaltiges Hindernis wahrgenommen. 1830 schüttete man den breiten Rheinarm in ungefähr gleichem Einfallsreichtum mit welchem die Auflösung der Abtei betrieben, einfach zu. Die Abtragung des einzig ausnehmenden Stadttores, des Steinentor-Turmes stand dabei in selber Schlüssigkeit.
Freilich eine der Funktionalität der weiteren Stadtentwicklung bequem Vorschub leistende Maßnahme. Eine Funktionalität, die dann im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts die ästhetischen Beigaben weitgehend abstreifte. Bis endlich in ebenso allgemeinem Schicksale vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ob Wirtschaftswachstum/Bevölkerungsanstieg gewaltig ausgreifende Stadterweiterung nur noch um nackte Funktionalität wusste, in ästhetischen Ansprüchen nur noch glücklich getilgten Kitsch verfehlter Jahrhunderte vermutete. In Bad Säckingen aber, als einem merkwürdigen Sonderfall deutete sich diese Entwicklung schon mit der Zuschüttung des Rheinarmes, schon 1830 an.
Bad Säckingen als eine sich bestens entwickelnde Stadt “schwappte” in ihr zuvor der Landwirtschaft bestimmtes Umland. In jenen Jahren, wenn nur irgendwie möglich, hätte man wohl auch den Hauptarm des Rheines zugeschüttet. So aber rettete Vater Rhein die schon Merian packende Flussansicht der Stadt, rettete er Baden eine der schönsten landschaftlich-urbanen Prospekte. Zur Landseite aber “wucherte” Bad Säckingen gewaltig aus, bis endlich der Anteil der Altstadt nur noch ein verhältnismäßig kleiner in der neuen “Stadtlandschaft”. Und durch jene “modernen” Partien hat man sich nicht wenig zu quälen um den historischen Stadtkern auf gewöhnlichem Wege zu erreichen. Der Abstumpfung, die man dabei von den modernistischen Belanglosigkeiten und Anonymitäten zu erdulden hat, könnte man alleine entgehen, wenn man sich aus dem Ausland näherte, also die treffliche Holzbrücke von der Schweizer Seite aus beträte. Aber wer wählt schon diesen speziellen Weg? Unsereins dagegen, in der Altstadt angelangt, erfreut sich am gewaltigen Kontrast Alt-Neu, also am Kontrast Baukunst+Funktionalität — nackter Funktionalität, um den aufmerksamen Augen neues Leben zu vermachen. Die schon aus der Ferne des Merianschen Stiches verheißene Baukunst, die nämlich wird aus nächster Nähe verifiziert. Und das ist dann die eigentliche Wohltat, die Auge und Geist aus dem Schleier modernistischer Finsternis wieder auftauchen lässt.
Man läuft durch die Straßen und Gassen der mittelgroßen Altstadt, die angenehme, lebendige Kleinteiligkeit der Bebauung gewahrend. Und wenn hier den Gebäuden, welche zumeist dem 18. und 19. Jahrhundert, bei durchaus nennenswerten Überresten (zumeist in der Fischergasse) auch noch dem 16./17. Jahrhundert angehören, durch die beinahe durchgängige Verwendung zurückhaltender Putzfassaden auch bedeutender Reiz, respektive erfrischende Abwechslung abgeht, so erfreut man sich dennoch an der kunstvoll gewirkten Homogenität, welche dann allerdings unbedingt der Ergänzung durch herausragende, blickfangende Bauwerke bedarf. Und die Altstadt, soviel haben wir ja schon erfahren, bietet solches “Gewürz“.
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Was durch die mittelalterliche Straßen- und Gassenstruktur, unregelmäßig, gerne auch dem Auge angenehm geschwungen, hindurch magisch anzieht, ist das außerordentliche Volumen des SANKT FRIDOLINSMÜNSTERs. Vor allem dessen beide Turmspitzen, welche den Fassadenverputz von Langhaus, Kapellen und Turmunterbau kontrastreich gegen Buntsandstein vertauschen, locken. Hat man die ehemalige Stiftskirche dann erreicht, betrachtet sie sodann am günstigsten vom der Vorderseite gegenüberliegenden Marktplatze, so begreift man das sehr eigentümliche dieses Bauwerkes recht bald. Hier tritt die Eingangsseite scheibenartig und monumental in die Höhe, bekrönt von den Zwillingstürmen. Das schmälere dreischiffige Langhaus will sich hinter der Eingangsfront verstecken, gleich wie sich der nochmals deutlich schmälere Chor dann hinter dem Langhaus verstecken wird.
Es ist an Proportion und Grundeindruck noch ohne weiteres das gotische Gebäu, welches von 1343-60 Vorgängerbauten folgte. Als eine freilich bedeutende Veränderung zum auch von Merian noch festgehaltenen Zustand, ward den gotischen Mauern in zwei Schritten ein barockes Gewand übergestreift. Die Proportion — lang, schmal und hoch — führt noch das mittelalterliche Streben nach oben, gen Himmel vor Augen. Fast alle Fassadendetails aber wurden (nach zweimaligem Brand) von 1698-1740 und von 1752-55 in zeitgemäß-barocker Stilvorstellung verändert oder neu angebracht. Auch hat man bei diesem Behufe die vertikale Wirkung des Kolosses durch Anbau zweier großer Seitenkapellen mindern wollen; alleine dem geübten Auge, ergriffen von mittelalterlicher Wucht und Vertikalität, sind jene Maßnahmen nur ein allzu dünnes Gewand.
Wie man auch bereits nach einem nur flüchtigen Blick in das Kircheninnere konstatieren muss, dass nahezu alle gottgeweihte Prachtliebe der Nonnen dem gleichfalls gewaltigen Innenraum galt. Hier vor allem entwickelt sich die barocktypische flirrende Formen- und Detailvielfalt, die einem die Sinne schwirrend macht, übermannen und der stereotypen Gedankenstrukturen entreißen will, um für ein ganz Anderes zu öffnen, ja zu entrücken. Es war keine Prachtliebe an sich, die unter anderem dieses, als eines der schönsten badischen Beispiele entstehen ließ, es war die Begeisterung zum dreifaltigen Gott, die in adäquate Formen, eben begeisterte Formen überführt werden wollte. Das galt für die Architektur, das galt für alle Kunst bis hin zur Musik. Die Begeisterung griff nach höchster Mannigfaltigkeit und Abwechslung, welche durch das Genie des Künstlers in offen und latent wirkende Ordnungen gebracht wurde. Jene befreienden, entrückenden Wirkungen nämlich werden durch die der Göttlichkeit entnommenen Komplexität, keinesfalls aber durch ein teuflisches Chaos bewirkt. Und wer einmal eingetaucht ist in die unserem knochentrocken-modernem Geist zunächst fremde Welt barocker Freude am Mannigfaltigen, der befreit sich alsbald von den dann als durchaus lächerlich entlarvten Vorurteilen.
Das Äußere des Kirchenbaus aber, obgleich den Fassadenschmuck keineswegs verschmähend, kommt dem Innenraum keineswegs gleich, vielmehr eher nüchtern daher. Am schönsten die zwei Seitenkapellen an den beiden Langhausseiten und als prächtigste Partie das große Portal der Vorderseite. Schön anzusehen auch die sandsteinernen Turmspitzen, deren oberste Partie mit Pilastern versehen, welche die geschweiften Hauben zweier Zwiebelformen “tragen”. Letztere auch der signifikanteste Unterschied zur ja aus einiger Entfernung unternommenen Nachzeichnung Merians. Der zweite Münsterbrand (1751) hatte nämlich die gotischen hohen Zeltdächer geraubt, welche dann durch die weniger hohe, dafür bauchige Form der Barockzwiebeln ersetzt.
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Geradezu kurios und nur in unorthodoxem Sinne schön dagegen die Rückseite, der schmale Chor. Hier regiert noch strenger die Vertikale, durch Proportion und die noch zu gewahrenden typisch gotischen Pfeiler. Der freilich auch hier entschiedene Vorsatz zu barockisieren, erbrachte die seltsamste Zwittergestalt! Mittelalterliche Wucht und barocke Weichheit greifen aufs ungewisseste ineinander. Scheue man nicht die Umrundung des Kolosses, denn auch diese Zwittergestalt ist unbedingt einer Besichtigung wert. Bei solcher Längenausdehnung des Gotteshauses — wenn den Autoren nicht alles täuscht die größte (gotisch-)barocke Kirche Badens — hat man nach der Umrundung auch schon fast die halbe Altstadt tangiert. Zeichnen wir die wichtigsten Begegnungen nach.
Zunächst gefällt der ja schon eingeführte MÜNSTERPLATZ (als Marktplatz der Stadt). Eine ruhige rechteckige Grundform, von schmalen Hausfronten in die Raumform gebracht. Auch an solch prominenter Stelle trifft man fast “nur” auf unprätentiöse Putzfassaden, welche freilich als historische — bei aller Zurückhaltung — das Fassadendetail nicht scheuen und kunstgerechte Wirkungen erzeugen. Außerdem entbreitet sich eine nicht geringe Harmonie, welche alle notwendige Bereicherung durch das Monument der aufragenden Münstervorderseite erfährt.
In Richtung Rhein trifft man schnell auf die monumentalen Staffelgiebel des alten ABTEIGEBÄUDEs, welche noch in spätgotischer Art um 1570 errichtet, auch auf dem Merian-Stiche so markant. Das große dreistöckige Gebäu, lebendig-unregelmäßig befenstert, atmet auch ansonsten Wucht und Nüchternheit des Mittelalters. In der anschließenden Partie zwischen Langhaus und rheinseitiger Stadtmauer trifft man auf weitere ehemalige KLOSTERBAUTEN. Diese allesamt kleineren Gebäude sind eher barocker Pracht zugeneigt, wobei vieles wie bei den Münsterfassaden “nur” aufgemalt, was aber zumindest aus der Ferne von weniger nachteiliger Wirkung als man billig wahrhaben möchte. Solche Aufmalungen, gleichsam das Ornament schmaler Geldbeutel, sind zu allermeist vom Bruchsaler Schloss (Wanderungen Band ‘1’) bekannt. Und hier wie dort lässt sich das Auge täuschen, aus nächster Nähe dann verblüffen.
Als ein nächstes Ziel bietet sich der zwar noch nicht sichtbare, aber nur wenig entfernte GALLUSTURM an; der rechte “Aufspanner” der Stadtmauer in Merians Stich. Errichtet 1343 an der Nordspitze der Stadtummauerung, war er von jeher ein rundes, gemütlich-dickes Ding. Ohne den Dachkegel wäre der Turm kaum höher als breit. Seine fortifikatorische Aufgabe war gleich eine zweifache: zum einen bewachte er kanonenbestückt die Aufspreizung der zwei Rheinarme gegen mögliche Angreifer zu Wasser; zum anderen aber fungierte er als ein Wellenbrecher vor allem bei den vor der Rheinregulierung im 19. Jahrhundert noch unberechenbareren Hochwassern; wie in solchem Zusammenhange besonders der Eisgang, das gewaltsame Schieben sich türmender Eisschollen gefürchtet war. Letzteres, ein dem Rhein heute nicht mehr bekanntes Phänomen, riss auch die lange Holzbrücke mehrere Male mit sich.
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Die so markante Holzbrücke gibt dann auch Anlass den Gallusturm in Richtung Süden, entlang des Rheines hinter sich zu lassen. Hier nun bemerkt man eine der wenigen begrüßenswerten Maßnahmen neuerer Zeit. Dieser Weg nämlich wäre in Zeiten des Merian-Stiches alleine Bootsfahrenden möglich gewesen. Heutigentags aber lässt es sich zwischen Rhein und der zwar gestutzten, dennoch gut erhaltenen Stadtmauer aufs trefflichste flanieren. Dieser wohl vor allem durch Aufschüttung gewonnene Weg ist alleine Fußgängern und Fahrradfahrern vorbehalten, so dass man hier frei von allem mechanischen Getöse die Romantik der landschaftlich-urbanen Situation begreifen kann.
Die Holzbrücke, nun ihrer Länge nach bestens zu erfassen, zieht mit Macht an. Zunächst aber fällt noch manch Gebäude auf, das reizvoll der STADTMAUER aufsitzt. Eines davon, mit Fachwerkgiebel zum Rhein zeigend, hat gar den Sprung aus Merians Zeiten nach heute sehr gut überstanden; alleine ein Erker, wie ihn der Stich anfügt, ging verloren. Zur Stadt hin verifizieren im übrigen Renaissance-Rahmungen der Fenster das hohe Alter des wertvollen, ehedem klösterlichen Gebäudes, das im 16. Jahrhundert entstanden sein mag. Ansonsten bemerkt man wohl auch die gehörige Kürzung der Stadtmauer um 3-4 Meter. Der Verlust an monumentaler Wirkung wird aber durch die malerische Weichheit des Bildes, entledigt eben der rohen und abweisenden Mauerhöhen, ohne weiteres ausgeglichen.
Dann nun wirklich die erbauliche RHEINBRÜCKE, die denn auch gleich mit einem Superlativ aufwarten soll: in Bad Säckingen steht die längste gedeckte Holzbrücke nicht nur am Rhein, sondern ganz Europas! Die Zimmermannskonstruktion stammt vom bekannten Brückenbaumeister Blasius Baldischwiler, aus dem 18. Jahrhundert. Die acht Steinpylonen, Fundament des hölzernen Werkes, reichen gar ins 16. Jahrhundert. Vorherige Brückenbauten, ganz aus Holz, gingen durch Eisgang, Hochwasser und Kriegszerstörung ab — bis man endlich genug von der Anfälligkeit hatte und jene acht Steinpfeiler in seinerzeit aufwendigster Mühe aus dem Strome wachsen ließ.
Sehr reizvoll die Überquerung des Rheines, welche wiederum alleine nichtmotorisierten Passanten vorbehalten. Die nicht geringe Wegstrecke erfolgt gleichsam durch eine hölzerne Röhre, was von ganz eigener räumlicher Spannung. Wie aber die diffizile hölzerne Konstruktion dem eigentlichen Tunnel-Gefühle deutlich entgegenwirkt, so auch die beständige Aussicht auf den bei Sonnenschein türkis schimmernden Fluss; wie denn ebenso die Lichtverhältnisse durch die zahlreichen Fenster ohne weiteres befriedigend. So profitiert man alleine vom Vorzug der räumlichen Spannung, ohne auf die von solchen Tunnel-Räumen bekannten Unannehmlichkeiten zu treffen. Die Begehung der langen Holzbrücke darf neben dem Innenraum des Münsters als ein besonderer Höhepunkt einer jeden Stadtbesichtigung gelten.
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Schlüpft man dann auf der anderen Rheinseite wieder aus der Holzröhre, so steht man ganz unvermittelt auf Schweizer Boden. Auch auf dieser Uferseite lässt es sich trefflich flanieren, wobei man seinen Standpunkt der Perspektive Merians schon gut angenähert hat. Erst jetzt begreift man die noch heute große Schönheit Bad Säckingens vollständig. Der Prospekt überzeugt in solch ausgesuchter Anmut, dass er überrascht, ja beinahe irritiert. Derartige Stadtansichten nämlich ist man seit dem 20. Jahrhundert schlicht nicht mehr gewohnt; dass ein Stadtrand von Ansehnlichkeit, ja auch noch von bedeutender Ansehnlichkeit, das ist ein auch in Baden nur noch sehr seltenes Schauspiel. Recht eigentlich begreift man erst im Anblick solcher Schönheit die Tiefe und Tragweite der Hässlichkeit modernistischen Städtebaus und seiner allenthalben zu sichtenden Stadtränder.
Was neben der Anmut der Altstadt — welche gleichsam gekrönt vom hoch aufragenden und breit gelagerten Münster - zumeist ergreift, ist die Harmonie derselben mit den Vorzügen der natürlichen Beigaben, dem Fluss (nebst Ufer und Insel im Süden) und der mannigfaltigen Vegetation. Grund genug einmal mehr auf diesbezügliche Ansichten des Vollenders der Aufklärung, des neben Platon wohl bedeutendsten europäischen Philosophen, Immanuel Kant, hinzuweisen. In seiner dritten Kritik, der Kritik der Urteilskraft zeigt er auf, “dass unser Wohlgefallen an dem Schönen seine Wurzel in einem Vermögen hat, aufgrund des freien Spiels der Erkenntniskräfte erstens das harmonische Zusammenwirken unseres eigenen Vernunftvermögens wahrzunehmen und zweitens diese Harmonie in die empirische Welt hinein zu verlängern. Wir sehen in den Gegenständen eben die formale Einheit, die wir in uns selbst entdecken” [1]. Kurzum auch jener Prospekt: die Anmut von menschlichem Kunstwerk+Naturwerk spiegelt gleichsam unser Innerstes wider. Das innere Streben nach Harmonie wird ergriffen von einer erfolgreichen Harmonie des Äußeren. Das also bedeutet Schönheit.
Das Innere des Menschen — Herz/Geist/Seele — fühlt das richtige Streben, eben das Streben nach Harmonie. Die Irritation, welche bei Betrachtung zeitgenössischer, modernistischer Architektur auch nach fast hundert Jahren immer noch ungehemmt aufkommt, hat hier ihre Wurzel. Was da unter alleiniger Ägide von Funktionalität und der Schimäre “zeitgemäße Ästhetik” daherkommt, hat die sämtlichen Grundlagen der Baukunst, denen das Streben nach Harmonie selbstverständlich, als unnötigen “Ballast” verspottet und gleich einem drückenden Joche abgeschüttelt. Schönheit ist nicht mehr gewollt, Harmonie damit nicht mehr möglich — und wenn die modernistischen Planer darüber auch in bittersten Zynismus fallen: die Verfehlung des modernistischen Entwurfsprinzips wird ohne Umschweife gefühlt — gefühlt von (fast) jedermann.
Doch kehren wir in die konkrete Schönheit Bad Säckingens zurück, erneut via Holzbrücke. Ein vorzüglicher Abschnitt der Stadt, von der Schweizer Seite aus schon trefflich zu gewahren, wartet nämlich noch, gleichsam als Finale. Es ist der alte, ursprünglich barocke SCHLOSSPARK am Südende der Altstadt.
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Ausgangspunkt war, wie der Name schon andeutet, das Schloss, näherhin das SCHÖNAUER SCHLOSS, welches um 1600 errichtet auch schon ein oben aufgezählter “Farbtupfer” des Merian-Stiches. Wie jene Schlossgestalt schon Veränderung eines Vorgängers, einer mittelalterlichen Wasserburg, so schaffte auch die Ansicht des 17. Jahrhunderts nicht den Sprung ins folgende Jahrhundert. Zerstört im Holländischen Krieg, erfuhr es die noch heute zu sichtende Veränderung im 18., im barocken Jahrhundert. Das markanteste dieser Veränderung ward begründet in der Turmanlage. Aus den vier schlanken Türmen, welche direkt und gleichmäßig an den Ecken des rechteckigen Schlossbaus platziert, wurden hernach drei Türme. Diese konzentrieren sich jetzt ganz auf die Gartenseite, treten als wiederum zwei Ecktürme und ein zentraler Fassadenturm auf. Die darüber entstandene Gartenansicht ist ohne weiteres eine spektakuläre, eines der aufregendsten Schlossbilder ganz Badens. Jene drei Türme nämlich, eng beieinander, zeichnen ein entschieden vertikales Bild, ein Bild beeindruckender Monumentalität. Sehr schön tritt außerdem eine geschwungene Freitreppe zum mittleren, dem höchsten Turm hinzu.
Deutlich bescheidener und durch den Verlust der beiden Ecktürme gezeichnet, die Eingangsseite, welche vor allem in der Gestalt eines wuchtigen Gebäudevolumens. Für die barocken Rahmungen der Fenster gilt wiederum, dass ihre Pracht alleine durch perspektivische Bemalung erwirkt. Durchaus also ein Charakteristikum des Barock in Bad Säckingen.
Die Schlossherren legten um den Palast ganz zeitgemäß einen barocken Park an, gewirkt von streng geometrischen Formen. Was aber heute vor Augen ist eine deutlich freiere, mehr landschaftliche Anlage. Was freilich seinerzeit keineswegs fehlen durfte, war ein kleines Lusthaus, namentlich ein schmuckes Teehaus, welchem der Sprung über fast drei Jahrhunderte wiederum gelang. Erbaut um 1720 zeigt es plastisch geformte Öffnungsrahmungen und zahlreiche Pilaster, barock-typische Vielzahl von Zierelementen eben, welche zusammengefasst vom hohen Zeltdach.
Auch lugt das dritte bedeutende Bauwerk des Gartens herüber — ein “WEHRTURM”. Er ist lustiges Ding der Wende 19./20. Jahrhundert, ein Werk also des Historismus. Nutzt er in seiner untersten Partie noch Überreste des mittelalterlichen Vorgängers, des linken “Aufspanners” der Stadtmauer auf Merians Stich? Jedenfalls nimmt er recht genau dessen Position ein. Das Aussehen freilich hat sich sehr verändert. Die Wehrhaftigkeit kommt nur noch applizierend, wird von den großen neoromanischen Rundbogenöffnungen gründlich unterminiert. Ein Mittelding zwischen Wehr- und Aussichtsturm. Ein bisschen bringt es zum Schmunzeln, das romantische Gebäu. Und dennoch, als Bestandteil des Parks, auch als Akzent der Rheinansicht nimmt man es gerne zur Kenntnis.
Ja, da klang sie noch mal an, “die Rheinansicht”. Sie, auch noch die beiden Hauptbauwerke Sankt Fridolinsmünster und Rheinbrücke vereinigend, ist gewiss das dem Gedächtnis dauerhafteste, welches man von einer Besichtigung Bad Säckingens und gleichsam als “Beute” mit nach Hause nimmt.
[1] Scruton, Roger "Kant", Herder/Spektrum, S.122; Scruton paraphrasiert hier aus der “Kritik der Urteilskraft”
Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Alsatiae" (siehe unten)
3) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
4) Regine Dölling "Dome, Kirchen und Klöster in Baden", Wolfgang Weidlich Verlag Frankfurt/Main, Ausgabe 1979
5) Homepage der Stadt Bad Säckingen www.bad-saeckingen.de
6) Informationstafeln vor Ort
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