Gleich einer Talsperre baute sich die alte Stadt auf, nahm deren trutzige Befestigung eine selten eigentümliche Abwehrhaltung ein. Matthäus Merian, hochbegabten Auges, begriff diesen Reiz denn sogleich und vermachte der Nachwelt Mitte des 17. Jahrhunderts diese schönste Ansicht Sulzburgs (siehe Seite 7). Es war zweifellos der gestalterische Höhepunkt der kleinen Stadt, die rund 20 Kilometer südlich von Freiburg das Sulzbach-Tal gegen die "Außenwelt" der Rheinebene "verteidigte". Der Länge nach schließen gleich zwei hohe Mauern von einer Talwand zur anderen. Aus deren Mitte tritt ein mächtiger Torturm drohend in die Höhe. Gleichsam versteckt hinter solchem Bollwerk: die kleine Stadt. Rechts aber ein großes Renaissance-Schloss, die Gunst der Markgrafschaft bezeugend. Nicht weniger signifikant ein Kloster am entgegengesetzten Ende, links außerhalb der zwei Mauerringe, betont durch den wuchtigen Turm der Kirche. Hinter der Stadt das Tal auf seinem fortgesetzten Weg in die Tiefe und Höhe des Hochschwarzwalds, der denn auch der Horizont des Prospektes; ein Horizont der aber auch nach vorne greift: Sulzburgs Säumung rechter und linker Hand.
Noch heute, dreieinhalb Jahrhunderte später, mag man dem Städtlein erbauliche Wirkungen zugestehen. Noch in Merians Jahrhundert, dem brutal niederhauenden 17., hatte der Ort böse zu leiden. Zunächst im 30jährigen Krieg, dessen Verwüstungen Merian ja ganz bewusst die Schönheit der mittelalterlichen Städte "entgegenstoch". Dann durch des "Fuchses" griff über den Rhein, die "Verbrannte-Erde-Politik" Ludwigs XIV. im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts.
Der Schönheit der natürlichen Umgebung, dem Reiz des Standortes freilich war nicht beizukommen. Weil denn zudem Sulzburg im 18. Jahrhundert neu erstand und dieses historische Erbe bis heute erhalten konnte — wie man gar noch auf gewichtige Überreste aus Merian-Tagen trifft — so erfreut also die kleine Altstadt noch im 21. Jahrhundert nicht wenig.
Zur Gemächlichkeit der Altstadt, zur Ruhe des dumpf leuchtenden Hochschwarzwaldes bemerkt man die auch anderweitige Unaufgeregtheit der Verhältnisse als dritte Wohltat gleichsam eines harmonischen Dreiklanges. Was nämlich noch heutigentags vom Stadtkörper zur Rheinebene abgetrennt, das Sulzbach-Tal, zieht nur sehr wenig Verkehr an. Wie der Fluss, der freilich weit genug entfernt, so ziehen auch die Verkehrsströme an Sulzburg vorüber und lassen der allenfalls tangierten Stadt eine wohltuende Ruhe.
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Hat man den kurios veränderten Torturm passiert, so findet man sich in der Abgeschiedenheit einer anderen Welt, einer obendrein freundlich aufnehmenden Welt wieder. Keineswegs wird zur Unaufgeregtheit der Verhältnisse die Ungunst einer Enge derselben überreicht. Wiewohl das historische Sulzburg immer ein kleines, so ward die Hauptstraße gleich einem breiten Marktweg angelegt, in einer Großzügigkeit, die dem großen Renaissance-Schloss — als Regenten der Stadt — ohne weiteres eine gebührliche. Solch räumliche Freigiebigkeit beschränkt denn die Anmut der umgebenden Landschaft nicht nur auf den Horizont, sondern erlaubt die Wahrnehmung des hier noch teilweise als Weinberge auftretenden Schwarzwaldes auch beiderseits dieses Hauptweges, erst recht wenn man den Überrest des Schlosses und den von demselben aufgespannten Marktplatz erreicht hat.
Mit dem Schloss gewahrt man nach dem Stadttor bereits das zweite Artefakt aus den mittelalterlichen Hochtagen. Doch werfen wir zunächst einen auch räumlich reizvollen Blick zurück auf den kleinen Stadteingang. Klein nämlich ist das einst mächtige Gebäu geworden. Was bis ins 18. Jahrhundert so wuchtig und gleichsam als Wächter der Stadt um sich blickte, das kommt heute weitaus bescheidener daher, am ehesten zu definieren vielleicht als "Torwürfel". Man hat das mächtige Gebäu schlicht gekappt; gewiss eine der seltsamsten Baumaßnahmen des 18., des barock-schöngeistigen Jahrhunderts. Mit "Müh’ und Not" ließ man dem Torbogen ein einziges weiteres Geschoss und stülpte dann ein gewalmtes Zeltdach über. Was nun die Ansicht so überaus merkwürdig macht, ist die dem Turmstummel verbliebene Wuchtigkeit, welche durch rustikale Eckquaderung und Grundmauern erwirkt. Diese aber und das weich geschwungene Barockdach führen einen formalen Krieg. Und solchen auch noch auf kleinstem Raume, der seinerseits kurios genug anmutenden Proportion eines Würfels. Wahrlich eines der wunderlichsten Stadttore Badens.
Der Stadtraum der breiten Hauptstraße aber wird selbst durch die kurze Fassung des Torturmes noch bestens abgeschlossen. Vom Marktplatz zurück nach Westen blickend bemerkt man die ansehnliche Definition dieses urbanen Raumes und auch die immer treffliche Wirkung eines Blickfanges am Ende eines solchen Raumes — und als Blickfang gleicht das Stadttor die geringe Höhe durch das aufreizende der Gestalt billig aus.
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Das Schloss indessen hat gleichfalls Substanzverlust erlitten. Vom prächtigen Renaissance-Bau, den Markgraf Ernst I. von Baden-Durlach im 16. Jahrhundert hier ausführen ließ, blieb nämlich nur der Küchen- und Saalbau erhalten. Das wuchtige Volumen zeichnet vor allem Bescheidenheit. Die Fenster als spätere Umbauten zeigen nur schlichteste Rahmungen. Zumeist gefallen große Torbögen, die denn auch das bedeutendste Fassaden-Überbleibsel aus den glanzvollen Renaissance-Tagen.
Das Gebäu, einige Zeit als Rathaus dienend, gefällt als eine dem Marktplatz wohltuende Großform. Zweistöckig und in angenehm länglicher Proportion liefert es das Mindestmaß an Details um die Fassade noch ansehnlich zu halten.
Das große Dach aber des unlängst renovierten Gebäudes stellt ein typisches zeitgenössisches Missverständnis vor Augen. Die weitläufigen Ziegelflächen zeigen die sich immer gleiche Perfektion des industriellen Fertigproduktes; nur unmerklich strukturiert es die Ödniss leerer Fläche, die dann auch noch grell-rot dem betrachtenden Auge förmlich entgegenschreit. Man meint es gut, will den historischen roten Ziegel — häufig genug zu beobachten. Die industrielle Perfektion aber hat dessen ursprüngliche Wirkung vollends getilgt. Aus der historischen Hand nämlich, als ein handwerkliches Produkt war die Form keinesfalls millimetergenau und erst recht die Farbe von Ziegel zu Ziegel spürbar changiert. Die alten Dächer zeigten ein lebendiges Bild, mit ihren Ziegeldächern gleichsam das natürliche Blattwerk in rötlichem Schimmer widerspiegelnd. Obgleich die gleichmacherische Perfektion des Industrieproduktes schon seit Jahrzehnten offen am Tage, wird die charakteristische Fehlleistung, eben das Gleichmacherische, das Anonymisierende immer noch zu selten begriffen.
Dies nun ist umso beklemmender, als darüber der bedeutende Vorzug des Handwerklichen, nämlich das Individualisierende, als spezifisch Menschliches nicht in den Blick kommt. Das Maschinenzeitalter hat den Menschen schon soweit entwertet, dass selbst solch bedeutende Vorzüge kaum noch verstanden werden. Nicht mehr dient die Maschine dem Menschen, mehr und mehr nämlich umgekehrt. Darum auch bildet die gebaute Umwelt, gleich ob man wie das zeitgenössische Bauen (Modernismus) direkt darauf abzielt oder das industrielle Produkt in historischem Sinne einsetzt, den essentiellen Nachteil der Verwischung Mensch-Maschine ab: den Verlust von Individualität, Charakter. Es bedürfte dieser Zeiten der wachsamsten Augen um den Menschen von den elektronischen Revolutionen nicht vollends aufsaugen zu lassen (der schon bald? drohenden genetischen "Optimierung"). Aber mit geöffneten Augen auch wirklich zu sehen, war noch nie des Menschen Stärke; daran vermögen selbst schreiend rote Flächen nicht zu rütteln.
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Der Marktplatz indes — und weil solche Gedanken ja nur wenig nützen — zeigt weitere Großformen, die an dieser Stelle zu der sonstigen Kleinteiligkeit der Altstadt angenehm kontrastieren. Zwei Bauwerke, entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zeigen wie der Schlossüberrest nur das Mindestmaß notwendiger Fassadenbelebung. Es ist der Weinbrennerstil, der hier sein typisches detailsparsames Zepter schwingt. Zum einen das nunmehrige Rathaus, das als Privathaus großzügig aber ohne besondere Reize errichtet. Auffälliger die zum Museum profanisierte Kirche, die als jüngerer Bau, als Bau des Jahres 1838 auch mit auf den Weinbrenner-Klassizismus folgendem Romantischen Stil gleichsam als Konglomerat. Die streng gezeichnete Baukörper-Anlage wurzelt noch in Weinbrenner, die neoromanischen Fassadendetails bereits im Romantizismus des Weinbrenner-Nachfolgers Heinrich Hübsch. Zumeist gefällt der schlanke Campanile mit dem abgesetzten Glockengeschoss.
Beiden Werken wird man die Ansehnlichkeit nicht absprechen, Vorzeigewerke des Weinbrennerstiles (oder des Romantizismus) jedoch bedeuten sie nicht. Und davon kann man sich noch in Sulzburg selbst überzeugen. Ein treffliches Exempel nämlich des badischen Klassizismus findet man ein wenig abseits am nördlichen Altstadtrand: die Synagoge. Erbaut 1822 vom Neffen des großen Friedrich Weinbrenner, von Johann Ludwig Weinbrenner, zählt sie zu den wenigen Überdauernden des deutschen Totalwahnsinns und staatlichen Verbrechertums der 1930/40er. Im Weinbrennerstil ist sie gar das letzte Beispiel für eine Synagoge überhaupt.
Im Gegensatz zum reichen Innenraum kommt das kompakte Äußere wiederum relativ detailkarg daher; jedoch nicht ohne gefällige und einfallsreiche Formen für die Öffnungen und einen monumentalen, säulenbestückten Eingang (siehe hierzu auch den Beitrag unter "Im Stile Weinbrenners"). Die sorgsam arrangierten Fassaden und die geringe Größe des Baukörpers machen das Gebäu durchaus zu einem "Schmuckkästchen" des Klassizismus in Baden.
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Bevor wir zum bedeutendsten bauhistorischen Zeugnis Sulzburgs uns wenden, noch einige allgemeine Betrachtungen zur Altstadt. Nur wenige Straßen, bzw. Gassen werden gezählt, worunter auch nur die Hauptstraße wirklich ansehnlich. Hier wie dort erzeigt sich ein homogener Eindruck, erwirkt durch die ungebrochene Verwendung von Putzfassaden. Belebung durch zu solchen Fassaden trefflich kontrastierendes Fachwerk kann nur als Ausnahmeerscheinung beobachtet werden. Die historischen Gebäude entstammen fast ausnahmslos dem 18. und 19. Jahrhundert; an wenigen Stellen findet man noch Renaissance-Details für Öffnungsrahmungen, welche dank ihrer ausdauernden steinernen Natur der großen Branddrangsal des 17. Jahrhunderts trotzten. So erfreuen die alten Häuser Sulzburgs zumeist durch ihre Kleinteiligkeit, an der Hauptstraße säuberlich aneinandergereiht und weitgehend unbehelligt von modernistischen Eingriffen. Auch diese Bauwerke zeigen nur selten mehr als das Mindestmaß kunstvoller Fassadenbelebung und profitieren sehr von der kontrastierend monumentalen Wirkung von Schloss, Rathaus und (ehemaliger) Kirche am Marktplatz, der die nicht allzu lange Hauptstraße ungefähr halbiert.
Unter diesen Stadthäuser zumeist erwähnenswert ein Treppengiebel-Gebäude zwischen Kirche und Tor: während die Fassaden wiederum aus dem 18. Jahrhundert, zeigen gleich drei Giebel noch die mittelalterlich-monumentale Wirkung solcher Staffelformen.
Am schönsten jenseits von Marktplatz/Hauptstraße der Stadtpark im Süden der Altstadt. Trefflich hier der Blick in die umgebende Landschaft, bereichert durch ansehnliche Pavillonbauten im nachahmenden Stil des Historismus (Wende 19./20. Jahrhundert), einen seltsamen mittelalterlichen Treppenturm (alleine stehend!) und den Campanile der ehemaligen Kirche, der aus geringer Ferne gleichsam über den Garten wacht. Denn auch passend zur kleinen Stadt die geringe Ausdehnung der Anlage.
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Das Bauwerk, das an bauhistorischer Bedeutung und Schönheit die alte Synagoge — die freilich als Mahnmal dagegenhält — noch deutlich übertrifft ist die ehemalige Klosterkirche Sankt Cyriak. Obgleich Sulzburg als nördlichste Stadt der baden-durlachischen Besitzung in Südbaden, welche heute so malerisch mit "Markgräflerland" bezeichnet, auf Geheiß der begünstigenden Markgrafen dem Protestantismus zugeneigt wurde, was denn schon im 16. Jahrhundert die Säkularisierung der Klöster und Abteien bedeutete, sieht man das hiesige Klosterareal rund ein Jahrhundert später auf Merians Stich noch in guter Ordnung und säuberlich ummauert. Und wenn auch diese Gebäulichkeiten, wie im übrigen auch zwei Burgen in unmittelbarer Nähe weitgehend verschwunden sind, so hat doch die Klosterkirche herrlich überdauert. Wohl hatte auch sie nicht wenig gelitten, ward profanisiert, verlor die Querhausarme und Seitenschiffe. Doch nicht zuletzt ob der herausragenden bauhistorischen Bedeutung fügte man 1964 zumindest die Seitenschiffe wieder an und brachte das runtergekommene Gebäu ganz allgemein wieder in Schuss; wie man es auch trefflicherweise wieder als ein echtes Gotteshaus nutzt und ehrt.
Sankt Cyriak zeigt die Zurückhaltung und Sparsamkeit ländlicher Frühromanik. Das alleine wäre schon Besonderheit genug. Der stolze Campanile aber beansprucht noch bedeutend mehr: erbaut schon im 11. Jahrhundert, gefällt er sich nämlich als der älteste Kirchturm in ganz Südwestdeutschland! Welch’ gewichtiger Ruhm also für das kleine, abgeschiedene Sulzburg!
Das gesamte Gebäu beeindruckt in seiner kunstvollen Unaufdringlichkeit, mittelalterlichen Rustikalität und Kraft. Typisch romanisch die saubere Definition der Baukörper: Campanile, Mittelschiff, zwei Seitenschiffe und Chorapsis. Diese klaren und durchaus wuchtigen Formen werden durch mancherlei Detail veredelt. Neben romanischen sieht man auch gotische Einzelheiten, welche per Spitzbogen bereichern ohne den genuin romanischen Charakter der kleinen Basilika zu unterminieren. Am schönsten das dreiteilige Schallfenster auf der Vorderseite des alleine durch Öffnungen gegliederten Turmes. Bei aller Genügsamkeit wollte man für dasselbe auf edle Säulchen keineswegs verzichten. Auch der gotisch-spitzbogige Eingang dieser Seite gefällt, tritt seinerseits dem Eintreffenden als rechteckige Ausbuchtung entgegen.
Das denn auch der schönste bauliche Eindruck, den man sich aus Sulzburg mitnehmen kann, wie nämlich ein ästhetisches Bauen doch einfach sein kann, wenn man nur die entsprechenden Regeln für wert erachtet. Dem so gerne belächelten "dunklen" Mittelalter jedenfalls war ein gefälliges, interessierendes Bauen leicht genug möglich.
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Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Sueviae" (siehe oben)
3) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
4) Homepage www.sulzburg.de
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