Baukunst in Baden
  Bräunlingen
 



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Die Stadt Bräunlingen, nahe zu Donaueschingen, liegt demnach in der unaufgeregten Landschaft des Hochplateaus der Baar, welche in nächster Umgebung belebt allenfalls durch mancherlei Hügel. Solche Ruhe des Naturwerkes mag denn auch im ausgeglichenen Menschenwerk der historischen Stadtgestalt seinen Widerhall finden. Und in dieser Hinsicht findet man interessanterweise eine grundsätzliche Übereinstimmung zum Nachbarstädtchen Hüfingen. 
     Neben weiteren Ansehnlichkeiten erbaut sich das angenehme Stadtbild vor allem auf drei Aspekte. Deren erster ist zugleich der zuerst zu gewahrende, wenn man sich der Altstadt auf dem üblichen Wege aus Richtung Osten nähert. Hier nämlich “versperrt” die vortreffliche Ansicht eines alten Stadtores, namentlich der Turm des Mühlentores den Zugang zur ellipsenförmigen historischen Stadt. 
     Zu diesem Zeitpunkt hat man den natürlich auch hier vorwaltenden “Speckgürtel” des 20. Jahrhunderts (verschiedentliche Ortserweiterungen) durchquert, gelangweilt ebenso “natürlich” einmal mehr von der Funktionalität unserer Tage, welche sich im Gegensatz zur historischen der Verbindung mit einem ästhetischen Auftreten selbstbewusst versagt; selbstbewusst weil das letztere, das ästhetische Auftreten, also das kunstvolle Arrangement von Gebäuden und Fassaden seit nun fast hundert Jahren nicht mehr als notwendig, ja als überflüssig, geradezu verwerflich erachtet wird. Die Aufgabe des Betrachters aber ist das Nachvollziehen der “sauber” und “rein” abgebildeten Gebäudefunktionen, welche nun befreit von “Kitsch” und “Tand” (das Jahrtausende gültige Ornament) unverstellt am Tage. Das freilich solche in der Menschheitsgeschichte immer in Eintracht und veredelt von baukünstlerischen Maßnahmen (Ornament), ist ein Erbe, das der Modernismus selbstbewusst verwarf. Und eine Rückkehr ist schlechterdings unmöglich, gleich wie viele Dekaden schon der Betrachter trotz obigen Imperativs ratlos und gelangweilt vor der nackten Abbildung der Funktionalität. Ja, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und das die “Befreiung” der Funktionalität von Baukunst ganz und gar einmalig in der Menschheitsgeschichte und damit als ein bedeutender Faktor auf die allgemeine und historische Fehlleistung des Modernismus hinweist (gleichsam als Wink mit dem Zaunpfahl, denn zu übersehen ist dieser Umstand nur dem Dogmatiker), das reißt trotzdem keinen der Verantwortungsträger aus dem süßen Traum der “Brave New World” (Huxley). Zeitgemäß ist diese gleichsame Abbildung des “Unbehagens” an Zeit, Gesellschaft, Moral — die gefühlte “Entfremdung” (Kant, Hegel, Nietzsche) ohnehin.
     Und aus solch düsteren Gedanken weckt den Taumelnden, gleich einem Lichtstrahl in die Dunkelheit das alte Stadttor. Was hier vor Augen entstammt in Teilen noch dem Mittelalter, steht aber vor allem an jenem Wendepunkt der Baugeschichte, der nach bereits zu greifender Dekadenz die Baukunst gleich einem sturmgepeitschten morschen Baume endlich zu Boden stürzen sah. Alles Malerische dieses trefflichen Gebäus ist nämlich Historismus, ein umfassender Eingriff des Jahres 1904.

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Der Historismus kopierte und verband auf bereits entfremdende, bis dato unbekannte Weise die historischen Baustile des Mittelalters (Romanik und Gotik) und der Neuzeit (Renaissance, Barock, Klassizismus). Es kam zu einem betäubenden, allenthalben durch massenweisen Prunk verstellten “Stilgewitter“, dem nur noch die talentiertesten Baumeister ansehnliche Leistungen abgewinnen konnten. Es war ein letztes Aufbäumen, der Rausch einer absterbenden Zeit, eines vergehenden Menschengeschlechtes, an dessen tatsächlichem Ende die blutbefüllten Schützengräben von Verdun und häschengleich abtretende Monarchen, kurzum der Erste Weltkrieg und seine Folgen standen.
     Zu den wenigen ansehnlichen Leistungen des Historismus in Baden zählt auch das Bräunlinger MÜHLENTOR, welches in angebrachter Stilkontinuität echtes mit “neuem” Mittelalter verbindet. Was hierbei aber vor allem ins Auge springt, die schönen Fachwerkpartien der beiden oberen Stockwerke (nebst Zeltdach und Dachreiter), auch mancherlei (Fachwerk-)Ergänzung im unteren Turmabschnitt, ist historistische Ergänzung oder Umbau. Was aber die romantische Ansicht vollendet sind die Nachbarbauten, welche im Zuge des historistischen Turmbaus miterrichtet wurden. Auch sie zeigen mittelalterliche Formenwelt: gotische Staffelgiebel und rustikale Öffnungsrahmungen. Zur Feldseite (Außenseite) treten des weiteren dekorative Mauerzüge hinzu. Im Ganzen wurde seinerzeit also der gesamte Stadteingang einer erfolgreichen Radikalkur unterzogen; wie er damals erbaulich den Stadteingang nach Bräunlingen markierte, so heute nicht weniger angenehm in den Altstadtbereich Bräunlingens.
     Im übrigen erinnert diese Baumaßnahme natürlich an die gleichfalls historistische Aufstockung der zwei mittelalterlichen Tortürme im nicht allzu fernen Freiburg. Gewiss gaben die beiden letzteren die Inspiration für Bräunlingen. Diese durchaus spektakuläre Maßnahme, gepaart mit der malerischen Wirkung gibt dem Bauwerk auch eine überregionale Bedeutung, welche von den anderen Gebäuden Bräunlingens zumindest nicht mehr übertroffen wird.
     Durch den großen Spitzbogen also in den Bereich der Altstadt. Hier fällt sogleich eine Großzügigkeit der Hauptwege und eine moderate, nur zwei- bis dreigeschossige Bebauung, kurzum eine angenehme urbane Dichte auf. Der allgemeine Anblick gefällt, wird hier aber sogleich vom nächsten historistischen Bauwerk gebannt. Die katholische STADTKIRCHE "Unsere Liebe Frau vom Berge Karmel", erbaut 1881-84 steht nämlich direkt mit ihrem hohen Campanile an der Hauptstraße. Näher tretend fällt nicht nur die neoromanische Formensprache, auch nämlich das zum Turme sich fügende große Volumen des Langhauses auf. Das prunkvolle Bauwerk ergreift im Gegensatz zum Stadttor nicht. Man will dem Fassadenschmuck-Arrangeur kein besonderes Geschick einräumen — und geradezu irritierend die zur bescheidenen Stadt keineswegs passende Größe des Gebäus. Vor Augen steht etwas Kathedralenhaftes — und das in der Kleinstadt! Darüber würde man wohl hinwegsehen, spiegelten die Fassaden nur größeres Talent des Baumeisters wider; so aber kommt die Stadtkirche als Ungetüm. Alleine ihre Ansicht vom hinteren Teil der Hauptstraße, in Verbindung nämlich des schlanken Campaniles mit dem Torturm (bei Verdeckung des Langhauses) hält Reize bereit.

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Im übrigen ist die “Kathedrale” Bräunlingens alles nur kein Einzelfall. In der Zeit des Historismus wurden zahlreiche Städte, ja selbst viele Dörfer mit solcher verzerrenden Macht “bereichert”. Und wenn oben von einem vergehenden Menschengeschlecht, das sich (die anstehende Katastrophe bestenfalls ahnend) je vergehender desto rauschhafter selbst feierte und entsprechend baulich inszenierte, gesprochen wurde — so riss dasselbe in Rausch und Untergang das ja ohnehin vollends verquickte Christentum mit sich. Die neuen Zeiten, aus den Schützengräben West- und Osteuropas Revolutionen und Republiken hievend, es sollten die ersten säkularen der Menschheitsgeschichte werden. Den allerdings daraus resultierenden Problemen, wie dem allgemeinen Verfall der Moral, stehen wie bei den Problemen modernistischer Architektur, modernistischen Städtebaus wiederum nur die Dogmatiker blind gegenüber (freilich haben die gerne und nicht selten die “Fäden“ in der Hand).
     Weiter aber im historistischen Mancherlei Bräunlingens. Einige Meter weiter nämlich das nächste auffällig nachahmende Gebäude der Wende 19./20. Jahrhundert. Dieses große BÜRGERHAUS aber gefällt wiederum. Hohe gotische Treppengiebel, alemannisches Fachwerk und rustikale Öffnungsrahmungen weisen wiederum das Mittelalter als erstrebenswerten “Omegapunkt” aus.
     Nach soviel unechtem Mittelalter blickt man erneut einige Entfernung später — man hat mittlerweile das Ende der nicht allzu langen Hauptstraße erreicht — umso lieber auf echtes Mittelalter, namentlich auf die sich rechter Hand erhebenden Überreste des alten und weitgehend abgegangenen STADTSCHLOSSES. Über einer Rampe erheben sich ansehnlich zwei kleinere Gebäude, das obere mit Fachwerk, das untere mit feinen spätgotischen Rahmungen für Tür und Fenster. Diese beiden Bauwerke im übrigen zählen zu den wenigen über das 18. Jahrhundert hinausweisenden Zeugen, welche nämlich ansonsten in bedeutender Zahl einem großen Stadtbrand von 1719 anheim fielen. Umso dankbarer also erzeigt sich das abwägende Auge diesem echten Fachwerk, gewiss auch dem kopierenden Fachwerk von Mühlentor und Stadthaus, welches nämlich wichtige gestalterische Abwechslung in diese ganz aus verputzten Häusern bestehende Stadt einbringt. Freilich würde man sich noch mehr der fein- und vielgliedrigen Holzbauweise wünschen um das ansonsten zu homogene, zu unaufgeregte Stadtbild spürbarer zu beleben.
     Solch hilfreiche Belebung geht vom zweiten besonderen Aspekt der Bräunlinger Stadtgestalt ohne weiteres aus. Es ist ein bauliches Phänomen, das einmalig in Baden (und wohl auch in ganz Deutschland) und auf das die Bräunlinger mit Fug und Recht stolz sein dürfen. Es besteht in einer besonderen Vorliebe zum TREPPENGIEBEL. Dieses bereichernd monumentalisierende Stilmittel entstammt überall sonst in Baden alleine dem gotischen Mittelalter (oder halt dem Historismus!). In Bräunlingen aber fand man es nicht unzeitgemäß auch den Bauten folgender Jahrhunderte, namentlich denen des 18. bis 20.(!) dieses auffällige Merkmal in großer Zahl aufzuprägen. Flüchtig nach Bräunlingen hineinlugend, würde man deshalb noch ein gut erhaltenes mittelalterliches Städtchen vermuten. Dieses aber ging ja 1719 per Stadtbrand ab. Was tatsächlich zu betrachten, ist eine neuzeitliche Stadt (die Neuzeit beginnt spätestens mit dem 18. Jahrhundert), welche nicht ohne Geschick mit mittelalterlicher Manier.

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Jenes eigenartige und löbliche Mittel nun begreift man umso besser, wenn man auch den dritten besonderen Aspekt der Altstadt gewinnt: die RINGSTRASSE. In Bräunlingen nämlich führt eine breite Straße parallel zur einstigen Befestigung innerhalb des Altstadtkörpers in auffälliger Kreisform (wenn auch gestreckt) entlang des Stadtrandes. Diese Form erinnert denn an das weit bekanntere Beispiel der (Karlsruhe-)Durlacher Ringstraße. Letzterer gibt man ob besserer Raumproportion, anspruchsvollerer Bausubstanz den Vorzug; alleine auch das Bräunlinger Beispiel zeigt Ansehnlichkeit, darf Lob beanspruchen.
     Wie Durlach zeigt also auch Bräunlingen trotz Zerstörung noch den mittelalterlichen Stadtgrundriss. Dieser entstand nach erstmaligem Nachweis der Siedlung im Jahre 802 (“Brülingen”) vermutlich zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch die Zähringer. Zu diesem Behufe wurden auch Stadtmauern, Gräben und vier Tore nicht vergessen. Ein Jahrhundert später kam der Ort dann weitgehend nachhaltig an Österreich (bis 1806), begründete den Hauptsitz eines nur kleinen Landstrichs, der später ganz von fürstenbergischen Besitzungen eingekreist ward. Jenen aber schmeckte diese fremde Enklave im Herzen des eigenen Territoriums überhaupt nicht. Entsprechende Streitigkeiten und Schikanen waren die Folge. Alleine die Anhänglichkeit des fürstenbergischen Hauses an Habsburg, wie man als kleines Fürstentum diesem Herzen den deutschen Kaiserreiches ja auch hoffnungslos unterlegen, sorgte für den österreichischen Verbleib von Bräunlingen.
     Der mittelalterlichen Bräunlinger Ringstraße (versehen abschnittsweise mit gleich drei Straßennamen) bleibt nachzutragen, dass hier auch keine geringe Anzahl von Gebäuden des 20.Jahrhunderts ihren Platz fand. Diesen aber darf man nachsagen, was man modernistischen Bauten an positivem nur nachsagen kann: Einpassung. Diese gelingt am vorzüglichsten durch die Staffelgiebel, die man gleichsam als Imperativ auferlegte. Ansonsten kommen geneigte Dächer und Lochfassaden unauffällig daher. Nirgendwo besitzen diese Gebäude Ansehnlichkeit; in ihrer völligen Unterordnung aber sind sie zumindest nicht im Makel eines Störenfriedes. Auf modische Spielereien und Spektakel jedenfalls, die zunächst “lustig” glänzen, um nach wenigen Jahren abgeschmackt nur noch zu stören, wurde glücklicherweise zumeist verzichtet.
     Damit wäre die Betrachtung der Stadt abgeschlossen, stünde nicht in einiger Entfernung zum historischen Bereich noch ein schönes Kirchlein. SANKT REMIGIUS, obgleich so abgelegen am Gottesacker, war dennoch bis 1694 die eigentliche Stadtkirche. Die Fassaden des kleinen Langhauses mit leicht erhöhtem Chor zeigen weitgehend noch die Ruhe der Landgotik. Am schönsten aber der schlanke Campanile, der gar noch sichtbar aus romanischen Tagen. Um die erste christliche Jahrtausendwende entstanden, verblieben ihm die typischen romanischen Zwillingsfenster für die Schallöffnungen. Auch gefallen die vier spitzen Giebel, die zu allen Seiten des quadratischen Turmes in den eigentlichen Dachbereich (hohes Zeltdach) fahren. Ähnlich dem Langhaus steht der Campanile als ansonsten undifferenzierter Baukörper weiß bleckend auf der Sonnenseite eines gelinden Hügels. Die Geschichte der schlichten Schönheit reicht gar in karolingische Tage, bis ins Jahr 799 zurück. Das älteste Stück Bräunlingen also, an Geschichte und Bausubstanz. Außerdem kann man von hier oben einen letzten Blick zur Altstadt werfen, zufrieden konstatierend, dass die Besichtigung allemal angenehm und auch von anderweitigem Wert.


Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage von Bräunlingen 
www.braeunlingen.de
4) Informationstafeln vor Ort

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