Baukunst in Baden
  Hausach
 



Reizvoll steht die Ruine des "castrum Husen" im Kinzigtal, über der Stadt Hausach, zwischen Haslach und Wolfach (beide Wanderungen Band ‘1‘). Insbesondere wenn man taleinwärts fährt, lugen der Bergfried und erhaltene Mauern attraktiv nach jedem "Eindringling".
     Wie groß da die Überraschung, wenn man, so trefflich angelockt, die Ruine aus nächster Nähe in Augenschein nimmt. Kaum hereingeblickt, hat man schon alles gesehen. Kurzum, wenig genug blieb nach der Zerstörung 1643 und nachmalig vermutlicher Nutzung als billiger Steinbruch erhalten.
     Am schönsten der kreisrunde Bergfried, welcher sorgfältig aus unregelmäßigem Bruchstein verfertigt. Das helle, gelbliche graue Gestein gibt dem nur 14 Meter hohen Turm ein freundlichen Aussehen. Einige Freude hat man auch an erhaltenen Details, wie dem gotisch-spitzbogigen Eingang und in luftiger Höhe dem ehemaligen Austritt auf den Wehrgang. Die Spitze aber, ein verputzter Zinnenkranz, kann sein historistisches Wesen nicht verbergen: eine Maßnahme des späten 19. Jahrhunderts.
     Ansonsten aber bietet die Hauptburg nur noch wenige Reste des Palas: dicke Mauern mit einigen Öffnungen, aber bar veredelnder Details. Nach außen zeigt diese Gebäudeecke monumentale Höhe, nach innen dagegen nur unprätentiöse Erscheinung. Dieser Partie im Norden vorgelagert, die nicht weniger abgegangene Vorburg. Auf einer kleinen Ebene angelegt, rettete sich kaum mehr als der Stumpf eines halbrunden Schalenturms. Weil hier wie bei der Hauptburg von Schildmauern kaum noch eine Spur, bedarf es unbedingt eines kenntnisreichen, nicht weniger eines phantasiebegabten Geistes um die Grundrisse von Haupt- und Vorburg zu erahnen.
     Die Burg mag schon im 12., vielleicht sogar schon im 11. Jahrhundert angelegt worden sein. Urkundlich greifbar wird die Veste erst 1246. Vermutlich legten die berühmten Zähringer-Herzöge auch hier die Grundsteine. Und das nicht ohne Grund, denn es galt die wichtige Handelsstraße durch das Kinzigtal, die sogar schon von Römern gelegt (74 nach Christus von Straßburg nach Rottweil), zu schützen. Das nach Villingen führende Gutachtal strömt in nächster Nähe nach der Kinzig; und obendrein ward hier ein lukrativer Silberabbau betrieben. Im 14. Jahrhundert gelangten die Fürstenberger, welche im Kinzigtal reich begütert, nachhaltig, namentlich für rund 500 Jahre, in den Besitz. Man wusste die Burg zu schätzen und baute in den Jahren 1453 bis 1477 großzügig um.
     Alle Attraktivität des Kinzigtales und der durch dasselbe zu erreichenden Städte musste denn auch die Mordbrenner des 17. Jahrhunderts herbeirufen. Und da ward freilich auch die mittelalterliche Burg erobert und 1643 zerstört; schwedisch-weimarische Truppen gaben sich die zweifelhafte Ehre. Auch hier kein Wiederaufbau, auch hier nur noch Verfall. Im letzten Jahrzehnt des gleichen Jahrhunderts nutzte man das Gebäu nochmals gegen die einfallende Heeresmacht des "Sonnenkönigs", im Pfälzischen Erbfolgekrieg. Der Niedergang der Anlage schritt indes weiter. Der Zahn der Zeit nagte am Gemäuer, umso heftiger als solches Gestein gerne als billiger Steinbruch genutzt. Und so blieb jenseits des schönen Bergfriedes nur wenig übrig.
     Umso erstaunlicher aber die vorzügliche Wirkung zum Kinzigtal hin. Sie aber erklärt sich dem taleinwärts Beobachtenden durch das überaus geschickte "Arrangement" von Turm und Palas-Überrest. Mit einem Minimum das Optimum erreicht! Zur Verwunderung vor Ort fügt sich die verschlossene Turmtüre: der treffliche Turm, er kann üblicherweise nicht genutzt werden — welch’ Jammer eingedenk der Aussichtmöglichkeit! Und so schlendert man auf halber Höhe der südlichen Talwand über das kleine Plateau, das einst von der Burg "geziert", an Ausblicken zusammentragend, was sich vom Bergfried weit erbaulicher in einem fassen ließe. Man späht wie einst die Wächter nach dem Kinzigtale vor allem; auch sieht man das nach der Kinzig laufende, kleine Einbachtal. Die Wände des Kinzigtales sind auf Höhe Hausach schon recht eng zusammengefahren, was die Landschaft herber macht, umso mehr als der fast 1000 Meter hohe Brandenkopf in geringer Ferne aus Norden "droht". Erbaulich genug.

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Vom Bergsporn gewinnt man auch einen klaren Überblick Hausachs. Vor allem eine dem kleinen Ort reichlich überproportionierte "Kathedrale" macht sich breit. Ein Werk des überspannten Historismus. Hat man die historische Stadt dann aus nächster Nähe abgewägt, so mag schon wieder Verblüffung herrschen. Dem Schicksal nämlich beliebte eine ohne weiteres sehr enge Verbindung mit der Burg! War die Stadt alleine durch den Schutz der Veste herangewachsen, nur wenig später als dieselbe urkundlich als Stadt bezeichnet (1259), so folgte sie nach dieser Freud’ auch im Leid. Der 30jährige Barbar schlug auch das Städtlein ohne alle Gnade nieder. Und wie nun die Burg keinen ernsthaften Wiedererbauer fand, so wollte auch Hausach selbst nicht mehr recht auf die Füße kommen. Die Stadt zerstört, die Bevölkerung durch Krieg, Krankheit und Hunger dezimiert — Hausach ward kraftlos gefunden, nur noch imstande in dörflich lockerer Manier, ferne aller städtischen Pracht zu neuer Existenz zu kommen. Als dann im 19. Jahrhundert auch die Stadttore abgerissen, erinnerte überhaupt nichts mehr an die mittelalterliche Blüte. Sehe man in Hausach das traurigste badische Beispiel einer durch die Stürme der Zeit verschwundenen Stadt! Ohne die entsprechenden Zeugnisse käme man dem dörflichen Bilde kaum auf eine städtische Vergangenheit! Ähnlich traurige Beispiele findet man merkwürdigerweise im nahen Hornberg (Gutachtal, Wanderungen Band ‘1‘) oder in Lichtenau bei Rastatt, in Boxberg und Königshofen (beide Band ‘2’) zwischen Mosbach und Wertheim.
     Das schönste Bauwerk der Stadt stellt das große Fachwerk-Rathaus, das im frühen 19. Jahrhundert erbaut. Im Stil der Zeit kommt das Fachwerk rein funktional, ohne Schmuckformen. Nichtsdestotrotz stattlich die lange Vorderseite, welche traufständig zwei Fachwerkgeschosse über eine Steinetage schichtet. Endlich ziert immerhin ein schlanker, hoher Dachreiter. Nicht ferne vom Rathaus der "Dom" der Stadtkirche. Ein Gebäu, gewaltig an Volumen, fragwürdig an Stilsicherheit. Ein typischer Historist, erbaut 1892-96. Alleine der Name des Baumeisters macht aufmerksam: Max Meckel. Meckel der Kirchenbauer Badens in ausgehenden 19. Jahrhundert. Gerne eiferte er der Gotik nach; gerne auch mit einigem Geschick. Freilich reichten seine Leistungen an die Originale des Mittelalters keineswegs heran; die Grundformen und Details ließen sich vom Historismus wohl kopieren, keinesfalls aber der eigentliche Geist und die notwendige Reife. Davon gibt denn auch das Hausacher Beispiel Zeugnis, welches obendrein nicht unter den besten Leistungen Meckels.
     Mag man ansonsten noch das "Herrenhaus" aus 1760 erwähnen. Ein barocker "Block", mehr durch Volumen als durch Fassadenschmuck auffallend. Sehr schöner Zierrat des 18. Jahrhunderts dagegen am "Kaplaneihaus", welches vor allem durch ein reich gearbeitetes Portal des Jahres 1784 gefällt: eine ungewöhnlich feine Rocaille-Arbeit.
     Kehren wir aber sogleich nochmal zum Historismus und seiner Fragwürdigkeit zurück. Man wird sich ihrer bei Betrachtung echter mittelalterlicher Werke vollends bewusst. Und ein solches kann im nicht fernen, talauswärts situierten Ortsteil Hausach-Dorf billig bewundert werden. Sankt Mauritius führt hier ein Werk vor allem der Spätgotik vor Augen, das ergreifen muss. Bei gelinder Größe ein Werk ausgebildeter Reife, die originalen Vorzüge der Gotik in ländlicher Manier beweisend. Zweifellos steht man hier vor einer der schönsten Dorfkirchen Badens, vor einer der anmutigsten gotischen allzumal.

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Auf romanischem Vorgänger des 12. Jahrhunderts fußend, von welchem sich wenige Partien nur erhalten konnten, ward vor allem 1515 im spätgotischen Stile ausgeführt. Und eben letzterer, bei barocken Umbauten und Ergänzungen des Inneren, steht auch heute glänzend vor Augen. Das Langhaus durchaus kurz, mit feinen Maßwerkfenstern und Eckquaderung, gefallend außerdem durch sehr spitzen Giebel und die Fachwerkeinhausung einer zweiläufigen Treppe an der schmalen Vorderseite. Der polygonale Chor mit kraftvollen Strebepfeilern, ebenso mit Maßwerkfenstern und ein wenig höher als das Langhaus. Am auffälligsten aber der schlanke "Finger" des Campanile, der auf der Südseite optisch zwischen Langhaus und Chor trennt. Auch hier feine Maßwerk-Spitzbogen, namentlich als Schallfenster. Der Korpus aus vier durch Gesimse gegliederten Abschnitten, das Dach ortstypisch in Sattelform, zwei schöne Dreiecksgiebel, keinesfalls aber Höhe suchend. Alle Gebäudepartien sind weiß verputzt, schenken aber zahlreiche sandsteinere Partien kontrastreich zur Anschauung.
     Am schönsten die Südseite, welche wie aus drei eigenständigen Baukörpern zusammengesetzt. Ja, als hätte man Langhaus, Campanile und Chor zum Zwecke eines Gotteshauses einfach aneinander geschoben. Das denn auch typisch für die originale Gotik. Nach kunstvollen Formen und Details ward überall getrachtet, die Veredelung unbedingt gefordert. Die Gottesbegeisterung ließ sich gerne etwas kosten. Und hier entstanden z.B. für die Maßwerkfenster oder Strebepfeiler im Laufe der rund 300jährigen Entwicklung der Gotik freilich immer reifere Leistungen. Als Entwicklung aus den romanischen Formen und keineswegs aus dem Nichts erscheinend waren aber auch schon die frühgotischen und alle folgenden Übergangsformen von unübersehbarer Schönheit. Zwischen zwei Hochzeiten europäischer Baukunst ward nämlich vermittelt, und man ließ sich Zeit für solche "Evolution".
     Der Stil der Gotik, der je länger desto entschiedener die Stringenz und Dynamik vertikaler Wirkrichtung — der Himmel war ja auch das hohe Ziel des Glaubenden — und damit auch der Auflösung der Baumassen nach oben hin erstrebte, er blieb freilich immer ein mittelalterlicher. Kühnheit der Konstruktion und Kunstfertigkeit im Detail wiesen wohl weit darüber hinaus; aber die Unbilden, Entsagungen, die Schwierigkeiten im großen wie im kleinen Leben, die allesamt dasselbe sprichwörtlich verkürzten, sie blieben diesem Geiste charakterbestimmend. Und wie sich die mannigfaltigen Lasten in jeder Existenz abbildeten, so freilich auch auf den dieselbe ohnehin immer und überall nachzeichnenden Bauwerken. Die andauernde Mühsal mittelalterlichen Lebens, sie fiel nicht zurück in die Barbarei aus der es gekommen; durch das allgemeine Christentum ward Lebenssinn genug um den Menschen und damit auch seine Bauwerke zu veredeln. Wo sich einst "Fuchs und Has’ gute Nacht wünschten", aufgescheucht allenfalls von sich durch das Dickicht der mitteleuropäischen Wälder windenden Germanenstämmen, da entstand im Mittelalter endlich (wieder) Kultur! Eine Kultur, die noch um alle Härten wusste, ja die auch Stolz genug, solche Härten noch anzuerkennen, zumal wo der Kunstwille für die mehr und mehr gewünschte Veredelung Sorge genug trug.
     Und genau in diesem Sinne machte man sich z.B. für Sankt Mauritius nicht das mindeste daraus, dass die drei Baukörper Langhaus, Campanile und Chor unvermittelt, durchaus unkünstlerisch aufeinanderprallten. Und das Bild, neben den mannigfaltigen Kunstgriffen nun auch von einer Herbheit im Gesamtaufbau profitierend, gibt noch heute Recht. Kunst und Unbekümmertheit, die Härten eher suchte als fürchtete, sie das Markenzeichen der mittelalterlichen Baukunst! Kommen wir nochmal auf den Historismus zurück, so lässt sich für denselben eine unbedingt zu vermeidende Härte konstatieren, welche seinerzeit nämlich ohne weiteres für unschick(!) genommen. Damit aber musste der originären Wirkung das eine der beiden Standbeine wegbrechen! Darum immer der Eindruck von Halbheit, welcher überdies noch im Makel eines wenig geistreichen Kopierens.
     Hoch über Hausach, auch deutlich höher als Burg Husen mag man noch den steilen Weg zu einer einfachen barocken Kapelle auf sich nehmen, um die Schönheiten Hausachs endgültig als einen lustig gestreuten Fleckenteppich zu begreifen. Viele Kilometer hat man abzulaufen um von der Burg in die Stadt, von der Stadt nach Sankt Mauritius und von der Kirche zur Kapelle zu gelangen. Hier oben aber genießt man dann eines wunderbaren Blickes in den Norden; das zurückhaltende Gotteshaus im Rücken, umschlossen von Wald — eine malerische Atmosphäre, und freilich auch ein glänzender Schlusspunkt.


Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage  www.hausach.de
4) Website  www.burgeninventar.de
5) Informationstafeln vor Ort

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