Baukunst in Baden
  Adelsheim
 

ein Bild

Karl Julius Weber lobt in den Briefen seiner Reise durch das Großherzogtum Baden Adelsheim für dessen sehr schöne Situierung. Eine Einschätzung, der sich der Autor vorbehaltlos anschließt! Am Zusammenfluss der beiden Bachläufe Kirnau und Seckach, in einem heimeligen Tal und umgeben von bewaldeten Hügeln, war die "Platzierung" Adelsheims seit jeher eine überaus glückliche. Indessen gewahrt man ihrer am besten aus Richtung Mosbach kommend, nämlich einen jener grünen Hügel zur Abfahrt nutzend.
     Anschließend jedoch hält Weber nur noch verdrießliches bereit, indem er nämlich das kleine als ein armseliges Städtchen bezeichnet. Aber werten wir Webers Urteil gelassen — zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz beeinflusst von der Spötterei der französischen Philosophen um Voltaire, lies auch er keine Gelegenheit aus jener aufklärerischen Mode zu folgen: Spott gerne um des Spottes willen (Goethe nannte diese Art die "Zweifelsucht" ).
     Aber wie dem auch sei, der Autor jedenfalls will sich diesem Urteil keineswegs anzuschließen. Das kleine Adelsheim, seit 1374 mit Stadtrechten, ausgestattet gleich mit zwei Schlössern und befestigt mit Mauern und Türmen, separierte sich seinerzeit noch schärfer von der reizvollen Umgebung; das hart definierte Menschenwerk im Kontrast zur umfangenden Natur und zum Teil von tief einschneidenden Bächen umflossen, das muss auch aus nächster Nähe ein ergreifendes Bild gewesen sein.
     Immerhin aber muss auch der Autor eine gewisse Befangenheit einräumen. Adelsheim nämlich ist für ihn nicht irgendein Städtchen, sondern das seiner Großeltern, ein Ort der Kindheit. Nach einer langen Odyssee, die 1944 in Ostpreußen ihren Ausgang nahm, fanden meine Großeltern außerhalb der Altstadt (auf einem der umgebenden Hügel) in einem typischen Siedlungseinfamilienhaus der 50er Jahre endlich die bleibende Wohnstätte. Über viele Jahre, zu Ferien-Zeiten, verbrachte ich hier eine Anzahl meiner Kindheitstage. Da sich damals sämtliche Geschäfte in der Altstadt befanden, kam ich zusammen mit den Großeltern häufig hinter die ehemaligen Stadtmauern. Bis heute unvergessen das Aufsuchen des Müllers mit meinem Großvater. Er besaß ein mir riesig erscheinendes Gebäude vor allem aus Holz — es war mir wie ein Buch mit sieben Siegeln (das Gebäu existiert heute nicht mehr).
     Zum Älterwerden trat gewisse Selbstständigkeit, will heißen ich durfte ab einem bestimmten Alter alleine in die Stadt. Neben dem Spielzeugladen ("Hohmann" — er immerhin besteht noch) wurde mir das Betreten der Stadt von der Südseite aus zur markantesten Kindheitserinnerung der Adelsheimer Altstadt. Und das nicht von ungefähr, denn damals wie heute ist es die schönste Seite Adelsheims, nur dass ich damals die Schönheit eher intuitiv begriff und vor allem mit den beiden hier zusammenfließenden Bachläufen verband. Eine Allerwelts-Betonbrücke schlägt hier den Bogen vom Vorort zum ehemals befestigten Teil der Stadt. Viel aufregender, der tief unter ihr durchfließende Bach, welcher, in einem Bogen aus dichter Vegetation kommend, mehrere Wasserfälle ausbildet.

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Ein Strömen und Rauschen und darüber das alte OBERSCHLOSS, ein gewaltiger gotischer Fachwerkbau, einer der schönsten Fachwerkbauten Badens, mit einem fünfseitigen über zwei Geschosse reichenden Erker, welcher optisch vom Adelsheimer Wappenmännchen (aus dem Jahre 1504) getragen wird. Damals flößte mir das große Bauwerk einigen Respekt ein, heute dagegen erfreut mich dessen unübliche Dimension und nicht minder das schmuckvolle fränkische Fachwerk, das nach zwei Steingeschossen das dritte Geschoss und die hohen Giebel ausfüllt. Rechter Hand (weiterhin von der Brücke aus) besitzt es ein noch weiter aufwertendes Zwerchhaus, gleichfalls in Fachwerk.
     Irgendwann entdeckte ich am rechten felsigen Ufer und in einiger Entfernung eine bemalte Statue, die halb versteckt vom Gestein und der Vegetation zu mir rüber lugte. Nun war mir dieser Ort endgültig ein geheimnisvoller geworden. Was nur hatte es auf sich mit dieser vereinzelten Skulptur? Wann immer ich fortan über die Brücke schritt spähte ich nach ihr; dazu das Getöse des Baches und das hochaufragende Schloss — alles zusammen hatte etwas Schauerliches, und ich genoss es.
     Auch der Blick von der anderen Brückenseite verlohnt(e) sich, auch hier der sich räuspernde Bach, auch hier ein Blicke forderndes Bauwerk. Es war mir schon seinerzeit ein lustiges Gebäude, ein RUNDTURM der ehemaligen STADTBEFESTIGUNG und zugleich deren bedeutendstes Zeugnis. Der untere Abschnitt aus graugelbem Bruchstein, das oberste Geschoss auskragend und in feinstem Kontrast aus Fachwerk, gedeckt von einem geschieferten Zeltdach. Der Turm mag nicht durch seine Größe oder Wehrhaftigkeit beeindrucken, umso mehr aber durch seine seltene Schönheit. Neben ihm ergänzt ein schuppenartiges kleines Gebäude wiederum aus Fachwerk. Auch der Hintergrund gefällt: Fachwerk und zurückhaltender Barock.
     Im Ganzen wirklich ein trefflicher Stadtprospekt. Rechts das alte Oberschloss, links der Turm, Fachwerk hier, Fachwerk dort, dann ein von Vegetation eingenommener schmaler Uferstreifen und darunter schließlich der kaskadenartige Bachlauf. Auch die dem Turm gegenüberliegende, freilich von einer Straße abgetrennte Seite vermag zu gefallen: eine Reihe von Fachwerkhäusern.
     Die über die Brücke führende, vielbefahrene MARKTSTRASSE (Hauptstrasse) hat dem Ort sehr geschadet. Die Enge der mittelalterlichen Verhältnisse war natürlich nicht ausgerichtet auf die Zukunft einer autogerechten Stadt. Sie spaltet den Stadtkörper förmlich in zwei Hälften — und durch eine kurze aber entschiedene Kurve verhindert sie erst im letzten Moment den Zusammenprall mit der barocken evangelischen Stadtkirche! Die Straße macht auch darüber hinaus keinen guten Eindruck — traurig, eine späte Einlösung von Webers Urteil! Man hat die sie säumenden Gebäude nämlich "saniert", was nichts anderes bedeutete als Abriss der historischen Substanz und Neubau modernistischer Identitätslosigkeit. Nur die allerschönsten historischen Bauwerke konnten sich retten.

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Ihre Schönheit mag über die Gebäude selbst hinausstrahlen, jedoch vermögen sie nicht einmal unter größter Anstrengung die sonstige Hässlichkeit zu übertünchen. Vom Oberschloss sprachen wir bereits, auch die EVANGELISCHE STADTKIRCHE ward bereits gestreift. Letztere kam 1766 an Stelle einer kleinen gotischen Kapelle in Bau. Am schönsten die reich verzierte Giebelseite mit schmucken Öffnungsrahmungen, zwei seitlich begrenzenden Pilastern, einem geschweiften Giebel und hohem kunstvollem Dachreiter mit Zwiebeldach. Die Hauptstraße führt derart eng an dieser Seite vorbei, dass man den hier befindlichen Haupteingang aufgeben musste; er war nur noch unter Lebensgefahr zu benutzen. Schräg gegenüber der Kirche das dritte Gebäude im Bunde der Überlebenden: das RATHAUS, ausgeführt 1619 im fränkischen Fachwerkstil. Das Fachwerk beginnt bereits im Erdgeschoss, und wiewohl sehr reizvoll nimmt es sich weitgehend zurück — auffälligste Ausnahme der Giebel mit zwei Halbkreis-Fenstern und mehrfacher Anwendung der Strebenvariation "der Mann".
     Von der Marktstrasse um viele Meter zurückgesetzt findet man das UNTERSCHLOSS, das vom kurpfälzischen Baumeister Johann Jakob Rischer in den Jahren 1734-38 ausgeführt wurde. Rischer also, der sich über Heidelberg hinaus einen sehr guten Ruf erarbeitet hatte. Neben zahlreichen beachtlichen Bauten in Heidelberg (u.a. die Hofapotheke — eines der besten barocken Stadthäuser Badens) führte er auch die Schlösser zu Binau und Bödigheim aus. Rischer reüssierte sowohl bei prunkvollen ornamentreichen Bauten als auch bei zurückhaltenden, wenig ausgeschmückten. In Binau, Bödigheim und Adelsheim wurde letzteres eingefordert.
     Das ruhige, gelb leuchtende Schloss, dreistöckig und von unregelmäßiger Hufeisenform nutzt noch Grundmauern des 1733 niedergebrannten Vorgängerbaus, der alten Veste in Gestalt einer Wasserburg und Stammsitz der Adelsheimer Reichsritter. Bis zur badischen Einverleibung zu Beginn des 19. Jahrhunderts befanden sich Stadt und nähere Umgebung in Besitz des Rittergeschlechtes. Die heutigen Nachfahren sind zwar nicht mehr häufig in Schloss und Stadt, erfreuen sich aber dennoch aufgrund einiger großzügiger Gesten (u.a. Gebäude-Abtretungen) und dem gewissenhaften Erhalt ihres Gebäudebestandes einer allgemeinen Beliebtheit. Offenkundig fühlt man sich auch heute noch der Stadt gegenüber in Verantwortung — und das nirgendwo auf anstößige Weise. Nur eines lässt man leider nicht zu, nämlich die Begehung des Schlossparks, weshalb ein sommers von Vegetation verstellter Blick durch das schmiedeeiserne Tor genügen muss. Als Kind stand ich immer wieder vor diesem Tor. Man kann sich leicht ausmalen, dass es mir in seiner bulligen, durchaus noch burgartigen Ausstrahlung und umgeben von den Bäumen des SCHLOSSPARKS vor allem etwas Verwunschenes ausstrahlte.
     Für die Seitenstrassen und Gassen gilt leider das der Hauptstrasse entsprechende: nur vereinzelt noch wertvolle historische Substanz. Noch am ansehnlichsten die Partie zwischen den beiden Schlössern, wo nämlich am meisten erhalten, darunter die alte ZEHNTSCHEUER. Auf der anderen Seite der Marktstrasse ein wenig erbauliches Bild. 

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Man klammert sich an wenige Fachwerkbauten und Reste der mittelalterlichen Raumführung, welche hier und da in heimeliger Winkeligkeit auch bei Besatz durch modernistische Häuser noch gewisse Reize bereit hält. Unlängst wurde das Fachwerk-Rathaus erweitert. Alles glänzt und blitzt noch und erhält deshalb einigen Zuspruch, obwohl jeder spürt, dass der gewaltige Block im Stil unserer Tage auf Einpassung nicht viel gibt. Wenn der Reiz des Neuen verflogen ist, wird er das Schicksal aller modernistischen Vorzeigebauten teilen: Belanglosigkeit, ja Ablehnung. 
     Der Modernismus denkt nur in detailarmen, dafür umso größeren Flächen, denen nichts ein schlimmeres Gift als das zwangläufige Altern. Im Gegensatz zu den detailreichen Bauten unserer Altvorderen zeichnen sich auf den leeren Flächen (gilt im übrigen auch für die gefeierten Glasfassaden) die hundsgewöhnlichen Schmutzablagerungen bestens ab, bilden geradezu eine Bühne für diese Unbilden aus. Die Bauten des Modernismus altern nicht mit Würde, mit Patina — gleich dem industriellen Fertigprodukt "verrotten" sie vielmehr. Und so sei es dem Modernismus auch an dieser Stelle zugestanden — fürwahr, wie bist du doch zeitgemäß!
     Am Ostrand der Altstadt, unweit des Rundturmes blieb ein Teil der STADTMAUER auch in alter Höhe erhalten und wird spannungsvoll von aufsitzenden FACHWERKBAUTEN abgeschlossen. Das war's dann aber auch; fehlt nur noch die ehemalige Hauptkirche. Sie stellt eines der bedeutendsten Gebäude der Stadt und liegt ungewöhnlich weit vor den ehemaligen Mauern der Stadt: die spätgotische JAKOBSKIRCHE von 1489, errichtet auf den Fundamenten eines romanischen Vorgängers. Von außen die typische landgotische Schönheit, allenthalben feine stilgerechte Details und der Spitzbogen, alles aber stämmig und rustikal, also ohne den kühnen himmelwärts strebenden Charakter, den wir in Gestalt der Dome, Münster und Kathedralen beim Klang des Wortes Gotik vor Augen haben. Aber das ist keineswegs Schaden, vielmehr die korrekte Widergabe der Verhältnisse — der Geldbeutel vor allem beflügelte die Leichtigkeit der Konstruktion. Das Kraftvolle und Nüchterne der Landgotik darf aber neben der empor fliegenden Großstadt-Gotik als eigene Variation höchsten ästhetischen Ansprüchen genügen. So auch die Jakobskirche. Noch wertvoller ihr Innenleben, das gespickt von Grabmalen der Ritter und Freiherren zu Adelsheim, ein Kleinod von seltener bauhistorischer Bedeutung.
     Die Jakobskirche dient dem benachbarten Friedhof zur Abhaltung der Abschieds-Gottesdienste. Und hier schließt sich auch der persönliche Kreis. Seit den Kindheitstagen, den reizvoll schauerlichen Momenten auf der Adelsheimer Brücke sind viele Jahre vergangen. Zu früh starb mein lieber Großvater, die Kriegsverletzung obsiegte schließlich doch; einiges später dann auch die geliebte Großmutter. Sie blieben in Adelsheim und wurden von uns in eben jener Jakobskirche verabschiedet. Der christliche Anker spendet Hoffnung, ja vielmehr Zuversicht. Beim Gedanken an Adelsheim aber mischt sich seither Trauer über die Unwiederbringlichkeit des irdischen Momentes bei.

Die schönsten Fachwerk-Schlösser in Baden-Württemberg findet man übrigens in Tübingen und Balingen, die Gefälligkeit des Oberschlosses noch überbietend.

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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage  www.adelsheim.de
4) Informationstafeln vor Ort
5) Karl Julius Weber: "Reise durch das Großherzogtum Baden", Steinkopf Verlag, Stuttgart 1979


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