Baukunst in Baden
  Pforzheim
 


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Pforzheim gehört zu den größten und bedeutendsten Städten Badens. Die urkundlich gesicherte Historie der Stadt, welche schon im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt von den Römern gegründet, hebt ab 1067 an. Bereits 13 Jahre später erhält sie das begehrte Marktrecht. Auch fortan geht es stetig bergauf. 1150 eigens die Anlage einer Neustadt westlich des alten Siedlungskörpers; auch dieser Stadtteil, rechtlich vom ursprünglichen getrennt, erhält alsbald das Stadtrecht. Im 14. und 15. Jahrhundert dann veritable Blütezeit, reiche Patrizier. 1455 erblickt hier Johannes Reuchlin, der große deutsche Humanist das Licht der Welt. Dann nurmehr der nächste Höhepunkt, 1535-1565 finden die badischen Markgrafen (der später baden-durlachisch genannten Linie) hier ihre Residenz. Zwar sollte Pforzheim diese Ehrenfunktion wieder verlieren, namentlich an Durlach, keinesfalls aber die entsponnene Attraktivität. Festgehalten ward sie durch den berühmten Kupferstecher Matthäus Merian, der die Stadt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Bild brachte - ein Prospekt ausgemachter Schönheit, eine Landschaft aus Stadt, durchschneidenden Flussläufen (Enz und Nagold) und umgebender sanfter Hügelwelt. Eine der spannungsvollsten badischen Stadtansichten Merians; man will ihr ohne weiteres die Bedeutung Pforzheims entnehmen.
     Das 17. Jahrhundert freilich, das Jahrhundert der Drangsale, meinte es auch mit Pforzheim gar übel. Erst der 30jährige Krieg, ausmergelnd; dann der Pfälzische Erbfolgekrieg ab 1689, welcher die Mannschaften des Sonnenkönigs gleich zu dreifacher Ausplünderung, am Ende zur völligen Niederbrennung/Zerstörung der Stadt anreizte. Die Stadt also lag danieder, der erste große Tiefpunkt Pforzheims. Alleine sie lag günstig an Verkehrsströmen und blieb hinter der Residenz Durlach (bald Karlsruhe) die wichtigste Stadt der Markgrafschaft Baden-Durlach. Die Stadt also berappelte sich. Endlich, 1776, legte Markgraf Karl Friedrich den Grundstein zu namhafter Industrie, gar zu neuerlicher Glanzzeit. Bald schon sollte sie wichtige Fabrikationsstätte erst der Markgrafschaft dann des deutlich vergrößerten Großherzogtums sein. Ein Ruhm fortwirkend bis auf den heutigen Tag. Pforzheim prosperierte, wuchs an Schönheit und Stadtumfang, ward dank ihrer namhaften Industrie gar auf Europas Landkarte vermerkt.
     Kurzum besser hätte es gar nicht laufen können, eine Erfolgsgeschichte von A-Z, unterbrochen nur kurz wie unnötig durch des Sonnenkönigs Narretei. Fürwahr eine Stadt, glänzend, ein Juwel in Badens Krone.

Ein Beispiel für die Brüchigkeit, die leichte Vergänglichkeit des Menschenwerks gefällig?  22 Minuten! 
22 Minuten reichten um Pforzheim vom Angesicht der Erde zu tilgen!
 

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1945, die Tage fälliger Vergeltung. Der Krieg war lange schon entschieden. Der Verlierer aber, im Taumel eines Wahns, wie ihn die Menschheit noch nicht gesehen, er wollte einfach nicht aufgeben, krisch den "Totalen Krieg". Ungemach nur, dass der fast nur noch auf deutschem Boden Gelegenheit nehmen konnte. Deutschlands Städte, verteidigt von einer "handvoll" Flags, die Luftwaffe nur noch in der Propaganda, zerbarsten unter den Luftangriffen der Allierten; eine nach der anderen. Und nun war Pforzheim an der Reihe: 23. Februar, 22 Minuten, Pforzheim verschwunden, 20.000 Menschen tot.
     Das ist keine billige Übertreibung, Pforzheim war tatsächlich verschwunden. Nachdem man tagelang vor Feuer und Rauch kaum sehen konnte, ohnehin nur froh um die Beute des eigenen Lebens, fand man in der Innenstadt schlicht und ergreifend nichts mehr. Pforzheim, umgeben von Hügeln, war selbst nur noch ein Haufen, kohlrabenschwarz, kantig, spitz aufragende Mauerreste. Nur wenige Städte in Deutschland wurden so zielsicher, alles vernichtend getroffen.
     Auch das Herz musste einem zerbersten. Über die Toten natürlich, welche nun unaufhörlich aus den Trümmern gezogen (so man ihrer noch habhaft werden konnte). Später dann über die zerstörte Existenzgrundlage — bald schon ward der Trümmerhaufen namens Pforzheim eingenommen von der französischen Armee — die quälende Frage jener Zeit: wie nur sollte es weitergehen? Irgendwann auch, zurecht viel später, über die untergegangene Schönheit, eingedenk der Not der Nachkriegsjahre verschwunden wohl für immer. Und doch musste die Stadt wieder aufgebaut werden, der vielen Obdach suchenden Menschen wegen. Kümmerlich wie überall die ersten Anfänge. Dann das große Aufatmen, das sich Bahn brechende Wirtschaftswunder — kümmerlich aber, nun freilich auf ganz andere Weise, blieb's trotzdem.
     Pforzheim war untergegangen, das schöne, annehmende Pforzheim war untergegangen. Die Stadt erstand wohl auf's neue, das schöne, annehmende Pforzheim aber, es war ein für allemal untergegangen. Der Bereich der Innenstadt wurde zum Tummelplatz, zur Spielwiese des Modernismus. Und der hatte alles im Sinne — die verkehrsgerechte Stadt, die Funktionalität der Stadt, den zeitgemäßen Ausdruck — nur eben eines ganz bewusst nicht, weil nur noch als vollendet überflüssig, ja geradezu als sträflich erkannt, eine Stadtgestalt nämlich orientiert an Regeln der Harmonie, der kunstgewirkten Ästhetik.

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Nein, aber der Modernismus würde alles logischer, verständlicher und ohnehin besser machen als die Stadt der Historie: statt dem Wirrwarr (eigentlich Lebendigkeit) unterschiedlichster Gebäude, Ruhe und Übersichtlichkeit der Struktur (riesige "Klumpen" von Gebäuden, bar jeden Reizes) — statt "kitschiger", verspielter Fassaden (eigentlich detailreich, damit die Natur nachahmend und bedacht auf Versöhnung des Auges), die glatte technische Gestalt der Maschine (kalt und steril, gefühlstot). Ja, wir feierten das Zeitalter der Maschine, sollte also der zeitgemäße Ausdruck der Fassaden unseren Maschinen entlehnt sein. Der Mensch, von der Industrie mehr und mehr zum anonymen Rädchen deformiert, er sollte dienen an Maschinen und, der zeitgemäße Ausdruck fand`s passend, auch arbeiten und wohnen in Maschinen. Die Logik des Prozesses immerhin war schlüssig. Oder nicht?
     Deutschland, mit wohligem Gefühle als ein Land der Kultur ausgerufen, ja gerne als Land Goethes und Schillers verstanden. Versteckspiel, oder schlimmer Phrasendrescherei! Andernfalls nämlich würde man hören was insbesondere Goethe, als Autodidakt in Fragen der Baukunst bestens unterrichtet, uns mitzuteilen hat. Seinerzeit jedenfalls nahm man ihn tatsächlich ernst, was nicht weniger als den Durchbruch des Klassizismus zur Folge hatte! 
     Neben der von ihm gepriesenen Antike fand auch die Gotik sein großes Gefallen. Letztere vor allem interessiert hier, weil sie nämlich in Gestalt der Kathedralen gleichfalls mit enormen Baumassen umzugehen hatte. Lese man doch Goethes Beschreibung des Straßburger Münsters um einen Begriff zu bekommen von den Möglichkeiten, auch Pflichten eines  Bauwerkes. Aus derselben auch das folgende Zitat: "Soll das Ungeheure, wenn es uns als Masse entgegentritt, nicht erschrecken, soll es nicht verwirren, wenn wir sein einzelnes zu erforschen suchen, so muss es eine unnatürliche, scheinbar unmögliche Verbindung eingehen, es muss sich das Angenehme zugesellen. Verharren wir aber bei unserer Abstraktion und denken uns diese ungeheure Wand ohne Zierraten ..., so wird das Ganze zwar ernst und würdig, aber doch immer noch lästig unerfreulich und unkünstlich erscheinen."[1] Zusammengefasst also bedarf die Gebäudemasse für einen angenehmen Ausdruck der Anbringung von Fassadenschmuck. Eine schallende Ohrfeige für den Modernismus, welcher auch in Pforzheim allenthalben mit riesigen Massen (vertikal und horizontal) bar der von Goethe geforderten Vermittlung penetriert. Eine Ohrfeige freilich, weil nicht ernst genommen, die glatt ins Leere schlägt.

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Da wir aber einmal mit Deutschlands Geistesgrößen begonnen haben und selbst wenn es nichts nutzt: Theodor Fontane "Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverän und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe."[2] Oder wie wäre es mit Immanuel Kant? "Ohne die Erfahrung des Schönen bleibt die Rationalität unerfüllt".[3] Und Hegel, als er vom berühmten 'Ende der Kunst' sprach, die Verkleidung des Kunstwerkes ablehnte, da hatte er, in Berlin lehrend, die in der Ausführung befindlichen Bauten Schinkels vor Augen, welche wohl von klarer Struktur, aber keineswegs die Ausschmückung verleugneten; letztere freilich weit zurückhaltender als die von Hegel gegeißelte Ornamentüppigkeit des barocken Vorgängerstils. Kurzum in der Bescheidenheit des Klassizismus, in den Stilregeln der Antike, sah er ein Minimum, welches zu unterschreiten nicht einmal denkbar.[4] Und endlich Nietzsche, und dabei denken wir an die Wahrheiten, welche die Modernisten so gerne anbieten: die Wahrheit der Konstruktion, die Wahrheit des Materials und natürlich die Wahrheit von Form und Funktion, "Die Wahrheit ist hässlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen."[5]
     Eine schallende Ohrfeige nach der anderen. Und dennoch völlig belanglos. Der Modernismus hat auch so seine Bücherverbrennungen, subtiler freilich, unauffälliger, nur im Geiste. Oder wie kommt`s ansonsten, dass wir seit Jahrzehnten Planern hinterherlaufen, Planern, deren Namen wir schon wieder vergessen — und Goethe, Fontane, Kant, Hegel, Nietzsche gelten unserem Handeln nichts? Oder ist es am Ende tatsächlich wie wiederum Goethe verzweifelt ausruft "Denn man verdient wenig Dank von den Menschen, wenn man ihr inneres Bedürfnis erhöhen, ihnen eine große Idee von ihnen selbst geben, ihnen das herrliche eines wahren edlen Daseins zum Gefühl bringen will. Aber  wenn man die Vögel belügt, Märchen erzählt, von Tag zu Tag ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man ihr Mann."[6]
     Protest? Dann gehe man doch in Pforzheims Innenstadt und nehme den Widerspruch ernsthaft auf die Lippen. Oder will man etwa die Augen verschließen und nach dem Strohhalme greifen, dass jene Geistesgrößen Menschen einer weit zurückliegenden Vergangenheit? Nein, wir sehen in Goethe und Kant zurecht Begründer, in den anderen dreien zumindest wichtige Vertreter der Neuzeit. Wenn auch das ohne Bedeutung, ja dann mache man endlich ernst und verbrenne deren Werke nicht nur im Geiste! Und werfe man Adorno und Heidegger gleich hinterher, zwei der wichtigsten Philosophen des unlängst vergangenen Jahrhunderts, welche sich zu den ihnen tatsächlich vor Augen stehenden modernistischen Bauten ganz ähnlich äußerten.
     Immer und zu jeder Zeit hat sich die Kultur eines Landes, einer Bevölkerung ganz direkt in ihren Bauwerken abgebildet. Oder haben Athens Philosophen zu Füssen von Holzverschlägen gepredigt, oder war Rom nur ein billiges Gemäuer — oder, um ein Beispiel ganz anderer Kategorie zu wählen, hat sich der Größenwahn Nazi-Deutschlands in gefühlvolle Stadtplanung geschmiegt?

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Ein schönes Pforzheim existiert nicht mehr, dagegen eine Räuberhöhle des Modernismus, entfesselt und exstatisch. Niemand bremste. Denn man wollte so modern sein wie nur irgendwie möglich. Ärgerlich genug, dass hier und da die alte kleinteilige Grundstückseinteilung beizubehalten war, dass man den alten Stadtgrundriss nicht völlig unberücksichtigt lassen konnte. >Zum Teufel damit, wenn man uns nur wirklich rangelassen hätte!< Die Gesichter aber der Gebäude, die Fassaden, kompromisslos modern. Ein Bilderbuch modernistischer Strömungen, allen gemeinsam die Ablehnung der Jahrhunderte, nein der Jahrtausende alten Grundsätze der Gestaltung, der Ästhetik im allgemeinen. 
     Schaue man nur ganz genau hin, lasse man es lange auf sich wirken und spreche dann allen Ernstes von Kultur, von einem Deutschland Goethes und Schillers. Und halte niemand die Pforzheimer Innenstadt für ein außergewöhnliches Unglück, nein, die aufgefahrenen Maschinen (oder Bauten) sind nicht schlechter, nicht besser als andernorts — das Besondere ist nur die Dichte, die Reinheit der Idee, das lange Zeit bewunderte Fehlen historischer Substanz. Pforzheim ist Lehrstück, Vorzeigeexempel des Modernismus.
     Und dennoch, ein wenig abgerückt von der "Apparatur" der Haupteinkaufsstraße überlebten zwei bedeutende Bauwerke aus alten Tagen. Welch' Narretei, ja Ärgernis! Spott immerhin, dieser "Kitsch", für die siegreichen Modernisten. >Ja will man diese Kümmerlichkeiten wirklich stehen lassen — was seid ihr doch für Ewig-Gestrige! Kirchen? Dieser elende Aberglauben — der verschwindet ohnehin in Kürze! Die Grablege der badischen Markgrafen? Noch so ein Anachronismus! Ein romanisches Kleinod, echte Seltenheit? Ja hat man denn gar nichts kapiert — wer braucht denn so etwas?! Das Überbleibsel eines Klosters? Lächerlich, darauf muss man nun wirklich antworten!< Die modernistische Architektenschaft, atheistisch wie nur wenige Berufszweige (ein Lob, oder?), wäre sich natürlich nicht zu schade gewesen diese Kirchen neu zu erbauen. Der Kirchenbau boomte ohnehin, Aufträge, die man nur allzu gerne mitnahm, auch wenn man mit dem umbauten Inhalt rein gar nichts mehr anfangen konnte.
     Dennoch die beiden Kirchenbauten, trauriger Überrest der einst schönen Stadt, sie hielten Stand. Die auch hier vorhandenen und zum Teil schweren Kriegsschäden wurden ausgebessert, die Bauwerke am Ende herausgeputzt. Und nun stehen sie da — wenn nicht alles andere so niederschmetternd wäre, geradezu ulkig. Wie zwei liebe Äffchen in einem Streichelzoo. Und fürwahr, man möchte zu ihnen gehen und diese ganz andere Welt liebkosen.
     Zunächst die ehemalige BARFÜSSER-KLOSTERKIRCHE, respektive der Chor des Gotteshauses, denn mehr überstand die schlimmen Zeiten nicht. Merkwürdig, aber interessant anzusehen, wie sich der gotische Chor signifikant als eigenes Gebäude zu erkennen gibt. Zurückhaltend, gelb verputzt, man gewahrt die typischen Maßwerkfenster und Pfeiler, dazu einen lustigen, schlanken Treppenturm in Rundform. Ein ansehnliches Gebäu zwar, in einer Stadt wie Weinheim, Gengenbach oder Villingen aber kaum der Rede wert, dagegen hier in Pforzheim tatsächlich eine Hauptsehenswürdigkeit.

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Auf dem Wege zur zweiten Kirche lugt ein Turm zwischen Häusern hervor. Er gehört zum Polizeirevier, phantasievoll entworfen in Tagen des Historismus (Ende 19. Jahrhundert). Ein verspieltes Ding aus rotem Sandstein, auch bemalt, mit Wichhäusern und barockisierendem Dach.
     Dann aber steht man vor einem der schönsten Bauwerke Badens und will sich wohl verwundern dasselbe ausgerechnet in modernistischer Wüstenei zu finden. SANKT MICHAEL erbaut in Etappen vom 13. bis ins 15. Jahrhundert, auch Grablege der badischen Markgrafen (und mit den entsprechenden, wertvollen Epitaphen versehen) Ein schönes Pforzheim existiert nicht mehr, dagegen eine Räuberhöhle des Modernismus, entfesselt und exstatisch. Niemand bremste. Denn man wollte so modern sein wie nur irgendwie möglich. Ärgerlich genug, dass hier und da die alte kleinteilige Grundstückseinteilung beizubehalten war, dass man den alten Stadtgrundriss nicht völlig unberücksichtigt lassen konnte. >Zum Teufel damit, wenn man uns nur wirklich rangelassen hätte!< Die Gesichter aber der Gebäude, die Fassaden, kompromisslos modern. Ein Bilderbuch modernistischer Strömungen, allen gemeinsam die Ablehnung der Jahrhunderte, nein der Jahrtausende alten Grundsätze der Gestaltung, der Ästhetik im allgemeinen.  ein Werk halb romanisch, halb gotisch, das so recht und wie kein anderes vom alten, vom untergegangenen Pforzheim erzählt. Das umso mehr, als in Verbindung mit Sankt Michael zwei kleine Gebäude, eines im barocken, das andere im Renaissance-Stil (der triste Überrest des Pforzheimer SCHLOSSES), den hier wundersamen Sprung ins 21. Jahrhundert wagten. Außerdem ergänzt ein Park. Begibt man sich nun in diesen, die Kirche der Länge nach im Blick, ergänzt auf der rechten Seite von den beiden anderen Bauwerken, so erhascht man den letzten Blick auf einstiges Pforzheim, die letzte schöne Ansicht der Stadt (im Rücken übrigens schon wieder bleckender Modernismus).
     Das dreischiffige Gotteshaus ist im Außenbau die feinste, aber recht sauber getrennte Mischung aus Romanik und Gotik. Zahlreiche Vor- und Rücksprünge gewinnen einen liebreizenden, beinahe verspielten Eindruck, mehr als diese Stilarten eigentlich erwarten lassen. Romanik und Gotik kommen hier keineswegs, wie von den Kathedralen bekannt, kühn und himmelstrebend, sondern in bodenständiger Machart, aufgewertet vor allem vom lebendigen Gebäudevolumen. Der polygonale Chor, die Vierung, sowie das Langhaus zeigen weitgehend Gotik, teils verputzt, teils aus rotem Sandstein. Merkwürdig noch, wie der mächtige Chor höher als das Langhaus. Zahlreiche Maßwerkfenster, einfache Streben, alles sorgfältig gearbeitet.
     Im Ganzen von erhabener Wirkung, übertroffen aber, oder besser tüchtig aufgewertet durch das vorzügliche romanische Eingangswerk. Man legte es breit und hoch an, beinahe kastenförmig, so dass der Betrachter, frontal davorstehend, vom Langhaus und seiner Vierung nichts mehr gewahrt. Ein Anblick, zusätzlich monumentalisiert durch die breite Freitreppe, zumeist aber durch den lustigen Kirchturm. Dieser aber wurde erst zwei Jahrhunderte später auf den romanischen "Kasten" gesetzt, ganz auf die linke Seite, dabei vergeblich auf das Pendant der anderen Seite wartend. Wohl kündigt er die Symmetrie auf, ja die Ausgewogenheit dieser Eingangspartie, und an realisierter Doppelturmanlage fände man gewiss mehr Gefallen. Dennoch aber entstand auf diese Weise ein wahrlich signifikantes Gebäu.

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Die Fassade, vertikal durch vier Lisenen gegliedert, mit Rundbogenfries als Übergang zum einfachen Satteldach, bringt im Gewände-Säulenportal ihr kunstvollstes Detail (elegant knickt sie einfach das umlaufende Fußgesimse des Fundaments für den Eingang in die Höhe).
     Die beiden Gotteshäuser, unweit voneinander, mit Sichtkontakt, von den umgebenden modernistischen Bauten verschieden wie es nur ein "verschieden" geben kann, erscheinen ganz lustig im Bunde einer Geheimsprache. Und die Geheimsprache, sie uns mittlerweile tatsächlich unbekannt, es ist die Baukunst.

     Manch' Leser wird sich gefragt haben, warum oben der Ausdruck namhafte Industrie verwendet wurde? Gewiss eine merkwürdige Geheimnistuerei, dieselbe aber zum Nutzen einer echten Schluss-Pointe. Die Industrie, welche Markgraf Karl Friedrich gründete, die auf`s glänzendste prosperierte, dergestalt, dass nicht einmal die Zerstörung des zweiten Weltkrieges, die auch vor ihren Gebäuden nicht stoppte, sie nachhaltig stören konnte, findet man in der Herstellung von Schmuck!
     Noch heute werden sage und schreibe 70% des Umsatzes der deutschen Schmuck- und Silberwarenindustrie in Pforzheim erwirtschaftet!
    Will man darüber nicht irre werden? Die Stadt, von Bedeutung für die deutsche Schmuckbranche wie keine andere, ist die hässlichste Stadt Badens, eine der hässlichsten Deutschlands! Pforzheim, in Anlehnung an jenen formidablen Erfolg "Goldstadt" genannt (ein Titel, der eingedenk der Stadtgestalt irreführender nicht sein könnte), intendiert durch ihre Industrie ganz vehement auf den Wert von Schmuck. Und was hat man für sich selbst, für das Stadtbild übrig? Einen Baustil, der nichts mehr ablehnt, nichts mehr verfemt als (Gebäude-)Schmuck! Welch' unglaublicher Widerspruch, und fürwahr ein selten überbotener! Wäre nicht alles so traurig, man könnte diese Geschichte als vortrefflichsten Witz verkünden.
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[1] Goethe: Gesammelte Werke Band 6 - Wahrheit und Dichtung, Bertelsmann 1954, S. 318 f, Hervorhebungen von mir
[2] Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg - Band 3 ,  Könemann 1997, S. 156
[3] Scruton, Roger: Kant, Herder/Spektrum, S.114 (Kritik der Urteilskraft)
[4] Vgl. Gessmann, Martin: Hegel, Herder/Spektrum, S.146. Der Autor nimmt hier allerdings den Romantizismus in den Blick, der aber zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht existierte. Was Hegel sah war preußischer Klassizismus. Hegel, verstorben 1831, konnte nicht einmal an Schinkels romantischer Spätphase Anteil nehmen.
[5] Nietzsche: nachgelassenes Fragment, Sommer 1888, Kritische Studienausgabe, München 1980, 13,500
[6] Goethe: Italienische Reise, F. Bruckmann 1925, S. 36


Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage  www.pforzheim.de
4) örtliche Informationstafeln
5) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Suevia" (siehe unten)

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Abschließende Worte aus Matthäus Merians Topographia Suevia: "Pforzheim liegt an den Grenzen des Kraichgaus und wird von der Enz, einem mittleren Gewässer, durchquert, das gar fischreich ist. An seinen Gestaden machen die umliegenden Wiesen und die nahe liegenden Berge, über die man zum Schwarzwald kommt, am anderen Ufer auch die fruchtbaren Äcker und schönen Gärten gewaltige Lust. Da dieser Ort an der Enz eine über alle Maßen lustige Lage hat, kann man ihn wohl einen Garten nennen.
     Pforzheim ist eine feine, wohlgebaute Stadt, die vorzeiten den Herzögen von Schwaben gehört hat, aber nach dem Tod von Herzog Konrad an die Markgrafen von Baden-Durlach gelangt ist. Schön anzusehen sind das alte Schloss wie auch die Kirche, in der das Begräbnis etlicher badischer Markgrafen stattfand."
     Schärfer kann ein Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart kaum ausfallen!

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