Baukunst in Baden
  Allerheiligen (Abtei)
 

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Ein guter Freund begleitete mich. Wir nahmen ab Baden-Baden die Schwarzwald-Hochstraße um eines der vortrefflichsten Naturschauspiele Badens zu bewundern. Entsprechend kam das eigentliche Ziel, die Klosterruine Allerheiligen förmlich aus dem Sinn — welch` ergreifende Ausblicke nämlich! Reißt nicht die so tief zu Füßen liegende Rheinebene alle Blicke an sich? Der Schwarzwald begreift`s wohl und lässt in manchem Abschnitt tiefe Einblicke zu, das Begonnene — Ehrfurcht und Erhabenheit — nurmehr bestärkend. In kluger Voraussicht hat man an den schönsten Aussichtpunkten Gastlichkeiten, zumindest aber Parkgelegenheiten geschaffen, und so versäumt niemand, und sei es auch nur für den kurzen Moment, das Innehalten und Gewahrwerden der Weiten, Höhen und Tiefen.
     Die schönste Stelle nun entbietet sich an der Hornisgrinde — und, kann man die Zeit nur irgendwie erübrigen, so besteige man diesen höchsten Berg des Mittelschwarzwalds. Von einem erst kürzlich restaurierten Aussichtsturme nämlich empfängt man bei günstigen Luftverhältnissen eine Aussicht, ob welcher man erst recht keine Begriffe mehr haben will. Aber auch der Gipfel selbst ist eine Attraktion — ein Plateau, baumlos, wie leergefegt — in Besitz genommen nämlich von der Kuriosität eines Hochmoores. Auch um dieses hat man sich viel Mühe gemacht, einen vortrefflichen Weg, welcher teils Holzsteg, über die glucksende Landschaft geführt. Das Plateau also verschmäht allen Baumbewuchs, und wehe dem Baume, der doch sein Glück versucht, wird er doch vom Moore alsbald zu einem kümmerlichen, geradezu jämmerlichen Wuchse verurteilt - nein, hier regiert unangefochten die wilde Wiese, Gras und Kraut, wohl manch` Gebüsch. Alles aber, was das wichtigste, vor einem Panorama, kaum schöner denkbar, der gipfelbesetzten Weite des Schwarzwaldes. Bis an den Horizont Höhenzug um Höhenzug, eine Tiefe der Landschaft.
     Irgendwann kamen wir dann doch zum ehemaligen Prämonstratenser-Kloster Allerheiligen, für welches man zuletzt viele der gewonnenen Höhenmeter wieder verliert. Der erste Blick auf die roten Sandsteinmauern gefiel uns recht gut. Ein bizarres Gebilde, zackig, eckig und kantig; kaum sind noch die Umrisse der Klosterkirche erkennbar, beinahe überall aber fahren Spitzen in die Höhe; hier ein Giebel, dort ein schlanker Treppenturm mit Zeltdach, und, was den  Ausdruck  schlechthin  befördert,  der  gotische  Spitzbogen.  Er  nämlich  dominiert  den  Anblick,  kommt  als  Chor-  und und Vierungsteilung, als Arkade (Trennung zwischen Haupt- und Seitenschiff) oder als Fensteröffnung. Ihm vor allem hat man das Markante zuzuschreiben, jenen künstlichen Kontrast zur umgebenden Natur, den Bäumen in der Enge des Tales; dazu das Rot des Sandstein, das den Kontrast zum Grün der Natur gar um das schärfste, das komplementäre Moment erweitert. So sind wir also fasziniert, so sind alle Besucher, die vielen Besucher, die das attraktive Tal in Augenschein nehmen, vom Anblick fasziniert.

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Alleine, bald schon rumorte und gärte es in mir, überdeckt wohl, je länger desto mühsamer, von der grotesken Szenerie. Es ist die Geschichte des Ortes, die Geschichte einer Abtei, welche sich in der Ruine ja gleichfalls abbildet. Man hat ihr übel mitgespielt, ihr angetan was man wollte — und zuletzt fauchte das Schicksal dazwischen, als hätte es die schlimmen Tage verkürzen wollen, die Erinnerung und den Schmerz tilgen.
     Ende des 12. Jahrhunderts stiftete die Herzogin Uta von Schauenburg, Hochadel ihrer Zeit, verwandt mit den führenden Herrscherhäusern, den Staufern und Welfen, höchste Prominenz also. Zu diesem Behufe konnte sie den von Norbert von Xanten 1120 gegründeten Prämonstratenserorden gewinnen. Bald darauf wurde mit dem Bau des Klosters, also der Kirche und den Klausurgebäuden begonnen. Alles gedieh, erst recht durch die Etablierung einer Wallfahrt, belegt seit dem späten 13. Jahrhundert; die umfangreiche erste Fertigstellung der Anlage allerdings beanspruchte beinahe 100 Jahre. 1470 und 1555 Rückschläge wohl, namentlich Brände, die an den Gebäuden zehrten, nicht aber an der Entschlossenheit. Dergestalt geprüft also die entsprechende Aufwertung von der Propstei zur Abtei in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Auch das folgende Jahrhundert schenkte dem Ort wie so vielen Klöstern dieser Epoche Blütezeiten, einen letzten Ausbau, welcher, gehalten im Stil des lieblichen Barock, freudvoll die mittelalterlichen Mauern schmückte.
     Zu dem Zeitpunkt allerdings hatte das Ungemach seinen Lauf schon vorbereitet. Als nämlich in der letzten Dekade des 18. Jahrhunderts die Köpfe der französischen Aristokratie körbeweise gesammelt wurden, und schließlich Napoleon die einst hehren Ziele der längst nur noch terrorisierenden, blutvergießenden Revolution zu bewahren sich aufschwang — als also das Blutvergießen endlich als ein europaweites Schauspiel Aufführung fand, da waren auch die friedlichen Tage von Allerheiligen alsbald gezählt. 

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Lange schon straßburgisch, gelangte es samt verbliebenem rechtsrheinischem Territorium des Hochstiftes Straßburg, und das bereits in erster Welle, an die diplomatisch glänzend agierende Markgrafschaft Baden. Ein Glanz, freilich, der für die Klöster der nach und nach übernommenen katholischen Gebiete vor allem Südbadens den gleichen Effekt hatte wie die Guillotine auf Frankreichs Hochadel : das Ende — schnell und plötzlich! 1802 schon für Allerheiligen — und, um Missverständnisse zu vermeiden, dabei wurden die Mönche zwar recht phantasielos vertrieben, keinesfalls aber leiblich versehrt.
     Das Kloster also samt seinem Besitz ging an die Markgrafschaft. Das in Teilen überaus kostbare Inventar lies sich wohl einkassieren oder peinlich verschachern — was aber mit dem großen Gebäudekomplex anfangen? Der rettende Einfall, gleichsam Patentrezept für alle Klöster, ward zum Glück alsbald erfunden. Helle Köpfe wohl waren im Schwange, den Rest lieferte der Zeitgeist: >Manufakturen sind in aller Munde und Manufakturen brauchen Gebäude und leerstehende Klöster sind Gebäude und Manufakturen also in leerstehende Klöster<. Ein Geniestreich! Was würde näher liegen? Ja, man wähnt sich beinahe schon bundesrepublikanisch.
     Es floppte, es floppte sogar gewaltig, ja es floppte wie etwas nur floppen kann — wie immer wenn helle Köpfe mehr glänzen als klug sind. Nachdenkliche Menschen hätten wohl gleich den Kopf geschüttelt, der Titelseiten-Streich nämlich hatte einen Haken: die Infrastruktur. Der vielschichtige Klosterbetrieb war wohl immer ein ökonomisches Zentrum, Dienste aller Art benötigend, als Monostruktur ob der Abgeschiedenheit aber eine Unmöglichkeit. Die zahlreichen Versuche mit entnonnten oder entmönchten Klöstern kamen praktisch nirgendwo zu einem Erfolg. Eine bedenkliche, vor allem aber peinliche Geschichte.
     Auch in Allerheiligen ging's lustig zu. Eine Wollspinnerei nahm Anlauf, rutschte aber sogleich aus. Höheren Mächten schien die Tollerei ohnehin nicht zu gefallen, ein Blitzschlag fauchte 1804 in den Kirchturm, zerstörte das Dach der Kirche und angrenzende Klausurgebäude. Wo nun vor noch kurzer Zeit (vor zwei Jahren!!!) wackere Mönche recht bald wieder zum Neuaufbau geschritten wären, da rührte der neue Besitzer kaum einen Finger. Die Kirche immerhin wurde vom Oberbaudirektor Friedrich Weinbrenner, also auf Geheiß des badischen Staates neu eingedeckt. Das Gotteshaus wurde auch noch genutzt, ob seiner Abgelegenheit freilich nur selten. Und so kam es auch hier, wie es kommen musste, die Kirche verfiel.

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Jener Blitzschlag, er wusste wohl recht genau was passieren würde. Der eingeleitete Schaden, griff durch generellen Verfall schnell um sich. Binnen kürzester Zeit, nach kaum mehr als einem Jahrzehnt lag alles danieder. So besaß im zynischen Spiele des besitzenden Staates auch der nächste Schritt Zwangsläufigkeit: Versteigerung auf Abbruch, 1816 die Profangebäude, 1824 die Kirche.
     Die blühende Abtei, wirtschaftlicher Faktor der Region, mit seelsorgerlichen Aufgaben in den Gemeinden der Region — nur zwei Jahrzehnte später war sie einfach verschwunden! Bis auf die bizarren Mauerreste eben, die man heute gerne bestaunt.
     So war es mir am Ende recht sauer diese Ruine zu betrachten, sei sie noch so malerisch, und gewiss eine der romantischsten Ruinen Badens. Was heute vor Augen ist ein Mahnmal der Intoleranz und Verständnislosigkeit, auch der Arroganz und Gleichgültigkeit.
     Sei aber zur Ehrenrettung des Großherzogtums auch angemerkt, dass man ab 1840 den weiteren Abbruch der Kirche denn doch unterband - ansonsten nämlich stünde hier tatsächlich gar nichts mehr. Alleine bei Betrachtung der gesamten Entwicklung, angefangen mit der Säkularisation, fällt Lob ausgesprochen schwer. Vielmehr verwundert man sich über die Kehrtwende zu einem Zeitpunkt als nämlich das Zerstörungswerk so gut wie vollbracht. Es ist, als hätte man im allerletzten Moment und obwohl nicht mehr viel nützend einem quälenden Gewissen nachgegeben.
     Dem Tal aber waren wir zu ungefärbtem Dank verpflichtet, schnellstmöglich nämlich bemühte es sich die trüben Gedanken zu verscheuchen. Wie der Weg entlang der Schwarzwald-Hochstraße, so inszeniert auch das Tal ein phantastisches Naturstück: einen Wasserfall, kaskadenartig, rauschend und tosend durch engstes Felsengestein. Zwar ist der Spielball der Tiefen ein Bachlauf nur mäßiger Größe, aber in der Enge des Tales, den hoch aufragenden Wänden, die den Himmel weit entrücken, und dem entsprechend nah am Wasser geführten Weg, wird die Wirkung des fallenden und dahinjagenden Elementes reichlich geadelt.
     Mark Twain übrigens wanderte dereinst auch durch dieses Tal, war hingerissen wie alle Besucher über das zischende, sprudelnde Schauspiel und spendete ob der reizvollen Umgebung nicht geringes Lob für die Standortwahl des Klosters.

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Begeistert noch vom natürlichen Prunk, abgekämpft ein wenig durch das Ersteigen der zahlreichen Treppenstufen, dann der Rückweg durch die alte Klosteranlage, milder gestimmt wohl. Beachtung verdient noch der barocke Klostergarten mit Wasserbassins, Balustern und so mancher verwaisten Statuen-Basis. Außerdem ein altes Nebengebäude, deren Erdgeschoss-Fassaden noch zahlreiche mittelalterliche Details zeigen. Im Innern eine ausgezeichnete Ausstellung über die Geschichte der Abtei und Ruine, die auch ein aufwendiges Modell der einstigen Prachtanlage bereit hält. Außer dem Garten und dem Nebengebäude sowie der Kirchenfragmente finden sich nur noch kleinste Kloster-Überreste.
     Einige neuere Gebäude des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sowie ein Gefallenendenkmal komplettieren, so dass noch heutigentags alles im Charakter einer Anlage. Mit dem einstigen Zustand freilich kann sich's nirgendwo messen. Anhand des ausgestellten Modells und der Kirchenreste kann man die alte Abtei vor dem geistigen Auge recht gut in die Landschaft fügen. In der Enge des Tales, dazu der hoch aufragende Kirchturm (oder besser dessen hohes, spitzes Dach), gewiss ein kaum zu übertreffendes Bild, ein Juwel. Und so sei jedem Besucher, die ausdrucksstarke Ruine bewundernd, versichert, dass die ursprünglichen Ansichten noch weit verheißungsvoller.
     Zum Abschluss schlichen wir nochmals durch das Langhaus der Basilika, neben den gotischen auch noch romanische Details gewahrend, die erstaunlich gut erhaltene Kapelle an der südlichen Vierung, sowie den schlanken Treppenturm, die beide noch unter Dach, bewundernd. Letzterer übrigens verband durch den Dachstuhl der Kirche das auf der gegenüberliegenden Seite im Klausurbereich befindliche Dormitorium (Schlafbereich). Teile des Klausurbereich, namentlich die Grundmauern im direkten Anschluss an die südliche Vierung hat man wieder rausgeputzt.
     Wenn man gedankenverloren zwischen den bizarren, die Sinne billig aufreizenden Formen flaniert, kann man die traurige Geschichte des Ortes einstweilen denn doch hinter sich lassen. So also ist unser letzter wie erster Eindruck trotz allem ein ergreifender, der den skurrilen Formen innewohnenden Kraft wegen. Der die traurige Kloster-Vergangenheit abwägende Verstand aber, im Wettstreit mit den betörten Sinnen, er gewinnt wieder Oberhand, je weiter die Ruine im Rücken.

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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Ort und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage  www.oppenau.de
4) Informationstafeln und Ausstellung vor Ort


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