Baukunst in Baden
  Rastatt '1'
 

Der Pulverdampf war kaum verzogen; der Frieden immerhin schon geschlossen. Der Frieden von Rijswijk 1697 beendete den 9jährigen Pfälzischen Erbfolgekrieg, die vor allem für Baden furchtbarste Zerstörung. Zwischen Mannheim (inklusive) und Freiburg (exklusive) hatte Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV eine Politik der verbrannten Erde befohlen, welche getreulich ausgeführt von seinen Generälen — sämtliche Städte, beinahe jedes Dorf waren sprichwörtlich wie systematisch in Schutt und Asche gelegt. Zwar lies man die Bewohner in aller Regel vor der Zerstörung abziehen, die Existenzgrundlagen aber der unzähligen Menschen entzog man ohne jedes Erbarmen. Für diese Region war es der schlimmste Anschlag, schlimmer noch als der 30jährige Krieg, auch als der Zweite Weltkrieg. 
     Ein Ungeheurliches, ein Novum ob der Gründlichkeit und Konsequenz. Europa war empört, in Frankreich selbst mehrten sich die kritischen Stimmen über eine Gräueltat, welche wohl militärisch begründet, indem man zwischen Frankreich, das in Europa tatsächlich bedenklich isoliert, und dem Deutschen Reich eine Art Pufferzone (freilich auf deutschem Boden) gleich einem Niemandsland anlegen wollte, alleine die eingesetzten Mittel (blinde Zerstörungswut) konnten auch durch diesen Zweck niemals geheiligt werden. Die Unbotmäßigkeit des Vorgehens steigerte nur den Verteidigungswillen des Reiches, so dass die französische Kampagne schnell stecken blieb, über das Territorium des späteren Baden kaum hinauskam. Spätestens vor diesem Hintergrund lies die vollständige Zerstörung auch in Frankreich Zweifel, gar Scham gedeihen. 1697 der Frieden von Rijswijk.
     Der Überlebenswillen der zerschlagenen, ruinierten Fürstentümer immerhin war ungebrochen — allesamt drängten auf Wiedergeburt: allen voran die Kurpfalz, das Bistum Speyer, die Markgrafschaft Baden-Durlach, die Markgrafschaft Baden-Baden. Im folgenden der letzteren Geschichte.
     Die prächtige Hauptstadt Baden-Baden mit dem noch prächtigeren Schloss existierte nur noch als Ruinenwelt. Auch die anderen wichtigen Städte Ettlingen und Gernsbach lagen danieder, am Ende auch der letzte Rückzugshort Schloss Eberstein. Desgleichen die Dörfer, darunter die wichtigen Marktflecken Bühl und Rastatt, welche nur noch dem Namen nach existierten. Von der ungeheuren Not der damaligen Bevölkerung hat man keinerlei Begriff.
     An der Spitze des Landes aber stand ein Mann, dessen Name Anlass zur Hoffnung gab. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, weit besser bekannt unter seinem lustig klingenden, aber bestens gewählten Spitznamen "der Türkenlouis", seines Zeichens einer der größten deutschen Militärhelden, der bedeutendste badische allzumal!

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Für das Deutsche Reich, das lange schon unter habsburgisch-österreichischer Hegemonie, vor allem also für den Kaiser in Wien führte er ein große Anzahl von Schlachten gegen den neben Frankreich größten Feind, das Osmanische Reich. Angetrieben von ihren Sultanen waren die Osmanen machthungrig in Europa eingedrungen, verschlangen den Balkan förmlich, standen schließlich gar vor Wien. Man warf sie glücklich genug zurück. Dennoch wollte das Pendel lange genug nicht zugunsten Habsburgs ausschlagen. Das Osmanische Großreich, das im Süden bis nach Ägypten und Arabien reichte, trat als gewaltige Bedrohung auf, Gleichwertigkeit zumindest hatte man lange Zeit zu bescheinigen. In dieser Phase arbeitete sich Markgraf Ludwig Wilhelm bis ganz an die Spitze der deutschen Truppen und war entscheidend daran beteiligt, dass jenes Pendel doch mehr und mehr die gewünschte Tendenz zeigte. Wenn man so will, nahm sich der Markgraf die Rolle eines entscheidenden Vorbereiters, ohne welchen der weit bekanntere Prinz Eugen von Savoyen, allgemein als der Türkenbezwinger gesehen, heute wohl kaum ein solcher Begriff wäre.
     Also gegen die Osmanen fechtend hatte Ludwig Wilhelm hilflos zusehen müssen, wie sein unverteidigtes Land von des Sonnenkönigs Truppen erobert und alsbald zerstört wurde. In der ganzen Region Nordbaden bis hinauf nach Köln verfügte das Deutsche Reich, welches ja aller seiner Kräfte gegen die osmanischen Sultane bedurfte, nirgendwo über nennenswerte Verteidigung. Deshalb vor allem konnte der listige Invasor, verbunden mit dem besten aller Bündnispartner, dem Momente der Überraschung, derart schnell vollendete Tatsachen schaffen: binnen weniger Monate war das Ruinierungswerk vollbracht.
     Freilich wollte der Sonnenkönig mehr. Das Deutsche Reich, händeringend, musste umgehend reagieren um das weitere Vordringen der damals schlagkräftigsten Armee Europas irgendwie aufzuhalten. Aus allen Winkeln Deutschlands kratzte man letzte Reserven zusammen, alleine ein geeigneter Oberbefehlshaber der bunt gescheckten Truppen fand sich zunächst nicht. So lange jedenfalls bis man den Türkenlouis (der erste Teil des Spitznamens sollte nunmehr einleuchten) ins Spiel brachte. Sein Ruf eilte ihm ohnehin voraus, flößte auch den französischen Generälen ohne weiteres gehörigen Respekt ein. Seinem Talent also traute man zu, die divergierenden Interessen der verschiedenen Verteidiger (auf sie kann hier nicht eingegangen werden) zu bündeln, eine unverzichtbare Notwendigkeit nämlich, die seine Vorgänger schuldig blieben. Außerdem war sein fürstliches Territorium ja ein Hauptschauplatz des Krieges, das gesamte Gelingen also überlebensnotwendig auch für seine Markgrafschaft. Ob letzteres für jemanden von Bedeutung, der auch weit entfernt von zuhause überaus entschlossen agierte, kann wohl bezweifelt werde; eines jedoch fand man gewiss, nämlich die Bereitwilligkeit des Türkenlouis sich des ungemein schwierigen Unternehmens anzunehmen.

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Ludwig Wilhelm also trat nur allzu gerne an. Und ihm gelang das Kunststück. Er versammelte die immer nur zögerlich aus — beinahe möchte man sagen — aller Herren Länder eintreffenden Truppenteile zu einer schlagkräftigen Armee. Schlagkräftig jedoch einzig im Sinne defensiver Qualität. Die französischen Verbände nämlich befanden sich so gut wie immer in Überzahl, besser ausgerüstet ohnehin — die modernste Armee des Kontinents. Um seine Linien nicht zu gefährden, welche im übrigen zurückgezogen mehr in Württemberg als in Baden, musste er manch noch unzerstörte Stadt, allen voran die kurpfälzische Hauptstadt Heidelberg, nur halbherzig verteidigt preisgeben. Bis auf wenige Ausnahmen konnte das Ziel lediglich im bloßen Standhalten liegen — dieses Unterfangen aber ward bestens eingelöst. Freilich war diese Form des Krieges für Ludwig Wilhelm nirgends mit den von ihm gewohnten siegreichen Schlachten verbunden.
     Dieser Umstand vor allem, obwohl an Unverständnis, ja Ungerechtigkeit kaum zu überbieten, prägte zunehmend sein öffentliches Bild. Damals (wie auch heute noch) fand die Öffentlichkeit weit mehr Gefallen an erfolgreichen Eroberern als an erfolgreichen Verteidigern. Ein Sieg ist das Neue, das Aufregende — ein Halten dagegen nur ein Halten des Status Quo, das Alte eben;  wer`s genau bedenkt kann darüber nur den Kopf schütteln, wie alles nur am Effekt der Sensation gelegen. Ludwig Wilhelm zeigte sich an der Heimatfront keinen Deut erfolgloser als gegen den osmanischen Sultan, eher muss man eingedenk der Schwierigkeiten, denen zum Trotz er die schlagkräftigste Armee Europas aufhielt, von einem gar noch größeren Verdienst sprechen. Der Frieden von Rijswijk jedenfalls fand sich von der Unüberwindlichkeit der Verteidigungslinien deutlich befördert.
     Der Stern des Markgrafen aber sank. Bald nach Beendigung des Pfälzischen setzte ab 1701 der Spanische Erbfolgekrieg ein. Ludwig Wilhelm blieb am Oberrhein, Verantwortung aber entzog man ihm mehr und mehr; erst recht nach einer Verwundung, deren Heilung sich schleppte. 1707 schließlich, der Markgraf kaum älter als fünfzig, geschwächt wie enttäuscht, versagte die von schwerer Krankheit gemartete Gesundheit (die Autopsie fand kaum noch ein gesundes inneres Organ) den Dienst.

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Wer auch immer an der Entschlusskraft Ludwig Wilhelms zweifelt, bringe sich einfach das Städtchen Rastatt zu Gemüte. Hier nämlich entstand des Markgrafen neue Residenz. Die alte zu Baden-Baden war zuvor nur noch zweckmäßig als Wohnstätte wiedererrichtet worden, weil die von der Topographie des Nordschwarzwaldes bestimmte Stadt modernen, also barocken Ansprüchen nicht mehr genügen konnte. Der winkelige mittel-alterliche Stadtgrundriss, der alleine aus Kostengründen zu erhalten, auch noch in Hanglage, sah sich nämlich in hartem Kontrast zu den Gestaltungsspielregeln des 17. Jahrhunderts, die nach den schweren Wirren des Jahrhunderts nun auch in Deutschland endlich Fuß fassen wollten. Der markgräfliche Hof also zog ab, und Baden-Baden versank in eine Art Dornröschenschlaf, der, lustig genug, recht genau 100 Jahre währte.
     Rastatt aber, das war zuvor ein wichtiger Marktflecken, salopp gesagt ein großes Dorf. Und von diesem war noch weniger übrig geblieben als von der alten Hauptstadt. Hier in der Ebene des Rheintales, ohne zwingende Rücksichten auf die untergegangene dörflich-lockere Struktur, konnte Ludwig Wilhelm für seine neue Residenz und Hauptstadt weitaus freier walten. Studiere man hier die Entschlossenheit und den Esprit des Markgrafen.
      Der Pulverdampf hatte sich noch kaum verzogen, als die ersten Pläne bereits auf dem Tisch lagen. Ludwig Wilhelm hatte einen ausgezeichneten Planer gewonnen, Domenico Egidio Rossi, italienischer Baumeister, bekannt am Wiener Hof, wo der Markgraf öfters zugegen, ja mehrfach ausgezeichnet ward. Damals fand man noch italienische Hegemonie im barocken Kunststreben, eine Entscheidung also voll auf der Höhe der Zeit. Wie auch die nächste.
     Sie klingt zunächst merkwürdig. Gerade erst nahm der Krieg mit dem französischen Invasoren, der ja auch in der Markgrafschaft alles kurz und klein geschlagen, glücklich sein Ende — Grund genug, und ohne besonderen Argwohn, zumindest die Staatsspitze des Gegners nicht in allerhöchsten Ehren zu halten.
     Diese aber, Ludwig XIV., der selbsternannte Sonnenkönig galt damals als die Verkörperung alles Modernen schlechthin — sowohl was die Staatsführung betraf, als auch das bauliche Kleid in welches sie gesteckt. Der Absolutismus und sein Ausdruck als ein übermächtiges Schloss, auf welches eine künstlich umgeformte Natur und auch die Bürger in einer klar geometrisch angelegten Stadt nicht nur streng bezogen wurden, die zusammen eine Inszenierung aufführten, die den Sonnenkönig beinahe gottgleich als alleinigen Herrscher und unübersehbar ins Zentrum rückte: Versailles!

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Versailles! Das Vorbild kommender Schloss- und Stadtanlagen schlechthin. Das erkannte Ludwig Wilhelm. Wie er der entscheidende Vorbereiter für Prinz Eugen und dessen Siege über die Osmanen geworden war, so nun für Deutschlands Fürsten und ihre neue Residenzen. Tatsächlich entstand ausgerechnet in diesem verborgenen Winkel des Reiches, in der kleinen Markgrafschaft Baden-Baden das erste Schloss auf deutschem Boden, das sich durch den entsprechenden Grundriss zur Stadt hin öffnete, anstatt sich wie bisher burgartig abzuschließen — unzählige, ja eine veritable Flut solcher Schlösser sollte folgen, im Deutschen Reich wie in Europa. Selbstverständlich gilt dem Sonnenkönig und seinen Baumeister die Hauptehre für die Implementierung der neuen Gestalt; für die Verbreitung der Idee aber setzte der Markgraf einen wichtigen Startschuss!
     Er nämlich wies nach, dass das Versailler Modell, welches von geradezu riesenhaften Ausmaßen auch in deutlich kleinerem Maßstabe gelingen konnte. Was denn auch von entscheidender Bedeutung, denn auf deutschem Boden besaß Nichts und Niemand die finanziellen Möglichkeiten einen Komplex von der Größe Versailles aus dem Boden zu stampfen. Nachdem also durch den Markgrafen die Überführung in bescheidenere Verhältnisse ganz erfolgreich gelang, konnte das Modell des Sonnenkönigs erst wirklich (und bald um zahlreiche Variationen erweitert) Schule machen. Zu weit gedacht? Ausgerechnet in der vollends ausgemergelten Markgrafschaft Baden-Baden entstand die erste Schlossgestalt in genauer Anlehnung an Versailles. Wer zuerst kommt, malt zuerst — der Markgraf war der erste, ihm also gebührt solche Ehre.
     Wie Ludwig Wilhelm auf den Schlachtfeldern des Balkans die Möglichkeiten begriff und mit zum Teil aufsehenerregenden Taktiken Sieg auf Sieg errang, dann mit einer zusammengewürfelten Armee den französischen Goliath zum Stehen brachte, so erfasste er auch für Stadt- und Schlossgestalt die Möglichkeiten der Zeit. Nurmehr ein nächster Geniestreich.
     Der Markgraf, eben ob jener Affinität mit dem Sonnenkönig Louis XIV. im zweiten Teil seines Spitznamens klug mit Louis bedacht, ging über die Anlehnung an das Schlossmodell sogar noch hinaus. Am Ende nämlich holte er gleich ganz Versailles auf badischen Boden, Schloss und Stadt — ein Ereignis sondergleichen! Ein ergreifendes Schauspiel in der Rheinebene! Der kleinen Markgrafschaft gemäß entstand hier ein Versailles in Miniausgabe! Auch die Grundidee von Versailles, welche neben rigiden rechteckigen Baublöcken mit homogenen, gleichmäßig hohen Fassaden, vor allem drei Hauptstraßen strahlenartig auf das Schloss zu in den Stadtkörper trieb — die wichtigste senkrecht auf den Ehrenhof mit Haupteingang (die Mitte der langgestreckten Anlage), die beiden anderen am Schloss mit ersterem vereinigt, zur Stadt aber diagonal ausstrahlend — fand sich schließlich auch in Rastatt wieder. Weil nun die Großzügigkeit der Versailler Verhältnisse nicht ohne geschickte Kunstgriffe in deutlich kleinere Verhältnisse übertragbar, mussten sich Bauherr und mehr noch sein Baumeister so einiges einfallen lassen. In Egidio Rossi aber hatte Ludwig Wilhelm einen echten Glücksgriff getan (was mittlerweile nicht mehr überraschen sollte). 

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Das Experiment nämlich, und ein solches war es, weil ob der Übertragung in den kleineren Maßstab einfaches Kopieren schlicht unmöglich, hätte ohne weiteres schief gehen können. Rossi aber, sicheren Raum- und Formenverständnisses, reüssierte auf ganzer Linie. Kann man sich den freilich übermächtigen Versailler Glanz aus den Augen reiben, so wird man ziemlich verwundert feststellen, dass der Rastatter Stadtgrundriss sogar überlegen. Das wollen Sie nicht glauben? Und doch, leicht aufzeigbar, verhält es sich tatsächlich so. Versailles gilt zurecht als die absolutistische Stadtgestalt schlechthin, weil das Schloss nicht nur von riesenhaften Ausmaßen sondern auch noch ohne jedweden Gegenpol die Stadt mit alles überstrahlender Hegemonie dominiert. Salopp gesagt, obwohl in der Stadt die damals beachtliche Zahl von 20.000 Bürgern wohnte, fand man in ihr nicht wirklich eine Stadt, vielmehr den wenig vorteilhaften Ausdruck eines gewaltigen Schlosses mit zahlreichen Nebengebäuden.
     Wie wohltuend anders dagegen Rastatt, wo das Schloss zwar gleichfalls heraussticht, jedoch nicht ohne gewichtigen, ausgleichenden Gegenpol: der Marktplatz, geschnitten von den drei vom Schloss ausgehenden Strahlenstraßen, bestückt mit den Prunkbauten Stadtkirche und Rathaus — ein ernstzunehmender Gegenspieler, seinerseits nun die Kirche und den Bürger bestens in Szene setzend.
     Auch das nurmehr das nächste Beispiel, das Schule machen sollte. Der Absolutismus in deutschen Landen nahm nirgendwo die unerträglichen Gesten des Sonnenkönigs an; bildete sich ab in den neuen Barock-Residenzen, die wohl den Fürsten in Szene setzten, keinesfalls jedoch um alles andere zu unterjochen.
     Markgraf Ludwig Wilhelm war ohne Zweifel Visionär, siegreich im Kampf gegen (über-)mächtige Widersacher, nicht weniger aber bei der Erschaffung einer neuen Stadtgestalt. Nun aber beginnt das große Ärgernis. Wie man nämlich ersteres nach Versetzung an den Oberrhein zunehmend gering schätzte, aus dem profansten Grunde, weil keine glorreichen Schlachten mehr zu schlagen, so auch, nein eher viel schlimmer, bei seiner Stadtschöpfung. Auch hier nämlich zieht alle Welt, angeführt von der Fachwelt, zu den pompösen Beispielen barocken Schlossbaus: Balthasar Neumanns Residenzen zu Würzburg und Brühl, Schloss Ludwigsburg, der Dresdner Zwinger, die Potsdamer Schlösser. Und in Baden-Württemberg ist selbst das akademisch-unterkühlte Neue Schloss in Stuttgart bekannter.

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Und Rastatt? Kennt niemand, auch die Fachwelt kaum! Aber, aber — hat man sonst von einem Klein-Versailles gehört? oder hat ein anderer das erste sich zur Stadt öffnende Schloss in Deutschland eingeführt? oder hat man andernorts die deutsche absolutistische Stadtgestalt erfunden? Nein, nein und nein! Trotzdem weiß außerhalb Badens niemand von Rastatt. Warum? Weil wie auf den Schlachtfeldern so auch hier alles nur nach dem Glorreichen strebt. Markgraf Ludwig Wilhelm aber besaß für den vom Publikum also offenkundig gewünschten Pomp nicht die entsprechenden Mittel — das Schloss also fiel im Gegensatz zu genannten Größen einiges bescheidener aus, die kleine Stadt, die kaum Bürger zusammen bekam, ohnehin. Also fällt es aller Originalität zum Trotz einfach durch den Rost der Fachwelt, welche als notwenige Vorbereiterin für eine allgemeine Bekanntheit die Alleinschuld trifft. Das Schloss, Hauptbild der Stadt, fällt gewiss nicht so glanzvoll aus wie die oben aufgezählten Exponate. Ob der dreifachen Bedeutung aber verdient es ganz unzweifelhaft zusammen mit ihnen genannt zu sein. Was umso leichter, als es sich auch beim Rastatter Beispiel um einen ausgezeichneten Schlossbau handelt.
     Sollen, bevor die Gebäude der Stadt, allen voran natürlich das Schloss genauer betrachtet werden, noch einige Worte fallen bezüglich der oben eingeführten Merkwürdigkeit, dass sich der Markgraf und auch die anderen deutschen Fürsten ausgerechnet einen kurz zuvor noch erbittert bekämpften Feind zum Vorbild nahmen. Schüttele man darüber nicht voreilig den Kopf. Der Sonnenkönig blieb ein gefürchteter Gegner. Auch aber zeigte er wie niemand sonst in Europa eine moderne Lebensweise — sie war es letztendlich, der man nacheiferte. Die französische Lebensart fand in Sachen Fortschrittsgeist keine Konkurrenz; deshalb im übrigen sah sich niemand glücklich über den Krieg mit Frankreich. Noch Friedrich der Große, an dessen Hofe wie selbstverständlich französisch gesprochen wurde, kam mit dem Gedanken ausgerechnet gegen Frankreich Krieg zu führen kaum in Freundschaft.
     Man übernahm also die Staatsform des Absolutismus und dessen in Baulichkeiten gegossenes barockes, also auf Pracht angelegtes Stadtbild. Da dem Menschen kaum etwas lieber als die Splitter in den Augen Anderer auszurufen, während man alles unternimmt die Balken in den eigenen Augen nicht zu gewahren, lässt sich darüber nur allzu leicht die Nase rümpfen: erniedrigender Absolutismus und schwülstiger Barock! 

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Der blitzgescheite Türkenlouis, eingeführt in unsere Zeit, wüsste gewiss das eine oder andere zu entgegnen. Vielleicht: eure Demokratie, nicht mehr einer französischen, dafür aber unverhohlen der amerikanischen Weltmacht nacheifernd, ist sie nicht viel mehr als ein demokratisch verbrämter Kapitalismus? Und haben nicht eure eigenen Philosophen, Adorno und Heidegger, zu recht die Ohnmacht des Bürgers vor dem übermächtigen, undurchsichtigen Verwaltungsapparat beklagt? Und wenn man uns absolutistischen Fürsten die Ausbeutung der Untertanen vorwirft, was ist denn  mit eurer Ausbeutung der dritten Welt? Gewiss unsere Gebäude liebten das formenreiche Spiel auf der Fassaden-Oberfläche - aber eure moderne Kultur, wenig geprüft übernommen von den USA, ist sie nicht die Oberflächlichkeit schlechthin und dies keineswegs zugunsten einer Kunstform, sondern einzig um existenzielle Fragen billig zu übertünchen? Beileibe, der Türkenlouis wüsste sich auch hier zu wehren. Ausgang des (Wort-)Gefechts ungewiss!
     Aber betreten wir endlich Rastatt. Alles beginnt natürlich beim stadtgründenden RESIDENZSCHLOSS. Kurz nach Friedensschluss bereits in Planung, konnte es bereits 1705 von der markgräflichen Familie bezogen werden. 7 Jahre also für Planung und Ausführung, sehr wenig, erst recht eingedenk der bald wieder einsetzenden kriegerischen Störungen; auch hier aber trieb Ludwig Wilhelm zielstrebig an. Der Baumeister, bereits mehrfach angeklungen, Domenico Egidio Rossi — neben dem Stadtgrundriss, welchen er wie das Schloss gewiss in enger Absprache mit dem Markgrafen entwarf, ward jener Palast sein Meisterwerk. So weit es irgendwie ging lehnte er sich an das Versailler Vorbild an. Alles dreht sich um den Hauptflügel, dreigeschossig, nicht allzu lang: nach vorne, also zur Stadt erhielt er durch zwei lange, senkrecht zu ihm platzierte Seitenflügel einen großen Ehrenhof; nach hinten, zur ausgedehnten Parkanlage bildet er zusammen mit zwei weiteren, winkelförmigen Seitenflügeln eine sehr lange Front aus, jedoch nicht ohne besondere Betonung seiner selbst, welche Rossi durch einfache Beschränkung der Nebenarme auf zwei Geschosse erzielte.
     Der stadtseitige EHRENHOF zeichnet sich durch eine Besonderheit gegenüber dem Versailler Vorbild aus. Geschickt nämlich wurde hier die leicht ansteigende Topographie zu einer Erhöhung des Ehrenhofs, ja des gesamten Schlosses um rund drei Meter genutzt, weshalb sich der ausgedehnte Palast nur umso majestätischer gegenüber dem Stadtkörper ausnimmt. Zur Überwindung der Höhendifferenz legte man eine Auffahrt fest, welche keineswegs über die gesamte Breite des Hofes, sondern nur über einen relativ schmalen Bereich, welcher der strengen Symmetrie verpflichtet mittig heraufführt. Rechts und links davon kleine Schildhäuschen und alsbald einstöckige Flügel, welche bis zu den Seitenarmen des Ehrenhofs führen und überaus reich mit Skulpturen bestückt wurden. Im Ganzen, von der Stadt aus betrachtet, ein lieblich-schmuckvolles wie durch bloße Höhenstaffelung beeindruckendes Bild.

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Ornamentreichtum, die Pracht barocker Formenentfaltung beherrscht die gesamte Szenerie; zumeist bedacht freilich der Hauptbau. Die Fassaden auf beiden Längsseiten sind durch kräftige Gesimse klar horizontal geschichtet: Erdgeschoss, Hauptgeschoss, mezzaninartiges(niedrigeres) Stockwerk, flach geneigtes Dach. Kontrapostisch, der Vertikalen zu Geltung verhelfend, der CORPS DE LOGIS, welcher erhöht um ein halbes Geschoss, versehen mit Dreiecksgiebel und gewelltem Dach, endlich einem Türmchen, das bekrönt von einem goldenen, Blitze schleudernden Jupiter. Dazu im Erdgeschoss eine Reihe korinthischer Säulen, einen langgestreckten Balkon haltend. Des weiteren für die Gesamtgestalt von Bedeutung zwei verspielte Dächer, welche zwischen Corps de Logis und Gebäudeenden wie die Spitzen zweier Türme hervorlugen — zwei klug gesetzte Akzente. Die horizontal geschichteten Fassadenabschnitte sind ihrerseits durch Pilaster konsequent vertikal strukturiert. Dadurch erwecken sie reizvoll einen plastischen Eindruck, welchen sie auch den zum Teil weit nach vorne tretenden Fensterrahmungen verdanken. Unter letzteren am schönsten natürlich das Piano Nobile, wo dieselben versehen mit Segmentbogengiebeln.
     Die im ersten Moment überquellende Fassade, beruht unter dem Strich auf relativ wenigen Details, welche sorgfältig bedacht, beständig wiederholt. Den Fassaden liegt tatsächlich ein strenges Raster zu Grunde, welches die kunstvollen Details in eine alsbald leicht ablesbare Ordnung überführt — und das seinerseits hinter dem Schmuck vollkommen zurücktritt. Das ist das Geheimnis aller barocken Schlossfassaden — sie führen einen bisweilen überwältigen Schmuckreichtum, welcher aber aus überraschend wenigen, dafür unzählig wiederholten Grundelementen besteht, die über rigide, ja monotone Fassadenraster geführt, das Bild einer reich verzierten, prunkenden Fassade dem Auge erst zugänglich machen. Das eine ohne das andere bringt Extremlage. Schmuckreichtum beruhend auf einer unüberschaubaren Anzahl verschiedener Elemente, am Ende ohne festes Raster, das sind die Rokoko-Innenräume der Kirchen — sie überwältigen, verwirren die Sinne um den Geist seiner alltäglichen Maßstäbe zu berauben, zugänglich zu machen für das Hohe. Strenge Raster ohne kunstvolle Details, das ist der Modernismus, gähnende Langeweile, Abstumpfung der Sinne.
     Noch ein Wort zum Hauptbau des Schlosses, genauer zur Gartenseite. Hier fehlt im Erdgeschoss auf der linken Seite in Symmetrie zur rechten ein auf zwei Säulen liegender Balkon. Vermutlich in späterer Zeit abgegangen beeinträchtigt er als fehlendes, schlimmer noch wichtiges Ordnungselement das gesamte Fassadenbild. Gewiss die Kassen von Bund bis auf Gemeindeebene sind leer, der einfache Unterhalt des Schlosses kostenintensiv genug, aber findet sich für diese relative Kleinigkeit kein privater Mäzen? Dagegen welche Unsummen werden von jenen alleine in den Fußball gepumpt, nicht nur in die Bundesliga, sondern bis in die Kreisliga! Einmal mehr ein "Hoch" auf die Kulturnation!

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