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Wertheim darf als besonderer Husarenstreich badischer Expansionspolitik des frühen 19. Jahrhunderts gelten. Als der Rauch der Kanonen- und Wortgefechte sich langsam verzog, die Ungetüme "Reichsdeputations-Hauptschluss", "Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" und endlich der "Wiener Kongress" ihr Werk ausgerichtet hatten, und aus den unzähligen geistlichen Territorien, Reichsstädten, Ritterschaften und kleinen und kleinsten Fürstentümern wenige, auch bei größerem Kartenmaßstab wahrnehmbare Herrschaften geformt wurden, da war im Südwesten Deutschlands eine lustig anzusehende Landmasse geformt worden. Der ergreifend anzusehende Fleckenteppich des mittelalterlichen Deutschen Reiches, welcher auch auf dem Gebiete des späteren Baden die merkwürdigsten und an Kleinheit kaum zu überbietenden Blüten trieb, wurde von Napoleon zu eigenen Zwecken zertrümmert und neu arrangiert, aber auch von der letztendlichen Siegerachse Russland, Preußen, Österreich und Großbritannien als sinnvoll erachtet.
Die neue Übersichtlichkeit auf den Trümmern des Deutschen Reiches sorgte für unkomplizierte Einflusssphären, und die Nutznießer vor Ort machten ohnehin die geringsten Anstalten zur Rückkehr in die alte Kleinteiligkeit. Auch das Großherzogtum Baden gehörte zu ihnen und vermochte mit großem Geschick und zuletzt unter Schirmherrschaft des russischen Zaren württembergische Rhein-Begehrlichkeiten und bayrische Kurpfalz-Gelüste erfolgreich abzuwehren. Jene merkwürdige, launenhafte Landmasse Badens blieb also Bestand; darüber konnte man sich schon verwundert die Augen reiben: ein Großherzogtum, überall lang und nirgendwo breit und zu allem Überfluss gebogen wie eine Banane; das Großherzogtum — die badische Banane.
Während nun die Bodensee-Städte den unteren (südlichen) Zipfel der Banane ausfüllten, setzt Wertheim den Akzent im oberen Zipfel, als nördlichste aller badischen Städte. Während das benachbarte Hessen in einer handförmigen Bewegung "frech" nach dem Süden griff und tief in Baden hinein erst am Neckar Halt machte ( Neckarsteinach und Hirschhorn "hesste" ), schwappte Baden umso weiter in den Norden, zwischen Bayern und Hessen hindurch an den Main und bekam dort eine ehemalige Residenzstadt zu fassen: Wertheim, bis 1803 Hauptsitz der sich nach der Stadt nennenden Grafen.
Eine Residenzstadt also, eine von gleich mehreren Residenzstädten, die sich im Großherzogtum zusammenfanden und dabei eine ganz besondere (und dem glücklichen Stadtnamen ohne weiteres gerecht werdend). Während nämlich die anderen wie z.B. Mannheim, Bruchsal, Rastatt oder Karlsruhe selbst in barockem Kleide zeigte sich Wertheim — nicht zu seinem Schaden — in einem noch mittelalterlichen.
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Damit weckt Wertheim natürlich Erinnerungen an die schönste Kapitale, die jemals auf später badischem Boden gesichtet: das kurpfälzische Heidelberg. Die "Welt-Hauptstadt der Romantik", vor allem durch das unvergleichliche Schloss noch heute in mittelalterlichem Charme, erweist sich bei genauerer Betrachtung gleich der vorgenannten Residenzen als barocke Stadt. Im Pfälzischen Erbfolgekrieg untergegangen erstand sie im 18. Jahrhundert im Stil der schönen Künste vollkommen auf's Neue. Wertheim dagegen blieb das Schicksal solch "gründlicher" Zerstörung allen Drangsalen zum Trotz erspart. Das der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Städten, ansonsten nämlich strebt Wertheim mutvoll dem Vorbilde am Neckar nach — und das bedeutet nichts anderes als herzergreifende Schönheit. Mag sie die Königin Heidelberg auch nicht erreichen, was freilich überhaupt nichts besagt und als Tadel ohne jeden Wert, reiht sich Wertheim in die glanzvolle Riege der badischen Kronprinzessinnen und hat hier niemanden zu fürchten.
Die urkundlich erfassbare Geschichte Wertheims setzt lustigerweise auf der anderen Seite des Maines ein, mit einem Dorfe auf dem Gebiet des heutigen Kreuzwertheim. Die 1803 zunächst auf das Fürstentum Leiningen (1806 an Baden) übergehende Grafschaft gefiel sich seit jeher auf beiden Seiten des Maines. So blieb es napoleonischen Ansprüchen vorbehalten die durch den Main mehr verbundenen als getrennten Ortsteile "Creutz" und "Wertheim" per Federstrich zu separieren. Die nachweisbare Historie des heutigen Wertheim beginnt ein Jahrhundert später im Jahre 779. 1103 wird die Grafschaft selbst das erste Mal genannt, womit auch die über der Stadt thronende Burg initiiert ward. 1306 dann die wertvollen Stadtrechte. Nun hatte Wertheim alles zusammen um zu prosperieren: den Status als Residenz und Stadt. Das war keinesfalls Zufall sondern von der strategisch günstigen Verkehrslage erst befördert worden, dem Zusammenfluss von Main und Tauber. Wertheim also stand in voller Blüte als sich die Unbilden des 17. Jahrhunderts ankündigten. Sie sollten auch Wertheim nicht verschonen. Der 30jährige Krieg behelligte zwar erst spät, dafür umso heftiger.
Die Hälfte des "unaufhörlichen" Krieges war beinahe erreicht, da standen 1631 die Schweden vor und bald hinter den Toren der Stadt. Drei Jahre hielten sie Stadt und Burg, dann wütete die gewaltige Schlacht von Nördlingen. Die Kaiserlichen erschienen vor Wertheim. Das focht die Schweden zunächst wenig an, dann aber zündeten die anderen unaufhörlich ihre Kanonen und die Burg sank in Trümmern. Nun wollten die Schweden doch gehen, freilich mit einem ernst gemeinten "Auf Wiedersehen" auf den Lippen.
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Sie ließen zwar 13 Jahre auf sich warten, dann aber,1647, holten sie sich die Stadt zurück. Die wollte ihnen schon ein Jahr später ein bayrisches Regiment wieder entreißen, wieder also ward das arme Schloss von der Artillerie anvisiert. Und dieses sank wohl noch weiter in Ruinen, die diesmal sturen Schweden aber blieben. Dann schwiegen die Kanonen, nicht nur in Wertheim sondern überall im Deutschen Reich — der Westfälische Frieden brachte noch im gleichen Jahr Frieden für ein Land, das unter Mord und Brand begraben den Frieden und auch sich selbst schon gar nicht mehr kannte.
Das Schloss zerstört, die Stadt vollends ausgemergelt und verarmt. Schlimm genug, immerhin aber der letzte verzehrende Schicksalsschlag der Stadt. Während wenige Jahrzehnte später zwischen Mannheim und Freiburg im Pfälzischen Erbfolgekrieg alles in Schutt und Trümmern versank, kam Wertheim ohne Zerstörung über das neuerliche Ungemach, das in Baden den 30jährigen Krieg, obwohl kaum vorstellbar, sogar noch übertraf.
Es ist genau jene Mischung aus Zerstörung des 30jährigen Krieges und Erhalt im Pfälzischen Erbfolgekrieg (und den folgenden Kriegen bis einschließlich Zweitem Weltkrieg), die das Bild der heutigen Altstadt zeichnet. Und letzteres, also der Erhalt, darf als das Besondere Wertheims gegenüber den anderen ehemaligen Residenzen (auch gegenüber Heidelberg) gelten. Das historische Wertheim ist noch heutigentags ein mittelalterliches — ein Gewinn, eine Stadt von größter Schönheit. Das Schloss, über der Stadt liegend ihr Wahrzeichen, wurde und blieb Ruine. Die Stadt dagegen blieb weitgehend unzerstört und damit mittelalterlich.
Sie musste nicht wie die vielen anderen im barocken Kleid des 18. Jahrhunderts wiedererstehen, und sie wollte es auch nicht. Die Drangsale, die auch in jenem Jahrhundert durch die Region malmten, zerstörten zwar nicht mehr, aber sie zehrten immer wieder auf`s Neue aus. Wertheim, obgleich weiterhin Residenz, kam nie wieder zur alten Blüte. Das Zeitalter der schönen Künste hinterlies hier nur wenige barocke Bauten mit Vorzeige-Charakter, mehr vermochte die Stadt schlicht nicht. Dann kam auch schon das Großherzogtum, das für Wertheim wie für die anderen Fürstensitze keine residenziale Verwendung mehr hatte. Ob ihrer Lage verblieb ihr noch einige Bedeutung und dennoch obsiegte endlich der Eindruck einer ruhigen und verträumten (keineswegs negativ gemeint!) Kleinstadt an der Grenze Badens.
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Betrachten wir nun also das historische Wertheim, gleich beginnend mit einer billig stechenden Trumpfkarte, ihrer landschaftlichen Einbettung. Der eigentliche Kern der Altstadt liegt auf einer durch den Zusammenstoss der beiden Flüsse Main und Tauber gebildeten Landzunge. Ergreifend genug, aber längst nicht alles. Beide Ströme haben sich hier tief eingegraben, d. h. sind von den Berg- oder Hügelzügen reizvoll gerahmt. Auch jene Landzunge begibt sich noch innerhalb des Stadtkörpers in die Höhe, wird rasch steil, was sich vor allem das Schloss zu Nutze machte, und gleitet schließlich wie die anderen Höhenzüge im Grün des Waldes sanft aus. Wertheim staffelt sich nach flachem Beginn bald nach oben, gipfelnd im Schloss, wird zu Füssen von den Flüssen gesäumt und seitlich und darüber vom Grün der umgebenden Landschaft — ein vollendet romantisches Bild! Ein malerisches, dass kaum übertreffbar. Selbst Heidelberg, ansonsten in allem eine Nummer größer und mondäner (ohne Wertheim zu tadeln!) muss hier Gleichwertigkeit einräumen.
Die Beschreibung des Stadtkörpers nicht mit dem SCHLOSS zu beginnen, hieße quälend um den heißen Brei zu rühren. Es ist eindeutig der Blickfang, die Krone der Stadt. Soll das Schloss also den Anfang machen. Die weitläufige, im 12. Jahrhundert begonnene Burganlage, eine der größten ihrer Art in ganz Süddeutschland, vor allem begründet neben der Lage am Fluss die Ähnlichkeit Wertheims zu Heidelberg. Wie sein Neckar-Pendant besticht es durch Größe, einen reizvollen Erhaltungsgrad und das verwendete Material des roten Sandsteins. Noch heutigentags beeindruckt die Wehrhaftigkeit hoher Mauern, versehen mit Bollwerken. In Halbkreisform zum Main hin zeigend und nach hinten offen das VORDERE BOLLWERK, errichtet 1410-30; nach Süden (zur Tauber) blickend der wiederum halbkreisförmige und mit Schiefer gedeckte Turm des HINTEREN BOLLWERKS — man sieht Fachwerk-Anteile, die reizvoll zur Rohheit der Sandsteinmauern kontrastieren; zum Berg hin, also von der Stadt aus nicht zu erkennen, ergänzt das OBERE BOLLWERK.
Nicht weniger auffällig und in bestem Zustand das TORGEBÄUDE, gesäumt von zwei Rundtürmen und mit vorgelagerter steinerner Brücke. Der obere Abschnitt der Türme kragt leicht vor und ruht auf Rundbogenfriesen. Die Öffnungen der Fenster und des Tores zeigen mehr oder weniger zurückhaltende Renaissance. Für das Betreten der Burganlage könnte man sich keinen besseren Auftakt wünschen.
Das Schloss hielt gleich mehrere WOHNBAUTEN parat, welche sich ob teilweise beeindruckender Höhe auch aus der Ferne ohne weiteres nachvollziehen lassen. Die Öffnungsrahmungen huldigen wiederum vor allem dem Stile der Renaissance, nun einiges kunstvoller (z.T. findet sich auch noch Romanik). Dennoch wird der typische schwere Lochfassaden-Charakter des Mittelalters nicht überwunden — alles kommt stämmig, rustikal, dem burgartigen Charakter eher zuspielend als einem leichten schlossartigen.
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Am schönsten die Giebelfassade neben dem Bergfried mit zwei großen dreiteiligen Öffnungen, dessen Rahmen kunstvoll geschwungen — treffliche Details, entstammend noch romanischer Epoche. Darüber einfachere zweiteilige Öffnungen, welche teilweise in Reste großer vermauerter Romanik-Bögen eingesetzt wurden. Ausgesprochen erstaunlich, weil geradezu ein denkmalschützerischer Aspekt und das im ausgehenden Mittelalter! Der Erhalt der romanischen Bögen wirkt nicht einmal besonders schicklich, eher als Kuriosität und wurde dennoch, obwohl ohne weiteres entfernbar, für erhaltenswert befunden.
Das Bild der Ruine vollendet sich im hohen BERGFRIED, welcher um 1100 im rückwärtigen Bereich errichtet. Sorgfältig gesetztes Buckel-Quaderwerk, wenige romanische Rundbogen-Öffnungen, ausladende Halter von Pechnasen und "angefressene" Zinnen bestimmen die wehrhaft-abweisende Erscheinung. Er kann "erklommen" werden und entlohnt die Mühen mit dem fantastischsten Ausblick auf die zu Füssen liegende Stadt, den sich schlängelnden Main, die wunderbare Landschaft überhaupt, die sehr vom Reiz des tief einschneidenden Maines profitiert.
Das kunstvollste der Anlage und nicht minder begehenswert eine Art von GALERIE auf der Südseite. Auf Bögen von enormer Höhe kann man deutlich aus dem Berghange nach vorne treten. Zur Stadt hin sichert eine Sandstein-Balustrade von einer Ausschmückung — gotisches Maßwerk — wie man sie vielleicht an einer Kirchen-Empore vermuten würde, nimmer aber an einer Burg. In Verlängerung der Galerie führen die Reste der ehemaligen Stadt und Burg verbindenden Befestigungsmauer steil ins Tal.
Vor der Galerie befindet sich eine sommers von einem Restaurant angediente Aussichtsterrasse. Der herrliche Blick geht hier eher in Richtung Tauber und auf die weiteren Bauwerke Wertheims, die nun zur Anschauung kommen sollen.
Das historische Wertheim, geprägt, wie dargelegt, noch vom mittelalterlichen Bild. Was bedeutet das nun im Einzelnen? Vor allem dreierlei. Zum ersten findet man es im System der Straßen, Gassen und Plätze. Die Gerade wird verschmäht, wie überhaupt offenkundige Regelmäßigkeit. Straßen und Gassen gehen allenthalben in Biegung, was den Begehung umso spannungsvoller macht, da beständig Neues auftaucht. Die Plätze, umstanden zumeist von Bauten mit nur geringer Breite nehmen unregelmäßige Geometrien und entwickeln sich gerne durch schlichte Verbreiterung der Straßen. Hinter den mittelalterlichen Stadtmauern war der Platz zumeist rar, weshalb, um möglichst viele Menschen aufnehmen zu können, nach und nach eine Verdichtung des Stadtkörpers erwuchs. Auch für Wertheim gilt also eine gewisse Enge im Altstadtbereich, zumal in den verwinkelten Gassen. Dem Eindruck gereicht dieses aber keineswegs zum Schaden, vielmehr überwiegt der Eindruck von Heimeligkeit und Identität: man fühlt sich wohl, vom ersten Moment des Betretens an. Die außerordentliche Beliebtheit der Stadt jedenfalls verdankt jener mittelalterlichen Atmosphäre sehr viel.
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Modernistische Architekten und Stadtplaner dagegen gefielen und gefallen sich in Geringschätzung für die dichte Kleinteiligkeit. Der so trefflich klingende Ruf nach Licht, Luft und Sonne kullert ihnen seit den 1920er Jahren nur allzu leicht über die Lippen. Zurecht? Für Wertheim und sonstige Kleinstädte galt bis zum Einbruch des Modernismus, dass egal wo man im Stadtkörper wohnte, der Weg ins Grüne, also zu Licht, Luft und Sonne stets ein überaus kurzer war. Erst mit den Siedlungsspeckgürteln, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich um die Altstadtkörper legten, wurden diese Wege länger und länger und geben nun zum Teil tatsächlich Anlass zur Unzufriedenheit.
Das badische Sprichwort "Da macht man ja den Bock zum Gärtner!" ist hier nur allzu wahr. Die frühen Modernisten sahen auf die Unbilden der Großstädte, allen voran auf die in der Tat verdammungswürdigen Mietskasernen-Hinterhöfe Berlins, um sämtliche historische Stadtkonzepte in Bausch und Bogen zu verwerfen. Jeder kennt die Wüsteneien der neuen und gerne riesigen Stadtviertel, die ab den 1950er Jahren aus dem Boden gestampft wurden. Licht, Luft und Sonne zogen tatsächlich im Übermaß ein, jedoch nur zum Preise regelrechten Flächenfraßes und erdrückender Anonymität, die immer auch auf die Bewohner übergreift. Abschätzigkeit oder jene Lieblingsdiffamierung "Kitsch" gegenüber Städten wie Wertheim verbietet sich da jedem nüchternen Betrachter von selbst.
Immerhin gilt für Wertheim, dass ob der speziellen Topographie, also der Hanglage, direkte Stadterweiterungen im 20. Jahrhundert nur unter Schwierigkeiten möglich gewesen wären. Auch das ein großer Glücksfall für die Altstadt, die dadurch von modernistischer "Umstellung" verschont blieb. Dennoch wurde auch in Wertheim reichlich prosperiert, jedoch vor allem auf der anderen Tauberseite. Seit dem Mittelalter besaß Wertheim hier bereits eine befestigte Dependenz, eine Vorstadt. An sie knüpfte maßvoll das 19. Jahrhundert, besonders der Historismus — dann aber der Modernismus an. Letzter fraß sich hier förmlich den Berg hinauf zu einem Schauspiel, dass dem Betrachter wie ein Faustschlag ins Gesicht!
Der Bergkamm nämlich bildet eine regelrechte Hochhaussilhouette von Bauten der 1970er Jahre aus. Dem Schloss gegenüber stehend findet man sie gar um einiges höher situiert. Blickt man also von der anderen Mainseite so sind jene jeglichen ästhetischen Anspruch verschmähenden Hochhäuser Stadtbild-prägend! Letztlich gelang also dem Modernismus auch hier ein großer Wurf. Stelle man sich am besten mit dem Rücken zu ihnen an die Tauber um wenigstens hier noch ein Bild von einer Stadt zu haben, das uns gekonnt anspricht, das dem Auge auch nach hundertmaligen Hinsehen Interesse abgewinnt — kurzum eine natürliche Identität besitzt.
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Kehren wir also in die Altstadt zurück, uns nach dem Abschweifen in die Peripherien Wertheims endlich dem zweiten wichtigen Punkt des mittelalterlichen Stadtbildes zuwendend. Die Rede geht nun von den herausragenden Bauten der Stadt, den Monumentalbauten, die gleichsam das Salz in der köstlichen urbanen Speise bedeuten. Sie sind den mittelalterlichen Stilen gewidmet. Vom wichtigsten, dem Schloss, sprachen wir bereits. Ihm folgen die kirchlichen Bauten, allen voran die gotische STIFTSKIRCHE, 1383 als dreischiffige Pfeilerbasilika, auf romanischen Grundmauern errichtet. Der gelbe Putzbau, der den zahlreichen Details der Öffnungsrahmungen, etc. aber den roten Sandstein belässt, ordnet den Turm seitlich neben das lange Schiff. Die Kirche ist einer bodenständigen ländlichen Gotik verpflichtet. Sie kommt stämmig und kraftvoll und vergisst nicht die sorgfältige Detailarbeit. Für sich alleine und erst recht im Zusammenhang mit der Stadt und dem über ihr platzierten Schloss ein zweifellos gewinnendes Gebäude.
Ihr gegenüber die KILLIANSKAPELLE von 1469, die als spätgotischer Bau nicht nur ein ausgezeichnetes Ensemble mit der Stiftskirche abgibt, sondern auch als ein deutschlandweit nur selten erreichtes Kleinod Beachtung heischt. Sie weiß um größeren Sandsteinanteil und eine noch feinere Detailsprache. Insbesondere die Eingänge mit Freitreppe und eine ganz ungewöhnlich die Strebepfeiler durchscheidende Galerie fallen ins Auge. Auch profitiert sie von der Strenge der eng gestellten und sorgsam formulierten Strebepfeiler.
Eine zweite, ältere Kapelle steht ihr wenig nach, die MARIENKAPELLE von 1447 in der Kapellengasse, wo sie sich zwischen dichter Nachbarbebauung tapfer und gotisch-kunstvoll behauptet.
Eines der wenigen barocken, also nicht mittelalterlichen Bauwerke zeigt die sogenannte HOFHALTUNG, in der wenige Jahrzehnte bis 1781 die fürstliche Linie Wertheim-Löwenstein-Rosenberg Sitz nahm. Wiewohl barock und von einiger Größe ist es doch einem sparsamen Umgang verpflichtet, gestattet beinahe einzig dem Portal von 1749 die stiltypische Pracht.
Von hier aus beginnt unsere Betrachtung der Befestigungsreste, die in Gestalt von drei Türmen (von einstmals 18!!! — wie noch reicher also das ursprüngliche Stadtbild) und einem Tor gleichfalls zu den besonderen Bauwerken beiträgt. Im baulichen Zusammenhang mit der Hofhaltung reckt sich der WEISSE TURM in die Höhe: in Rundform und sehr zurückhaltend, aber reizvoll aus einem rechteckigen Unterbau auftauchend.
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Unweit von ihm der KITTSTEINTURM, wiederum zurückhaltend und wiederum bei runder Grundform von reizvoller, schlanker Proportion.
Der dritte mittelalterliche Turm steht noch weiter tauberabwärts. Nicht nur das beste Stück der alten Befestigung (heute wie damals) nimmt der um 1200 errichtete SPITZE TURM unweit des Zusammenflusses von Main und Tauber auch noch eine reizvolle Eckposition ein. Ob dieser markanten Lage und der kunstvollen Gestalt wurde er wie das Schloss zu einem Wahrzeichen der Stadt. Von einem erneut runden Unterbau geht der Turm in eine kantige Grundform über, welche in der obersten Partie auskragt und noch heute wehrhaft Pechnasen von sich streckt. Dann das Zeltdach, das dem Turm schließlich eine Höhe von fast 40 Metern einträgt. Einer der schönsten Wehrtürme Badens! Der ihm benachbarte modernistische Bau verdient durchaus Lob. In spannungsvollen Geste reckt er sich je höher desto näher dem ihn überragenden Turm entgegen. Die also gewahrte Freistellung kürt den Turm endgültig zu ein trefflich anzusehenden Skulptur.
Mainaufwärts das letzte der erhaltenen Stadttore, sinnigerweise MAINTOR genannt. Ein Torturm und ein ulkiges Ding — nirgendwo schön, aber ohne Zweifel prägnant. Aus roten Sandstein-Quadern bringt er ein großes Tor, lustig verteilte kleine Öffnungen und endlich unregelmäßige Zinnen.
Zur gewinnenden Stadtgestalt sind neben den (wie hier vorgestellten) herausragenden Einzelbauten immer auch die zahlreichen Stadt-, die Bürgerhäuser von belang. Nur wenn auch sie von kunstbeflügelter Qualität kann sich das Stadtbild als ganzes entfalten. Wertheim besitzt sie durchaus im Übermaß! Wie die Monumentalbauten sind sie der mittelalterlichen Formenwelt entlehnt — demnach unser dritter Punkt. Die näher zu beschreibenden weisen ein solches Maß an Qualität auf, dass sie ähnlich den Monumentalbauten für die Stadtansichten von herausragender Bedeutung. Man findet sie zumeist im Stil der Renaissance erbaut, z.T. als Steinhäuser, vor allem aber als reich verzierte Fachwerk-Wunder. Von den Steinbauten erwähnt man den BAUNACHSHOF von 1577; er zeigt den typischen Treppengiebel und ein spätgotisches Portal mit Stabwerk. Außerdem das GRAFSCHAFTSMUSEUM (Sitz der Stadtverwaltung von 1561/65 bis 1988), welches teilweise noch gotisch und mit typischem rundem Treppenturm. Endlich neben der Stiftskirche ein altes PALAIS, das in den beiden unteren Geschossen aus Stein und ebenfalls einen Treppenturm der Baukörper-verliebten Bauweise der Renaissance zeigt. Um das Maß voll zu machen stehen ihm gleich zwei Erker zur Seite. Leider aber wurden die Fachwerkanteile über den Steingeschossen vollflächig überputzt, was dem Gebäude denn doch einigen Eintrag leistet.
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FACHWERKHÄUSER, durchgehend von guter Gestalt, mehr oder weniger schmuckreich tauchen überall an den Gassen, Straßen und Plätzen auf — sie sind noch vor den reizvollen Raumformen letztlich ihr entscheidender Impuls. Seien zumindest die allerschönsten genannt. Am Markplatz das "ZOBEL-FACHWERKHAUS" (1. Hälfte 16. Jahrhundert, nur drei Meter breit!) und wenige Häuser weiter eine ungewöhnliche Zweierformation, verbunden mit einem Schwibbogen und gar noch aus dem 15. Jahrhundert. Beiden Beispielen ist eine große Vorliebe für den kunstvollen fränkischen Umgang mit Holz zu eigen, der dem Putz nur wenige kleine Flächen belies.
Nochmals ein wenig weiter, als Hintergrund für den Engelsbrunnen ein Fachwerkhaus des 16. Jahrhunderts, welches nicht weniger kleinteilig dem Auge großen Reiz bietet. Des weiteren in der Nähe der Hofhaltung ein Gebäu von 1577, gegenüber dem Grafschaftsmuseum ein smalteblaues aus 1593 und endlich das "HAUS ZU DEN VIER GEKRÖNTEN" (zweite Hälfte 16. Jahrhundert), ausgestattet mit Kragsteinen, die eine ungewöhnliche Darstellung der Steinmetz-Schutzheiligen entgegenstrecken.
Der Wertheimer Fachwerkbau, welcher Anlass zu großem Lob, hat dennoch eine Schattenseite. Die Blicke entlang der Straßen- und Gassenzüge werden unweigerlich von genannten Höhepunkten angezogen, und dennoch können auch letztere nicht verbergen, dass wohl kaum mehr als ein Drittel der Fachwerkhäuser das kunstvolle Fachwerk offen zeigt. Den vielen vielen Anderen hat man beginnend im 18. Jahrhundert, als der Fachwerkbau aus modischer Laune heraus zunehmend als unschick empfunden, das Fachwerk verkleidet, zumeist plump überputzt. Welch' ungeheuerlicher Verlust für das Stadtbild! Der Wertheimer, der die vielen Touristen durch seine Stadt flanieren sieht, mag`s wohl nicht glauben, aber die konsequente Freilegung jenes verborgenen Fachwerks — gemessen am Freiliegenden müssen sich weitere größte Schätze verbergen — würde das Stadtbild auf ungeahnte Weise vollenden. Tatsächlich reiht sich an den Straßen und Plätzen nämlich ein Fachwerkhaus ans andere — würden alle ihre Schönheit zeigen, man müsste von einem selten erreichten Gesamtkunstwerke schwärmen.
Vielleicht lässt's ja das 21. Jahrhundert doch zu; im Moment jedenfalls ist die große Wiederbelebungsphase der Innenstädte, die in den 1980er Jahren eine Vielzahl von Fachwerkbauten wieder ins rechte Licht setzte, beinahe vollends verebbt — der leeren und Landes- und Gemeindesäckel wegen.
Bleiben wir also auf dem Boden und erfreuen uns am grandiosen Zusammenspiel von Landschaft, Stadt und Schloss, welches Wertheim uns auch so vor Augen führt.
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