Baukunst in Baden
  Ettlingen
 

Die Stadt Ettlingen, näher zu Durlach als nach Rastatt gelegen, nimmt sich entsprechend ersterer die Ausläufer des Nordschwarzwalds zum Hintergrund. Jene Partie des Höhenzuges also, welche sich aus den sanften Kuppen des Kraichgaus nur langsam und spürbar erst ab dem Murgtal in Höhen entwickelt, die uns endlich ab Baden-Baden das Bild des dunkelblau leuchtenden Gebirges vor Augen führt. Die Lage Ettlingens kann dahingehend präzisiert werden, als die Stadt recht genau Ort findet, den auch das Flüsschen Alb zum Austritte in die Rheinebene nutzt, die Stadt gleichsam als Wächter des Albtales vor die Rheinebene tritt — kurzum, Ettlingen ward reizvoll platziert.
     Wie mehrfache Funde belegen blieb auch dem römischen Imperium das attraktive dieses Standorts nicht verborgen. Wie häufig beobachtbar das Fundament schlechthin um in nachrömischer Zeit erst Dorf, schließlich Stadt entstehen zu lassen. Ende des 12. Jahrhunderts erwuchsen durch Kaiser Heinrich VI (einem Sohn des allbekannten Barbarossa) aus den Markt- die wertvolleren Stadtrechte. Grund genug um nunmehr das Interesse des badischen Hauses zu wecken, und tatsächlich fand sich Ettlingen kaum 30 Jahre später als Lehen in den Händen von Markgraf Hermann V. Nicht zum Schaden der Stadt, denn die badischen Markgrafen ließen der Stadt regelmäßig Aufmerksamkeit angedeihen: Stadterweiterung, Verbesserung der Befestigungsanlagen, außerdem Ausbau der einfachen Tiefburg zu einem Schloss im Stil der Renaissance gaben beredtes bauliches Zeugnis. Gerade jener Ausbau zum Schloss ab Mitte des 16. Jahrhunderts bedeutete enorme Aufwertung. 
     Dann aber das verwüstende 17. Jahrhundert, weitere Fortschritte durch die allgegenwärtigen Wirren des 30jährigen Krieges schlicht verwerfend. Schweden und Kaiserliche setzten zu. Schließlich auch nach Ende des gefühlt endlosen Krieges nur zaghaftes Erholen. Aber immerhin, Stadterweiterung, Befestigungsanlage und Renaissance-Schloss hatten Bestand als 1689 in der Art einer schon erwarteten Heuschreckenplage die brandschatzenden Truppen des Sonnenkönigs auch hier sich  niederließen. Auch hier systematische Zerstörung, das Aus des mittelalterlichen Ettlingen.
     Wie die meisten der heimgesuchten Städte tat sich auch Ettlingen beim Wiedererstehen ungemein schwer, so man nicht von einem Dornröschen-Schlaf sprechen will. Neues Leben, es zog Jahrzehnte später erst ein, und wiederum fand man markgräfliche Vorstellungen, die die Geschicke wandelten. Der große Glücksfall ward darin gefunden, dass die lange schon verwitwete Markgräfin Sibylla Augusta, Ehegattin des berühmten Türkenlouis, Ettlingen ab 1727 zu ihrem Alterssitz kürte. Und wo sie nun nicht direkt eintrat oder helfend unter die Arme griff, da bedeutete die bloße Anwesenheit des Hofes eine deutliche Belebung für den Handel, endlich auch des Ansehens. Ettlingen erwuchs zu neuer Schönheit. Das mittelalterliche von Fachwerk-Häusern geprägte Antlitz fiel dem Vergessen anheim, bald schon fand man die Stadt im hübschesten Barock-Kostüm. 

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Die Markgräfin brachte die Baumeister gleich mit. Hofarchitekt Johann Michael Ludwig Rohrer ließ sowohl das Schloss als auch die Sankt Martinskirche, wiewohl bei Erhalt der nicht abgegangenen Partien, unter barockem Taktstock wiedererblühen. Und Bruder Johann Peter Ernst Rohrer erhielt den Auftrag für das neue Rathaus. Die drei Pole der Gesellschaft also, Kirche, Adel und Bürgerschaft besorgten die monumentalen Bauwerke, Bauwerke im übrigen, die noch heutigentags das sehenswerte Stadtbild auf`s positivste prägen. Die arme Markgräfin hingegen, sie fand nur wenig Freude an den durch ihren Einzug entstandenen Bauten. 1733 segnete sie das Zeitliche, im Fertigstellungsjahr des Schlosses und nur ein Jahr nach der neuerlichen Weihe von Sankt Martin, das Rathaus endlich wurde erst 1738 fertiggestellt. Markgräfin Sibylla Augusta lebte kaum sechs Jahre in Ettlingen, setzte aber den entscheidenden Impuls für ein neues und wiederum ansehnliches Ettlingen.
     Auch das Ettlingen unserer Tage verdankt seine urbanen Qualitäten einzig jener Aufbruchsphase. Während jedoch die drei bereits eingeführten Bauwerke in bester Ordnung, hatte der Rest des barocken Kleides nicht wenig zu leiden. Immer weniger geachtet, schließlich vom Modernismus in Bausch und Bogen verworfen, trägt es sich heute gleich einem von Generationen von Motten angefressenen Kleid. Was man noch leicht ahnt ist die einstige Schönheit und Homogenität der die drei Prunkwerke verbindenden und umschließenden Bauten, alleine tatsächliche und vor allem geschlossene Schönheit überlebte nur in Winkeln.
     Nehmen wir zunächst die "großen Drei", welche alleine schon eine Besichtigung der Altstadt empfehlen. An erster Stelle nennt man das MARKGRÄFLICHE SCHLOSS, das vielleicht weniger ob seiner Schönheit als vor allem durch eine ungewöhnliche Komposition Aufmerksamkeit verdient. So kann jenes Ettlinger Schloss in badischen Gefilden als die gelungenste Verquickung der beiden Stile Renaissance und Barock Geltung beanspruchen: zunächst verdankte das Renaissance-Schloss seiner steinernen Natur nicht wenige erhaltene Partien der u-förmigen Anlage, dann tat Hofarchitekt Rohrer im Grunde nicht anderes als zu ergänzen, dieses aber mit großem Geschick. Das äußerlich sichtbarste Zeichen der Veränderung  war die Hinzunahme eines vierten Flügels, welcher aus der u-förmigen eine geschlossene Anlage machte. 

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Darüber hinaus jedoch agierte Rohrer vor allem zurückhaltend. Wo immer neue Öffnungsrahmungen notwendig, so in einer geradezu unbarock ruhigen Fassung, die offenkundig Bezug nahm zu den Überlebenden des Renaissance-Stiles. Einzig im Hinblick auf das eigentliche Entree, welches nur vom Innenhof zu gewinnen, ziert das Schloss eine Ausnahme und bringt barock-übliche Üppigkeit. Dabei profitiert jene Fassade zumeist von illusionistischer Bemalung, damit von selbst an die badische Inkunabel dieser Malkunst erinnernd, das Rokoko-Schloss Bruchsals.
     Insgesamt ein spannungsreiches Bild aus mittelalterlicher Burg, vor allem in Gestalt des erhaltenen aber gekürzten Bergfrieds, Renaissance-Schloss mit zahlreichen feingliedrigen Fenster- und Türrahmungen (auch den typischen rautenförmigen der Treppenhäuser) und den geschilderten barocken Eingriffen, die natürlich auch für die neu gedeckten Dächer im Einsatz und in Gestalt der bekannten Zwiebeldächer die alten Treppentürme formenlustig abschließen.
     In trefflicher Ergänzung finden sich angrenzend ein STADTTOR im Renaissance-Stil und ein Mauerzug der einstigen Stadtbefestigung. Weitere Aufmerksamkeit erregt der sogenannte DELPHIN-BRUNNEN, ausgeführt 1617 in feinster Renaissance-Ornamentik von keinem geringeren als Johannes Schoch dem kurpfälzischen Hofbaumeister (Erbauer des Friedrichsbaus des Heidelberger Schlosses). Bei kunstvoll feingliedriger Ausführung "klebt" er gar lustig am rohen Bergfried. Der Markgräfin Sibylla Augusta vielleicht Inspiration der fälligen Ausgestaltung der SCHLOSSKAPELLE gleichfalls einen großen Namen einzukaufen. So schuf also in ihrem Auftrag der bekannte bayerische Freskenmaler Cosmas Damian Asam binnen zehn Wochen ein hinreißendes Heiligen-Fresko.
     Die gesamte Schloss-Inszenierung hat lediglich den einen Schwachpunkt, welcher in der damals schon unmodernen burgartigen Abschließung gegen die Stadt. Die annehmende Fassade des Entrees schmückt ja nicht außen sondern nimmt eine Innenseite des umschlossenen Hofes. Nach außen, oder besser zur direkt angrenzenden Stadt entbreitet sich ein langer, zwar von vielen Fenstern und einem Torbogen durchbrochener, dennoch aber abweisender Flügel. Man vermisst die typische barocke Öffnung in Form des die Stadt aufnehmenden Ehrenhofes. Ein Wermutstropfen wohl, der allerdings an der kunsthistorischen Bedeutung, ja auch an der gediegenen Schönheit des Schlossgebildes selbst nur wenig rüttelt.
     Auch die anderen Monumentalbauten führen erfrischende Stilkonglomerate vor. SANKT MARTIN zeigt ein bullig in den Stadtkörper geschobenes Kirchenschiff, welches und das vor allem die Eingangsfassade ganz den verspielten Künsten des Barock überlassen. Die Fassade, geschmückt durch Pilaster mit kunstvollen Kapitellen und ein detailreiches Wappen, wird von einem lustvoll geschwungenen Giebel abgeschlossen.

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Gar noch aufregender die "zerklüftete" Rückseite mit Campanile und Chor. Hier vor allem das ergötzliche Konglomerat: der obere Abschnitt des Turmes und der Chor in erhabener gotischer Gestalt, wie auch die untere Turmstrecke in romanischer Ausführung überstanden die Katastrophe 1689; als dritter Stil tritt wiederum der Barock hinzu, welchem zwar nur das Turmdach überlassen, das jedoch nicht ohne durch eine hohe, mehrfach gestaffelte Ausführung gewohnt formenfreudig dennoch Aufmerksamkeit zu gewinnen.
     Der nunmehr dritte Monumentalbau, das auffällige in rotem Sandstein verfertigte RATHAUS muss auf dem Territorium der alten Markgrafschaft (Baden-Baden und Baden-Durlach) einzig den Vergleich mit dem Karlsruher Rathaus scheuen. Die Fassaden des eigentlichen Rathausbaus sind sorgfältig arrangiert, nirgendwo überladen, der Eingang mit reizvollem Säulenvorbau. Effektvolle Ergänzung ward gefunden in einem mittelalterlichen Torturm, welcher, per Oktogon und hohes Zwiebeldach aufgestockt, ein ungewöhnliches Ensemble ausbildet.
     Hinter diesen drei Bauten deutlich zurückstehend aber dennoch Wahrzeichen der Stadt der anmutige LAUERTURM, der zusammen mit dem schon erwähnten Stadttor (aber räumlich von diesem separiert) Höhepunkt der an mehreren Stellen zumindest in Teilen gut erhaltenen STADTMAUER. Letztere definiert — wie immer in diesen Fällen — wohltuend den ursprünglichen Stadtkern von den Erweiterungen verschiedenster Couleur, beginnend noch im frühen 19. Jahrhundert und fortwährend natürlich bis heute. So findet man auch in Ettlingen einen relativ betrachtet kleinen, beinahe winzigen historischen Stadtkern, umgeben von einer riesigen ab der 1950er "wild" (ohne erkennbare Gesamtstruktur) gewachsenen Peripherie. 
     Eine entstellte Landschaft, die man ohne weiteres mit Worten Theodor Fontanes bedenken könnte: "Was auf fast eine halbe Meile hin diesen ganzen Stadtteil charakterisiert, das ist die völlige Abwesenheit alles dessen, was wohlgut, was gefällt, in erschreckender Weise fehlt der Sinn für das Malerische."[1]  Gesprochen übrigens beim Anblicke von Berliner Bauten des 19. Jahrhunderts, für die damalige Zeit wohl zu karg, für unser vom Modernismus geprägtes Auge ohne weiteres noch Baukunst. Erstaunlich endlich neben dem Inhalt, der Kargheit bereits kannte und offen verwarf, die Selbstverständlichkeit der Forderung nach einem malerischen Ausdruck. Unsere Zeit hat das Schöne bereits dergestalt verdrängt, dass ein modernistischer Planer, gebeten um einen malerischen, das Auge erfreuenden Ausdruck wohl in schallendes Gelächter ausbrechen wollte.

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Der runde Lauerturm nun markiert einen Eckpunkt des alten Stadtgrundrisses, gefällig ob schlanker Proportion und des Kontrastes verputzter Aufsatz, welcher reizvoll "herauswächst" — sandsteinerner Unterbau. Geschmackvoll auch die reine Form des Kegels, mit welchem das Dach beschließt.
     Für ein insgesamt ergreifendes Stadtbild, bedarf man neben dem Blickfang der Monumentalbauten auch der formalen Qualität für die zahlreichen und die Stadt letztlich erst ausfüllenden Bürgerhäuser, welche gleichsam das "Fleisch" der Stadt. Dieses nun, wie oben schon angedeutet, litt durchaus erheblich unter zahlreichen, vor allem modernistischen Eingriffen in Gestalt von Neubauten oder Zerstörung der Erdgeschoss-Fassaden (Schaufensterfronten ohne Bezug zur Substanz). Spätestens aber mit Sanierung der historischen Substanz ab den 1980er Jahren zeigte sich auch in Ettlingen in aller Deutlichkeit der Unterschied zwischen modernistischem Bauen, welches einzig funktionalen Ansprüchen genügen will und historischem Bauen, das in der Vermittelung durch Kunst einen zusätzlichen Anspruch sah. Zwischen glatten, gefühlskalten Fassadenflächen auf der einen, visuellem Facettenreichtum auf der anderen; zwischen profanen Gesten, die einmal kurz betrachtet nie wieder interessieren — und sorgfältigem Arrangement des Fassadenschmuckes, das auch nach x-facher Sichtung nichts von seinem Reiz verliert. Kurzum zwischen Bauen und Baukunst.
     So nimmt es nicht wunder, dass wo immer die barocken Ensembles intakt, sofort urbanes Flair Einzug nimmt. Das gilt zuvörderst dem kurzen Abschnitt, des die Altstadt in zwei annähernd gleichgroße Teile schneidenden Alb-Durchflusses. Beiderseits des Laufes nämlich blieb der Bestand beinahe durchgehend erhalten. Zusammen mit dem gleichfalls hier platzierten Rathaus und in nächster Nähe Sankt Martin erbauen sich feinste Prospekte aus Stadt und Gewässer. Auch der Straßenzug zwischen Rathaus und Sankt Martin, zum Teil noch vorzügliche Fachwerkhäuser aufweisend und mit der parallel verlaufenden (allerdings von einer Häuserreihe abgetrennten) Alb nimmt Anlass zu schönster Einheit. Schließlich vermag man einer Stadtpartie, bestehend aus einem ehemaligen, für die Jesuiten typisch kasernenartigen KOLLEG und angrenzenden barocken Bürgerhäusern einigen Reiz abzugewinnen.
     Neben den drei Monumentalbauten kann zumindest der liebenswerte Abschnitt entlang der Alb den Wiedererkennungswert der Stadt wohltuend unterstreichen. In Ettlingen findet man ein angenehmes, freilich kein überragendes Städtchen, dafür nämlich war der ab den 1950ern zu entrichtende Zoll zu hoch.

Schloss Ettlingen [Link] auf Schlösser und Burgen in Baden-Württemberg.
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[1] Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg - Band 3 ,  Könemann 1997, S. 155

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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester  "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Website  www.ettlingen.de
4) örtliche Informationstafeln


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