Baukunst in Baden
  Wölchingen
 


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Wölchingen, ein kleines Dorf, zeigt wohl noch einige Fachwerkhäuser, auch ein Rathaus im Romantischen Stil, wäre aber im ganzen nur wenig ansehnlich und damit so recht ein trauriger Kompagnon des armen Boxberg, stünde dort nicht ein Juwel von einem Gebäude, kraftvoll genug dem ganzen Ort Leben einzuhauchen, ja als wollte es sogar Boxberg noch "retten"!
     Hört, hört! Dachte sich der Autor als man ihm in Boxberg ein Gotteshaus unter dem tönenden Namen "Frankendom" anpries. Immerhin aber, vom Boxberger Schlossberg aus betrachtet, leuchtete es in einiger Entfernung gar schön im Sonnenlicht. Der übermäßig anpreisende Name aber schien zumeist auf ein übertriebenes Gebäu des Historismus zu deuten. Am Schluss jedoch siegte die Neugier. Welch' Glück!
     Der Frankendom oder in Langform "der Dom des badischen Frankenlandes" kann sich zwar in der Tat nicht auf kathedralenhafte Größe berufen, seine Schönheit aber, welche im Stande eines seltenen romanischen Kleinodes, haftet ihm nur allzu leicht solch' Ehrentitel an. Die heutigentags evangelische Pfarrkirche wurde in den Jahren 1230-50 errichtet, vermutlich von den Herren von Boxberg und dem Johanniterorden, welcher im nahen Bad Mergentheim um eine der bedeutendsten Komtureien überhaupt des Deutschen Ritterordens wusste. Das Gotteshaus wurde also im Stile der Romanik errichtet, was freilich wenig verwunderlich — wahrhaft erstaunlich aber, dass sie zumindest ihr Äußeres (beinahe) unverändert bis ins 21. Jahrhundert, über ein dreiviertel Jahrtausend also, zu retten vermochte.
     Dergleichen Kirchen findet man in Baden kaum eine Hand voll: die Abteikirchen Bronnbachs und Schwarzachs, Sankt Cyriakus in Sulz, die drei Reichenauer Kirchen, vielleicht noch die Klosterkirche Lobenfeld, welche aber genauso wie das Sankt Stephansmünster in Breisach einen großen gotischen Anteil besitzt. Eine Kirche über einen solch langen Zeitraum zu bringen ist aus zweierlei Gründen ein ausgemachtes Kunststück; was nämlich nicht in den zahlreichen Kriegen oder Bränden niederging wurde früher oder später dem jeweils aktuellen Zeitgeschmack angepasst. So wurde das einst romanische Münster Freiburgs zu einem Wunderwerk der Gotik befördert, oder das ursprünglich gleichfalls romanische Villinger Münster erst gotisiert, dann barockisiert.
     Im kleinen Wölchingen also ein noch reines Werk der Romanik; oder genauer beinahe rein, denn ganz ohne Eingriff konnte es auch hier nicht zugehen: 1878/79 erst setzte man den Turm in einem neuromanischen Stil auf — immerhin, das gereichte der alten Ordenskirche nicht zu ihrem Schaden (in diesem Zuge wurden auch moderate barocke Maßnahmen, die denn doch auch hier vorhanden, wieder rückgängig gemacht).

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Man findet im Frankendom eine dreischiffige Basilika mit Vierung; letztere mit Hauptapsis am Chor, wie zwei kleineren Apsiden auf der Rückseite der Querschiffarme. Das gesamte Gebäude wurde verputzt, Gliederungs- und Verschönerungs-Elemente aus gelbem Sandstein gefertigt. Im Ganzen gefällt die basilikale Gestalt, monumental spätestens dank der hoch aufragenden Vierung. In diesem Zusammenhang gefällt auch der polygonale Turm, verziert und mit spitzem Zeltdach.
     Ob schöner typisch romanischer Details macht auch das Näherkommen große Freude. Allenthalben der Rundbogenfries, kunstvoll gearbeitet wie die zahlreichen Fenster, welche rundbogig oder an der Vierung gleich kreisrund. Überboten wird ihr Anblick noch von den Portalen und den Apsiden. Das Hauptportal unter dem Dreiecksgiebel der Vorderseite — ein Gewände-Säulenportal gar mit Vollsäulen, die Köpfe als Würfelkapitelle. Der Nebeneingang am Seitenschiff steht kaum nach: auch mehrfach zurückgegliedert, hier aber und zur schönen Abwechslung als Baldachinportal. Die Apsiden bereiten nicht weniger Freude, zumeist jene des Chores, die größte der drei, freilich immer noch lustig klein. Sie besitzt ein sorgfältig gerahmtes Rundbogenfenster, überaus schmale Lisenen, dafür einen umso kunstvolleren Fries; lieb auch das Zusammenspiel mit dem fein detaillierten Rundfenster über der Apsis.
     Das Gotteshaus zeigt auch eine echte Kuriosität, für welche man sich wieder zum Haupteingang wendet. Hier ward von den ausführenden Bauleuten eine Narretei getrieben, die Auftraggeber wie Baumeister irre gemacht haben muss. Betrachte man die Lisene gleich links des Portals, wie sie förmlich nach innen wegknickt! Erst beim Zusammentreffen mit dem Schrägfries besann man sich wieder eines besseren, griff wieder nach dem Lot, das schräge Unterfangen begreifend endlich wieder nach sauberer Vertikale.
     Erstaunlich genug, dass man nicht auf Ausbesserung bestand. Hat man nämlich die Abweichung erst einmal gewahrt, so zieht sie die Blicke als ein Ungleichgewicht immer wieder auf`s neue an sich. Freilich hat der Frankendom so viel zu bieten, dass manchem das schräge Kuckucksei überhaupt nicht auffällt. Dem Bauherrn jedenfalls fiel der Fauxpas gewiss auf, und es wirft ein sehr mildes, menschliches Licht, dass man den Fehler hinnahm (etwaige Strafmaßnahmen freilich nicht ausgeschlossen). Für die Gesamtgestalt immerhin hat die Abweichung keinerlei Bedeutung, ja sie reißt noch nicht einmal die Vorderseite in wirkliches Ungemach; am Ende sieht man in jenem Kuriosum vielleicht sogar das i-Tüpfelchen des Interesse heischenden Bauwerkes.
     So möchte man sich schließlich verwundern welch' köstliche Reichtümer der Baukunst man bisweilen auch ganz unverhofft gewinnt. Gerade noch hatte mich das Schicksal Boxbergs und seines Schlosses erschreckt, da stand schon der Frankendom zu meiner Tröstung bereit. Und fürwahr er lies mich vergessen.

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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Website  www.boxberg.de
4) örtliche Informationstafel


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